L 10 U 4441/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 21/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4441/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.07.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalls vom 26.04.2001.

Der am 1950 geborene und aus T. stammende Kläger arbeitet seit 1973 bei der Firma P ... Am 26.04.2001 sollte er im Innenraum eines Fahrzeugs eine technische Störung beheben. Dabei zündete der Airbag und traf den Kläger an der rechten Schädelseite. Der Kläger war kurzzeitig bewusstlos und wurde anschließend notfallmäßig in der Klinik für Unfallchirurgie am Katharinenhospital in S. aufgenommen. Der dortige Ärztliche Direktor, Prof. Dr. H. , diagnostizierte eine commotio cerebri, eine contusio bulbi rechts sowie eine Kopfplatzwunde. Wegen eines Ohrgeräusches rechts, eines zeitweiligen Drehschwindels und einer subjektiven Hörverschlechterung rechts suchte der Kläger am 07.05.2001 den HNO-Arzt G. auf, der ein Knalltrauma rechts diagnostizierte und eine Infusionsbehandlung vornahm, die jedoch zu keiner Besserung des Tinnitus und der rechtsseitigen Hörstörung führte. In der Folge kam es wegen des Tinnitus zu (Durch)Schlafstörungen und der Facharzt für Innere Medizin Dr. St. teilte der Beklagten im Juli 2001 u.a. mit, Infusionsbehandlung und medikamentöse Therapie des Tinnitus hätten bisher zu keiner Verbesserung geführt. Es sei eine reaktive Depression aufgetreten, die derzeit mit Amitriptyllin behandelt werde.

Der Kläger war auf Grund des Arbeitsunfalls vom 26.04. bis 10.06.2001 und vom 12.06. bis 22.07.2001 und vom 13.11. bis 16.11.2001 arbeitsunfähig und erhielt nach Ende der Entgeltfortzahlung Verletztengeld. Anschließend nahm der Kläger seine Arbeit bei der Firma P. wieder auf.

Am 17.09.2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und brachte vor, infolge des Arbeitsunfalls leide er an einem ständigen Rauschen und Pfeifen im rechten Ohr sowie ständigen Kopfschmerzen und werde deshalb mit Medikamenten behandelt. Nach wie vor könne er nur mit Schlafmitteln schlafen und infolge der Kopfschmerzen müsse er auch tagsüber Schmerzmittel einnehmen.

Die Beklagte holte den Behandlungsbericht der Dr. Kn. , Druckkammer-Centrum S. (der Kläger habe sich dort zur hyperbaren Sauerstofftherapie vorgestellt, im April, Oktober und Dezember 2001 seien zahlreiche Einheiten HBO-Therapie durchgeführt worden, mit der eine deutliche Besserung der Beschwerdesymptomatik habe erreicht werden können) ein.

In dem im Auftrag der Beklagten erstatteten Gutachten führte der HNO-Arzt Dr. B. aus, der Kläger habe angegeben, die hyperbare Sauerstoffbehandlung habe zu keinem nennenswerten bzw. dauerhaften Erfolg geführt. Als wesentliche Unfallfolge diagnostizierte Dr. B. einen dekompensierten Hochfrequenztinnitus rechts und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür auf 20 v. H. In der hierzu auf Veranlassung der Beklagten erstatteten beratungsärztlichen Stellungnahme führte Prof. Dr. T. , Leiter der HNO-Klinik des Klinikums N. , aus, es liege ein unfallbedingter Tinnitus rechts und eine unfallabhängige Hörminderung, die aber keiner zusätzlichen Bewertung bedürfe (annähernde Normalhörigkeit), vor. Da der Belästigungscharakter des Tinnitus offensichtlich sehr hoch sei, HBO-Therapien eingeleitet worden seien und offensichtlich jetzt eine Dauermedikation mit Psychopharmaka erfolge, schätze er die MdE auf 20 v. H.

Die Beklagte holte weiter das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. S. mit psychologischem Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. M. ein. Prof. Dr. S. führte aus, Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet lägen nicht vor. Der von Dr. St. geäußerte Verdacht auf eine depressive Störung könne, zumindest im aktuellen Zeitpunkt, nicht nachvollzogen werden. Anhand der vorgelegten Akten und Befundberichte ergäben sich auch keine ausreichenden Hinweise dafür, dass diese Diagnose für die Vergangenheit vorgelegen habe. Vorübergehend möge das Auftreten des Ohrgeräusches bzw. das Unfallereignis selbst zu einer Anpassungsstörung geführt haben. Diese sei in der Zwischenzeit und nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ausgeheilt.

Mit Bescheid vom 25.09.2003 und Widerspruchsbescheid vom 17.12.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die Erwerbsfähigkeit sei nicht in rentenberechtigendem Grade über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus gemindert.

Dagegen hat der Kläger am 09.01.2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben, das die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ein Gutachten von dem HNO-Arzt Schä. eingeholt hat. Der HNO-Arzt G. hat mitgeteilt, der Kläger sei letztmals am 08.04.2003 in seiner Behandlung gewesen. Seit dem Arbeitsunfall bestünden ein Tinnitus aurium, eine Innenohrschwerhörigkeit rechts, ein Vertigo sowie eine zunehmende depressive Verstimmung. Dr. St. hat angegeben, er habe den Kläger zuletzt am 13.05.2004 behandelt. Der nach dem Knalltrauma aufgetretene Tinnitus bestehe unverändert fort, ebenso die depressive Stimmungslage. Der Sachverständige Schä. hat ausgeführt, eine MdE auf Grund des erlittenen Hörschadens sei nicht gegeben. Die psychische Beeinträchtigung durch den Tinnitus (Einschlafstörungen) sei erheblich, sodass kontinuierlich Psychopharmaka eingenommen werden müssten. Hierfür sei unter Berücksichtigung von Feldmann eine MdE um 20 v. H. ("Tinnitus mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen") anzusetzen.

Mit Urteil vom 18.07.2007 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger auf Grund der Folgen des am 26.04.2001 erlittenen Arbeitsunfalls Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Gericht sei ohne die als noch fehlend gerügte weitere Begutachtung auf nervenärztlichem Gebiet überzeugt, dass der unfallbedingte dekompensierte Tinnitus des Klägers erhebliche psychische Folgewirkungen auf Dauer habe, die mit einer MdE um 20 v. H. zu bewerten sei.

Gegen das der Beklagten am 20.08.2007 zugestellte Urteil hat diese am 11.09.2007 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, ein Tinnitus sei unter Berücksichtigung des als antizipierten Sachverständigengutachtens anerkannten Königsteiner Merkblatts bei der Bewertung des Gesamtschadensbildes mit einer MdE von bis zu 10 v. H. zu berücksichtigen. Wenn diese Einschätzung dem Beschwerdebild nicht gerecht werde, sei eine zusätzliche neurologisch-psychiatrische Begutachtung in Betracht zu ziehen. Eine MdE von über 10 v. H. könne auf Grund eines bestehenden Tinnitus somit nur dann festgestellt werden, wenn zusätzlich zu den eigentlichen Ohrgeräuschen ein neurologisch-psychiatrisches Schadensbild zu objektivieren sei. Hierzu bedürfe es dann aber auch eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens und nicht nur eines HNO-ärztlichen Gutachtens bzw. fachfremder Stellungnahmen, die von Internisten oder HNO-Ärzten abgegeben würden. Aus dem von ihr eingeholten Gutachten des Prof. Dr. S. ergebe sich, dass beim Kläger keine depressive Störung vorliege.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.07.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte G. (erstmalige Behandlung des Tinnitus am 07.05.2001, letztmals am 28.06.2006; der Tinnitus habe sich durch Infusionen gebessert, sei aber nicht ganz verschwunden, im Jahr 2002 sei der Tinnitus subjektiv als lauter empfunden worden, das Einschlafen nur noch mit Schlafmitteln möglich gewesen, zusätzlich sei die Einnahme von Psychopharmaka angegeben worden, eine Objektivierung mittels Fragebogen sei nicht durchgeführt worden) und Dr. St. (erstmalige Behandlung wegen des Tinnitus am 09.05.2001, die Behandlung habe zu keiner Besserung der Symptomatik geführt, weshalb ein depressiver Verstimmungszustand aufgetreten sei mit Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen, eine antidepressive Therapie mit Amitriptylin habe zu keiner wesentlichen Besserung geführt) und eines Gutachtens durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G.-P. und auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch den HNO-Arzt PD Dr. H ... Dr. G.-P. hat ausgeführt, der Kläger leide an einer Schlafstörung, die einerseits durch den Tinnitus, andererseits durch den jahrelangen Schichtdienst verursacht worden sein könne. Da es sich eher um Durchschlafstörungen als um Einschlafstörungen handele, spreche dies eher für eine Verursachung durch den Schichtdienst, weshalb ein ursächlicher Zusammenhang mit dem geltend gemachten Ereignis nicht mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden könne. PD Dr. H. hat ausgeführt, der Kläger leide an einer beidseitigen Innenohrhochtonschwerhörigkeit rechts mehr als links und einem rechtsseitigen Tinnitus mit psychovegetativen Begleiterscheinungen (depressive Reaktion im Sinne einer Anpassungsstörung). Er schätze die MdE mit 20 v.H. ein.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Der Kläger leidet auf Grund des Unfallereignisses vom 26.04.2001 an einer geringfügigen Hörminderung des rechten Ohres und einem Tinnitus rechts. Dies steht auf Grund der übereinstimmenden Befunde des im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. B. und des im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Sachverständigen Schä. fest; auch die behandelnden Ärzte G. und Dr. St. haben diese Befunde bestätigt, ebenso wie der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige PD Dr. H ... Dies ist zwischen den Beteiligten im Übrigen auch nicht streitig. Soweit durch den behandelnden Internisten Dr. St. bzw. Dr. Kn. , Druckkammer-Centrum S. über einen linksseitigen Tinnitus berichtet wurde, geht der Senat von einer Seitenverwechslung aus, da der Kläger nach seinen eigenen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. B. niemals unter einem Ohrgeräusch oder einer Hörminderung links litt.

Die rechtsseitige Hörminderung führt, wie Dr. B. und der Sachverständige Schä. übereinstimmend angegeben haben, zu keiner MdE; insoweit ergibt sich auch aus dem Gutachten des PD Dr. H. nichts anderes.

Entgegen der Einschätzung von Dr. B. , dem Sachverständigen Schä. und PD Dr. H. rechtfertigt der Tinnitus keine MdE um 20 v.H. Nach der medizinisch-wissenschaftlichen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8.Aufl., S. 350 f.; Feldmann, Das Gutachten des HNO-Arztes, 5. Aufl., S. 231 f.) sowie den Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit (Königsteiner Merkblatt), Nr. 4.3.5, S. 31, ist ein lärmbedingter Tinnitus mit einer MdE von bis zu 10 v.H. zu berücksichtigen. Eine höhere MdE-Bewertung kommt im Einzelfall bei zusätzlichen psychischen Störungen in Betracht.

Derartige erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen sind bei dem Kläger jedoch nicht nachgewiesen. Zwar haben die gutachterlich gehörten HNO-Ärzte Dr. B. , Schä. und PD Dr. H. das Vorliegen erheblicher psychovegetativer Begleiterscheinungen (mit einer MdE um 20 v.H.) attestiert; dies ist jedoch auf Grund der auf nervenfachärztlichem Gebiet erstatteten Gutachten von Prof. Dr. S. und Dr. G.-P. nicht nachvollziehbar.

Dr. B. ist von einer "erheblichen psychischen Belastung" allein wegen der aus seiner Sicht glaubhaften Angaben des Klägers und dem Umstand, dass vom Hausarzt Dr. St. Psychopharmaka verordnet wurden, ausgegangen. Gleiches gilt für den Sachverständigen Schä. , der die psychische Beeinträchtigung auf Grund der Angaben des Klägers und der Einnahme von Psychopharmaka als erheblich bewertet hat. Beide Gutachter übersehen indessen, dass die Verordnung der Psychopharmaka durch Dr. St. nicht auf Grund entsprechender fachärztlicher Diagnosestellung erfolgte und erfolgt, sondern nach fachfremder Annahme einer depressiven Verstimmung. Im Übrigen hat Dr. St. gegenüber dem Senat angegeben, dass trotz seiner Medikation eine wesentliche Besserung nicht eingetreten sei; gleichwohl hat er weder seine Diagnosestellung noch seine Medikamentenverordnung überprüft. Eigene Befunde im Hinblick auf psychovegetative Begleiterscheinungen haben diese Gutachter - zu Recht, da fachfremd - nicht erhoben.

Auch PD Dr. H. hat ausgehend von den Angaben des Klägers "erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen" angenommen und die von ihm vorgenommene Bewertung der MdE mit 20 v.H. mit einer deutlichen Einschränkung der Belastung, bezogen auf die Gesamtheit des Erwerbslebens und einer eingeschränkten Belastbarkeit begründet, ohne Begleiterscheinungen bzw. die eingeschränkte Belastbarkeit näher zu beschreiben. Dem Gutachten ist schon nicht zu entnehmen, inwiefern der Kläger tatsächlich im Bereich des Erwerbslebens durch die Auswirkungen des Tinnitus in psychovegetativer Hinsicht eingeschränkt sein soll. Insbesondere vermag der Senat nicht vom Vorliegen der von PD Dr. H. auf Grund einer psychologischen Zusatzuntersuchung durch Dr. Scha. angenommenen Anpassungsstörung auszugehen. PD Dr. H. hat hierzu keine konkreten Befunde mitgeteilt, sondern referiert nahezu ausschließlich die Angaben des Klägers aus der psychologischen Zusatzuntersuchung und den verwendeten Fragebögen, die lediglich die Selbsteinschätzung des Klägers beinhalten, ohne hierzu eine weitere Objektivierung vorzunehmen und insbesondere ohne auf die abweichende Beurteilung von Prof. Dr. S. und von Dr. G.-P. einzugehen. Zwar hat die Neurologin und Psychiaterin Dr. G.-P. auf nervenfachärztlichem Gebiet eine Schlafstörung festgestellt, jedoch gerade keine weiteren psychischen Störungen, insbesondere keine depressive Verstimmung. Die Stimmung des Klägers wirkte zwar - so Dr. G.-P. - etwas gedrückt, nicht jedoch depressiv herabgestimmt. Dr. G.-P. hat eine gute Schwingungsfähigkeit, keine Affektinkontinenz, eine gute Strukturierung und ein freundlich-zugewandtes Kontaktverhalten beschrieben. Psychopathologisch hat sie einen regelrechten Befund mit allenfalls etwas gedrückter Stimmung und einem nachvollziehbaren Leidensdruck bezüglich Tinnitus und Schlafstörungen, aber keine Einschränkung der Modulationsfähigkeit und eine gut erhaltene Psychomotorik festgestellt. Gegen eine Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit spricht trotz Hinweisen in der psychometrischen Testdiagnostik - so schlüssig Dr. G.-P. - die von dem Kläger weiterhin verrichtete Tätigkeit im Schichtbetrieb als Springer bei der Firma P ... Bereits dadurch wird deutlich, dass eine deutliche Einschränkung der Belastungsfähigkeit bezogen auf das Erwerbsleben gerade nicht besteht. Auch der im Verwaltungsverfahren gehörte Gutachter Prof. Dr. S. hat auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen feststellen können. Insbesondere hat er keine Hinweise für eine depressive Störung unter Zugrundelegung der diagnostischen Kriterien des DSM IV-TR oder für eine Anpassungs- oder Belastungsstörung gesehen, solche Störungen also ausgeschlossen. Der Kläger wirkte zwar - so Prof. Dr. S. - mürrisch, zeigte sich aber schwingungsfähig und vom Antrieb und Lebensfreude normal. Beeinträchtigungen im neuropsychologischen Leistungsbild hat Prof. Dr. S. nicht feststellen können. Auf all diese Ausführungen der neurologisch-psychiatrischen Gutachter geht PD Dr. H. - ohnehin als HNO-Arzt zur Beurteilung psychiatrischer Krankheitsbilder nicht fachkundig - nicht ein und die referierten Ergebnisse der Bewertung durch Dr. Scha. geben hierzu ebenfalls nichts her. Sofern PD Dr. H. meint, Prof. Dr. S. habe lediglich keine eigenständige psychische depressive Erkrankung diagnostiziert, sei wohl aber nach der von Prof. Dr. S. veranlassten psychologischen Zusatzbegutachtung von einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung ausgegangen, übersieht PD Dr. H. , dass die Ergebnisse der psychologischen Tests von Prof. Dr. S. in der Untersuchungssituation - ähnlich wie bei Dr. G.-P. - nicht in vollem Umfang bestätigt wurden und dass die Feststellung der Diplom-Psychologin M. , der Kläger leide unter den Folgen des Tinnitus, noch nichts über Art und Ausmaß psychovegetativer Begleiterscheinungen aussagt.

Das Vorliegen der von Dr. St. beschriebenen Schlafstörungen hat die Sachverständige Dr. G.-P. bestätigt; hiervon ist auch Prof. Dr. S. ausgegangen. Allerdings hat Dr. G.-P. insoweit dargelegt, dass ausgehend von der von dem Kläger geschilderten Art der Schlafstörungen auf ausdrückliches Nachfragen (eher Durchschlafstörungen als Einschlafstörungen) eher davon auszugehen ist, dass diese durch den jahrelangen Schichtdienst und nicht durch den Tinnitus verursacht werden. Insoweit wäre bereits ein Zusammenhang mit dem Unfallereignis nicht hinreichend wahrscheinlich. Selbst wenn allerdings davon ausgegangen wird, dass die Schlafstörungen durch den Tinnitus verursacht werden, erreichen diese nicht ein Ausmaß, das die Bewertung als erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen und damit die Bewertung des Tinnitus mit einer MdE um 20 v.H. rechtfertigt. Denn der Kläger hat gegenüber Dr. G.-P. angegeben, dass er nach Einnahme "von Tropfen" nach ca. 30 Minuten einschlafen könne und während der Nacht ein bis dreimal erwache. Daraus ergibt sich, dass die Schlafstörungen unter medikamentöser Behandlung gut behandelbar sind; darüber hinaus ergeben sich hieraus keine weiteren Einschränkungen wie etwa Konzentrationsstörungen oder eine erhebliche Tagesmüdigkeit. Damit lassen sich insgesamt erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen nicht feststellen, sodass die MdE nicht mit 20 v.H. bewertet werden kann.

Das Urteil des Sozialgerichts ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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