Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 00971/99
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 U 645/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Januar 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Unfall des Klägers vom 15.07.1998 von der Beklagten als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.
Der 1958 geborene Kläger ist bei der Fa. B. Bedachungsgesellschaft mbH L. beschäftigt. Am Unfalltag war der Kläger mit der Sanierung von Garagendächern in Sch. beschäftigt, zunächst nur mit seinem Arbeitskollegen L. J. (L.J.). Gegen Mittag kam als weiterer Arbeiter sein Arbeitskollege A. K. (A.K.), der zunächst auf einer anderen Baustelle gearbeitet hatte, hinzu. Der zum Unfallzeitpunkt schon über 40 Jahre alte Kläger galt als sogenanntes Muttersöhnchen. Die Stimmung war bei der Arbeit, insbesondere zwischen dem Kläger und A.K., gereizt, auch weil es sehr heiß und man der Sonneneinstrahlung ungeschützt ausgesetzt war. Gegen 16.00 Uhr kulminierte eine verbal geführte Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und A.K. Zunächst drohte der Kläger mit einem Besenstiel und als dann A.K. auf ihn zuging, warf er den Besen weg, drehte sich um und sprang vom Garagendach (Höhe ca. 2,5 m). Dabei erlitt er eine nichtdislozierte Calcaneusfraktur rechts (Durchgangsarztbericht (DAB) vom 15.07.1998). An deren Folgen leidet der Kläger heute noch.
Im Rahmen der von der Beklagten aufgenommenen Ermittlungen legte der Arbeitgeber des Klägers einen von L.J. und A.K. sowie vom Bauleiter E. H. (E.H.) unterzeichneten Unfallbericht vom 17.07.1998 vor. Darin hieß es, vor dem entscheidenden Augenblick habe der Abstand zwischen A.K. und dem Kläger ca. 3 m betragen. Der Kläger habe den Besenstiel gegen A.K. mit den Worten erhoben: "Wenn Du nicht still bist, werde ich Dir das Hirn einschlagen und wenn Dir das dann noch nicht reicht, hole ich die Axt aus dem Auto und schlage Dir den Kopf ab!" Daraufhin sei A.K. einen Schritt auf den Kläger zugegangen mit den Worten: "Probier es doch!" Zu einer Berührung sei es nicht gekommen. Der Kläger habe sich daraufhin umgedreht, den Besen weggeworfen und sei vom Garagendach gesprungen. Gleichlautende Angaben machte A.K. in seiner schriftlichen Auskunft vom 04.09.1998. Mit der Begründung, es habe sich um eine private, nicht versicherte Streitigkeit gehandelt, verneinte die Beklagte mit Schreiben vom 18.09.1998 gegenüber dem Kläger das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.
Zu seinem Widerspruch legte der Kläger ein Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.11.1998 (20 Ca 1471/98) vor, mit dem sein Arbeitgeber verurteilt worden war, wegen des Unfalls vom 15.07.1998 Lohnfortzahlung zu gewähren und eine Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. In der Begründung hieß es, der Beklagte habe ein Verschulden des Klägers an seiner Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen können. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.1999 den Widerspruch des Klägers wieder mit der Begründung zurück, bei der Auseinandersetzung am Unfalltag habe es sich um private Streitigkeiten gehandelt.
Hiergegen erhob der Kläger am 15.04.1999 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG), zu deren Begründung er die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Arbeitsgerichts Stuttgart am 17.01.1998 vorlegte, in der L.J. und A.K. als Zeugen vernommen worden waren. Das SG hob durch Urteil vom 27.01.2000 die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, den am 15.07.1998 erlittenen Arbeitsunfall anzuerkennen und die Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall dadurch gegeben sein, dass der Versicherte der Gefahr, der er erlegen sei, infolge seiner durch die Tätigkeit bedingten Anwesenheit auf der Unfallstelle ausgesetzt gewesen sei und der Unfall in seiner Art oder Schwere wahrscheinlich durch die versicherte Tätigkeit bedingt gewesen sei. Insbesondere die Anwesenheit des Klägers auf dem Dach sei eine wesentliche Bedingung für das Unfallereignis. Für eine betriebsfremde Ursache des Streites, der dem Sturz des Klägers vorausgegangen sei, lägen keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Streitigkeiten und Beschimpfungen Folge der durch die Zusammenarbeit des Klägers mit seinen Kollegen entstandenen Spannungen gewesen seien, die infolge des auf Baustellen häufig üblichen rauhen Tones in Beschimpfungen gipfelten. Die - betriebsbedingte - Höhe des Sturzes habe zu der Schwere des Unfalls zumindest wesentlich beigetragen.
Gegen das Urteil hat die Beklagte am 21.02.2000 Berufung eingelegt mit der Begründung, betriebliche Gründe für den Streit seien nicht nachgewiesen. Der auf Baustellen häufig herrschende rauhe Ton sei gerade nicht Ursache des Streites gewesen. Dies habe vielmehr darin gelegen, dass sich der Kläger nach Ansicht von A.K. von seiner Mutter stark "bemuttern" lasse. Es liege also eindeutig ein aus privaten Gründen entstandener Streit vor. Derartige private Streitigkeiten stünden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht deshalb mit der betrieblichen Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang, weil betriebliche Umstände für das Zusammentreffen der Streitenden maßgeblich gewesen seien. Auch könnten die besonderen Umstände in Form der betriebsbedingten Anwesenheit des Klägers auf dem Garagendach bei diesem aus privaten Gründen erfolgten Streit nicht zum Unfallversicherungsschutz führen. Eine Betriebsgefahr könne in derartigen Fällen nur dann von Bedeutung sein, wenn der Versicherte durch das gewalttätige Verhalten eines Arbeitskollegen verletzt werde, ohne selbst wesentlich zu dem Streit beigetragen zu haben. So sei es hier aber nicht gewesen. Der Kläger habe A.K. vielmehr massiv bedroht. Erst danach sei dieser auf den Kläger zugegangen, worauf der Kläger schließlich vom Dach gesprungen sei. Durch die Drohungen gegenüber A.K. habe sich der Kläger vom Unfallversicherungsschutz gelöst. Sein Verhalten habe nicht den Interessen seines Arbeitgebers gedient, sondern sei diesen abträglich gewesen. Er habe somit zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit mehr ausgeübt. Es habe sich vielmehr um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gehandelt, die nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.01.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist hierzu auf die angefochtene Entscheidung. Die Frage, inwieweit der verletzte Arbeitnehmer selbst Ursache für den Streit gesetzt habe, sei von der hier zu beurteilenden Frage des Eintrittes des Unfallereignisses durch Realisierung der betriebsbedingt bestehenden Gefährdung durch den Aufenthalt auf dem Garagendach zu trennen.
Der Senat hat von E.H. die schriftlichen Auskünfte vom 23.05. und 06.11.2000 eingeholt. Ferner sind im Beweisaufnahme- und Erörterungstermin am 21.12.2000 der Kläger angehört und A.K. als Zeuge uneidlich vernommen worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Nach Auffassung des Senats hat der Kläger am 15.07.1998 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Das SG hat die Rechtsgrundlagen und Grundsätze für die Annahme eines Arbeitsunfalls vollständig und zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der objektiven Beweislast gilt. Danach gehen die Folgen des Nichtfestgestelltseins von anspruchsbegründenden Tatsachen zu Lasten desjenigen, der aus diesen Tatsachen ein Recht für sich herleiten will. Daher kann sich der Kläger nicht auf die Beweiswürdigung des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 17.11.1998 berufen. In diesem Rechtsstreit hatte der beklagte Arbeitgeber die subjektive Beweislastführung dafür, dass der Kläger den Unfall vom 15.07.1998 schuldhaft verursacht hatte. Den Beweis für die entsprechenden Umstände vermochte er zur Überzeugung des Arbeitsgerichts aufgrund der Aussagen von L.J. und A.K. nicht zu erbringen. Im vorliegenden Fall jedoch gereicht es dem Kläger zum Nachteil, wenn betriebsbezogene Umstände für den Streit, der grundsätzlich nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, bzw. den hieraus resultierenden Unfall zur Überzeugung des Senats nicht feststellbar sind.
Betriebliche Umstände, die zumindest im Sinne der wesentlichen, d.h. annähernd gleichwertigen Bedingungen für den Unfall ursächlich gewesen sind, sind zur Überzeugung des Senats nicht erwiesen. Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen steht im Grunde nur fest, dass dem eigentlichen Unfallgeschehen - Sprung vom Garagendach - ein Streit voranging. Streit und Tätlichkeiten stehen aber nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie unmittelbar aus der Arbeit erwachsen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Verletzte den Streit begonnen oder sich auf ihn eingelassen hat (vgl. KassKomm-Ricke, § 8 SGB VII RdNr. 105). Versicherungsschutz ist auch für den anzuerkennen, der ohne eigene Beteiligung unfreiwillig Opfer einer Tätlichkeit wird (aaO.). Für die Bejahung von Versicherungsschutz reicht es nicht schon aus, dass sich der Streit bzw. die Tätlichkeit während der Arbeit oder an der Arbeitsstätte ereignet hat. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es nämlich keinen sogenannten Betriebsbann (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Urteil vom 05.08.1993 - 2 BU 37/93 -). Auch genügt es nicht, dass betriebseigentümliche Umstände (Betriebsgefahr) für (die Schwere des) den Unfall wesentlich ursächlich gewesen sind (Urteile des BSG vom 27.06.2000 - B 2 U 22/99 R -; SozR 3-2200 § 548 Nr. 22; BG 1968, 79).
Betriebsbezogene Ursachen als zumindest annähernd gleichwertige Bedingung für den Streit/Unfall lassen sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Im Hinblick auf die vom Senat eingeholten Auskünfte von E.H. vom 23.05. bzw. 06.11.2000 läßt sich generell feststellen, dass der Kläger im Betrieb als sogenanntes Muttersöhnchen mit großsprecherischem Wesen galt. Deshalb wurde er von den Arbeitskollegen des öfteren - nur verbal - gehänselt. Und soweit ist festzustellen, dass diese Eigenschaften des Klägers seinem privaten Bereich zuzurechnen sind, die zwar auch in das Betriebliche ausstrahlen, aber nicht als betriebsbezogen zu werten sind. Daß der Kläger aufgrund dieser Eigenschaften über seine Mutter im Betrieb intervenieren lässt, ist vorrangig Ausdruck seiner privaten Beziehung zu seiner Mutter bzw. seiner entsprechenden Lebensgestaltung und macht das entsprechende Tätigwerden seiner Mutter nicht zu einem betriebsbezogenen Umstand im Sinne der wenigstens annähernd gleichwertigen Bedingung. Nach den von L.J. und A.K. gemachten Angaben als Zeugen vor dem Arbeitsgericht bzw. den Angaben von A.K. anlässlich seiner Vernehmung vor dem Berichterstatter begann die Auseinandersetzung des Klägers mit A.K. damit, dass letzterer ihn offenbar wegen eines Anrufs der Mutter im Betrieb an diesem Tage als Muttersöhnchen hänselte. Der Kläger selbst vermag hierzu, wie er anlässlich seiner Anhörung vor dem Berichterstatter angegeben hat, keine Angaben zu machen, da er sich an den Vorfall nicht mehr erinnern kann. Weshalb dieser Streit dann über das Verbale hinaus eskaliert ist, lässt sich heute ebenfalls nicht mehr feststellen. Möglicherweise, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist dies aber nicht feststellbar, waren für diese Eskalation das heiße Wetter in Verbindung mit der direkten Sonneneinstrahlung und die schwere berufliche Tätigkeit ursächlich, die den psychischen Zustand sowohl des Klägers als auch von A.K. beeinträchtigt haben. Nach den weiteren Angaben von L.J. und A.K. soll der Kläger dann gedroht haben, A.K. mit einem - auf dem Dach befindlichen - Besen zu schlagen. Dies hat A.K. noch als die übliche Flachserei aufgefasst. Anschließend soll der Kläger noch verkündet haben, wenn das nicht reiche, werde er A.K. die Axt "aufs Hirn" schlagen. Dann soll A.K. dem Kläger erklärt haben, er solle das doch tun, und ist auf ihn zugegangen, angeblich ohne ihn zu berühren und nicht in kämpferischer Haltung (etwa geballte Fäuste). Daraufhin ist der Kläger - wohl aus Angst - gesprungen. Bei diesem Sachverhalt, ein anderer ist nicht ersichtlich, ist der Senat der Auffassung, dass möglichen betrieblichen Umständen (allenfalls gebotenes Zurückweichen nur möglich durch Sprung vom Dach) gegenüber der Persönlichkeit des Klägers (Muttersöhnchen, großsprecherisch) nicht annähernd gleichwertige Bedeutung zukommt, sondern das Betriebsfremde (hier: Wesen des Klägers) überwiegt. Damit ist der Unfall vom 15.07.1998 kein Arbeitsunfall.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Unfall des Klägers vom 15.07.1998 von der Beklagten als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.
Der 1958 geborene Kläger ist bei der Fa. B. Bedachungsgesellschaft mbH L. beschäftigt. Am Unfalltag war der Kläger mit der Sanierung von Garagendächern in Sch. beschäftigt, zunächst nur mit seinem Arbeitskollegen L. J. (L.J.). Gegen Mittag kam als weiterer Arbeiter sein Arbeitskollege A. K. (A.K.), der zunächst auf einer anderen Baustelle gearbeitet hatte, hinzu. Der zum Unfallzeitpunkt schon über 40 Jahre alte Kläger galt als sogenanntes Muttersöhnchen. Die Stimmung war bei der Arbeit, insbesondere zwischen dem Kläger und A.K., gereizt, auch weil es sehr heiß und man der Sonneneinstrahlung ungeschützt ausgesetzt war. Gegen 16.00 Uhr kulminierte eine verbal geführte Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und A.K. Zunächst drohte der Kläger mit einem Besenstiel und als dann A.K. auf ihn zuging, warf er den Besen weg, drehte sich um und sprang vom Garagendach (Höhe ca. 2,5 m). Dabei erlitt er eine nichtdislozierte Calcaneusfraktur rechts (Durchgangsarztbericht (DAB) vom 15.07.1998). An deren Folgen leidet der Kläger heute noch.
Im Rahmen der von der Beklagten aufgenommenen Ermittlungen legte der Arbeitgeber des Klägers einen von L.J. und A.K. sowie vom Bauleiter E. H. (E.H.) unterzeichneten Unfallbericht vom 17.07.1998 vor. Darin hieß es, vor dem entscheidenden Augenblick habe der Abstand zwischen A.K. und dem Kläger ca. 3 m betragen. Der Kläger habe den Besenstiel gegen A.K. mit den Worten erhoben: "Wenn Du nicht still bist, werde ich Dir das Hirn einschlagen und wenn Dir das dann noch nicht reicht, hole ich die Axt aus dem Auto und schlage Dir den Kopf ab!" Daraufhin sei A.K. einen Schritt auf den Kläger zugegangen mit den Worten: "Probier es doch!" Zu einer Berührung sei es nicht gekommen. Der Kläger habe sich daraufhin umgedreht, den Besen weggeworfen und sei vom Garagendach gesprungen. Gleichlautende Angaben machte A.K. in seiner schriftlichen Auskunft vom 04.09.1998. Mit der Begründung, es habe sich um eine private, nicht versicherte Streitigkeit gehandelt, verneinte die Beklagte mit Schreiben vom 18.09.1998 gegenüber dem Kläger das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.
Zu seinem Widerspruch legte der Kläger ein Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.11.1998 (20 Ca 1471/98) vor, mit dem sein Arbeitgeber verurteilt worden war, wegen des Unfalls vom 15.07.1998 Lohnfortzahlung zu gewähren und eine Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. In der Begründung hieß es, der Beklagte habe ein Verschulden des Klägers an seiner Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen können. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.1999 den Widerspruch des Klägers wieder mit der Begründung zurück, bei der Auseinandersetzung am Unfalltag habe es sich um private Streitigkeiten gehandelt.
Hiergegen erhob der Kläger am 15.04.1999 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG), zu deren Begründung er die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Arbeitsgerichts Stuttgart am 17.01.1998 vorlegte, in der L.J. und A.K. als Zeugen vernommen worden waren. Das SG hob durch Urteil vom 27.01.2000 die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, den am 15.07.1998 erlittenen Arbeitsunfall anzuerkennen und die Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall dadurch gegeben sein, dass der Versicherte der Gefahr, der er erlegen sei, infolge seiner durch die Tätigkeit bedingten Anwesenheit auf der Unfallstelle ausgesetzt gewesen sei und der Unfall in seiner Art oder Schwere wahrscheinlich durch die versicherte Tätigkeit bedingt gewesen sei. Insbesondere die Anwesenheit des Klägers auf dem Dach sei eine wesentliche Bedingung für das Unfallereignis. Für eine betriebsfremde Ursache des Streites, der dem Sturz des Klägers vorausgegangen sei, lägen keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Streitigkeiten und Beschimpfungen Folge der durch die Zusammenarbeit des Klägers mit seinen Kollegen entstandenen Spannungen gewesen seien, die infolge des auf Baustellen häufig üblichen rauhen Tones in Beschimpfungen gipfelten. Die - betriebsbedingte - Höhe des Sturzes habe zu der Schwere des Unfalls zumindest wesentlich beigetragen.
Gegen das Urteil hat die Beklagte am 21.02.2000 Berufung eingelegt mit der Begründung, betriebliche Gründe für den Streit seien nicht nachgewiesen. Der auf Baustellen häufig herrschende rauhe Ton sei gerade nicht Ursache des Streites gewesen. Dies habe vielmehr darin gelegen, dass sich der Kläger nach Ansicht von A.K. von seiner Mutter stark "bemuttern" lasse. Es liege also eindeutig ein aus privaten Gründen entstandener Streit vor. Derartige private Streitigkeiten stünden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht deshalb mit der betrieblichen Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang, weil betriebliche Umstände für das Zusammentreffen der Streitenden maßgeblich gewesen seien. Auch könnten die besonderen Umstände in Form der betriebsbedingten Anwesenheit des Klägers auf dem Garagendach bei diesem aus privaten Gründen erfolgten Streit nicht zum Unfallversicherungsschutz führen. Eine Betriebsgefahr könne in derartigen Fällen nur dann von Bedeutung sein, wenn der Versicherte durch das gewalttätige Verhalten eines Arbeitskollegen verletzt werde, ohne selbst wesentlich zu dem Streit beigetragen zu haben. So sei es hier aber nicht gewesen. Der Kläger habe A.K. vielmehr massiv bedroht. Erst danach sei dieser auf den Kläger zugegangen, worauf der Kläger schließlich vom Dach gesprungen sei. Durch die Drohungen gegenüber A.K. habe sich der Kläger vom Unfallversicherungsschutz gelöst. Sein Verhalten habe nicht den Interessen seines Arbeitgebers gedient, sondern sei diesen abträglich gewesen. Er habe somit zum Unfallzeitpunkt keine versicherte Tätigkeit mehr ausgeübt. Es habe sich vielmehr um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gehandelt, die nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.01.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist hierzu auf die angefochtene Entscheidung. Die Frage, inwieweit der verletzte Arbeitnehmer selbst Ursache für den Streit gesetzt habe, sei von der hier zu beurteilenden Frage des Eintrittes des Unfallereignisses durch Realisierung der betriebsbedingt bestehenden Gefährdung durch den Aufenthalt auf dem Garagendach zu trennen.
Der Senat hat von E.H. die schriftlichen Auskünfte vom 23.05. und 06.11.2000 eingeholt. Ferner sind im Beweisaufnahme- und Erörterungstermin am 21.12.2000 der Kläger angehört und A.K. als Zeuge uneidlich vernommen worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Nach Auffassung des Senats hat der Kläger am 15.07.1998 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Das SG hat die Rechtsgrundlagen und Grundsätze für die Annahme eines Arbeitsunfalls vollständig und zutreffend dargelegt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der objektiven Beweislast gilt. Danach gehen die Folgen des Nichtfestgestelltseins von anspruchsbegründenden Tatsachen zu Lasten desjenigen, der aus diesen Tatsachen ein Recht für sich herleiten will. Daher kann sich der Kläger nicht auf die Beweiswürdigung des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 17.11.1998 berufen. In diesem Rechtsstreit hatte der beklagte Arbeitgeber die subjektive Beweislastführung dafür, dass der Kläger den Unfall vom 15.07.1998 schuldhaft verursacht hatte. Den Beweis für die entsprechenden Umstände vermochte er zur Überzeugung des Arbeitsgerichts aufgrund der Aussagen von L.J. und A.K. nicht zu erbringen. Im vorliegenden Fall jedoch gereicht es dem Kläger zum Nachteil, wenn betriebsbezogene Umstände für den Streit, der grundsätzlich nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, bzw. den hieraus resultierenden Unfall zur Überzeugung des Senats nicht feststellbar sind.
Betriebliche Umstände, die zumindest im Sinne der wesentlichen, d.h. annähernd gleichwertigen Bedingungen für den Unfall ursächlich gewesen sind, sind zur Überzeugung des Senats nicht erwiesen. Nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen steht im Grunde nur fest, dass dem eigentlichen Unfallgeschehen - Sprung vom Garagendach - ein Streit voranging. Streit und Tätlichkeiten stehen aber nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie unmittelbar aus der Arbeit erwachsen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Verletzte den Streit begonnen oder sich auf ihn eingelassen hat (vgl. KassKomm-Ricke, § 8 SGB VII RdNr. 105). Versicherungsschutz ist auch für den anzuerkennen, der ohne eigene Beteiligung unfreiwillig Opfer einer Tätlichkeit wird (aaO.). Für die Bejahung von Versicherungsschutz reicht es nicht schon aus, dass sich der Streit bzw. die Tätlichkeit während der Arbeit oder an der Arbeitsstätte ereignet hat. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es nämlich keinen sogenannten Betriebsbann (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Urteil vom 05.08.1993 - 2 BU 37/93 -). Auch genügt es nicht, dass betriebseigentümliche Umstände (Betriebsgefahr) für (die Schwere des) den Unfall wesentlich ursächlich gewesen sind (Urteile des BSG vom 27.06.2000 - B 2 U 22/99 R -; SozR 3-2200 § 548 Nr. 22; BG 1968, 79).
Betriebsbezogene Ursachen als zumindest annähernd gleichwertige Bedingung für den Streit/Unfall lassen sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Im Hinblick auf die vom Senat eingeholten Auskünfte von E.H. vom 23.05. bzw. 06.11.2000 läßt sich generell feststellen, dass der Kläger im Betrieb als sogenanntes Muttersöhnchen mit großsprecherischem Wesen galt. Deshalb wurde er von den Arbeitskollegen des öfteren - nur verbal - gehänselt. Und soweit ist festzustellen, dass diese Eigenschaften des Klägers seinem privaten Bereich zuzurechnen sind, die zwar auch in das Betriebliche ausstrahlen, aber nicht als betriebsbezogen zu werten sind. Daß der Kläger aufgrund dieser Eigenschaften über seine Mutter im Betrieb intervenieren lässt, ist vorrangig Ausdruck seiner privaten Beziehung zu seiner Mutter bzw. seiner entsprechenden Lebensgestaltung und macht das entsprechende Tätigwerden seiner Mutter nicht zu einem betriebsbezogenen Umstand im Sinne der wenigstens annähernd gleichwertigen Bedingung. Nach den von L.J. und A.K. gemachten Angaben als Zeugen vor dem Arbeitsgericht bzw. den Angaben von A.K. anlässlich seiner Vernehmung vor dem Berichterstatter begann die Auseinandersetzung des Klägers mit A.K. damit, dass letzterer ihn offenbar wegen eines Anrufs der Mutter im Betrieb an diesem Tage als Muttersöhnchen hänselte. Der Kläger selbst vermag hierzu, wie er anlässlich seiner Anhörung vor dem Berichterstatter angegeben hat, keine Angaben zu machen, da er sich an den Vorfall nicht mehr erinnern kann. Weshalb dieser Streit dann über das Verbale hinaus eskaliert ist, lässt sich heute ebenfalls nicht mehr feststellen. Möglicherweise, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist dies aber nicht feststellbar, waren für diese Eskalation das heiße Wetter in Verbindung mit der direkten Sonneneinstrahlung und die schwere berufliche Tätigkeit ursächlich, die den psychischen Zustand sowohl des Klägers als auch von A.K. beeinträchtigt haben. Nach den weiteren Angaben von L.J. und A.K. soll der Kläger dann gedroht haben, A.K. mit einem - auf dem Dach befindlichen - Besen zu schlagen. Dies hat A.K. noch als die übliche Flachserei aufgefasst. Anschließend soll der Kläger noch verkündet haben, wenn das nicht reiche, werde er A.K. die Axt "aufs Hirn" schlagen. Dann soll A.K. dem Kläger erklärt haben, er solle das doch tun, und ist auf ihn zugegangen, angeblich ohne ihn zu berühren und nicht in kämpferischer Haltung (etwa geballte Fäuste). Daraufhin ist der Kläger - wohl aus Angst - gesprungen. Bei diesem Sachverhalt, ein anderer ist nicht ersichtlich, ist der Senat der Auffassung, dass möglichen betrieblichen Umständen (allenfalls gebotenes Zurückweichen nur möglich durch Sprung vom Dach) gegenüber der Persönlichkeit des Klägers (Muttersöhnchen, großsprecherisch) nicht annähernd gleichwertige Bedeutung zukommt, sondern das Betriebsfremde (hier: Wesen des Klägers) überwiegt. Damit ist der Unfall vom 15.07.1998 kein Arbeitsunfall.
Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved