L 9 R 2874/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1300/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2874/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 30. April 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LzTA).

Die 1954 geborene Klägerin absolvierte nach Abschluss der Schule mit der mittleren Reife und Erwerb der Fachhochschulreife eine Ausbildung als Pharmazeutisch-Technische Assistentin (PTA) und legte 1972 das erste und im April 1973 das zweite Staatsexamen ab. Danach arbeitete sie als Technische Assistentin an der Universität T., von Mai 1973 bis August 1974 in der Abteilung Galenik (Arzneimittelherstellung) und von September 1974 bis Juni 1975 im Bereich Biologie/Humangenetik. Nach einer Familienpause und Kindererziehung (mit Versicherungszeiten wegen Kindererziehung für die 1977 geborene Tochter S. und den 1979 geborenen Sohn S.) arbeitete sie von Juli 1991 bis März 1994 bei ihrem Schwager im Bürobereich rentenversicherungspflichtig. Danach war sie arbeitsunfähig. Von Oktober 1997 bis Februar 2004 arbeitete sie in der Rechtsanwaltskanzlei ihres Ehemannes im Bürobereich ebenfalls rentenversicherungspflichtig. Anschließend arbeitete sie dort noch von April bis Mai 2004 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung. Hinsichtlich der Einzelheiten der zurückgelegten versicherungsrechtlichen Zeiten wird auf die in den Verwaltungsakten enthaltene Dokumentation der Versicherungszeiten vom 21. Dezember 2004 verwiesen. Danach ist die Wartezeit von 180 Monaten erfüllt.

Nachdem sie neben ihrer beruflichen Tätigkeit an der Volkshochschule Sprachkurse belegt und auch selbst Kurse gehalten hat, hat sie zuletzt auch - zunächst im Rahmen einer Schwangerschaftsvertretung - eine Unterrichtstätigkeit an der Bernd-Blindow-Schule in Friedrichshaften, einer Fachschule für PTA, aufgenommen und u. a. über fünf Monate fünf Wochenstunden im Bereich Chemie unterrichtet sowie in der Folge drei Wochenstunden in einem Botanischen Praktikum und zuletzt neun Stunden in der Woche Praktika in Mikroskopie und Galenik gegeben. Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich Pharmazie hat sie nach ihren Angaben in den letzten Jahren auf eigene Kosten absolviert.

Die Klägerin leidet seit Jahren u. a. unter rezidivierenden Wirbelsäulen (WS)-Beschwerden und hat sich im Jahr 1994 einer Bandscheiben-Operation (BS-OP) im Bereich L5/S1 unterzogen. Vom 04. August bis 08. September 2004 war sie in stationärer Behandlung im Rheumazentrum Oberammergau. Gemäß dem Entlassungsbericht vom 14. September 2004 lauteten die Diagnosen rezidivierende Lumboischialgie, Zustand nach BS-OP L5/S1, degeneratives HWS-Syndrom und Asthenie und wurde sie für eine Tätigkeit als Bürofachkraft als sechs Stunden und mehr leistungsfähig entlassen, wobei Haltungsmonotonie, häufiges Bücken sowie schweres Heben oder Tragen nicht anfallen sollten. Die Klägerin wünsche eine Umschulung, z. B. für eine Biologielehrtätigkeit.

Ihren Antrag vom 10. Dezember 2004 auf Gewährung von LzTA begründete die Klägerin damit, dass sie ihre bisherige Tätigkeit wegen des Erfordernisses des Sitzens und WS-Beschwerden bei Computerarbeit mit Schmerzen in der rechten Körperhälfte, Taubheit im rechten Bein, Ausstrahlung in den Arm, Kopfschmerzen, Konzentrations- und Schlafstörungen, Ohrgeräuschen, zeitweiser Atemnot, Schwächeanfällen, Kreislaufstörungen und Gewichtabnahme, nicht mehr verrichten könne.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17. Januar 2005 und Widerspruchsbescheid vom 28. April 2005 ab, da die Klägerin ihre Tätigkeit als Bürofachkraft ohne erhebliche Gefährdung oder Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit weiter verrichten könne. Die Vermittlung eines entsprechenden Arbeitsplatzes falle in den Aufgabenbereich der Agentur für Arbeit. Die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung von LzTA lägen nicht vor, diese seien aus behinderungsbedingten Gründen nicht erforderlich.

Grundlage der Entscheidung waren Berichte des Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 16. Dezember 2004 (chronische Schmerzerkrankung mit Lumbalgien, Cervikocephalgien, rechtsseitiger Lumboischialgie, Sensibilitätsstörung im rechten Bein, Blasen- und Mastdarmstörungen, Zustand nach BS-Operation L5/S1, Cervikobrachialgie rechts, Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom, Infektneigung, Verdacht auf Panikattacken, Hörminderung rechts, rezidivierender Tinnitus, nächtliche Tachycardie mit Atemnot; zu empfehlen sei u. a. eine Psychotherapie, eine berufliche Rehabilitation mit Ausbildung für eine Lehrtätigkeit im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich sei "aus medizinischer Sicht sinnvoll und notwendig") und vom 07. März 2005 (zusätzlich Angsterkrankung) sowie eine ärztliche Stellungnahme der Beratungsärztin Dr. L. vom 22. März 2005 (aus nervenärztlicher Sicht sei eine Bürotätigkeit bei ambulanter psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung weiter zumutbar).

Deswegen hat die Klägerin am 30. Mai 2005 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Eine Tätigkeit als Bürokraft sei nur mit erheblicher Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit möglich, weswegen sie die Berufstätigkeit zum 01. Juni 2004 aufgegeben habe. Sie könne nicht lange sitzen, dann seien Liegepausen erforderlich. Sie sei ausnahmslos im familiären Bereich beschäftigt gewesen und habe in all den Jahren auch nicht in ihrem erlernten Beruf als PTA unterkommen können. Eine Umschulung sei deshalb unerlässlich. Die stationäre Behandlung in Oberammergau sei auch nicht erfolgreich gewesen. Bei einer Lehrtätigkeit sei ein ständiger Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen möglich. Entsprechende Tätigkeiten könne sie drei bis sechs Stunden verrichten.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Über die seit Juli 2004 erhobenen Befunde haben der Orthopäde Dr. W. am 08. Dezember 2005 (u. a. ausgeprägtes Supraspinatus-, Infraspinatus- und Bizepssehnen-Syndrom rechts, Impingement in der Schulter, leichte Coxarthrose, Ursprungstendomyopathie des Rectus femoris, rezidivierende LWS- und HWS-Beschwerden, Spannungskopfschmerzen, chronische Schmerzerkrankung, Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom, Infektneigung, unklarer Gewichtsverlust, Hypotonie; die bisherige Tätigkeit könne bei Beachtung von qualitativen Einschränkungen weniger als sechs Stunden täglich verrichtet werden), der Allgemeinmediziner Dr. H. am 19. Dezember 2005 (akuter Harnwegsinfekt im Dezember 2005) und Dr. D. am 23. Januar 2006 (Verweis auf beigefügte Berichte; körperliche Belastung führe zur Zunahme des Schmerzsyndroms, die geistige Vitalität sei erhalten; eine Lehrtätigkeit im naturwissenschaftlich-technischen Bereich erscheine möglich und für den weiteren Heilungsverlauf förderlich, eine Erwerbstätigkeit, die Kreativität und Eigenverantwortung verlange und weitgehend die Gestaltung der Arbeitszeit der Klägerin überlasse, sei etwa sechs Stunden täglich möglich, wobei bei einer Lehrtätigkeit Pausen entsprechend der Belastbarkeit möglich seien) berichtet.

In einem psychotherapeutischen-psychosomatischen Sachverständigengutachten vom 02. November 2006 ist Dr. Sch. zum Ergebnis gelangt, nach den letzten Arztberichten sei von einer zunehmenden Erschöpfung und schleichenden Chronifizierung der gesamten Schmerzsymptomatik auszugehen. Die Klägerin habe auch einen Hörsturz gehabt. Sie könne sich nach entsprechender Umschulung eine Lehrtätigkeit vorstellen und traue sich dann einen halben Lehrauftrag zu. Es handele sich um eine somatoforme Schmerzstörung in Verbindung mit degenerativen Veränderungen des Haltungs- und Bewegungsapparates, einen Tinnitus und eine Erschöpflichkeit im Sinne einer protrahierten chronischen depressiven Verstimmung mit Antriebsmangel und Schlafstörung. Eine Bürotätigkeit sei nur in geringem Umfang zumutbar. Die angestrebte Lehrtätigkeit sei drei bis sechs Stunden möglich, wobei zu prüfen bleibe, ob die Ausbildung für eine Lehrtätigkeit noch zu bewältigen sei. Durch eine Umschulung könnte die Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit im Beruf einer Bürofachkraft liege nicht vor. Unter Berücksichtigung der somatoformen Schmerzstörung sei eine Bürotätigkeit weiterhin leidensgerecht und vollschichtig zumutbar. Bezüglich der angestrebten Lehrtätigkeit bestünden wegen erhöhter Stressbelastung erhebliche medizinische Bedenken.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. April 2007 abgewiesen. Der Klägerin sei eine Bürotätigkeit in einem Umfang von sechs Stunden arbeitstäglich zumutbar, wenn ein Haltungswechsel möglich sei. Dies sei auch durch Benutzung eines Stehpults möglich. Die angestrebte Umschulung für eine Lehrtätigkeit komme nicht in Betracht. Durch LzTA solle eine dauerhafte Eingliederung ermöglicht werden. Sie komme nur für solche Berufe in Betracht, in denen sich die Behinderung voraussichtlich nicht mehr auswirke und die Möglichkeit einer uneingeschränkten Arbeit in dem Berufsfeld bestehe. Da die Lehrtätigkeit nach eigenen Angaben der Klägerin drei bis unter sechs Stunden möglich sei, sei eine volle Erwerbsfähigkeit dadurch nicht zu erreichen.

Gegen den am 09. Mai 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 08. Juni 2007 Berufung eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor, eine Bürotätigkeit sei wegen der damit verbundenen Haltungsmonotonie nicht mehr möglich. Bei einer solchen Tätigkeit sei ein ausreichender Wechsel zwischen Stehen und Gehen nicht möglich. Bei Bildschirmarbeit sei eine Tätigkeit an einem Stehpult nicht denkbar. Hingegen sei sie für eine Lehrtätigkeit geeignet. Von der Bernd-Blindow-Schule, an der sie in Teilzeit unterrichte, lägen Angebote vor, diese Tätigkeit auszuweiten. Dafür benötige sie jedoch eine aktuelle bzw. weitere Qualifikation. Die von ihr auf eigene Kosten durchgeführten Weiterbildungsmaßnahmen genügten noch nicht für eine Festanstellung.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 30. April 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Januar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2005 zu verurteilen, ihr Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Leichte Bürotätigkeiten seien der Klägerin bei entsprechender Ausgestaltung des Arbeitsplatzes weiterhin zumutbar. Die Depression und die Somatisierungsstörung seien behandelbar. Im Übrigen sei eine Bürotätigkeit nicht besonders stressig. Die neurologisch-psychiatrischen Beschwerden stünden aber der angestrebten Lehrtätigkeit entgegen. LzTA seien nicht erforderlich, auch keine Arbeitserprobung und Berufsfindung. Im Übrigen wäre auch ein Studium überwiegend im Sitzen abzuleisten und sei die Klägerin hierfür nicht hinreichend belastbar. Hierzu hat sie eine beratungsärztliche Stellungnahme vom 27. Februar 2009 vorgelegt, wonach für einen "sachbezogenen" Beruf keine berufsspezifischen Einschränkungen bestünden und eine Bürotätigkeit weder besonders stressig, noch kontakt- oder personenintensiv und der Klägerin auch weiter zumutbar sei.

Der Senat hat ein nervenärztliches Sachverständigengutachten des Prof. Dr. E. vom 15. Oktober 2007 eingeholt. Er ist zum Ergebnis gelangt, auf psychiatrischem Gebiet fänden sich aktuell keine Krankheiten. Es bestünden eine neurologische Wurzelreizung S 1 rechts nach BS-OP und insgesamt ein chronisches Schmerzsyndrom bei verschiedenen degenerativen Veränderungen sowie zudem ein rezidivierender Tinnitus. Schreibtischtätigkeiten über einen längeren Zeitraum seien glaubhaft nicht möglich. Die Klägerin, wie schon gezeigt, sei grundsätzlich in der Lage, drei bis sechs Stunden einer Lehrtätigkeit nachzugehen und auch ein entsprechendes Studium zu absolvieren. Eine Beschäftigung im Büro sei nicht möglich, weil die Klägerin nicht hinreichend lange und nur kurze Zeiteinheiten sitzen könne. Es träten dann wiederkehrende Schmerzen auf. Insgesamt bestehe nur die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung, eine vollschichtige Tätigkeit sei nicht möglich.

Ferner hat der Senat ein orthopädisches Sachverständigengutachten des Dr. M. vom 11. August 2008 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 11. Januar 2009 eingeholt. Er hat eine initiale Coxarthrose, Verkalkungen im Sehnenbereich der Schulter, chronische LWS-Schmerzen mit Ausstrahlung ins rechte Bein, eine chronische Fehlstatik und Schmerzhaftigkeit der BWS, HWS und LWS, eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der unteren LWS und der HWS, osteochondrotische Veränderungen der BWS und eine Hyposensibilität im Dermatom L5/S1 diagnostiziert. Ferner bestünden u.a. ein chronisches Müdigkeitssyndrom, ein Schwindel und rezidivierende Spannungskopfschmerzen sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Auf Grund des chronischen Schmerzsyndroms und der somatoformen Schmerzstörung, die im Zusammenhang stehe mit dem chronischen Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom, sei die Erwerbsfähigkeit deutlich reduziert. Eine sechsstündige Bürotätigkeit sei nicht möglich, weil dabei die durch die somatoforme Schmerzstörung erforderliche freie Zeiteinteilung nicht gewährleistet sei. Eine Teilnahme an Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei indes möglich und sinnvoll. Auf Grund der psychischen Komponente sei eine stressbelastete Tätigkeit nicht sinnvoll. Die psychische Komponente sei sekundär bedingt. Zu meiden sei eine initiale Schmerzauslösung.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und auf die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist insofern begründet, als die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung von LzTA grundsätzlich erfüllt, die Beklagte jedoch noch zu entscheiden hat, welche konkreten Maßnahmen in Betracht kommen.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erbringt die Rentenversicherung medizinische Leistungen zur Rehabilitation, LzTA sowie ergänzende Leistungen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreicher Rehabilitation nicht oder voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Die Leistungen können erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI).

Für Leistungen zur Teilhabe haben nach § 11 Abs. 1 SGB VI Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die bei Antragstellung 1. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben oder 2. eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen. Die nach diesen Bestimmungen erforderliche Wartezeit von 15 Jahren bzw. 180 Monaten ist - wie auch von der Beklagten in der Kontoübersicht vom 21. Dezember 2004 aufgeführt - bei versicherungspflichtiger Beschäftigung bis 28. Februar 2004 und 184 anrechenbaren Monaten erfüllt.

Die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe haben nach § 10 Abs. 1 SGB VI die Versicherten erfüllt, 1. deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und 2. bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bestimmt der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB VI (in der seit 8. November 2006 geltenden Fassung) können die Leistungen auf Antrag auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets erbracht werden, wobei § 17 Abs. 2 bis 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. der Budgetverordnung und § 159 SGB IX Anwendung finden. Nach § 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 1 SGB IX sind bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen zu berücksichtigen.

Während § 10 Abs. 1 SGB VI eine echte Anspruchsvoraussetzung normiert und die diesbezügliche Entscheidung der vollständigen richterlichen Kontrolle unterliegt, betreffen die § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VI und § 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 1 SGB IX den Ermessensbereich der Beklagten, der nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle unterliegt. Somit ist auch die unter den persönlichen Voraussetzungen geforderte "Voraussicht" (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) Tatbestandsvoraussetzung und damit dem Ermessensbereich vorgeschaltet (BSG SozR 4-2600 § 10 Nr. 2; ebenso die Rechtsprechung des BSG zu inhaltsgleichen früheren Regelungen der Reichsversicherungsordnung, BSG SozR 2200 § 1236 Nr. 31 und ausdrücklich Urteil vom 30.10.1985, 4a RJ 9/84). Denn aus § 9 Abs. 2 SGB VI ist eindeutig zu entnehmen, dass Ermessen erst auszuüben ist, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI verneint, weil die Erwerbsfähigkeit der Klägerin in ihrem bisherigen Beruf nicht gemindert oder erheblich eingeschränkt sei. Dem vermag sich der Senat auch entgegen der Auffassung des SG nicht anzuschließen.

Nach den Berichten des Dr. D. im Verwaltungsverfahren und seiner Aussage vor dem SG sowie den Gutachten von Dr. Sch. vom 2. November 2006, Prof. Dr. E. vom 15. Oktober 2007 und Dr. M. vom 11. August 2008 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 11. Januar 2001 liegen bei der Klägerin auf neurologischem Fachgebiet eine Wurzelreizung S1 rechts nach BS-OP im Jahr 1994 und ein chronisches Schmerzsyndrom vor. Ferner bestehen chronische LWS-Schmerzen mit Ausstrahlung ins rechte Bein, eine chronische durch eine Fehlstatik bedingte Schmerzhaftigkeit im Bereich der gesamten Wirbelsäule mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung im Bereich der unteren LWS und der HWS sowie osteochondrotische Veränderungen der BWS und eine Hyposensibilität im Dermatom L5/1. Ohne die darüber hinaus bestehenden Gesundheitsstörungen stehen diese Leiden einer beruflichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und auch im Bürobereich in einem Umfang von sechs Stunden arbeitstäglich entgegen. Die verbliebene geminderte Erwerbsfähigkeit der Klägerin ist auch bezüglich der bisherigen beruflichen Tätigkeit zur Überzeugung des Gerichts im Sinne einer drohenden weiteren Verschlimmerung erheblich gefährdet. Eine Bürotätigkeit, die zwar grundsätzlich einen Wechsel der Körperhaltung zulässt, im Wesentlichen aber im Sitzen am PC zu verrichten ist, ist der Klägerin - wie der Senat den Gutachten von Prof. Dr. E. und Dr. M. entnimmt - seit der Beendigung ihrer versicherungspflichtigen Tätigkeit in der Anwaltskanzlei ihres Ehemannes nicht möglich. Diese Tätigkeit konnte sie zuletzt auch nur deshalb ausüben, weil im Rahmen der familienhaften Beschäftigung auf ihre Beeinträchtigungen Rücksicht genommen wurde. Eine Wettbewerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestand für leichte Bürotätigkeiten schon ab dem Beginn des stationären Heilverfahrens im Rheumazentrum Oberammergau nicht mehr. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist deshalb die Erwerbsfähigkeit der Klägerin auch für Bürotätigkeiten wenn nicht schon wesentlich gemindert, so doch zumindest erheblich gefährdet.

Die Gefährdung bzw. Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin kann durch geeignete Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation bzw. LzTA voraussichtlich auch abgewendet bzw. wesentlich gebessert werden. Teilhabeleistungen haben bereits dann Aussicht auf Erfolg im Sinne einer wesentlichen Besserung der geminderten Erwerbsfähigkeit, wenn die Versicherte nach ihren persönlichen Verhältnissen (d.h. nach ihrer körperlichen sowie geistigen Fähigkeit und ihrer Motivation) rehabilitationsfähig ist. Da die Beklagte ihre Leistungspflicht bereits verneint hat, weil ihrer Ansicht nach die Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht gefährdet oder gemindert ist, ist die von der Klägerin angestrebte Maßnahme nicht Streitgegenstand. Daher kommt eine maßnahmenbezogene Prüfung der Erfolgsaussicht nicht in Betracht ( BSG SozR 4-2600 § 10 Nr. 2; in Juris Rdnr. 29). Der Senat entnimmt aber den Äußerungen von Dr. D. und den Gutachten von Prof. Dr. E. und Dr. M., die die angestrebte Lehrtätigkeit und die dafür erforderliche Zusatzausbildung sowohl von den körperlichen als auch geistigen Anforderungen her für möglich und zumutbar erachten, dass bei der Klägerin die für eine Erfolgsaussicht einer geeigneten Maßnahme erforderlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten gegeben sind. An der persönlichen Motivation der Klägerin besteht aus der Sicht des Senats kein Zweifel, nachdem die Klägerin zweckgerichtete Weiterbildungsmaßnahmen in der Vergangenheit schon auf eigene Kosten absolviert hat. Schließlich steht auch das Alter der Klägerin einer Erfolgsaussicht nicht im Wege. Die Klägerin stand im Zeitpunkt der Antragstellung im 51. Lebensjahr und damit noch weit vor der damals geltenden Regelaltersgrenze von 65 Jahren, die inzwischen auf 67 Jahre angestiegen ist. Auch derzeit verbleiben der 1954 geborenen Klägerin nach der Übergangsvorschrift des § 235 Abs. 2 SGB VI noch nahezu 10 Jahre bis zur Erreichung der für den Jahrgang 1954 angehobenen Regelaltersgrenze von 65 Jahren und 8 Monaten.

Damit liegen die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von LzTA bei der Klägerin vor. Welche konkreten Leistungen der Klägerin zu gewähren sind, wird die Beklagte noch zu prüfen haben und darüber nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob die von der Klägerin erstrebte Lehrtätigkeit unter Berücksichtigung der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen und Eignung, Neigung, bisherigen Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geeignet, zweckmäßig und sinnvoll ist, die Verbesserung und Festigung des Leistungsvermögens für eine berufliche Tätigkeit herbei zu führen, oder aber ob andere Leistungen im Sinne von §§ 33 bis 38 SGB IX zu gewähren sind.

Somit hat das Begehren der Klägerin als Bescheidungsklage Erfolg. Demgegenüber war die Berufung zurückzuweisen, soweit die Klägerin begehrt hat, die Beklagte - im Wege einer Verpflichtungsklage - zu verurteilen, ihr LzTA zu gewähren.

Auf Grund dessen hat der Senat wie erkannt entschieden. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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