L 4 R 4884/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1182/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4884/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. August 2007 abgeändert.

Unter Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 20. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2005 wird die Beigeladene verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01. August 2004 bis zum 31. März 2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene erstatten dem Kläger jeweils ein Drittel (zusammen zwei Drittel) seiner außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger ist am 1952 in Italien geboren. Ab dem 29. Mai 1970 war er in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Spätestens ab dem 27. Februar 1989 war er bei einem Energie-Unternehmen als Arbeiter im Kabeltiefbau tätig. Im Januar 1998 unterzog er sich wegen eines Sigma-Colon-Karzinoms (bösartiger Tumor des Mastdarms) einer Rektumresektion (operative Entfernung eines Teils des Mastdarms) mit anschließender Radio-Chemotherapie. Insoweit war er vom 19. November 1997 bis zum 30. September 1998 arbeitsunfähig erkrankt. Ab dem 01. Oktober 1998 arbeitete er bei mehreren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wieder bei seinem Arbeitgeber, wobei er im Juli 1999 zunächst umgesetzt und sodann zum 31. Januar 2000 gekündigt wurde. Vom 01. Februar 2000 bis zum 30. November 2001 bezog er Arbeitslosengeld und im Anschluss bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe, seitdem Arbeitslosengeld II.

Am 09. Juni 1999 hatte der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit beantragt. Nachdem die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitliche: Beklagte) diesen Antrag abgelehnt hatte (Bescheid vom 30. September 1999, Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2000), erhob er Klage (S 4 RJ 1798/00) zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Im damaligen Klagverfahren wurden die Gutachten des Internisten Dr. K. vom 07. März 2003 und - auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - des Chirurgen Dr. H. vom 01. Januar 2004 eingeholt. Nachdem beide Gutachter u. a. eine Stuhlinkontinenz (nach dem Gutachten Dr. K. sei nach der Operation 1998 ein Stuhlgang von ein- bis zweimal täglich beschrieben worden) oder einen imperativen Stuhldrang verneint und bei Beachtung bestimmter qualitativer Leistungseinschränkungen (keine schweren Arbeiten, keine Arbeiten im Freien über zwei Stunden, kurzfristige Erreichbarkeit einer Toilette) ein vollschichtiges Leistungsvermögen angenommen hatten, nahm der Kläger seine Klage am 25. März 2004 zurück.

Vom 30. Juni bis zum 04. August 2004 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik A. in B. R ... Im Entlassungsbericht - ohne Datum - des Dr. M. hieß es, der Kläger habe angegeben, täglich bis zu 20 Stuhlgänge, darunter vier bis fünf nachts, zu haben. Er müsse sich auch beim Wasserlassen anstrengen. Er sei psychisch sehr belastet. Vorausgesetzt, die Angaben zur Frequenz des Stuhlgangs stimmten, seien von ihm derzeit keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert durchführbar.

Am 16. August 2004 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte erhob daraufhin bei Internist Dr. Mü. das Gutachten vom 28. September 2004. Dieser stellte nach einer Untersuchung fest, der Kläger leide im Wesentlichen an einem Zustand nach (Z. n.) Rektumkarzinom und Operation sowie an einem nutritiv-toxischen Leberschaden durch Alkoholfehlgebrauch. Ein Rezidiv oder Metastasen hätten sich nicht gebildet. Sein Körpergewicht habe sich trotz der angegebenen Stuhlfrequenz seit 1999 erhöht, er sei jetzt eher übergewichtig (63 kg bei 154 cm Körpergröße). In der Umgebung des Anus hätten sich keine Rötungen und keine Entzündungszeichen ergeben, die während der Untersuchung verwendete kleine Einlage sei sauber gewesen. Dieser Zustand spreche eigentlich nicht für eine so häufige Stuhlentleerung wie angegeben. Selbst wenn die Angaben des Klägers zuträfen, könne er dennoch - überwiegend sitzend - leicht bis anteilig mittelschwer über sechs Stunden täglich arbeiten, wobei er jederzeit eine Toilette müsse aufsuchen können. Als Bauarbeiter könne er nurmehr unter drei Stunden täglich arbeiten. Auch sei der vorhandene Nikotinmissbrauch geeignet, die Stuhlgangsfrequenz zu erhöhen. Hiernach lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 20. Oktober 2004 ab.

Der Kläger erhob Widerspruch. Während des Vorverfahrens wurde bei dem Kläger am 24. November 2004 in der Kreisklinik Tuttlingen, Dr. H., eine Rektoskopie durchgeführt, die eine bequeme Durchgängigkeit mit dem Finger ergab; die anschließende histologische Untersuchung einer Probe durch Dr. W. zeigte keine Anzeichen für Malignität (Befundbericht vom 26. November 2004). Gestützt hierauf wies die Widerspruchsstelle der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2005 zurück.

Der Kläger erhob am 15. April 2005 Klage zum SG. Er trugt vor, seine gesundheitliche Situation habe sich seit 2003 ganz erheblich verschlechtert. Er sei von Durchfall geplagt. Im Normalfall müsse er zwanzigmal am Tag die Toilette aufsuchen und könne Auswärtstermine nur wahrnehmen, wenn er sich regelrecht mit Medikamenten vollstopfe, um seine Inkontinenz einigermaßen zu regulieren. Auch hätten sich seine Rückenbeschwerden verstärkt. Bereits nach kurzen Gehstrecken träten am linken Bein Taubheitsgefühle auf. Ferner leide er unter einer schweren Depression. Hierzu legte er u.a.; den Befundbericht des Psychiaters Dr. G. vom 05. Mai 2006 (rezidivierende schwere Depression u.a, wahrscheinlich sogar im Sinne einer erheblichen und chronischem Persönlichkeitsveränderung deswegen zurzeit nicht arbeitsfähig, keine erfolgreiche Therapiemöglichkeit ersichtlich).

Das SG vernahm die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Internist Dr. Sc. teilte unter dem 28. Juli 2005 mit, er habe den Kläger zuletzt im Januar 2004 untersucht, damals habe die Durchfallerkrankung im Vordergrund gestanden. Die Leistungsfähigkeit könne nicht beurteilt werden. Der Einschätzung der Beklagten, der Kläger könne bei jederzeitiger Erreichbarkeit einer Toilette noch sechs Stunden täglich arbeiten, sei zuzustimmen. Orthopäde Dr. C. bekundete unter dem 28. Juli 2005, er habe den Kläger nach Januar 2004 erstmals wieder am 05. April 2005 gesehen, hierbei habe er einen zweitgradigen Prolaps mit Radiculopathie (Nervenwurzelreizung) an dem Wirbelsäulensegment L5/S1 links festgestellt. Einen Prolaps an dieser Stelle rechts habe es bereits 1996 gegeben. Auch bestünden ein Rundrücken, ein Baastrup-Syndrom (Berührung von Dornfortsätzen wegen degenerativer Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule) bei L4/L5, eine Blockierung des Ilio-Sakral-Gelenks und ein Lumbalsyndrom bei Osteochondrose. Der Kläger sei mit intravenösen Injektionen zur Schmerzbekämpfung behandelt worden, ab dem 20. April 2005 habe er eine Besserung angegeben. Allgemeinmediziner V. gab unter dem 15. August 2005 an, zusätzlich zu den bekannten Diagnosen seien therapiepflichtige Hypertonie, gemischte Hyperlipidämie, Hyperuricämie und Verdacht auf (V. a.) inzwischen fixierte Alkoholkrankheit zu nennen. Es falle schwer, sich einen Arbeitsplatz vorzustellen, der die notwendigen häufigen Toilettengänge ermögliche. Es sei außerdem inzwischen eine gesellschaftliche Isolation mit reaktivem Alkoholmissbrauch entstanden. Chirurg Dr. H. teilte unter dem 19. März 2007 mit, auch wenn bei einer Untersuchung am 19. Dezember 2006 eine unauffällige tiefe Rektumanastomose ohne wesentliche Stenose bestanden habe und eine perianale Rötung nicht habe festgestellt werden können, bestehe weiterhin glaubhaft Stressinkontinenz für Stuhl und Luft, sodass der Kläger weiterhin "im Sinne des Gutachtens vom 11. April 2003" eingeschränkt für den allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei. Um die Lebenssituation des Klägers, der am Rande des Existenzminimums lebe, zu verbessern, sei eine Berentung zu empfehlen.

Das SG ließ den Kläger chirurgisch-orthopädisch bei Dr. G. und nervenärztlich bei Dr. Sv. begutachten. Dr. G. führte unter dem 20. Januar 2006 aus, bei dem Kläger bestünden eine degenerative Wirbelsäulenproblematik, betreffend vor allem den Bandscheibenraum L5/S1, und der Z. n. Rektumresektion. Bei der Untersuchung am 05. Januar 2006 habe sich kein Anhaltspunkt für durchfällige Stühle ergeben. Zumindest während der zweistündigen Untersuchung habe auch offensichtlich kein Stuhldrang bestanden. Anschließend habe der Kläger die Klinik verlassen, ohne die Toilette aufzusuchen. Es habe sich eine perianale Reizung ergeben, aber kein Ekzem. Der Sphinkertonus sei regelrecht, aber erhöht gewesen, sodass zwar eine Schmerzhaftigkeit bei hartem Stuhlgang und ein imperativer Stuhldrang nachvollziehbar seien, jedoch sei eine Inkontinenz bei unverletztem Schließmuskel eher weniger wahrscheinlich. Der Kläger könne sechs Stunden und mehr täglich nur noch leichte Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen, nicht an gefährdenden Maschinen sowie nicht in Akkord oder am Fließband ausüben, er müsse eventuell häufiger eine Toilette aufsuchen können, sodass auch Arbeiten im Freien ausschieden. Dr. Sv. stellte in dem Gutachten vom 12. Juli 2006 fest, es bestünden eine chronifizierte Anpassungsstörung und ein schädlicher Alkoholgebrauch bei dringendem V. a. auf Alkoholabhängigkeit. Für die Diagnose einer depressiven Störung lägen keine ausreichenden Hinweise vor. Auch die Diagnose einer erheblichen chronischen Persönlichkeitsveränderung sei nicht zu bestätigen. Der Kläger könne Arbeiten mit schwierigen zwischenmenschlichen Aufgaben, mit erhöhten Anforderungen an Konzentration, Aufmerksamkeit und Übersicht sowie Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht nicht mehr ausüben. Mit diesen Einschränkungen sei er jedoch für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich erwerbsfähig. Der Kläger legte eine Stellungnahme seines behandelnden Psychiaters Dr. G. zu diesem Gutachten vor (die chronifizierte Anpassungsstörung sei als chronische Persönlichkeitsveränderung anzusehen, das Gutachten werde dem Kläger "in der Tiefe seiner Lebensproblematik" nicht gerecht). In der Stellungnahme hierzu bekräftigte Dr. Sv. unter dem 16. März 2007 keine bereits im Gutachten geäußerte Auffassung, der Kläger habe schon vor der Krebserkrankung zu übermäßiger persönlicher Angreifbarkeit geneigt, deswegen sei eine Persönlichkeitsänderung nicht zu beschreiben. Die typischen Kennzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung (spon¬tanes Wiedererleben des Traumas, Gleichgültigkeit, emotionale Stumpfheit) seien nicht zu explorieren gewesen.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage sozialmedizinischer Stellungnahmen des Internisten Dr. Sch. vom 09. September 2005, 23. Mai 2006 und 30. Oktober 2006 sowie der Psychiaterin Dr. W.-Kr. vom 06. Dezember 2006 und vom 23. April 2007 entgegen.

Mit Urteil vom 22. August 2007 wies das SG die Klage ab. Aus den Gutachten von Dr. Mü. und Dr. G. ergebe sich überzeugend, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit den eingehenden gutachterlichen Untersuchungen durch Dr. K. und Dr. H. in dem ersten Rechtsstreit nicht verschlechtert habe. Auch bei den Begutachtungen bei Dr. G. und Dr. Sv. habe der Kläger von bis zu 18 oder 20 Stuhlgängen am Tag, überwiegend in Form von Durchfällen, berichtet, die sich allerdings nie wirklich hätten objektivieren lassen. Gewisse Zweifel daran, dass eine solche Häufigkeit nicht nur gelegentlich, sondern dauerhaft bestehe, ergäben sich auch daraus, dass der Hautbefund bei Dr. G. nur eine leichte Rötung und bei Dr. H. keine perianale Rötung ergeben habe. Hiernach habe sich das SG nicht von einer Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden überzeugen können. Insbesondere das Erfordernis, wegen der Stuhlproblematik eine Toilette in einem Umkreis von 100 m zu haben, stelle auch keine schwere spezifische Leistungseinschränkung dar, da dies durchaus betriebsüblichen Bedingungen entspreche (Verweis auf § 37 Abs. 1 Nr. 3 der Arbeitsstättenverordnung [ArbStättV]). Eine quantitative Einschränkung ergebe sich auch nicht auf nervenärztlichem oder orthopädischem Fachgebiet. Wegen des Bandscheibenvorfalls L5/S1, der die abgehende Nervenwurzel von L5 nicht tangiert habe, und der bestenfalls endgradigen Einschränkung der Funktion der Wirbelsäule seien dem Kläger lediglich mittelschwere und schwere Tätigkeiten nicht mehr zumutbar. Nach dem Gutachten des Dr. Sv. bestehe beim Kläger zwar eine psychiatrische Störung, wobei es nicht auf die konkrete Diagnose, sondern auf ihre Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit ankomme. Diesbezüglich hätte Dr. Sv. insbesondere in seiner Stellungnahme vom 16. März 2007 dargelegt, dass dem Kläger - nur - noch leichte Erwerbstätigkeiten zugemutet werden könnten, eine zeitliche Einschränkung auf unter sechs Stunden täglich hätte er, insbesondere auch im Hinblick auf das beim Kläger noch bestehende "aktuelle Aktivitätsniveau im Alltagsleben" nicht begründet herleiten können. Der festgestellte schädliche Alkoholgebrauch führe noch nicht zu einer weitergehenden Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit. Eine solche Einschränkung ergebe sich letztlich auch nicht aus der Aussage Dr. H. vom 19. März 2007. Dieser habe selbst berichtet, der Kläger sei weiterhin "im Sinne des Gutachtens vom 11. April 2003" eingeschränkt einsetzbar. Er sei aber in dem damaligen Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, es sei eine vollschichtige Arbeit möglich. Folglich könne der Kläger noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Es bestehe auch keine Berufsunfähigkeit, nachdem der Kläger im Hinblick auf seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arbeiter im Kabeltiefbau bzw. Freileitungsbau über keinen speziellen Berufsschutz verfüge.

Gegen dieses ihm am 14. September 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. Oktober 2007 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe Dr. H.s Bericht vom 19. März 2007 nicht ausreichend gewürdigt. Dieser habe eindeutig eine Rentenberechtigung des Klägers bejaht. Sein gesamtes Leben und sein Tagesablauf seien durch die Beschwerden im Zusammenhang mit der dauernden Stuhlentleerung (bis zu 23 täglich) geprägt. Auch habe er deswegen ein Schlafdefizit. Eine regelmäßige tägliche Beschäftigung würde zu hoher Problemen führen, da er zur Vermeidung übermäßiger Stuhlfrequenz sich in der Nahrungsmittelaufnahme einschränken müsse. In seinem gesundheitlichen Befinden sei eine laufende und regelmäßige Verschlechterung eingetreten. In der Zwischenzeit habe sich herausgestellt, dass er auch an Gicht leide. Schließlich bestehe offensichtlich eine permanente Blasenreizung mit ganz erheblichen Beschwerden beim Wasserlassen. Hierzu hat der Kläger den Arztbrief des Urologen Dr. J. vom 07. August 2007 vorgelegt (Störungen der Blasenentleerung lägen derzeit nicht vor, das primäre Problem schienen vor allem die häufigen Darmentleerungen zu sein. Ferner hat er das Schreiben des Landratsamts T. - Gesundheitsamt - vom 08. Juli 2009 an das Sozialamt des Landratsamtes vorgelegt, wonach ihm (dem Kläger) eine Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch für drei Stunden täglich nicht mehr zumutbar sei.

Der Kläger beantragt, sachgerecht gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. August 2007 aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene, unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 20. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2005 zu verurteilen, ihm ab dem 01. August 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat angegeben, der Kläger habe keine rentenrechtlichen Zeiten in Italien zurückgelegt, sodass die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg zuständig sei, an die am 21. September 2007 die Akten abgeben worden seien. Ein Beteiligtenwechsel (auf Beklagtenseite) sei nicht möglich, da kein Zuständigkeitswechsel kraft Gesetzes eingetreten sei. In der Sache verteidigt sie unter Vorlage sozialmedizinischer Stellungnahmen des Internisten Prof. Dr. La. vom 20. Mai 2008, 16. September 2008 und 17. März 2009 das Urteil des SG und ihre Bescheide. Der Zeitaufwand der beim Kläger nötigen Toilettenbenutzung halte sich noch im Rahmen der betriebsüblichen Pausen einschließlich der persönlichen Verteilzeit.

Der Senat mit Beschluss vom 12. November 2007 die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene trägt vor, sie sei örtlich zuständig, sodass eine Beiladung nicht erforderlich (gewesen) sei. In der Sache verteidigt sie unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme von Obermedizinalrat Fischer vom 07. April 2008 das angegriffene Urteil und die Bescheide der Beklagten.

Der Berichterstatter des Senats hat Dr. G. schriftlich als sachverständigen Zeugen vernommen. Unter dem 18. Juli 2008 hat er mitgeteilt, bei den Untersuchungen in den Jahren 2007 und 2008 die gleichen Befunde erhoben und gleichen Diagnose wie 2006 gestellt zu haben, nämlich chronische posttraumatische Belastungsstörung nach schwerer Krebserkrankung, rezidivierende mittelschwere bis schwere Depression, Alkoholmissbrauch, prinzipiell wahrscheinlich Alkoholabhängigkeit. Der Kläger habe einen künstlichen Darmausgang verweigert, habe häufige, nicht steuerbare, explosionsartige Stuhlentleerungen; es könne nur die sofortige Berentung erfolgen.

Ferner hat der Berichterstatter des Senats Dr. H. zunächst schriftlich und sodann mündlich als sachverständigen Zeugen vernommen. In seiner schriftlichen Aussage vom 10. März 2008 hat er angegeben, bei einer Retroskopie am 02. Oktober 2007 habe sich die Anastomose nach wie vor supraanal für den Zeigefinger durchgängig gezeigt, es habe sich im Colon-Pouch (bei der Operation angelegtes Reservoir im Dickdarm) aber sehr viel Stuhl gefunden, was den Stuhldrang erkläre. Ein Rezidiv habe sich nicht gebildet. Zu diesen Angaben hat Dr. H. im Schreiben an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 05. Mai 2008 ergänzt, die Situation des Klägers habe sich weiter verschlechtert, insbesondere durch Zunahme der depressiven Situation und des toxisch restriktiveren Leberschadens. In der weiteren schriftlichen Aussage vom 20. August 2008 hat er angegeben, die Angaben des Klägers zum Stuhlgang seien glaubhaft. Bei dem Kläger seien stuhlregulierende Maßnahmen nicht angezeigt. Die Anlage eines künstlichen Darmausgangs sei dem Kläger, der sich mit den Problemen des imperativen Stuhlgangs im allgemeinen täglichen Leben zurechtfinde, nicht zuzumuten. Der Kläger sei nicht fähig, wenigstens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu arbeiten. Bei der Anhörung in der nichtöffentlichen Sitzung vom 22. Oktober 2009 hat er ausgeführt, dem Kläger sei kein künstlicher Darmausgang gesetzt, sondern es sei ein künstliches Reservoir geschaffen worden. Hierbei entstehende Probleme äußerten sich beim Kläger dahin, dass der Schließmuskel undicht bzw. durchlässig sei für Luft, Flüssigkeiten und Stuhl. Der Darmausgang sei verhärtet; denkbar seien laufender Abgang kleinerer Stuhlmengen und imperativer Stuhldrang, der nur kurzfristig vor der Entleerung bemerkt werde; 15 Stühle am Tag seien realistisch, wobei die Häufigkeit der Stühle nicht habe verifiziert werden können.

Im Auftrag des Senats hat Priv.-Doz. Dr. A., Klinikum F., den Kläger im Rahmen zweier mehrtägiger stationärer Aufenthalte (17. bis 20. November und 15. bis 16. Dezember 2008) begutachtet. Priv.-Doz. Dr. A. ist in seinem internistisch-gastroenterologischen Gutachten vom 14. Januar 2009 im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, bei dem Kläger stünden die Rückenschmerzen und die häufige Stuhlfreqenz als limitierende Faktoren hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit im Vordergrund. Die Bauchwand habe eine geringere Stabilität und Belastbarkeit. Es seien schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten wie Heben und Tragen schwerer Lasten ausgeschlossen, auch häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen, Arbeiten im Freien, auf Gerüsten oder an gefährlichen Materialien sowie an Fließbändern und im Akkord seien nicht empfehlenswert. Der Kläger müsse die Möglichkeit haben, jederzeit eine Toilette aufsuchen und seinen Arbeitsplatz, auch außerhalb der betriebsüblichen Pausen, verlassen zu können. Auf Grund häufiger Unterbrechungen des Nachtschlafs durch anamnestisch häufige Stuhlfrequenzen sei von einer Tätigkeit mit Wechsel- oder Nachtschicht abzuraten. Auf Grund der bestehenden posttraumatischen Balastungsstörungen sei von einer besonderen Verantwortung und hoher geistiger Beanspruchung abzuraten. Hinsichtlich der theoretischen Fähigkeiten sei es durchaus vorstellbar, dass leichtere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ganztägig verrichtet werden könnten. Es ergäben sich keine Einschränkungen oder organischen Störungen, die dem entgegenstünden. Der Kläger habe berichtet, in seiner Freizeit gelegentlich älteren Damen aus der Nachbarschaft bei der Gartenarbeit zu helfen, dies sei machbar, solange er jederzeit eine Toilette benutzen könne. Das vom Kläger während des stationären Aufenthalts selbst geführte Stuhlprotokoll habe eine ähnlich hohe Stuhlfrequenz ergeben wie er angegeben habe. Auch könne der Kläger arbeitstäglich viermal 500 m zu Fuß zurücklegen, wobei zu beachten sei, dass auch auf dem Arbeitsweg eine Toilette müsse aufgesucht werden können. Jedoch seien dem Kläger die An- und Abreisen zum Klinikum Friedrichshafen mit öffentlichen Verkehrsmitteln problemlos möglich gewesen.

Gegen das Gutachten von Priv.-Doz. Dr. A. hat der Kläger Einwände erhoben. Die Durchführung der Begutachtung sei menschenunwürdig gewesen. Insbesondere sei die unstreitige Stuhlinkontinenz in zum Teil erniedrigender Weise missachtet worden. Aus diesem Grunde sei das Gutachten unverwertbar. Auch bagatellisiere Priv.-Doz. Dr. A. die Problematik der Stuhlinkontinenz. Zu den Einwänden hat Priv.-Doz. Dr. A. unter dem 21. April 2009 ergänzend Stellung genommen. Er hat weiter die Stellungnahme von Dr. H. vom 22. April 2009 vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 22. August 2007, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und zum Teil auch begründet. Das SG hätte die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) nicht im Ganzen abweisen dürfen. Der angefochtene Ablehnungsbescheid der Beklagten ist zum Teil rechtswidrig, denn der Kläger hat ab dem 01. August 2004 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (1a bis 1c), allerdings nur auf Zeit (1d). Ein Anspruch auf eine unbefristete Rente - wegen teilweiser Erwerbsminderung - besteht nicht (2). Zu der Leistung der Rente wegen voller Erwerbsminderung war nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene zu verurteilen (3). Der Senat hat den vom Kläger gestellten Antrag in dieser Weise sachdienlich gefasst.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. August 2004 bis zum 31. März 2013.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Nach der Rechtsprechung des BSG kann jedoch auch bei einem vollen oder nur eingeschränkten Restleistungsvermögen ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehen, wenn nämlich der für den Versicherten noch in Betracht kommende Arbeitsmarkt verschlossen ist. So kann ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehen, wenn der Versicherte nur unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten kann oder den täglichen Weg zur Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zurücklegen kann, wobei dies der Fall ist, wenn er nicht mindestens viermal täglich mehr als 500 m in höchstens 20 Minuten zurücklegen kann. Ebenso besteht trotz eines noch vollschichtigen Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn der Versicherte an einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen leidet oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt. Und bei einer teilweisen Erwerbsminderung kann eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ("Arbeitsmarktrente") verlangt werden, wenn der Versicherte keinen leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatz innehat und ihm der Rentenversicherungsträger oder die Bundesagentur für Arbeit binnen eines Jahres ab Antragstellung keinen solchen Arbeitsplatz anbieten können.

b) Eine quantitative Leistungsminderung bei dem Kläger in diesem Sinne liegt nicht vor. Grundsätzlich kann der Kläger noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich bei einer Fünf-Tage-Woche erwerbstätig sein.

aa) Auf internistisch-gastroenterologischem Gebiet ist das Leistungsvermögen des Klägers nicht auf unter sechs Stunden arbeitstäglich abgesunken.

Eine derartige Leistungsminderung ist zwischen den Beteiligten gar nicht in Streit. Der Kläger selbst behauptet nicht, wegen der Folgen des Sigma-Colon-Karzinoms und der Rektumresektion 1998 in seinem Durchhaltevermögen für eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes eingeschränkt zu sein. Der Streit geht - rechtlich betrachtet - nur um die Frage, ob seine Stuhlgangsfrequenz betriebsunübliche Arbeitsbedingungen notwendig macht, sodass trotz eines Leistungsvermögens von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich der Arbeitsmarkt verschlossen ist.

Dass das Leistungsvermögen des Klägers in dieser Hinsicht nicht gemindert ist, entnimmt der Senat den Gutachten von Dr. Mü. vom 28. September 2004, von Dr. G. vom 20. Januar 2006 und zuletzt Priv.-Doz. Dr. A. vom 14. Januar 2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 21. April 2009. Alle Gutachter haben das - quantitative - Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf sechs Stunden und mehr arbeitstäglich geschätzt, wenn eine Toilette jederzeitig erreichbar ist und der Kläger seine Arbeit für die notwendigen Toilettengänge unterbrechen kann. Insbesondere Priv.-Doz. Dr. A. stellte die vom Kläger behauptete häufige Stuhlfrequenz nicht in Frage, sondern sah diese als limitierenden Faktor hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit und legte sie seiner Beurteilung des Leistungsvermögens zugrunde.

Der Senat verwertet auch das Gutachten von Priv.-Doz. Dr. A ... Die Vorwürfe, die der Kläger gegen dieses Gutachten erhoben hat, machen es weder unverwertbar noch schwächen sie seine Überzeugungskraft. Abgesehen davon, dass Beteiligte ihre Einwendungen gegen ein Gutachten nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 4 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) innerhalb eines angemessenen Zeitraums mitteilen müssen, der Kläger aber seine Einwendungen erst am 09. April 2009 erhoben hat, nachdem ihm das Gutachten unter dem 27. Januar 2009 übersandt worden war, betreffen die Einwendungen lediglich die Art und Weise der Gutachtenerhebung, vor allem die Art der Untersuchungen (Durchführung einer Darmspiegelung mit Kontrastmittel, Verpflegung, Unterbringung in einem Drei-Bett-Zimmer), nicht aber die Feststellungen Priv.-Doz. Dr. A.s. Nachdem insbesondere aber die Untersuchungsmethoden zur Erfüllung des Gutachtenauftrags notwendig waren, wie Priv.-Doz. Dr. A. in seiner Stellungnahme vom 21. April 2009 ausgeführt hat, waren die Einwände des Klägers für die Entscheidung des Senats unerheblich.

Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, dass die Darmerkrankung des Klägers sein Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht einschränkt. Das im Januar 1998 operierte Karzinom selbst hat keine Auswirkungen mehr beim Kläger. Ein Rezidiv ist in der gesamten Zeit seitdem nicht wieder aufgetreten. Dies haben alle in diesem Verfahren gehörten Gutachter bestätigt, auch der inzwischen - behandelnde Arzt Dr. H., bei dem der Kläger die regelmäßigen Nach-kontrollen durchführen lässt. Er hat in seiner mündlichen Vernehmung am 22. Oktober 2009 von völliger Rezidivfreiheit berichtet. Die Unterbrechungen des Nachtschlafs wegen der notwendigen Toilettengänge sind nicht so erheblich, dass von einer dauernden Tagesmüdigkeit auszugehen wäre. Das Körpergewicht des Klägers ist seit Beginn der Erkrankung gestiegen und liegt jetzt im übergewichtigen Bereich, sodass auch eine körperliche Schwäche, die das Durchhaltevermögen einschränken könnte, nicht ersichtlich ist. Auch der Tagesablauf des Klägers, wie er ihn im Schriftsatz vom 21 August 2008 geschildert hat (Bl. 87 der LSG-Akte) und er auch von Dr. Sv. im Gutachten vom 12. Juli 2006 wiedergegeben ist (S. 9 des Gutachtens), spricht nicht für derartige Einschränkungen. Insbesondere ist bereits hier darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach seinen Angaben gegenüber Priv.-Doz Dr. A. gelegentlich älteren Damen in seiner Nachbarschaft bei der Gartenarbeit hilft, wenn er jederzeit eine Toilette aufsuchen kann.

bb) Eine quantitative Leistungsminderung folgt auch nicht aus den Beeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet. Dies entnimmt der Senat dem vom SG eingeholten Gutachten von Dr. G ... Insoweit leidet der Kläger - nur - an einer degenerativen Wirbelsäulenproblematik, betreffend vor allem den Bandscheibenraum L5/S1, die allerdings keine erheblichen Bewegungseinschränkungen verursacht. Ebenso hat Dr. G. einen insgesamt unauffälligen neurologischen Status beschrieben, die Bandscheibenschäden verursachen danach keine dauernden Nervenwurzelreizungen, verbunden mit entsprechenden Schmerzen oder Ausfallerscheinungen in den Gliedmaßen.

cc) Das Gleiche gilt im Ergebnis auf psychiatrischem Gebiet. Insoweit leidet der Kläger zwar an einer psychiatrischen Störung; diese führt jedoch nur dazu, dass ihm lediglich noch leichte Tätigkeiten zugemutet werden können, allerdings für sechs Stunden und mehr arbeitstäglich. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus dem ebenfalls vom SG eingeholten Gutachten von Dr. Sv. vom 12. Juli 2006 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 16. März 2007. Darin hat er bei dem Kläger eine chronifizierte Anpassungsstörung und einen schädlichen Alkoholgebrauch bei dringendem V. a. auf Alkoholabhängigkeit beschrieben. Zwar ist ihnen hinsichtlich Diagnose und Einschätzung des Leistungsvermögens der behandelnde Psychiater Dr. G. entgegengetreten, er hat ausgeführt, bei dem Kläger liege eine chronische Persönlichkeitsänderung vor, das Gutachten werde dem Kläger "in der Tiefe seiner Lebensproblematik" nicht gerecht. Wegen der Diagnose ist eine Entscheidung nicht notwendig, nachdem es im Rentenversicherungsrecht nicht auf die Art einer Erkrankung, sondern allein auf ihre Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen ankommt. Hinsichtlich des Leistungsvermögens kann Dr. G. nicht gefolgt werden. Dieser hat keine Gründe mitgeteilt, warum die Einschätzung von Dr. Sv. dem Kläger nicht gerecht werden solle. Er hat nur angeführt, der Kläger sei sehr einfach strukturiert, wenig gebildet und sei nicht in der Lage, seine seelischen und körperlichen Einschränkungen zu kompensieren. Auch seine Hinweise auf die Lebenssituation des Klägers, insbesondere in finanzieller Hinsicht, ergeben keine Leistungseinschränkungen. Dagegen hat Dr. Sv. festgestellt, dass bei dem Kläger keine depressive Verstimmung, sondern eher Wut und Gekränktheit vorliegen, dass er über einen nach wie vor strukturierten Tagesablauf verfügt (Aufstehen um 5:00 Uhr, vormittags Putzen, Waschen, Bügeln und sonstige hauswirtschaftliche Tätigkeiten, mittags selbst kochen, nachmittags gelegentlich Fahrrad fahren oder laufen), dass die sozialen Kontakte erhalten geblieben sind (jeden Tag Kontakt mit einer Gruppe Italiener in einem Café, Besuche in der Stadt) und dass der Kläger sogar noch regelmäßig arbeitet, zunächst für seinen Vermieter (Treppen putzen) und danach für ältere Damen in der Nachbarschaft (Wohnung, Gartenarbeit). Auch dies zeigt, dass eine dauerhafte und höhergradige depressive Verstimmung nicht vorliegt.

c) Jedoch ist bei dem Kläger der noch in Betracht kommende Arbeitsmarkt, der hier wegen des Fehlens quantitativer Leistungseinschränkungen den gesamten, auch vollschichtige Tätigkeiten einschließenden allgemeinen Arbeitsmarkt umfasst, verschlossen.

aa) Der Kläger könnte die genannten sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen erwerbstätig sein. Nach dem Inbegriff des Verfahrens und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in häufigerem Umfang eine Toilette aufsuchen muss, als es mit den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts vereinbar ist.

Der Senat geht davon aus, dass der Kläger bis zu 15-mal am Tag die Toilette aufsuchen muss. Bei ihm besteht als Folge der Rektumresektion 1998 vor allem ein imperativer Stuhldrang. Wie Dr. H. in seiner mündlichen Vernehmung beschrieben hat, bemerkt der Kläger nicht mehr gleichermaßen wie ein Gesunder das Ansammeln des Stuhls, weil die Nervenverbindungen zum Schließmuskel bzw. zum Enddarm unter der Operation gelitten haben. Beim Kläger wurde kein künstlicher Darmausgang gesetzt, sondern nach Entfernung des sehr tief sitzenden Karzinoms ein künstliches Reservoir geschaffen. Ein Problem diese Operationsmethode zur damaligen Zeit ist, dass der Schließmuskel nicht mehr vollständig schließt, sodass - wiederum nach Dr. H. - jederzeit geringe Mengen Stuhls ("Bleistiftstühle") abgehen können. Dr. H. hat auch angegeben, dass nach seiner ärztlichen Einschätzung 15 Stuhlgänge am Tag nachvollziehbar seien. Diese Feststellungen decken sich mit den Erkenntnissen des vom Senat beauftragte Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. A ... Auch er hat die vom Kläger angegebene Stuhlfrequenz als nachvollziehbar und glaubhaft bezeichnet. Hieran ändert nichts, dass diese Stuhlfrequenz bislang bei keinem der stationären Aufenthalte des Klägers, gerade auch nicht bei den stationären Aufenthalten, die dem Gutachten des Priv.-Doz. Dr. A. zugrunde lagen, und auch bei den ärztlichen Untersuchungen verifiziert werden konnte. Allerdings konnte die vom Kläger behauptete Stuhlfrequenz auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Gegen die genannte Stuhlgangsfrequenz spricht auch nicht, dass bei dem Kläger bei den Untersuchungen bei Dr. G. (Gutachten vom 20. Januar 2006) nur eine leichte Rötung der Haut der Analregion ohne Zeichen eines Ekzems und auch bei der Untersuchung durch Dr. H. am 18. Dezember 2006 keine perianale Rötung festgestellt werden konnte. Jedenfalls sind für den Senat die Erläuterungen des Dr. H. hinsichtlich der anatomischen Situation aufgrund der Operation nachvollziehbar. Der Senat geht davon aus, dass nicht jeder der Stuhlgänge des Klägers den von ihm geklagten "explosionsartigen" Charakter hat. Wie Dr. H. bei seiner mündlichen Vernehmung ausgeführt hat, kann ein solcher Stuhlgang nur auftreten, wenn der Kläger viel getrunken hat. Die meisten Stuhlgänge dürften klein sein, außerdem wird es vorkommen, dass der Kläger - wegen der Nervenschädigungen im Analbereich - einen Stuhldrang verspürt und deswegen die Toiletten aufsuchen muss, aber am Ende keinen Stuhl absetzen kann. Geht man daher von jenen bis zu 15 Stuhlgängen am Tag aus, ist - bei verringertem Stuhldrang während der Nachtzeit - von bis zu einem Stuhlgang bzw. Stuhldrang pro 1,5 Stunden auszugehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Stuhldrang bei dem Kläger plötzlich auftreten kann und nicht in regelmäßigen Abständen.

Diese Einschränkung ist mit den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr vereinbar.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ArbStättV hat der Arbeitgeber Toilettenräume bereitzustellen. Nach Nr. 4.1 Abs. 1 Satz 2 der Anlage zur ArbStättV müssen sich diese Toilettenräume sowohl in der Nähe der Arbeitsplätze als auch in der Nähe von Pausen- und Bereitschaftsräumen, Wasch- und Umkleideräumen befinden. Nach Nr. 3 der Arbeitsstättenrichtlinie 37/1 (vgl. § 7 Abs. 4 ArbStättV) sind die Toilettenräume bzw. die Toiletten unabhängig von Nr. 2 der Vorschrift innerhalb einer Arbeitsstätte so zu verteilen, dass sie von ständigen Arbeitsplätzen nicht mehr als 100 m und, sofern keine Fahrtreppen vorhanden sind, höchstens eine Geschoßhöhe entfernt sind, der Weg von ständigen Arbeitsplätzen in Gebäuden zu Toiletten soll nicht durchs Freie führen. Nach § 4 des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) steht Beschäftigten mit einer Tätigkeit von mehr als sechs Stunden täglich eine Ruhepause von 30 Minuten bzw. zweimal 15 Minuten zu. Neben den betriebsüblichen Pausen werden den Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch so genannte Verteilzeiten zugestanden für z. B. den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten beziehungsweise Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen durch Dritte usw. (vgl. Landessozialgericht Bayern, Urteil vom 23. Juli 2009, L 14 R 311/06, veröffentlicht in Juris, Rn. 87). Im Übrigen ist zu beachten, dass Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden bspw. im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen gelten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2007, L 11 R 684/06, mit weiteren Nachweisen, in juris veröffentlicht).

Diesen Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarkts entspricht der Kläger nicht mehr. Er muss jederzeit eine in kürzerer Entfernung liegende Toilette aufsuchen können. Eine zu weite Entfernung stände zwar einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen, wenn der Kläger Windeln verwendete, insbesondere wegen der unwillkürlich abgehenden Bleistiftstühle, die Dr. H. beschrieben hat, wobei offen bleibt, ob die Verwendung solcher Windeln zu den Mitwirkungsobliegenheiten eines Versicherten nach § 66 Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) gehört. Selbst dann müsste der Kläger jedoch häufiger die Toilette aufsuchen, um die Windel austauschen zu können, als es die verfügbaren Pausen- und Verteilzeiten zuließen. Eine verschmutzte Windel nicht sofort austauschen zu können, ist einem Versicherten nicht zumutbar.

bb) Ohne dass es darauf noch entscheidend ankäme, bestehen auch starke Zweifel daran, dass bei dem Kläger die Wegefähigkeit erhalten ist. Hierzu müsst er in der Lage sein, viermal täglich mehr als 500 m Arbeitsweg in jeweils höchstens 20 Minuten zurückzulegen. Dies ist dem Kläger zwar grundsätzlich möglich, nach den Feststellungen der Gutachter, zuletzt Priv.-Doz. Dr. A.s, und auch nach den Aussagen Dr. H.s muss der Kläger jedoch auch auf dem Arbeitsweg jederzeit eine Toilette aufsuchen können. Dies erscheint nicht gewährleistet, nachdem öffentliche Toiletten - gerade bei Fußwegen - nicht mehr regelmäßig vorhanden sind und außerdem in der Regel Gebühren kosten.

d) Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt. Auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI liegen vor. Der Versicherungsverlauf ist bis August 2004 (Beginn der Rente) durchgängig mit Pflichtbeitragszeiten belegt (siehe Bl. 42 ff der Kontenklärungsakte).

e) Die Rente wegen voller Erwerbsminderung war vom 01. August 2004 bis zum 31. März 2013 zu befristen.

aa) Eine Rente aus eigener Versicherung wird nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Ergänzend hierzu bestimmt § 101 Abs. 1 SGB VI, dass befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Monats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 SGB VI grundsätzlich zu befristen, es sei denn, auf sie besteht ein Anspruch unabhängig von der Arbeitsmarktlage und es ist unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 SGB VI). Hierbei erfolgen Befristungen grundsätzlich für längstens drei Jahre (§ 102 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB VI), nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren ist davon auszugehen, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 SGB VI).

bb) Die Rente des Klägers war demnach zu befristen. Hierbei kann offen bleiben, ob sie von der Arbeitsmarktlage abhängt, was nicht ausgeschlossen ist, weil sich die üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts verändern können. Jedoch ist es nichtunwahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers soweit verbessert, dass er auch unter den gegenwärtigen Bedingungen des Arbeitsmarkts wieder arbeiten könnte. Zuletzt hat Dr. H. in seiner Vernehmung darauf hingewiesen, dass grundsätzlich ein künstlicher Darmausgang gesetzt werden könnte, was der Kläger bislang verweigert hat. Dass der Kläger zu einer solchen Operation nicht im Sinne von § 66 Abs. 1 SGB I verpflichtet ist, ändert an der Befristung nichts, da es hier allein auf die Möglichkeit einer Besserung des Gesundheitszustandes und nicht auf eine etwaige Duldungspflicht ankommt (vgl. BSG SozR 4-2600 § 102 Nr. 2).

cc) Die zugesprochene Rente beginnt mit dem Monat des Antrags, also dem 01. August 2004. Der Senat geht davon aus, dass der Versicherungsfall, nämlich die hohe Stuhlfrequenz des Klägers, zu diesem Zeitpunkt bereits länger als sechs Monate zurückgelegen hat, sodass § 101 Abs. 1 SGB VI nicht zu einem späteren Rentenbeginn führt.

dd) Nachdem der Senat die begehrte Rente auch für einen längeren Zeitraum in der Vergangenheit zuspricht, legt er für die Zukunft eine Befristung von noch drei Jahren fest, wie es dem Rechtsgedanken des § 102 Abs. 2 SGB VI entspricht. Liegt der Rentenbeginn auch zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung bereits länger als drei Jahre zurück, kann die Zeitrente nach § 102 Abs. 2 Satz 3 SGB X auch für die Zukunft befristet werden (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 102 SGB VI RdNr. 9). Das Ende der zugesprochenen Rente ist daher auf den 31. März 2013 zu legen.

2. Über einen Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach den allgemeinen Vorschriften (§ 43 Abs. 1 SGB VI) oder wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 1 SGB VI) ist vorliegend nicht zu entscheiden, da der Kläger diese Renten nicht beantragt hat, auch nicht hilfsweise. Da es sich bei diesen Renten um andere Renten und damit um andere Streitgegenstände handelt, kann auch nicht angenommen werden, entsprechende Anträge seien - als Minus - in dem Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung enthalten.

3. Der Senat verurteilt nach § 75 Abs. 5 SGG die Beigeladene. Eine solche Verurteilung ist möglich, da der geltend gemachte Anspruch dem Kläger entweder gegen die Beklagte oder die Beigeladene zusteht (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 75 Rn. 18).

Die Beigeladene ist nach § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI der örtlich zuständige Regionalträger, weil der Kläger seinen Wohnsitz im Land Baden-Württemberg und damit im Bereich der Beigeladenen hatte und hat. Eine andere örtliche Zuständigkeit ergibt sich nicht aus über- und zwischenstaatlichem Recht. Der Kläger hat keine Versicherungszeiten in Italien zurückgelegt, so dass die Beklagte nicht als die zuständige Verbindungsstelle örtlich zuständig ist.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG. Der Senat hielt es für angemessen, dem Kläger eine Kostenerstattung von zwei Dritteln zuzusprechen, nachdem er mit seinem Hilfsantrag teilweise Erfolg gehabt hat. Die Beklagte und die Beigeladene waren nach dem Rechtsgedanken des § 100 Abs. 1 ZPO nach Köpfen in die Kosten zu verurteilen. Im Anfechtungsteil der Klage ist auch die Beklagte unterlegen, nachdem ihr Ablehnungsbescheid aufgehoben wird. Eine gesamtschuldnerische Kostenhaftung der Beklagten und der Beigeladenen schied aus, da sie in der Hauptsache nicht als Gesamtschuldner verurteilt wurden (vgl. § 100 Abs. 4 ZPO)

5. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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