L 1 U 3980/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 2467/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3980/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 29. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 10 v.H.

Der 1983 geborene Kläger war als Profifußballspieler beruflich tätig und erlitt am 25. März 2004 einen Arbeitsunfall (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 28. April 2004). Beim Training war er mit einem anderen Mitspieler zusammen geprallt und gestürzt. Er zog sich dabei eine transscaphoidale perilunäre Luxation der Handwurzel links zu. Noch am Unfalltag fand eine geschlossene Reposition der Luxation statt, am 29. März 2004 die operative Stabilisierung (Berichte Klinikum F. vom 26. März und 14. Juni 2004). Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos.

Im Zwischenbericht vom 7. Juli 2004 berichteten die Ärzte des Klinikums über eine endgradige Bewegungseinschränkung mit Bewegungsschmerz, legten das voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit auf den 31. Juli 2004 fest und äußerten die Auffassung, dass eine rentenberechtigende MdE nicht verbleiben werde. Mit Abschlussbericht vom 19. August 2004 wurde der Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit auf den 1. August 2004 festgelegt und eine MdE von weniger als 10 v.H. mitgeteilt.

Am 22. Januar 2005 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Kreuzbandruptur sowie eine Innen- und Außenmeniskusläsion am linken Knie zuzog.

Im ersten Rentengutachten der Kliniken E. gGmbH, N., Dr. H./Dr. H., vom 18. Januar 2006 beschrieben sie als Unfallfolgen eine geringe Weichteilverschmächtigung der linken oberen Extremität, eine minimale schmerzhafte Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk für Radialabduktion und Ulnarabduktion sowie eine OP-Narbe mit Parästhesien und glaubhafte Beschwerden. Sie erachteten zugleich für den am 22. Januar 2005 erlittenen weiteren Arbeitsunfall eine MdE um 10 v.H. als gegeben an, die MdE für den Unfall vom 25. März 2004 schlugen sie mit weniger als 10 v.H. vor.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab, da eine MdE von weniger als 10 v.H. für die Unfallfolgen vom 25. März 2004 festzustellen sei. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2006 zurückgewiesen. Eine MdE von wenigstens 10 v.H. sei wegen der Unfallfolgen nicht verblieben, ein Stützrententatbestand nicht gegeben und die MdE für die Knieproblematik daher ohne Belang.

Dagegen hat der Kläger am 29. Juni 2006 Klage zum Sozialgericht U. (SG) erhoben und geltend gemacht, die im ersten Rentengutachten angegebene freie Beweglichkeit der Hand und das festgestellte Muskeldefizit passten nicht zusammen. Beigefügt war ein Arztbrief des Orthopäden Dr. B ... Das SG hat ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Amts wegen bei Dr. H. eingeholt. In seinem Gutachten vom 3. Mai 2007 hat Dr. H. ausgeführt, als Unfallfolgen bestünden eine leichte, endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks in Verbindung mit einer verminderten mechanischen Belastbarkeit nach geschlossener Einrenkung einer Luxation des Kahnbeins und einer Schraubenosteosynthese der Fraktur desselben im März 2004. Des Weiteren hat er Ausführungen zu den Beschwerden im Bereich des linken Kniegelenks gemacht. Er hat weiter ausgeführt, es ergebe sich zum Gutachten von Dr. H. keine gravierende Meinungsverschiedenheit im Hinblick auf die Unfallfolgen. Allerdings halte er die MdE mit 10 v.H. für angemessen, da im Beruf des Klägers "Handarbeit" bestraft würde. Würde er einen handwerklichen Beruf ausüben, wären die Einschränkungen seiner Auffassung nach spürbar.

Mit Urteil vom 29. Juli 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Dr. H. habe unzutreffende Bewertungsmaßstäbe angelegt, die funktionellen Einschränkungen seien sehr gering, vergleiche man insbesondere die Bewegungsmaße rechts und links. Eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor.

Gegen das am 24. August 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. August 2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung ist vorgetragen worden, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das SG auf die Beweglichkeit der unverletzten Seite abgestellt habe. Es liege eine Funktionseinschränkung links von insgesamt 40 Grad vor, was sehr eindrücklich die funktionelle Einschränkung des Klägers an der unfallverletzten linken Hand belege.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts U. vom 29. Juli 2009 sowie den Bescheid vom 9. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. März 2004 eine MdE von mindestens 10 v.H. festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und führt ergänzend aus, der Vergleich der Bewegungsmaße beider Arme und Hände sei zur Feststellung der Einschränkungen auf der unfallverletzten Seite notwendig. Darüber hinaus sei es unzulässig, die an völlig verschiedenen Stellen gemessenen endgradigen Bewegungseinschränkungen zu einem Gesamtgrad zu addieren.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, eine MdE von wenigstens 10 v.H. festzustellen.

Grundsätzlich haben gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nur Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Ist die Erwerbsfähigkeit jedoch infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII). Deshalb ist auch das für die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§3 54, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) erforderliche Feststellungsinteresse zu bejahen, auch wenn es nur um die Feststellung einer MdE um 10 v.H. geht.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22).

Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26. Juni 1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22. August 1989, - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.

Nach Maßgabe dieser Kriterien hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, eine MdE von wenigstens 10 v.H. festzustellen. Der Kläger leidet, wie sowohl der Gutachter im Verwaltungsverfahren Dr. H., als auch der vom SG beauftragte Dr. H. übereinstimmend ausgeführt haben, lediglich unter einer leichten, endgradig schmerzhaften Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks in Verbindung mit einer verminderten mechanischen Belastbarkeit nach geschlossener Einrenkung einer Luxation des Kahnbeins und einer Schraubenosteosynthese der Fraktur. Die Beweglichkeitsprüfung des Handgelenks für Beugung und Streckung bzw. speichen-/ellenwärts ergab zuletzt bei Dr. H. eine Abweichung links gegenüber rechts von jeweils nur 10 Grad. Dabei handelt es sich, wie Dr. H. in Übereinstimmung mit Dr. H. ausgeführt hat, um lediglich leichte, endgradige Einschränkungen. Diese rechtfertigen, zieht man zur Gleichbehandlung aller Versicherten die in Rententabellen niedergelegten Erfahrungswerte heran, nicht die Feststellung einer MdE um 10 v.H. Für die Beurteilung von Folgen einer Kahnbeinfraktur und die Bemessung der MdE dafür können die für die Versteifung des Handgelenks geltenden Erfahrungswerte zum Vergleich herangezogen werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003 S. 630). Danach ist erst bei einer Versteifung des Handgelenks in guter Stellung eine MdE um 30 v.H. zu rechtfertigen oder, wie Mehrhoff/Meindl/Muhr (in: Unfallbegutachtung, 11. Auflage 2005 S. 164) angeben, eine MdE von nur 20 bis 30. Vergleicht man damit die beim Kläger bestehenden geringen Einbußen der Beweglichkeit und der Belastbarkeit, ist die Feststellung einer MdE um wenigstens 10 v.H. deshalb nicht zu rechtfertigen.

Soweit Dr. H. von diesen Grundsätzen abweichend eine MdE um 10 v.H. vorgeschlagen hat, teilt der Senat mit dem SG die Einschätzung, dass dessen Erläuterungen hierzu, die sich nicht mit den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung befassen, den Schluss nahe legen, dass er davon abweichende, sachfremde Kriterien seinen Überlegungen zugrunde gelegt hat. Jedenfalls hat er aber nicht dargelegt, weshalb die geringfügigen Einschränkungen den Kläger auf dem als Maßstab anzulegenden allgemeinen Arbeitsmarkt dergestalt funktionell einschränken, dass ihm 10 v.H. aller Erwerbsmöglichkeiten verschlossen sind.

Eine besondere berufliche Betroffenheit scheidet ebenfalls aus, wie das SG zutreffend dargestellt hat und weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen inhaltlich hierauf verwiesen wird (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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