L 4 KR 4985/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 5989/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4985/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von EUR 1.882,98 für die Ausrüstung eines (vorhandenen, von der Klägerin auf eigene Kosten beschafften) Dreirads mit einem Elektroantrieb beanspruchen kann.

Die am 1952 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Rentnerin (Bezug von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit) seit 09. September 1992 versichert. Bei ihr, die kleinwüchsig ist (Körpergröße 146 cm, Körpergewicht 40 kg), besteht eine juvenile chronische Polyarthritis mit schwersten destruierenden und mutilierenden Gelenkveränderungen, einem Zustand nach Hüft- und Kniegelenksersatz (zuletzt Hüftpfannenwechsel Juli 2005) und mit einem Zustand nach Arthrodesen des rechten oberen Sprunggelenks. Vom 27. Februar bis 13. März 2007 wurde sie zuletzt in der H.-Klinik S. (Klinik für Rheumatologie und klinische Immunologie) stationär behandelt (Arztbrief der Direktorin der Klinik Prof. Dr. M.-H. vom 19. März 2007). Bei der Klägerin ist seit 29. November 1974 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen B, G, aG und RF anerkannt. Im Oktober 1997 hatte sich die Klägerin auf eigene Kosten ein Dreirad (Anthro Tech Trike) angeschafft.

Mit Schreiben vom 02. August 2007, am 03. August 2007 bei der Beklagten eingegangen, machte die Klägerin geltend, zur Fortbewegung im Alltag sei sie auf ein Hilfsmittel (Dreirad) angewiesen, welches sie sich aus eigenen Mitteln selbst beschafft habe. Aufgrund der fortschreitenden Behinderung benötige sie für das Dreirad nun einen Hilfsmotor. Da sie diesen aus eigenen Mitteln nicht bezahlen könne, begehre sie von der Beklagten einen Zuschuss. Dem Antrag war der Kostenvoranschlag der Firma H. R. vom 01. August 2007 über einen E Tretkurbelantrieb, L. 2007 zuzüglich Montage sowie Porto und Handling zum Preis von EUR 1.691,00 beigefügt, ferner das Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 26. Juli 2007, in dem ausgeführt wurde, die Klägerin sei durch ihre schwere Behinderung bei rheumatischer Erkrankung zur Erhaltung der Mobilität, Sicherheit, Selbstständigkeit und Lebensqualität auf ihr Fahrrad (Dreirad) angewiesen. Nach weiteren Gelenkoperationen und schmerzbedingt benötige sie jetzt zur Fortbewegung des Fahrrads mechanische Unterstützung. Die Motorisierung mit einem Hilfsmotor sei notwendig, und zwar auch im Hinblick auf die weiterhin erforderliche Beweglichkeitsförderung, den Erhalt der Mobilität sowie der Kraft. Insoweit bestehe eine medizinische Indikation. Mit Bescheid vom 07. August 2007 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für den Hilfsmotor ab. Radfahren zähle bei Erwachsenen nicht zu den Grundbedürfnissen. Dazu zählten u.a. Gehen und Stehen. Die Benutzung von Therapiefahrrädern werde oft begründet mit der Notwendigkeit einer Therapie, um die Muskulatur und den allgemeinen Gesundheitszustand zu erhalten und zu stärken. Dies sei nachvollziehbar und sinnvoll. Die Rechtsprechung sehe jedoch im Fahrradfahren vordergründig die Fortbewegung und nicht die Therapie. Deshalb erkenne sie das Fahrradfahren der Erwachsenen nicht als Grundbedürfnis an. Vor diesem Hintergrund seien weder Therapiefahrräder noch Hilfsmotoren hierfür eine Leistung der Krankenversicherung. Den Angaben der Klägerin zufolge erteilte sie am 06. September 2007 der Firma H. R. den Auftrag zur Umrüstung ihres Dreirads und bezahlte am 05. November 2007 dann den mit Rechnung vom 26. Oktober 2007 für die Umrüstung in Rechnung berechneten Betrag von EUR 1.882,98.

Am 17. August 2007 hatte die Klägerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt. Sie machte geltend, ihr stehe ein Anspruch auf Versorgung mit dem Elektroantrieb nach § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zu. Sie leide unter ständigen und massiven Schmerzen an sämtlichen Gelenken. Mittlerweile sei es zu einer erheblichen Deformierung der Schultern, Hände und Füße gekommen. Infolge völliger Kraftlosigkeit könne sie nur noch wenige Schritte eigenständig gehen. Bislang habe sie sich außerhalb der Wohnung nur mittels des manuell angetriebenen Dreirads fortbewegen können. Aufgrund des sich ständig verschlechternden Gesundheitszustands, insbesondere aufgrund der zunehmenden Kraftlosigkeit, könne sie ihr Dreirad nun nicht mehr mit eigener Muskelkraft antreiben. Sie sei auf die Unterstützung durch einen Hilfsmotor angewiesen. Da sie (die Klägerin) weder über einen elektrischen noch über einen manuellen angetriebenen Rollstuhl verfüge, sei das Dreirad das einzige Fortbewegungsmittel, dass ihr derzeit zur Verfügung stehe. Dieses diene nicht in erster Linie der Bewegungstherapie, sondern stelle sicher, dass sie ausreichend mobil sei, um Ärzte, Therapeuten und Behörden aufzusuchen, aber auch um kleine Einkäufe eigenständig erledigen zu können. Sie verweise auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Mai 2006 (B 3 KR 16/05 R = SozR 4-2500 § 33 Nr. 12). Aus jener Entscheidung ergebe sich, dass bei ihr die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten für den Hilfsmotor gegeben seien. Die Beklagte erhob die ergänzende Auskunft der Klägerin vom 31. August 2007 sowie die Stellungnahme des Dr. K. vom 07. September 2007. Darin gab der Arzt die Gehstrecke der Klägerin mit ca. 200 m an. Es bestünden keine sinnvollen anderen therapeutischen Alternativen. Die Notwendigkeit zur Versorgung mit einem Elektrorollstuhl bestehe nicht. Die Beklagte erhob daraufhin die Stellungnahme des Dr. Kü. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 20. September 2007, der ausführte aus, Radfahren sei keine grundlegende Organfunktion und auch kein Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Durch die Ausstattung eines Fahrrads mit einem Hilfsmotor bleibe der grundsätzliche Charakter des Zwecks des Fahrradfahrens erhalten. Fahrräder mit Hilfsantrieb würden auch zunehmend im allgemeinem Fahrradhandel vertrieben. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsausschusses vom 16. November 2007 zurückgewiesen. Darin wurde ausgeführt, die Kosten könnten nicht übernommen werden, weil es sich bei einem Dreirad mit Elektromotor um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle und Radfahren zudem nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle. Für Versicherte, die sich den Nahbereich nicht oder nicht in ausreichendem Maße erschließen könnten, sei eine Versorgung mit einem Rollator bzw. Rollstuhl angezeigt. Diese Hilfsmittel seien anders als ein Dreirad nicht nur im Außenbereich zu benutzen, sondern könnten auch im Innenbereich verwendet werden. Der Vorteil des Dreirads sei es dagegen, den Fernbereich zu erschließen. Es sei jedoch nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die Erschließung des Fernbereichs sicherzustellen.

Deswegen erhob die Klägerin am 14. Dezember 2007 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Sie nannte den behandelnden Arzt und trug ergänzend zu ihrer Widerspruchsbegründung vor, innerhalb der eigenen Wohnung könne sie sich noch im ausreichendem Maße fortbewegen. Außerhalb ihrer Wohnung sei dies jedoch nur noch für wenige Schritte möglich. Bei ihr sei insoweit auch das Grundbedürfnis der Bewegungsfreiheit im Nahbereich betroffen, da sie sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nur unter Zuhilfenahme des Dreirads mit Hilfsmotor den Nahbereich erschließen könne. Dr. K. habe bestätigt, dass der beantragte Hilfsmotor zur Erhaltung der Mobilität und auch im Sinne einer medizinisch erforderlichen Beweglichkeitsförderung unabdingbar sei, ferner, dass die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl als therapeutische Alternative derzeit nicht notwendig und sinnvoll sei. Die Beklagte verkenne, dass die begehrte Versorgung mit dem Elektroantrieb darauf abziele, weiterhin die Mobilität außerhalb der Wohnung zu sichern. Es gehe nicht vordergründig um das Radfahren, sondern es solle ihr ermöglicht werden, Einkäufe und Behördengänge sowie Arztbesuche selbstständig zu erledigen, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Der Elektroantrieb sei dafür das geeignete und auch kostengünstigste Mittel.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Das Radfahren als spezielle Art der Fortbewegung sei nicht als Grundbedürfnis anerkannt. Bei dem Fahrrad mit Hilfsmotor handle es sich auch um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Die Klägerin habe nicht substantiiert dargelegt, dass sie sich ohne das Dreirad mit Hilfsmotor den Nahbereich nicht erschließen könne. Positive gesundheitliche Auswirkungen ließen sich durch weniger aufwendigere Geräte und andere Therapiemaßnahmen mit geringerem Kostenaufwand realisieren. Gesundheitsfördernde körperliche Betätigungen fielen im Übrigen in den Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten. Bei einer medizinischen Indikation würden entsprechende Vertragsleistungen, beispielsweise Krankengymnastik, als Sachleistung zur Verfügung gestellt. Sofern die Klägerin sich den Nahbereich nicht oder nicht im ausreichendem Maße erschließen könne, wäre eine Versorgung mit einem Rollator bzw. mit einem Rollstuhl angezeigt.

Das SG erhob Behandlungsberichte der H.-Klinik S ... Ferner wurden die Arztbriefe des Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., vom 08. August 2005 und 02. Februar 2007 vorgelegt.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2008 wies das SG die Klage ab. Der begehrten Versorgung stehe entgegen, dass das beantragte System (Elektroantrieb) ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei. Der Drehkurbelantrieb werde bei handelsüblichen Elektrofahrrädern eingesetzt, was sich aus der Homepage der Firma L. (www.leichtfahrzeuge.de) ergebe, auf welcher der beantragte Drehkurbelantrieb beschrieben sei und keinerlei Hinweise dafür ersichtlich seien, dass dieser Elektroantrieb behinderungsgerechte Zusatzausrüstungen oder Abänderungen aufweise. Der Gerichtsbescheid wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 29. September 2008 zugestellt.

Dagegen hat die Klägerin am 27. Oktober 2008 mit Fernkopie Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie hat ihr bisheriges Vorbringen im Klageverfahren wiederholt und vorgetragen, innerhalb der Wohnung bewege sie sich mit einer Gehhilfe, an besseren Tagen auch ohne diese Gehhilfe. Außerhalb der häuslichen Umgebung bewege sie sich, um einzukaufen oder Arzt oder Krankengymnastik im Umkreis von ungefähr 15 km aufzusuchen, mit dem Dreirad mit Hilfsmotor. Ohne die Benutzung des Dreirads wären ihr Wegstrecken zu Fuß bis maximal 100 m möglich. Nach der zweiten Hüftoperation im Juli 2005 habe sie das Dreirad aus eigener Kraft noch ungefähr zwei km fortbewegen können. Die Klägerin hat verschiedene Unterlagen eingereicht, darunter auch eine Montageanleitung für Tretkurbelmotor und die Rechnung der Firma H. R. vom 26. Oktober 2007.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 07. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2007 zu verurteilen, an sie EUR 1.882,98 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Sie (die Beklagte) habe die Klägerin bisher ausschließlich mit orthopädischen Haus- und Straßenschuhen versorgt, wobei die letzte Verordnung im März 2008 erfolgt sei.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 § Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und im Hinblick auf den streitigen Erstattungsbetrag von EUR 1.882,98 (vgl. § 144 Abs. 1 SGG in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung) - auch sonst statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet. Wie das SG zutreffend entschieden hat, hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr die Kosten von EUR 1.882,98 zu erstatten hat, die die Klägerin für die Ausrüstung ihres selbst beschafften Dreirads Anthro Tech Trike mit einem Tretkurbelmotor der Firma L. aufgewendet hat. Mithin ist der Bescheid der Beklagten vom 07. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2007 nicht rechtsfähig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V der bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Vorschrift stellt eine Ausnahme von dem in der gesetzlichen Krankenversicherungen Sachleistungsanspruch dar und verwandelt - bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen - den Sachleistungsanspruch in einen solchen auf Erstattung der entstandenen Kosten.

Die Beklagte hat die Ausrüstung des Dreirads mit dem Tretkurbelmotor nicht zu Unrecht abgelehnt.

Versicherte haben nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (anwendbar in der 2007 geltenden Fassung) Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens liegt dann vor, wenn er nicht speziell zur Behandlung oder für die Verwendung kranker oder behinderter Personen hergestellt und verbreitet wird (vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 13 RdNr. 11; auch Nr. 12 RdNr. 17). Die Leistungen nach § 33 SGB V müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V).

Im vorliegenden Fall geht es - auch nach dem Vorbringen der Klägerin - um die Frage eines Behinderungsausgleichs, der von der 3. Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst wird. Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch auf das begehrte Hilfsmittel, wenn es erforderlich ist, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Gegenstand des Behinderungsausgleichs sind zunächst solche Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen Funktionen dienen. Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst jedoch auch solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 12 RdNr. 14; zuletzt Urteil vom 12. August 2009 - B 3 KR 11/08 R -, veröffentlicht in juris RdNr. 18) gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines körperlichen Freiraums im Nahbereich der Wohnung und das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u.a. die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens. Im Falle der Klägerin ist das allgemeine Grundbedürfnis der "Bewegungsfreiheit" betroffen, das bei Gesunden durch die Fähigkeit des Gehens, Laufens, Stehens usw. sichergestellt wird. Ist diese Fähigkeit durch eine Behinderung beeinträchtigt, so richtet sich die Notwendigkeit eines Hilfsmittels in erster Linie danach, ob der Bewegungsradius im Nahbereich eingeschränkt ist und auf einen Umfang erweitert werden soll, den ein Gesunder üblicherweise zu Fuß erreicht (vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 12 RdNr. 15). Dabei geht es um die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang an die frische Luft zu kommen oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Dazu zählen z.B. das Einkaufen, die Erledigung von Post- und Bankgeschäften sowie der Besuch von Apotheken, Ärzten und Therapeuten. Dieser Nahbereich wird bei gehbehinderten Menschen regelmäßig durch einen handgetriebenen oder Elektro-Rollstuhl erschlossen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 15 RdNr. 14).

Zwar geht der Senat davon aus, dass bei der Klägerin die Bewegung zu Fuß im Nahbereich der Wohnung auch mit Gehhilfen nur noch in sehr begrenztem Umfang möglich ist, weil sie, auch nach der Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. K., nur noch etwa 200 m zu Fuß zurücklegen kann. Die Klägerin selbst gibt ihr Gehvermögen mit nur noch 100 m an. Sie bedarf daher zur Erschließung ihres über einen Umkreis von 200 m hinausreichenden körperlichen Freiraums entweder eines Rollstuhls oder eines Dreirads, das sie sich 1997 bereits selbst beschafft hat und mit dem sie bis zur Ausrüstung mit dem Tretkurbelmotor noch zwei km aus eigener Kraft hat zurücklegen können. Diese Begrenzung der Wegstrecke auf 200 m, die innerhalb des Nahbereichs liegen würde (vgl. BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 12 RdNr.15), rechtfertigt jedoch nicht den Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten, das von ihr angeschaffte und benutzte Dreirad mit dem Tretkurbelantrieb aufzurüsten, um sich so, wie auch vor Juli 2005, nun damit nach wie vor, wie von ihr angegeben, außerhalb der häuslichen Umgebung zum Einkaufen oder Arzt oder zur Krankengymnastik im Umkreis von ungefähr 15 km bewegen zu können. Soweit die Klägerin noch in der Lage ist, mit eigener Kraft eine Fahrstrecke von zwei km zurückzulegen, könnte sie sich noch den Nahbereich erschließen. Die von der Klägerin erstrebte erweiterte Mobilität hinsichtlich einer Fahrstrecke von insgesamt 15 km geht ersichtlich über den Nahbereich hinaus. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie sich 1997 das Dreirad auf eigene Kosten angeschafft und auch später bei der Beklagten nicht die Versorgung mit einem Rollstuhl bzw. Elektrorollstuhl begehrt hat, zumal das Dreirad ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gewesen ist, der nicht in die Leistungspflicht der Beklagten gefallen wäre (vgl. dazu auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 12 RdNr. 17). Abgesehen davon stellt, wie das SG zutreffend dargelegt hat, auch der beschaffte Tretkurbelmotor einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar. Auch die von der Klägerin eingereichte "Montageanleitung für Tretkurbelmotor" belegt, dass dieser Tretkurbelmotor bei jedem handelsüblichen Fahrrad eingesetzt werden kann. Dieser Tretkurbelantrieb stellt daher keine behinderungsgerechte Zusatzausrüstung zu dem Dreirad, wie etwa das "Reha-Zubehör" dar, um ein konventionelles (Liege-)Dreirad so umzurüsten und anzupassen, dass es von einem behinderten Menschen sicher und möglichst ohne fremde Hilfe beim Auf- und Absitzen benutzt werden kann, über das das BSG im von der Klägerin herangezogenen Urteil vom 25. Mai 2006 entschieden hat. Daher könnte sich die Klägerin auch nicht auf ein Wahlrecht zwischen der Ausrüstung des vorhandenen Dreirads mit dem Tretkurbelantrieb einerseits, wofür nicht unerhebliche Kosten angefallen sind, sowie einem Rollstuhl andererseits, den die Klägerin im Übrigen nicht erstrebt, berufen.

Ein ursprünglicher Sachleistungsanspruch der Klägerin aufgrund einer Vorschrift außerhalb des SGB V ist - unabhängig davon, ob die Beklagte dies hätte prüfen müssen, weil sie den Antrag nicht nach § 14 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) weitergeleitet hat - nicht erkennbar. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe, da die Klägerin in der Lage war, die Ausrüstung des vorhandenen Dreirads mit einem Elektroantrieb selbst zu zahlen.

Danach war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved