L 4 R 149/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 8755/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 149/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Dezember 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 5.192,48 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid über die Nachforderung von Beiträgen zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für eine Beschäftigung der Beigeladenen zu 1).

Die 1977 geborene Beigeladene zu 1) absolvierte vom 01. März 2002 bis zum 07. Januar 2003 bei der Klägerin, einem als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auftretenden Architekturbüro, ein Zwischenpraktikum, das im Rahmen ihres Studiums der Architektur an der Hochschule für Technik S. vorgeschrieben war. Im Anschluss daran beschäftigte die Klägerin die Beigeladene zu 1) weiter und zahlte ihr für die Zeit bis 31. Dezember 2003 Entgelt in Höhe von insgesamt EUR 22.190,00. Sie führte für diese Beschäftigung Beiträge zur Rentenversicherung (RV) ab, jedoch nicht zur Kranken- (KV) und Pflegeversicherung (PV) und nicht nach dem Recht der Arbeitsförderung (AloV). Die Klägerin ging davon aus, die Beigeladene zu 1) sei in diesen drei Versicherungszweigen als "Werkstudentin" versicherungsfrei.

Die Beklagte führte im April 2006 für die Jahre 2002 bis 2005 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Hinsichtlich der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) lagen u.a. die Gehaltsabrechnungen und Lohnkonten, die von der Beigeladenen zu 1) selbst angefertigten Stundenzettel sowie Unterlagen über das Studium vor (Bl. I 29 ff., 45 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten). Nach Anhörung der Klägerin (Schreiben der Beklagten vom 28. April 2006, Stellungnahme der Klägerin vom 07. Juni 2006) setzte die Beklagte mit Bescheid vom 09. August 2006 gegenüber der Klägerin eine Nachforderung von EUR 5.192,48 für die Beiträge zur KV (EUR 3.372,88), PV (EUR 377,24) und AloV (EUR 1.442,36) für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) vom 08. Januar bis 31. Dezember 2003 fest. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien nach dem "Werkstudentenprivileg" nur solche Studierenden versicherungsfrei, deren Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen werde, die also von ihrem Erscheinungsbild her keine Arbeitnehmer, sondern Studenten seien. Personen, die neben ihrem Studium wöchentlich mehr als 20 Stunden beschäftigt seien, seien grundsätzlich als Arbeitnehmer anzusehen. Werde die Beschäftigung mehr als 20 Stunden wöchentlich ausgeübt und sei diese Überschreitung vornehmlich durch Beschäftigungszeiten in den Abend- und Nachtstunden oder am Wochenende begründet, könne in Einzelfällen dennoch Versicherungsfreiheit bestehen, wenn die Zeit und Arbeitskraft gleichwohl durch das Studium in Anspruch genommen worden sei; den Nachweis hierüber habe der Student an Hand geeigneter Unterlagen zu erbringen. Die Beigeladene zu 1) habe ab dem 08. Januar 2003 eine durchgehende Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden ausgeübt und sei im Laufe des Jahres an mehr als 26 Wochen (182 Kalendertage) beschäftigt gewesen. Auch unter Berücksichtigung der Arbeitsstunden an Wochenenden und Feiertagen reiche die wöchentliche Arbeitszeit (Montag bis Freitag) weit über 20 Stunden hinaus. Sie habe zum Teil zwischen 40 und 60 Stunden betragen. Dies sei aus den monatlichen Anwesenheitslisten ersichtlich. Aus diesen sei nur die Anzahl der täglichen Arbeitsstunden ersichtlich, so dass nicht nachvollziehbar sei, ob vornehmlich in den Abend- und Nachtstunden gearbeitet worden sei. Genauere Nachweise hierzu lägen nicht vor, die Zeiterfassung zeichne dies nicht auf. In dieser Branche sei es nicht üblich, überwiegend abends oder nachts zu arbeiten. Ferner seien auch keine Zuschläge für Nachtarbeit an Arbeitnehmer gezahlt worden. Mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 bis 60 Stunden stehe das Studium mit 21 Pflichtwochenstunden nicht mehr im Vordergrund.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2006 zurück. Die Beigeladene zu 1) sei 2003 in 48 Wochen mehr als 20 Stunden wöchentlich bei der Klägerin beschäftigt gewesen, so dass Zeit und Arbeitskraft nicht überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen worden seien. Dass sie in dieser Zeit ihr Studium mustergültig geführt habe, könne nur als Indiz gewertet werden, da die Rechtsprechung des BSG lediglich die überwiegende Inanspruchnahme durch Beschäftigung oder Studium, nicht aber die mustergültige Führung des Studiums als Kriterium für die versicherungsrechtliche Beurteilung festgelegt habe. Da aus den Arbeitszeitnachweisen nicht zweifelsfrei erkennbar sei, zu welchen Tageszeiten die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt worden sei, sei die Beigeladene zu 1) nicht als ordentliche Studierende, sondern als Arbeitnehmerin zu beurteilen.

Die Klägerin erhob am 17. November 2006 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie machte wie bereits in der Stellungnahme zur Anhörung sowie mit ihrem Widerspruch (dort Verweis auf das Urteil des BSG vom 11. November 2003 - B 12 KR 24/03 R - SozR 4-2500 § 6 Nr. 3) geltend, nur dann, wenn zwischen dem Studium und der Beschäftigung kein prägender innerer Zusammenhang bestehe, komme es auf die zeitliche Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium an. Hier jedoch habe ein solcher Zusammenhang bestanden. Auch sei die Beschäftigung nach Zweck und Dauer dem Studium untergeordnet gewesen. Die Beigeladene zu 1) habe den Pflichten aus ihrem Studium nachkommen müssen, um praktische Erfahrungen zur Ergänzung des im Studium vermittelten theoretischen Wissens zu gewinnen. Im Betrieb herrsche ein postuniversitärer Charakter. Es werde überobligatorisch intensiv wie in einer universitären Projektgruppe gearbeitet. Die Beigeladene zu 1) sei deshalb tageweise bezahlt worden, quasi projektbezogen. Der Stundenaufschrieb von 40 bis 60 Stunden erkläre sich auch durch die zahlreiche Wochenendarbeit.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Auf Nachfrage des SG trug sie in der mündlichen Verhandlung vor, die Nachforderung betreffe nur das Jahr 2003, obwohl der Prüfzeitraum bis Ende 2005 gegangen sei. Offensichtlich habe der Prüfer nur die "Ausreißer", also Tätigkeiten von mehr als 20 Stunden durchschnittlich pro Woche, als versicherungspflichtig gewertet und sei im Übrigen von einer versicherungsfreien Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) ausgegangen.

Mit Beschluss vom 24. September 2007 lud das SG die Arbeitnehmerin und die zuständigen Träger der PV und AloV (nicht aber die Krankenkasse) zum Verfahren bei.

Die Beigeladene zu 1) trug im Termin zur mündlichen Verhandlung vor, sie habe regelmäßig und kontinuierlich die Vorlesungszeiten und Korrekturtermine ihres Studiums wahrgenommen. Teilweise habe sie auch im Team im Rahmen von Projektarbeit studiert. Sie habe bei der Klägerin oft früh morgens, etwa von 07:00 bis 09:00 Uhr vor der ersten Vorlesung, spät abends und am Wochenende gearbeitet. Die Arbeit habe ihr viel Spaß und Freude bereitet und mitentscheidend geholfen, das Studium erfolgreich zu absolvieren. Der eine Gesellschafter der Klägerin habe seinerzeit einen Lehrauftrag an einer (anderen) Fachhochschule inne gehabt. Er persönlich habe geholfen, das Studium erfolgreich zu absolvieren. Sie sei 2003 durchschnittlich 15 bis 20 Stunden wöchentlich vor Ort an der Hochschule gewesen. Zur Vorbereitung auf Prüfungen und Vorlesungen habe sie zu Hause, bei Freunden oder auch bei der Klägerin gelernt.

Mit Urteil vom 01. Dezember 2008 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 09. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2006 auf. Nach der Rechtsprechung des BSG liege eine "neben" dem Studium ausgeübte und damit in der KV, PV und AloV versicherungsfreie Beschäftigung nur vor, solange - bei Studenten, die vor Aufnahme ihres Studiums noch nicht abhängig beschäftigt gewesen seien - die Beschäftigung Zeit und Arbeitskraft des Studenten nicht überwiegend in Anspruch nehme. Bei einer während des Semesters ausgeübten Beschäftigung sei dies zu bejahen, sofern der zeitliche Umfang der Beschäftigung 20 Stunden wöchentlich nicht übersteige. Andererseits habe das BSG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden im Semester später nicht mehr als absolute Grenze, wohl aber als erhebliches Beweiszeichen angesehen, dem bei der Würdigung des Gesamtbildes besonderes Gewicht zukomme. Bestehe zwischen dem Studium und der begleitenden Berufstätigkeit ein enger innerer Zusammenhang, sei diesem Umstand eine größere Bedeutung beizumessen als der zeitlichen Inanspruchnahme. Zwischen der Berufstätigkeit der Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin und ihrem Fachhochschulstudium habe eine fachliche und sachliche Verbindung bestanden dergestalt, dass die zeitliche Vereinbarkeit von Studium und Beschäftigung in den Hintergrund trete und für die Frage, was Haupt- und was Nebensache gewesen sei, nur von untergeordneter Bedeutung sei. Es sei entscheidend auf den Zweck der Tätigkeit abzustellen. Dieser habe darin bestanden, dass sich die Beigeladene zu 1) in dem postuniversitären Arbeitsumfeld der Klägerin praktische studienbegleitende Kenntnisse habe aneignen können, um sich so in die Lage zu versetzen, theoretisches Studienwissen mit praktischen Fertigkeiten zu vernetzen und ihre Prüfungen - wie auch geschehen - sattelfest zu meistern.

Gegen das ihr am 12. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09. Januar 2009 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie trägt vor, die Klägerin habe nicht belegt, dass die Beigeladene zu 1) im streitigen Zeitraum ihrem Erscheinungsbild nach ordentliche Studierende gewesen sei. Mit ersichtlichen Wochenarbeitszeiten von 40 bis 60 Stunden seien die Voraussetzungen des "Werkstudentenprivilegs" unabhängig von Intensität oder Erfolg des Studiums und auch unabhängig von der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit für das Studium nicht erfüllt, denn bereits der beträchtliche zeitliche Umfang der Beschäftigung - mindestens im Umfang einer regulären Vollzeitbeschäftigung - belege, dass die Beschäftigung und nicht das Studium für die Beigeladene zu 1) die "Hauptsache" dargestellt habe. Das SG habe das (von ihm zitierte) Urteil des BSG vom 11. November 2003 - B 12 KR 4/03 R - (Parallelentscheidung zu dem Urteil vom 11. November 2003 - B 12 KR 24/03 R - SozR 4-2500 § 6 Nr. 3) in sein Gegenteil verkehrt. Mit seinen Ausführungen zum inneren Zusammenhang zwischen Studium und begleitender Berufstätigkeit und dem Zweck der Beschäftigung habe das BSG das Werksstudentenprivileg verneint. In seinen - das Werkstudentenprivileg verneinenden - Entscheidungen zur Fallgruppe der Studenten, die eine vor Aufnahme des Studiums bereits ausgeübte Beschäftigung fortgesetzt hätten, habe das BSG herausgearbeitet, dass zwischen der Berufstätigkeit und dem Studium ein enger innerer Zusammenhang bestehe, dem für die Feststellung des Erscheinungsbildes eine größere Bedeutung beigemessen worden sei als der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Beschäftigung. Aus den Stundenaufschrieben ergebe sich, dass die Beigeladene zu 1) durchgehend eine weit mehr als halbschichtige Beschäftigung ausgeübt habe und - selbst bei Außerachtlassung von an Wochenenden geleisteten Arbeitsstunden - bis zu 65 Wochenstunden gearbeitet habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 01. Dezember 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte habe die Begründung des Urteils des SG missverstanden. Die Beklagte verfolge einen schematischen Ansatz, sie meine, Versicherungsfreiheit liege nicht vor, wenn 20 Stunden überschritten seien. Dies entspreche nicht dem Anliegen des BSG. Die notwendig vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nach Zweck und Dauer ergebe, dass eine vollständige Unterordnung der Beschäftigung unter das Studium vorgelegen habe. Unabhängig von diesem Punkt habe die Beklagte weder erwähnt noch überhaupt bedacht, dass sie selbst für die Zeit vor und nach 2003 Versicherungsfreiheit angenommen habe und dass die Arbeit der Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin Teil des Studiums gewesen sei. Die Klägerin hat die der Beigeladenen zu 1) von der Hochschule für Technik S. erteilte Bescheinigung vom 23. Februar 2009 vorgelegt, wonach die Beigeladene 1) bis 28. Februar 2006 immatrikuliert gewesen sei, die Vorlesungen im Sommersemester am 17. März 2003 und im Wintersemester am 01. Oktober 2003 begonnen hätten sowie die Prüfungen in diesen Semestern vom 30. Juni bis 11. Juli 2003 und vom 12. bis 23. Januar 2004 gewesen seien.

Mit Beschluss vom 16. Juli 2009 hat der Senat die zuständige Krankenkasse ebenfalls zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Der Berichterstatter des Senats hat die Beigeladene zu 1) erneut persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 24. November 2009 verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Anders als das SG meint der Senat, dass der Bescheid der Beklagten vom 09. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2006 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, sodass die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG) der Klägerin unbegründet war. Es war daher das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

1. Die Beklagte war für den Erlass des angefochtenen Bescheids zuständig. Nach § 28p Abs. 1 Satz 5 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen von Prüfungen bei den Arbeitgebern nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der KV, PV und RV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide. Gemäß § 28g Satz 1 SGB IV werden die Beiträge in der KV und RV für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten oder Hausgewerbetreibenden sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur PV (Satz 2).

2. Die Beklagte hat zu Recht von der Klägerin für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) vom 08. Januar bis 31. Dezember 2003 den restlichen Anteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, also die Beiträge zur KV, PV und AloV, nachgefordert.

a) Dass die Beigeladene zu 1) in dieser Tätigkeit Beschäftigte im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und daher - dem Grunde nach - versicherungspflichtig in allen Zweigen der Sozialversicherung (§§ 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB V], § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB VI], § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB XI]) einschließlich des Rechts der Arbeitsförderung (§ 25 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB III]) war, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Nachdem die Beigeladene zu 1) in den Betrieb der Klägerin eingegliedert war und nach deren Weisung Arbeiten durchgeführt hat, z.T. an Projekten, sind Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit auch nicht ersichtlich.

b) Die Beigeladene zu 1) war in ihrer Tätigkeit auch nicht als "Werkstudentin" in der KV, PV und AloV versicherungsfrei.

aa) Versicherungsfrei in der KV sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V Personen, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Dies gilt gleichermaßen für die PV (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Nach dem Recht der Arbeitsförderung sind u. a. versicherungsfrei Personen, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule eine Beschäftigung ausüben (§ 27 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III). Die Beigeladene zu 1) war im streitigen Zeitraum vom 08. Januar bis 31. Dezember 2003 als Studentin an der Hochschule für Technik S. immatrikuliert (Bescheinigung der Hochschule vom 23. Dezember 2009).

Die Immatrikulation des - beschäftigten - Studenten an einer Hochschule ist allerdings eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für dieses so genannte Werkstudentenprivileg. Ausgehend davon, dass das Werkstudentenprivileg eine Ausnahme gegenüber der grundsätzlichen Versicherungspflicht eines Beschäftigten darstellt und sich "in der heutigen Zeit dogmatisch nur schwer begründen" lasse (Felix, in: jurisPK-SGB V, § 6 Rn. 37 m.w.N.), ist die Vorschrift eng und restriktiv auszulegen (Felix, a.a.O., Rn. 39).

Mit dieser Intention setzen die genannten Vorschriften nach der ständigen Rechtsprechung des BSG über ihren Wortlaut hinaus voraus, dass das Studium Zeit und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und der Beschäftigte damit auch seinem Erscheinungsbild nach Student und nicht Arbeitnehmer ist (so bereits BSG SozR 3-2200 § 172 Nr. 2 zur Vorläufervorschrift in § 172 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung [RVO]). Gesetzliches Leitbild des Werkstudentenprivilegs sind demnach Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen. Die Beschäftigung ist demgemäß nur versicherungsfrei, wenn und solange sie "neben" dem Studium ausgeübt wird, mithin das Studium die Hauptsache, die Beschäftigung die Nebensache ist (z.B. BSG SozR 3-2500 § 6 Nr. 16 m.w.N.; SozR 4-2500 § 6 Nr. 3). Seine Kriterien hierzu hat das BSG in drei Urteilen vom 11. November 2003 (B 12 KR 4/03 R [nicht veröffentlicht], B 12 KR 5/03 R [veröffentlicht in Juris] und B 12 KR 24/03 R [SozR 4-2500 § 6 Nr. 3]) zusammengefasst. Auf diese Entscheidungen haben sich auch die Beteiligten dieses Verfahrens umfassend gestützt. In diesen Urteilen hat das BSG zwei relevante Fallgruppen beschrieben, nämlich diejenigen, die während eines Studiums eine schon zuvor ausgeübte Beschäftigung fortsetzen und ggfs. ihre Arbeitszeit reduzieren und diejenigen, die erst während des Studiums eine Beschäftigung aufnehmen. Zur der zweiten Gruppe gehört die Beigeladene zu 1. Zu dieser zweiten Gruppe hat das BSG ausgeführt (Rn. 17):

"Hier hat das BSG bei einer Beschäftigung während des Semesters im Wesentlichen darauf abgestellt, ob die Beschäftigung Zeit und Arbeitskraft des Studenten überwiegend in Anspruch nimmt. Es hat dies bei einer während des Semesters ausgeübten Beschäftigung bejaht, sofern deren zeitlicher Umfang wöchentlich 20 Stunden übersteigt (vgl. z.B. BSGE 40, 93, 95 = SozR 2200 § 172 Nr. 3; SozR 2400 § 2 Nr. 3 S. 3; BSGE 44, 164, 165 = SozR 4100 § 134 Nr. 3). Eine in den von Studienanforderungen freien Semesterferien ausgeübte Beschäftigung steht dem Erscheinungsbild als Student auch dann nicht entgegen, wenn die genannte 20-Stunden-Grenze überschritten wird (BSGE 44, 164, 166 = SozR 4100 § 134 Nr. 3; SozR 2200 § 172 Nr. 12 S. 23). Allerdings wird bei einem längeren Ausschöpfen der 20-Stunden-Grenze im Semester und einer vollschichtigen Beschäftigung in den Semesterferien das Erscheinungsbild eines Arbeitnehmers bestehen, weil dann insgesamt eine weit mehr als halbschichtige Beschäftigung ausgeübt wird. Andererseits hat das BSG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden im Semester später nicht (mehr) als absolute Grenze, wohl aber als ein wesentliches Beweiszeichen angesehen, dem bei der Würdigung des Gesamtbildes besonderes Gewicht zukommt (vgl. BSGE 50, 25, 27 = SozR 2200 § 172 Nr. 14; BSG SozR 2200 § 172 Nr. 20 S. 45, 47). Die genannte 20-Stunden-Grenze war an einer früher üblichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ausgerichtet. Es sind später gelegentlich Zweifel daran geäußert worden, ob an der 20-Stunden-Grenze festzuhalten ist, wenn die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit auf weniger als 40 Stunden sinkt (vgl BSG SozR 3-2500 § 6 Nr. 16 S. 57). Der Senat hält einstweilen an der bisherigen Grenze fest. Sie ist bekannt und bewährt. Zudem ist gegenwärtig eher eine Entwicklung zu einer Verlängerung als zu einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit zu beobachten."

Nach dieser Rechtsprechung ist die 20-Stunden-Grenze nach wie vor maßgebliches Kriterium bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschäftigung oder das Studium das Erscheinungsbild des Betroffenen prägen. Ob ein innerer Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Studium besteht, ist dagegen - allenfalls - ein anderes Indiz, das aber weniger gewichtig ist als der zeitliche Umfang der Beschäftigung. Das BSG hat diesen Punkt nämlich bislang nur für die andere Fallgruppe angeführt, also für diejenigen Studenten, die eine bereits vor dem Studium ausgeübte Beschäftigung fortsetzen. Nur in diesen Fällen "bestand zwischen der fortgeführten Berufstätigkeit und dem Studium ein enger innerer Zusammenhang, dem für die Feststellung des Erscheinungsbildes eine größere Bedeutung beigemessen wurde als der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Beschäftigung" (BSG a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Selbst in dieser Fallgruppe hat das BSG dann aber - trotz eines solchen Zusammenhangs - das Werkstudentenprivileg verneint (SozR 3-2500 § 6 Nr. 16). In dem hier zitierten Urteil vom 11. November 2003 (a.a.O., Rn. 19) hat das BSG dann lediglich ausgeführt, dass auch bei einem solchen prägenden Zusammenhang das Werkstudentenprivileg eingreifen kann, wenn die bereits vor dem Studium ausgeübte Beschäftigung auf weniger als 20 Stunden verringert wird (im konkreten Fall 19,5 Stunden).

Auch aus inhaltlichen Gründen ist die 20-Stunden-Grenze als maßgeblich anzusehen, unabhängig davon, ob ein prägender Zusammenhang zwischen Studium und Beschäftigung besteht. Ob und inwieweit ein solcher Zusammenhang anzunehmen ist, ist oftmals schwierig festzustellen. Er wäre womöglich auch von der Art des Studiums abhängig, was zu nicht gerechtfertigten Differenzierungen zwischen verschiedenen Studienfächern (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG]) führen könnte. Für ein betriebswirtschaftliches Studium etwa könnte u.U. jegliche kaufmännische Tätigkeit herangezogen werden, für ein spezialisiertes technisches Studium dagegen sind für - ja noch nicht ausgebildete - Studenten kaum inhaltlich zusammenhängende Tätigkeiten vorhanden. Unabhängig von einem inhaltlichen Zusammenhang ist auch die Gefahr, dass sich ein Studium durch eine begleitende Berufstätigkeit verzögert. Und letztlich ist bei zeitlich längeren Beschäftigungen - die regelmäßig höhere Einkommen bedingen - auch keine Rechtfertigung für die Versicherungsfreiheit mehr ersichtlich. Es bestünde eher die Gefahr, dass sich in Vollzeit Beschäftigte über die Immatrikulation an einer Hochschule einen preiswerten Versicherungsschutz (insbesondere in der Krankenversicherung der Studenten) verschaffen, obwohl sie mit ihrem Gehalt ohne Weiteres den allgemeinen Beitragssätzen unterworfen werden könnten. Dies würde das Beitragsaufkommen der Sozialversicherung verringern. Außerdem wäre es eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Beschäftigten, die sich einen solchen Status als Student nicht ohne Weiteres verschaffen können (z. B. wegen Fehlens der Hochschulreife). Diese Differenzierung wäre kaum zu rechtfertigen.

Weiterhin ist es - im Rahmen der 20-Stunden-Grenze - aus Sicht des Senats unerheblich, wann die fragliche Arbeit geleistet wird. Ein Student, der früh morgens, spät abends oder am Wochenende insgesamt mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeitet, kann zwar eher an den Lehrveranstaltungen teilnehmen als bei einer Tagesbeschäftigung. Die Gesamtbelastung mit der damit verbundenen Gefahr einer Verlängerung des Studiums besteht jedoch gleichermaßen. Die übrigen genannten Gründe für die strikte 20-Stunden-Grenze liegen ebenfalls unabhängig von der Lage der Arbeitszeit in der Woche vor.

Ebenso unerheblich ist es, ob das Studium konkret unter der Beschäftigung leidet, sich die Gesamtstudiendauer also wegen der Beschäftigung konkret verlängert. Die Gefahr, dass dies geschieht, ist lediglich eine abstrakte Erwägung zur Rechtfertigung der 20-Stunden-Grenze. Ein entsprechender Nachweis im konkreten Fall ist dagegen nicht notwendig, er wäre auch kaum zu führen.

bb) Nach diesen Kriterien kommt der Beigeladenen zu 1 für ihre Tätigkeit für die Klägerin vom 08. Januar bis 31. Dezember 2003 das Werkstudentenprivileg nicht zugute.

Die Beigeladene zu 1) war weit über der Grenze von 20 Stunden wöchentlich tätig. Aus den von ihr geführten Anwesenheitslisten in der Verwaltungsakte der Beklagten ergibt sich, dass ihre wöchentliche Arbeitszeit sogar nur in drei Wochen während dieses Zeitraums unter 20 Stunden lag, nämlich vom 10. bis 14./16. März 2003 (7 Stunden), vom 13. bis 17./19. Oktober 2003 ("Urlaub") und vom 22. bis 26./28. Dezember 2003 (Weihnachten). Nur in einer weiteren Woche (16. bis 19. Dezember 2003) sind außerdem weniger als 20 "echte" Arbeitsstunden verzeichnet, nämlich 16, wobei hier noch weitere 16 Stunden "Skifahren" als Arbeitszeit angegeben sind. In allen anderen Wochen lag die Arbeitszeit z.T. weit über 20 Stunden (13. bis 19. Januar: 70,5; 20. bis 24./26. Januar: 60,5; 27. bis 31. Januar: 50 Stunden u.s.w.), und zwar durchgehend, also nicht nur in den Semesterferien. Hierbei lag auch regelmäßig nicht der größere Teil der Arbeitszeit am Wochenende, sondern durchaus unter der Woche, wobei die genaue tägliche Lage nicht angegeben ist und auch auswärtige Termine wahrgenommen worden sind.

Der Senat berücksichtigt ferner das Gehalt der Beigeladenen zu 1) von EUR 22.190,00 brutto im Jahr 2003, was durchschnittlich EUR 1.849,17 brutto im Monat entspricht. Es liegt weit über den BAföG-Höchstsätzen und auch über den üblichen Verdiensten in solchen Tätigkeiten, die Studenten "neben" dem Studium zur Absicherung ihres Lebensunterhalts ausüben.

c) Andere Gründe für eine Versicherungsfreiheit der Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) sind nicht ersichtlich. Insbesondere lag sie mit ihrem Verdienst über der Geringfügigkeitsgrenze.

d) Die geltend gemachte Beitragsnachforderung ist nicht verjährt (§ 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IV), auch hat sich die Klägerin nicht auf Verjährung berufen.

e) Die geltend gemachte Beitragsnachforderung schuldet die Klägerin als Arbeitgeber. Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber zu zahlen (vgl. § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Der vom Arbeitgeber zu zahlende Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfasst auch den Anteil, den der Beschäftigte (hier die Beigeladene zu 1)) zu tragen hat. Gegen den Beschäftigten hat der Arbeitgeber einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, der aber grundsätzlich nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden kann (§ 28g Satz 1 und 2 SGB IV).

f) Gegen die Berechnung der nachgeforderten Beiträge ist nichts vorgebracht oder ersichtlich. Bei einem Bruttoeinkommen von EUR 22.190,00 im Jahr 2003 - das insgesamt in der hier streitigen Zeit vom 08. Januar bis 31. Dezember 2003 ausbezahlt wurde - entsprechen Forderungen von EUR 3.372,88 zur KV einem Beitragssatz von 15,2 v.H., die EUR 377,24 zur PV einem Satz von 1,7 v.H. und die EUR 1.442,36 zur AloV dem damaligen Beitragssatz nach dem SGB III von 6,5 v.H.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

4. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Insbesondere weicht der Senat nicht im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG von der Rechtsprechung des BSG ab. Vielmehr sind die Urteile des BSG vom 11. November 2003 wie ausgeführt so zu verstehen, dass zumindest bei jenen Studenten, die ihre Beschäftigung erst während des Studiums aufnehmen, die 20-Stunden-Grenze maßgeblich ist, ohne dass es - entscheidend - auf einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Studium und Beschäftigung ankommt. Nicht anders hat der Senat entschieden.

5. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 und 3, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Im Streit stand eine Nachforderung an Beiträgen zur KV, PV und AloV in Höhe von EUR 5.192,48.
Rechtskraft
Aus
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