Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3560/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3226/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 02.06.2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der am 1949 geborene Kläger absolvierte von 1968 bis 1971 eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Von 1972 bis 1980 war er als Lohnbuchhalter beschäftigt, anschließend bis September 2001 als Verwaltungsleiter. Von Oktober 2001 bis 28.02.2003 war der Kläger bei der S A. GmbH und Co. KG beschäftigt, zunächst als Lohnbuchhalter und sodann als Betriebsleiter. In dieser Funktion war er zuständig für die Einstellung und Kündigung von Busfahrern, die Fahrerabrechnung, die Rechnungskontrolle, die Rumpfflächenwerbung an Linienbussen der Firma, die Unfallbearbeitung in Form von Schriftverkehr mit Versicherungen und Rechtsanwälten, die Kalkulation für sonstige Verkehre (Sonderfahrten), den Schülerverkehr und die Vertragsabwicklung sowie die Teilnahme an Gesprächen mit Behörden und Lohnbesprechungen mit dem Betriebsrat. Das Beschäftigungsverhältnis wurde arbeitgeberseitig aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt. Seither ist der Kläger arbeitslos. Zunächst bezog er bis 18.04.2005 Arbeitslosengeld und hiernach von Mai bis August 2005 Arbeitslosengeld II. Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezieht der Kläger seither nicht mehr; nach seinen Angaben lebt er von Ersparnissen.
Am 23.10.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von "Rente", legte den Befundbericht des HNO-Arztes Dr. Z. vom 02.01.2007 (Diagnose: Presbyakusis (=Alterschwerhörigkeit), chronischer Tinnitus aurium, Ausschluss retroccochleärer Prozess) vor und machte geltend, er leide an einem akuten chronischen Tinnitus beidseits und habe auf Grund seines schlechten Hörvermögens ein Hörgerät verordnet bekommen. Die Beklagte holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S. ein, bei dem der Kläger seit November 2006 in Behandlung steht (davor keine regelmäßige ärztliche Betreuung). Dieser beschrieb im Wesentlichen einen seit mehreren Jahren bestehenden Tinnitus aurium (dauerhaftes Rauschen) mit zunehmender Intensität und hierdurch bedingt eine Konzentrationsstörung und psychische Gereiztheit mit zunehmendem Leidensdruck. Die Beklagte veranlasste das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Se. auf Grund Untersuchung vom 21.03.2007. Dieser beschrieb einen erstmals im Jahre 2007 hno-ärztlich untersuchten Tinnitus, der nach Angaben des Klägers seit 1997 bestehe und 2001 an Intensität zugenommen habe. Therapeutische Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung, wie medikamentöse Behandlung der leichten depressiven Symptomatik und der Schlafstörungen, Benutzung eines Tinnitus-Noiser bis hin zu einer psychotherapeutischen Behandlung in einem multimodalen Therapiekonzept, wie bspw. eine Retrain-Therapie zur Desensibilisierung, seien bisher nicht ergriffen worden. Insgesamt sah Dr. Se. den Kläger für Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Hören und hoch konzentrative Tätigkeiten eingeschränkt. In seiner letzten beruflichen Tätigkeit als Betriebsleiter erachtete er den Kläger in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr einsatzfähig.
Mit Bescheid vom 26.04.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, er sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil er in seinem bisherigen Beruf als Betriebsleiter noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, nachts nur bedingt schlafen zu können (abwechselnd zwei Stunden Schlaf, zwei Stunden wach) und dementsprechend tagsüber viel zu schlafen. Er habe ständig das Geräusch von 1.000 Bienen in beiden Ohren. Eine Konzentration sei nicht möglich. Die Beklagte holte den weiteren Befundbericht des Dr. S. ein, der über eine weitere Zunahme des Tinnitus, der Schlafstörung und der psychischen Erschöpfung seit Februar 2007 berichtete und über den Beginn einer antidepressiven Therapie wegen der Schlafstörung im Mai 2007. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.09.2007).
Am 25.09.2007 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben und sich dagegen gewandt, dass dem Tinnitus keine Beachtung geschenkt werde. Dieser sei auch nicht zunehmend, sondern befinde sich bereits im Endstadium. Mit dem Tinnitus sei immer eine Leistungsminderung verbunden. Die Geräusche, die ca. 90 % der üblichen Geräusche übertönten, seien kaum zu ertragen. Bei einem Zusammensein von mehreren Personen seien die Worte der einzelnen kaum zu hören; mit zusätzlicher Musik im Hintergrund sei der Tinnitus fast überhaupt nicht zu ertragen. Eine Kommunikation und Artikulation sei nicht möglich; eine Konzentration sei schwer möglich. Kaum vorstellbar sei eine Tätigkeit in einem kaufmännischen Beruf.
Das SG hat Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Über seine bisherigen Ausführungen hinaus hat er über einen kurzfristigen Therapieversuch mit einem Antidepressivum im Mai 2007 berichtet. Die Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Lärm- oder Geräuschbelastung und ohne Erfordernis guter Konzentrationsfähigkeit, insbesondere ohne leitende Funktion, hat er mit weniger als sechs Stunden täglich eingeschätzt. Das SG hat darüber hinaus eine Auskunft des letzten Arbeitgebers des Klägers eingeholt. Darüber hinaus hat es das Gutachten des Dr. W. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, auf Grund Untersuchung vom 07.03.2008 erhoben. Dr. W. hat eine leichtgradige depressive Entwicklung bei chronischem Tinnitus beidseits diagnostiziert, durch die die psychische Belastbarkeit des Klägers herabgesetzt sei, weshalb Tätigkeiten mit hohem Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration, unter Zeitdruck, wie Akkord- oder Fließbandarbeiten, sowie Tätigkeiten im Schichtbetrieb vermieden werden sollten. Vorstellbar seien jedoch betriebswirtschaftliche Tätigkeiten, die einen weitgehenden Publikumsverkehr ausschließen. Derartige Tätigkeiten seien sechs Stunden und mehr täglich möglich. Wie schon zuvor Dr. Se. hat auch Dr. W. darauf hingewiesen, dass eine suffiziente Tinnitusbehandlung bisher nicht erfolgt sei. Der Kläger habe weder in ausreichendem Maße Antidepressiva erhalten (das jetzt verordnete Mirtazapin sei unterdosiert und werde erst seit vier Tagen eingesetzt) noch einen Tinnitus-Masker benutzt; auch ein multimodales Therapiekonzept sei nicht angewandt worden, ebenso wenig sei eine stationäre Behandlung erfolgt. All diese Maßnahmen seien jedoch durchaus geeignet, die Symptomatik weiter zu bessern, so dass auch die qualitativen Einschränkungen (außer hinsichtlich des reduzierten Hörvermögens) wegfallen könnten. Mit Gerichtsbescheid vom 02.06.2008 hat das SG die Klage gestützt auf die Gutachten des Dr. W. und des Dr. Se. abgewiesen. Zwar könne der Kläger eine Tätigkeit der zuletzt ausgeübten Art aufgrund seiner Kommunikationsprobleme nicht mehr zumindest sechs Stunden täglich verrichten, er könne jedoch die Verweisungstätigkeit eines Registrators ausüben.
Gegen den ihm am 16.06.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 08.07.2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt, im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen über die Schwere seiner durch den Tinnitus bedingten Beeinträchtigungen wiederholt und Arztbriefe bzw. Befundberichte über die im November und Dezember 2009 sowie Januar 2010 durchgeführten Untersuchungen vorgelegt (10.11.2009: ambulante Vorstellung HNO-Klinik im U. Klinikum U. ; 27.11.2009: Facharzt für Orthopädie D. - Untersuchung der HWS; 03.12.2009: Facharzt für Innere Medizin P. - Dopplersonographie der hirnzuführenden Arterien; 19.01.2010: MRT Schädel und Kopfregion, ambulante Wiedervorstellung HNO-Klinik im U. Klinikum U. ).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 02.06.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2007 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Der Senat hat vom SG die Akte des Verfahrens S 3 KR 442/09 mit dem Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. vom 17.11.2009 beigezogen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 26.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, auch nicht bei Berufsunfähigkeit, weshalb ihm weder Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zusteht.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist in erster Linie § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.
Ergänzend wird im Hinblick auf das wiederholte Vorbringen des Klägers, bei dem bei ihm diagnostizierten Tinnitus handele es sich um eine medizinisch anerkannte Erkrankung, die zu Unrecht seitens der Beklagten nicht anerkannt werde, darauf hingewiesen, dass der Senat ebenso wie zuvor schon das SG davon ausgeht, dass der Kläger an einem Tinnitus leidet. Die Richtigkeit dieser diagnostischen Einschätzung, von der sämtliche den Kläger behandelnden bzw. ihn untersuchenden Ärzte ebenso wie auch der am Verfahren beteiligte Gutachter Dr. Se. und der Sachverständige Dr. W. ausgegangen sind, hat - anders als der Kläger offenbar meint - auch die Beklagte im Laufe des Verfahrens zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen. Soweit der Kläger allerdings annimmt, schon die diagnostische Zuordnung der von ihm geklagten Beschwerden zu dem in Rede stehenden Krankheitsbild begründe einen Anspruch auf die begehrte Erwerbsminderungsrente, geht er von falschen Voraussetzungen für diesen Anspruch aus. Für die Beurteilung, ob dem Kläger die begehrte Rente zusteht, ist nämlich allein maßgeblich, in welchem Ausmaß er durch die von ihm beklagte Beschwerdesymptomatik tatsächlich eingeschränkt ist bzw. in welchem Umfang er gleichwohl noch über ein auf dem Arbeitsmarkt zumutbar einsetzbares berufliches Leistungsvermögen verfügt. Daher ist in erster Linie die von dem Tinnitus ausgehende Belästigung zu bewerten, die in zahlreichen zusätzlichen psychischen Befindungsstörungen zum Ausdruck kommen kann und daher eine Beurteilung von neurologisch-psychiatrischer Seite erforderlich macht.
Allerdings vermag sich der Senat ebenso wenig wie die Beklagte und ihr folgend das SG davon zu überzeugen, dass beim Kläger die Auswirkungen des Tinnitus so gravierend sind, dass ihm selbst unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (keine Akkord-, Fließband- oder Schichtarbeit, kein hoher Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration, ohne weitgehenden Publikumsverkehr) Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden täglich nicht mehr zugemutet werden können. Eine schwere Folgeerkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet, aus der eine solch weitreichende Leistungseinschränkung resultieren könnte, haben weder Dr. Se. noch Dr. W. anlässlich ihrer Untersuchungen gefunden. Dr. Se. ging von einer leichten depressiven Störung und Insomnie aus und Dr. W. von einer leichtgradigen depressiven Entwicklung. Gegen das Vorliegen einer schwerwiegenden Folgeerkrankung spricht nach Auffassung des Senats auch der Umstand, dass der Kläger, obwohl er unter dem Tinnitus - seinen eigenen Angaben zufolge - bereits seit mehr als zehn Jahren leidet, fachspezifische nervenärztliche Behandlung bisher nicht in Anspruch genommen hat. Wegen der Schlafstörungen des Klägers fand lediglich im Mai 2007 ein kurzzeitiger Therapieversuch mit einem Antidepressivum statt, und dies auch nur fachfremd durch den behandelnden Allgemeinarzt Dr. S ... Darüber hinaus ist lediglich noch die eigene Angabe des Klägers anlässlich seiner Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. W. dokumentiert, wonach er seit vier Tagen abends eine halbe Tablette Mirtazepin 15 mg nehme, wobei es sich nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen jedoch um eine Unterdosierung handelt.
Auf einen massiven Leidensdruck deutet auch nicht das Vorgehen des Klägers seit dem Auftreten des Tinnitus hin. Denn obwohl sich der Tinnitus nach den Darlegungen des Klägers bereits im Jahr 2001 erheblich verschlimmert habe und seither nahezu unverändert stark vorhanden sei, ist erst für den Januar 2007 eine hno-ärztliche Inanspruchnahme dokumentiert, ohne dass damals weitere Untersuchungen oder Behandlungsversuche unternommen worden wären. Insoweit haben Dr. Se. im März 2007 und Dr. W. im März 2008 übereinstimmend dargelegt, dass die Erkrankung des Klägers noch unbehandelt sei. Gleichzeitig haben sie mehrere Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung aufgezeigt, ohne dass erkennbar ist, dass der Kläger zumindest nach Kenntnisnahme des Gutachtens von Dr. W. , das ihm im März 2008 seitens des SG übersandt wurde, entsprechende Maßnahmen versucht hat. Erst im November 2009 hat sich der Kläger, wie den zuletzt im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen zu entnehmen ist, in der HNO-Klinik des U. Klinikum U. vorgestellt, und die von dort geäußerten zahlreichen Therapieempfehlungen in die Wege geleitet (MRT des Schädels zum Ausschluss eines Akustikusneurinoms bei asymmetrischem Hörvermögen; falls unauffällig Hörgeräte beidseits zur Probe, damit das Ohrgeräusch in den Hintergrund tritt; internistisch-kardiologische Abklärung einer Hypertonie bzw. Rhythmusstörung; Orthopädische Abklärung der HWS; gefäßchirurgische Abklärung der hirnzuführenden Gefäße; bei ausbleibendem Erfolg Vorstellung in der Psychosomatik zur Erlernung des Umgangs mit dem Tinnitus). Ein massiver Leidensdruck durch den acht Jahre zuvor aufgetretenen Tinnitus vermag der Senat in diesem Vorgehen des Klägers nicht zu erkennen.
Der Kläger ist darüber hinaus auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit.
Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zusammenfassend Urteil vom 29.07.2004, B 4 RA 5/04 R, veröffentlicht in juris, Rdnr. 33) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt: Die Stufen sind von unten nach oben nach ihrer Leistungsqualität, diese gemessen nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung und beruflichen Erfahrung, nicht nach Entlohnung oder Prestige, geordnet. Danach sind zu unterscheiden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6).
Grundsätzlich darf ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf Tätigkeiten der nächst niedrigeren Gruppe des Mehrstufenschemas verwiesen werden.
Der Kläger war zuletzt als Betriebsleiter bei der S A. GmbH & Co KG tätig. Den Anforderungen dieser Tätigkeit kann er im Hinblick auf seinen Tinnitus nicht mehr gerecht werden, da sie in erheblichem Umfang mit Mitarbeiterkontakt verbunden war und dem Kläger Gespräche, insbesondere mit mehreren Personen wegen seiner glaubhaften Hörstörung mit Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Konzentration nur noch eingeschränkt möglich sind. Soweit derartige Erfordernisse jedoch nicht bestehen und Publikumsverkehr weitgehend ausgeschlossen ist, hält der Senat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. W. eine derartige wenigstens sechsstündige Tätigkeit jedoch durchaus für möglich. Insoweit hat Dr. W. insbesondere betriebswirtschaftliche Tätigkeiten genannt, weshalb der Senat den Kläger durchaus für fähig erachtet, in seinem bisherigen Berufsbereich als Lohnbuchhalter zumindest sechs Stunden täglich tätig zu sein. Eine derartige Tätigkeit, die der Kläger nach dreijähriger Ausbildung zum Industriekaufmann verrichtet hat, entspricht der Stufe 3 des oben dargelegten Mehrstufenschemas. Eine solche Tätigkeit ist dem Kläger auch sozial zumutbar. Denn selbst wenn man die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Betriebsleiter der Stufe 4 zuordnen wollte, so stellte dies gleichwohl lediglich eine Verweisung auf die nächst niedrigere Qualifikationsstufe, nämlich die Stufe 3 dar und wäre daher sozial zumutbar.
Nach alledem kann auch die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der am 1949 geborene Kläger absolvierte von 1968 bis 1971 eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Von 1972 bis 1980 war er als Lohnbuchhalter beschäftigt, anschließend bis September 2001 als Verwaltungsleiter. Von Oktober 2001 bis 28.02.2003 war der Kläger bei der S A. GmbH und Co. KG beschäftigt, zunächst als Lohnbuchhalter und sodann als Betriebsleiter. In dieser Funktion war er zuständig für die Einstellung und Kündigung von Busfahrern, die Fahrerabrechnung, die Rechnungskontrolle, die Rumpfflächenwerbung an Linienbussen der Firma, die Unfallbearbeitung in Form von Schriftverkehr mit Versicherungen und Rechtsanwälten, die Kalkulation für sonstige Verkehre (Sonderfahrten), den Schülerverkehr und die Vertragsabwicklung sowie die Teilnahme an Gesprächen mit Behörden und Lohnbesprechungen mit dem Betriebsrat. Das Beschäftigungsverhältnis wurde arbeitgeberseitig aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt. Seither ist der Kläger arbeitslos. Zunächst bezog er bis 18.04.2005 Arbeitslosengeld und hiernach von Mai bis August 2005 Arbeitslosengeld II. Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezieht der Kläger seither nicht mehr; nach seinen Angaben lebt er von Ersparnissen.
Am 23.10.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von "Rente", legte den Befundbericht des HNO-Arztes Dr. Z. vom 02.01.2007 (Diagnose: Presbyakusis (=Alterschwerhörigkeit), chronischer Tinnitus aurium, Ausschluss retroccochleärer Prozess) vor und machte geltend, er leide an einem akuten chronischen Tinnitus beidseits und habe auf Grund seines schlechten Hörvermögens ein Hörgerät verordnet bekommen. Die Beklagte holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S. ein, bei dem der Kläger seit November 2006 in Behandlung steht (davor keine regelmäßige ärztliche Betreuung). Dieser beschrieb im Wesentlichen einen seit mehreren Jahren bestehenden Tinnitus aurium (dauerhaftes Rauschen) mit zunehmender Intensität und hierdurch bedingt eine Konzentrationsstörung und psychische Gereiztheit mit zunehmendem Leidensdruck. Die Beklagte veranlasste das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Se. auf Grund Untersuchung vom 21.03.2007. Dieser beschrieb einen erstmals im Jahre 2007 hno-ärztlich untersuchten Tinnitus, der nach Angaben des Klägers seit 1997 bestehe und 2001 an Intensität zugenommen habe. Therapeutische Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung, wie medikamentöse Behandlung der leichten depressiven Symptomatik und der Schlafstörungen, Benutzung eines Tinnitus-Noiser bis hin zu einer psychotherapeutischen Behandlung in einem multimodalen Therapiekonzept, wie bspw. eine Retrain-Therapie zur Desensibilisierung, seien bisher nicht ergriffen worden. Insgesamt sah Dr. Se. den Kläger für Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Hören und hoch konzentrative Tätigkeiten eingeschränkt. In seiner letzten beruflichen Tätigkeit als Betriebsleiter erachtete er den Kläger in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr einsatzfähig.
Mit Bescheid vom 26.04.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, er sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weil er in seinem bisherigen Beruf als Betriebsleiter noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, nachts nur bedingt schlafen zu können (abwechselnd zwei Stunden Schlaf, zwei Stunden wach) und dementsprechend tagsüber viel zu schlafen. Er habe ständig das Geräusch von 1.000 Bienen in beiden Ohren. Eine Konzentration sei nicht möglich. Die Beklagte holte den weiteren Befundbericht des Dr. S. ein, der über eine weitere Zunahme des Tinnitus, der Schlafstörung und der psychischen Erschöpfung seit Februar 2007 berichtete und über den Beginn einer antidepressiven Therapie wegen der Schlafstörung im Mai 2007. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.09.2007).
Am 25.09.2007 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben und sich dagegen gewandt, dass dem Tinnitus keine Beachtung geschenkt werde. Dieser sei auch nicht zunehmend, sondern befinde sich bereits im Endstadium. Mit dem Tinnitus sei immer eine Leistungsminderung verbunden. Die Geräusche, die ca. 90 % der üblichen Geräusche übertönten, seien kaum zu ertragen. Bei einem Zusammensein von mehreren Personen seien die Worte der einzelnen kaum zu hören; mit zusätzlicher Musik im Hintergrund sei der Tinnitus fast überhaupt nicht zu ertragen. Eine Kommunikation und Artikulation sei nicht möglich; eine Konzentration sei schwer möglich. Kaum vorstellbar sei eine Tätigkeit in einem kaufmännischen Beruf.
Das SG hat Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Über seine bisherigen Ausführungen hinaus hat er über einen kurzfristigen Therapieversuch mit einem Antidepressivum im Mai 2007 berichtet. Die Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Lärm- oder Geräuschbelastung und ohne Erfordernis guter Konzentrationsfähigkeit, insbesondere ohne leitende Funktion, hat er mit weniger als sechs Stunden täglich eingeschätzt. Das SG hat darüber hinaus eine Auskunft des letzten Arbeitgebers des Klägers eingeholt. Darüber hinaus hat es das Gutachten des Dr. W. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, auf Grund Untersuchung vom 07.03.2008 erhoben. Dr. W. hat eine leichtgradige depressive Entwicklung bei chronischem Tinnitus beidseits diagnostiziert, durch die die psychische Belastbarkeit des Klägers herabgesetzt sei, weshalb Tätigkeiten mit hohem Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration, unter Zeitdruck, wie Akkord- oder Fließbandarbeiten, sowie Tätigkeiten im Schichtbetrieb vermieden werden sollten. Vorstellbar seien jedoch betriebswirtschaftliche Tätigkeiten, die einen weitgehenden Publikumsverkehr ausschließen. Derartige Tätigkeiten seien sechs Stunden und mehr täglich möglich. Wie schon zuvor Dr. Se. hat auch Dr. W. darauf hingewiesen, dass eine suffiziente Tinnitusbehandlung bisher nicht erfolgt sei. Der Kläger habe weder in ausreichendem Maße Antidepressiva erhalten (das jetzt verordnete Mirtazapin sei unterdosiert und werde erst seit vier Tagen eingesetzt) noch einen Tinnitus-Masker benutzt; auch ein multimodales Therapiekonzept sei nicht angewandt worden, ebenso wenig sei eine stationäre Behandlung erfolgt. All diese Maßnahmen seien jedoch durchaus geeignet, die Symptomatik weiter zu bessern, so dass auch die qualitativen Einschränkungen (außer hinsichtlich des reduzierten Hörvermögens) wegfallen könnten. Mit Gerichtsbescheid vom 02.06.2008 hat das SG die Klage gestützt auf die Gutachten des Dr. W. und des Dr. Se. abgewiesen. Zwar könne der Kläger eine Tätigkeit der zuletzt ausgeübten Art aufgrund seiner Kommunikationsprobleme nicht mehr zumindest sechs Stunden täglich verrichten, er könne jedoch die Verweisungstätigkeit eines Registrators ausüben.
Gegen den ihm am 16.06.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 08.07.2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt, im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen über die Schwere seiner durch den Tinnitus bedingten Beeinträchtigungen wiederholt und Arztbriefe bzw. Befundberichte über die im November und Dezember 2009 sowie Januar 2010 durchgeführten Untersuchungen vorgelegt (10.11.2009: ambulante Vorstellung HNO-Klinik im U. Klinikum U. ; 27.11.2009: Facharzt für Orthopädie D. - Untersuchung der HWS; 03.12.2009: Facharzt für Innere Medizin P. - Dopplersonographie der hirnzuführenden Arterien; 19.01.2010: MRT Schädel und Kopfregion, ambulante Wiedervorstellung HNO-Klinik im U. Klinikum U. ).
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 02.06.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2007 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Der Senat hat vom SG die Akte des Verfahrens S 3 KR 442/09 mit dem Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. vom 17.11.2009 beigezogen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 26.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.09.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, auch nicht bei Berufsunfähigkeit, weshalb ihm weder Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zusteht.
Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist in erster Linie § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die entsprechenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung.
Ergänzend wird im Hinblick auf das wiederholte Vorbringen des Klägers, bei dem bei ihm diagnostizierten Tinnitus handele es sich um eine medizinisch anerkannte Erkrankung, die zu Unrecht seitens der Beklagten nicht anerkannt werde, darauf hingewiesen, dass der Senat ebenso wie zuvor schon das SG davon ausgeht, dass der Kläger an einem Tinnitus leidet. Die Richtigkeit dieser diagnostischen Einschätzung, von der sämtliche den Kläger behandelnden bzw. ihn untersuchenden Ärzte ebenso wie auch der am Verfahren beteiligte Gutachter Dr. Se. und der Sachverständige Dr. W. ausgegangen sind, hat - anders als der Kläger offenbar meint - auch die Beklagte im Laufe des Verfahrens zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen. Soweit der Kläger allerdings annimmt, schon die diagnostische Zuordnung der von ihm geklagten Beschwerden zu dem in Rede stehenden Krankheitsbild begründe einen Anspruch auf die begehrte Erwerbsminderungsrente, geht er von falschen Voraussetzungen für diesen Anspruch aus. Für die Beurteilung, ob dem Kläger die begehrte Rente zusteht, ist nämlich allein maßgeblich, in welchem Ausmaß er durch die von ihm beklagte Beschwerdesymptomatik tatsächlich eingeschränkt ist bzw. in welchem Umfang er gleichwohl noch über ein auf dem Arbeitsmarkt zumutbar einsetzbares berufliches Leistungsvermögen verfügt. Daher ist in erster Linie die von dem Tinnitus ausgehende Belästigung zu bewerten, die in zahlreichen zusätzlichen psychischen Befindungsstörungen zum Ausdruck kommen kann und daher eine Beurteilung von neurologisch-psychiatrischer Seite erforderlich macht.
Allerdings vermag sich der Senat ebenso wenig wie die Beklagte und ihr folgend das SG davon zu überzeugen, dass beim Kläger die Auswirkungen des Tinnitus so gravierend sind, dass ihm selbst unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (keine Akkord-, Fließband- oder Schichtarbeit, kein hoher Anspruch an Aufmerksamkeit und Konzentration, ohne weitgehenden Publikumsverkehr) Tätigkeiten in einem Umfang von sechs Stunden täglich nicht mehr zugemutet werden können. Eine schwere Folgeerkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet, aus der eine solch weitreichende Leistungseinschränkung resultieren könnte, haben weder Dr. Se. noch Dr. W. anlässlich ihrer Untersuchungen gefunden. Dr. Se. ging von einer leichten depressiven Störung und Insomnie aus und Dr. W. von einer leichtgradigen depressiven Entwicklung. Gegen das Vorliegen einer schwerwiegenden Folgeerkrankung spricht nach Auffassung des Senats auch der Umstand, dass der Kläger, obwohl er unter dem Tinnitus - seinen eigenen Angaben zufolge - bereits seit mehr als zehn Jahren leidet, fachspezifische nervenärztliche Behandlung bisher nicht in Anspruch genommen hat. Wegen der Schlafstörungen des Klägers fand lediglich im Mai 2007 ein kurzzeitiger Therapieversuch mit einem Antidepressivum statt, und dies auch nur fachfremd durch den behandelnden Allgemeinarzt Dr. S ... Darüber hinaus ist lediglich noch die eigene Angabe des Klägers anlässlich seiner Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. W. dokumentiert, wonach er seit vier Tagen abends eine halbe Tablette Mirtazepin 15 mg nehme, wobei es sich nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen jedoch um eine Unterdosierung handelt.
Auf einen massiven Leidensdruck deutet auch nicht das Vorgehen des Klägers seit dem Auftreten des Tinnitus hin. Denn obwohl sich der Tinnitus nach den Darlegungen des Klägers bereits im Jahr 2001 erheblich verschlimmert habe und seither nahezu unverändert stark vorhanden sei, ist erst für den Januar 2007 eine hno-ärztliche Inanspruchnahme dokumentiert, ohne dass damals weitere Untersuchungen oder Behandlungsversuche unternommen worden wären. Insoweit haben Dr. Se. im März 2007 und Dr. W. im März 2008 übereinstimmend dargelegt, dass die Erkrankung des Klägers noch unbehandelt sei. Gleichzeitig haben sie mehrere Möglichkeiten der Krankheitsbewältigung aufgezeigt, ohne dass erkennbar ist, dass der Kläger zumindest nach Kenntnisnahme des Gutachtens von Dr. W. , das ihm im März 2008 seitens des SG übersandt wurde, entsprechende Maßnahmen versucht hat. Erst im November 2009 hat sich der Kläger, wie den zuletzt im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen zu entnehmen ist, in der HNO-Klinik des U. Klinikum U. vorgestellt, und die von dort geäußerten zahlreichen Therapieempfehlungen in die Wege geleitet (MRT des Schädels zum Ausschluss eines Akustikusneurinoms bei asymmetrischem Hörvermögen; falls unauffällig Hörgeräte beidseits zur Probe, damit das Ohrgeräusch in den Hintergrund tritt; internistisch-kardiologische Abklärung einer Hypertonie bzw. Rhythmusstörung; Orthopädische Abklärung der HWS; gefäßchirurgische Abklärung der hirnzuführenden Gefäße; bei ausbleibendem Erfolg Vorstellung in der Psychosomatik zur Erlernung des Umgangs mit dem Tinnitus). Ein massiver Leidensdruck durch den acht Jahre zuvor aufgetretenen Tinnitus vermag der Senat in diesem Vorgehen des Klägers nicht zu erkennen.
Der Kläger ist darüber hinaus auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit.
Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zusammenfassend Urteil vom 29.07.2004, B 4 RA 5/04 R, veröffentlicht in juris, Rdnr. 33) die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt: Die Stufen sind von unten nach oben nach ihrer Leistungsqualität, diese gemessen nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung und beruflichen Erfahrung, nicht nach Entlohnung oder Prestige, geordnet. Danach sind zu unterscheiden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6).
Grundsätzlich darf ein Versicherter im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf Tätigkeiten der nächst niedrigeren Gruppe des Mehrstufenschemas verwiesen werden.
Der Kläger war zuletzt als Betriebsleiter bei der S A. GmbH & Co KG tätig. Den Anforderungen dieser Tätigkeit kann er im Hinblick auf seinen Tinnitus nicht mehr gerecht werden, da sie in erheblichem Umfang mit Mitarbeiterkontakt verbunden war und dem Kläger Gespräche, insbesondere mit mehreren Personen wegen seiner glaubhaften Hörstörung mit Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Konzentration nur noch eingeschränkt möglich sind. Soweit derartige Erfordernisse jedoch nicht bestehen und Publikumsverkehr weitgehend ausgeschlossen ist, hält der Senat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. W. eine derartige wenigstens sechsstündige Tätigkeit jedoch durchaus für möglich. Insoweit hat Dr. W. insbesondere betriebswirtschaftliche Tätigkeiten genannt, weshalb der Senat den Kläger durchaus für fähig erachtet, in seinem bisherigen Berufsbereich als Lohnbuchhalter zumindest sechs Stunden täglich tätig zu sein. Eine derartige Tätigkeit, die der Kläger nach dreijähriger Ausbildung zum Industriekaufmann verrichtet hat, entspricht der Stufe 3 des oben dargelegten Mehrstufenschemas. Eine solche Tätigkeit ist dem Kläger auch sozial zumutbar. Denn selbst wenn man die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Betriebsleiter der Stufe 4 zuordnen wollte, so stellte dies gleichwohl lediglich eine Verweisung auf die nächst niedrigere Qualifikationsstufe, nämlich die Stufe 3 dar und wäre daher sozial zumutbar.
Nach alledem kann auch die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
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