L 10 U 3101/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 5111/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3101/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.06.2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente auf Grund eines Arbeitsunfalls vom 22.06.1990.

Der am 1943 geborene Kläger war als selbstständiger Fliesenleger tätig und bei der Beklagten als Unternehmer versichert. Seit März 2005 bezieht er eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Am 22.06.1990 fiel dem Kläger ein Stapel Fliesen auf die rechte Hand, wobei der Kläger eine scapholunäre Dissoziation am rechten Handgelenk erlitt (Befundbericht des Dr. K. , S-Krankenhaus W. ). Bereits vor dem streitgegenständlichen Ereignis bestand bei dem Kläger eine sekundäre Radiocarpalarthrose links bei Ruptur der scapholunären Syndesmose, die im November 1989 operativ mittels einer Zuggurtungs¬arthrodese behandelt worden war (Entlassungsbericht des Dr. K. , S-Krankenhaus W. ).

Am 09.11.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten wegen der Beschwerden des rechten Handgelenks die Gewährung einer Verletztenrente. In dem im Auftrag der Beklagten erstatteten Gutachten beschrieb Prof. Dr. R. , Leitender Arzt des Traumatologischen Zentrums im O.-klinikum O. , einen fortgeschrittenen carpalen Kolaps an beiden Handgelenken nach Zerreißung des Bandes zwischen Kahnbein und Mondbein mit Bewegungseinschränkung beider Handgelenke, Belastungs- und Bewegungsschmerzen des rechten Handgelenks und einer Kraftminderung der rechten mehr als der linken Hand. Die Funktionseinschränkungen des rechten Handgelenks seien auf das Unfallereignis vom 22.06.1990 zurückzuführen, bei dem der Kläger eine Bandruptur zwischen Kahnbein und Mondbein erlitten habe. Bei dem Kläger bestehe eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung der rechten mehr als der linken Hand (handrückenwärts/hohlhandwärts rechts 40-0-35°, links 45-0-35°; ellenwärts/speichenwärts rechts 15-0-10°, links 30-0-15°). Die Kraftmessung habe eine Kraftminderung der rechten Hand um etwa 44% bei dem rechtshändigen Kläger ergeben. Die MdE sei ab dem Tag seiner Untersuchung (08.01.2008) mit 20 v.H. zu bewerten. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. Sch. (unter Berücksichtigung von Funktion und Röntgenbefund schlage er eine MdE von 10 v.H. vor) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2008 die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 22.06.1990 mit der Begründung ab, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nicht wenigstens um 20 v.H. gemindert. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2008 zurück.

Der Kläger hat am 15.10.2008 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben und geltend gemacht, die Entscheidung der Beklagten sei vor dem Hintergrund des Gutachtens des Prof. Dr. R. , der eine MdE um 20 v.H. angegeben habe, nicht nachvollziehbar.

In dem im Auftrag des Sozialgerichts erstatteten Gutachten hat Dr. L. , Facharzt für Chirurgie, Handchirurgie, eine erhebliche Minderung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Handgelenks und der rechten Hand durch eine erhebliche Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks (handrückenwärts/handhohlwärts 45-0-20°, ellenwärts/speichenwärts 20-0-20°) und eine erhebliche Kraftminderung der rechten Hand, radiologische Veränderungen des rechten Handgelenks und glaubhafte Beschwerden als Unfallfolgen beschrieben. Nehme man eine normale Beweglichkeit des Handgelenks nach streckseitig und beugeseitig von jeweils 70° sowie nach ellenseitig von 20° und nach speichenseitig von 10° an, ergebe sich rechts eine eingeschränkte Handgelenksbeweglichkeit nach streckseitig um 25° und nach beugeseitig um 50°. Die Hände hätten sich normal beweglich gezeigt, Faustschluss und Streckung seien beidseits vollständig gewesen, der Spitz- und Schlüsselgriff seien seitengleich kräftig erfolgt, der Hakengriff sei seitengleich sehr kräftig gelungen, der Grobgriff sei rechts sehr kräftig, links abgeschwächt erfolgt. Bei der Kraftprüfung (Vigorimetrie und Pinchmetrie) habe sich beidseits eine deutliche Kraftminderung ergeben. Die MdE sei mit 20 v.H. zu bewerten.

Zu dem Gutachten des Dr. L. hat die Beklagte eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. Thal, Arzt für Chirurgie, vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, die von Dr. L. zu Grunde gelegten Referenzwerte für eine Normalbeweglichkeit des Handgelenks seien unrealistisch. Lege man einen angemessenen und realistischen Mittelwert für die Bewegung der rechten Hand (handrückenwärts/hohlhandwärts 45-0-55°, ellenwärts/speichenwärts 35-0-25°) zu Grunde, ergebe sich unter Beibehaltung der von Dr. L. angenommenen Funktionswerte eine Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Handgelenk lediglich für die Beugung in einem Umfang von 35°. Eine wesentliche Einschränkung der Greiffunktion der Hände habe Dr. L. nicht beschrieben. Die von Dr. L. gemessene erhebliche Kraftminderung lasse sich objektiv nicht begründen. Gegen einen Mindergebrauch der rechten Hand spreche die Mehrbemuskelung des rechten Armes, der fehlende Nachweis einer verminderten Handflächenverschwielung rechts und der fehlende Nachweis einer Verringerung des Kalksalzgehalts. Unter Berücksichtigung der einschlägigen Gutachtenliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit) sei im Hinblick auf die bei dem Kläger bestehende globale Funktionseinschränkung des rechten Handgelenks um 60 ° eine MdE von 15 v.H. angemessen.

In seiner hierzu abgegebenen ergänzenden Stellungnahme hat Dr. L. ausgeführt, hinsichtlich des Vergleichswerts zur Ermittlung der Bewegungseinschränkung schlage er vor, nach der "in dubio pro reo"-Regel vorzugehen. Gehe man von den maximalen Ausschlägen in Schönberger/Mehrtens/Valentin (handrückenwärts/holhandwärts 60-0-60°, ellenwärts/speichenwärts 40-0-30°), ergebe sich eine Funktionseinschränkung des Handgelenks von 85°, nehme man die Mittelwerte, komme man auf eine Funktionseinschränkung von immerhin 70°. Nach der genannten Fachliteratur werde bei einem Speichenbruch, ausgeheilt in Fehlstellung mit einer Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um insgesamt 80° eine MdE von 30 angegeben, weshalb er bei einer MdE von 20 v.H. verbleibe. Die Mehrbemuskelung auf der rechten Seite könne nicht herangezogen werden, da auch die linke Seite erkrankt sei. Die gemessene erhebliche Kraftminderung der rechten Hand sei bei der schweren Radiocarpalarthrose rechts als realistisch einzuschätzen. Die Handflächenbeschwielung habe er als beidseits gleichmäßig und nicht sehr kräftig ausgeprägt beschrieben. Eine Aussage dazu, ob der Kalksalzgehalt der rechten Hand "normal" sei, könne nicht getroffen werden, er könne lediglich einen seitengleichen Kalksalzgehalt beider Hände anhand der radiologischen Befunde beschreiben. Insgesamt bleibe er daher bei der Einschätzung der MdE in Höhe von 20 v.H.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.06.2009 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger auf Grund des Arbeitsunfalls vom 22.06.1990 ab 01.01.2008 eine Verletztenrente in Höhe einer MdE um 20 v.H. zu gewähren und sich hierbei auf die Gutachten von Prof. Dr. R. und Dr. L. gestützt.

Gegen den am 23.06.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 08.07.2009 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, entsprechend den Ausführungen ihres Beratungsarztes Dr. T. erscheine es sachgerecht und angemessen, den Mittelwert der im Messblatt für obere Gliedmaßen für das Handgelenk vorgegebenen Funktionswert als Referenzwert zu Grunde zu legen. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., werde ein Speichenbruch mit erheblicher Achsenabknickung und Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um 80° mit einer MdE von 20 bis 30 v.H. bzw. der Mondbeintod mit Arthrose und Funktionseinbuße mit einer MdE von 10 bis 20 v.H. bewertet. Im Hinblick auf die bei dem Kläger bestehende globale Funktionseinschränkung des rechten Handgelenks um insgesamt 60° rechtfertige dies keine MdE in rentenberechtigendem Grade. Auch die von dem Kläger geltend gemachten Beschwerden an der rechten Hand seien nicht geeignet, eine höhere MdE zu begründen. Eine erhebliche Kraftminderung sei rechts objektiv nicht zu erklären, zudem bestehe am rechten Arm eine Mehrbemuskelung gegenüber dem linken Arm. Eine Herabsetzung des Kalksalzgehalts sei nicht festzustellen, zudem fehle der Nachweis einer verminderten Handflächenverschwielung. Außerdem habe der Kläger bei der Untersuchung durch den Sachverständigen den Faustschluss und die Streckung beidseits sowie den Spitz- und Schlüsselgriff sowie den Haken- und Grobgriff durchführen können.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.06.2009 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 05.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2008 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger ab 01.01.2008 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Das Ereignis vom 22.06.1990 stellt - dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig - einen Arbeitsunfall dar. Die darauf beruhenden Unfallfolgen bedingen auch nach Überzeugung des Senats eine MdE um 20 v. H. Der Senat stützt sich bei seiner Beurteilung auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachters Prof. Dr. R. und des im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. L ... Der Kläger hat - so Prof. Dr. R. - bei dem streitgegenständlichen Ereignis eine Zerreißung des Bandes zwischen Kahnbein und Mondbein erlitten. In Folge dessen leidet der Kläger, wie Prof. Dr. R. und Dr. L. übereinstimmend dargelegt haben, an einer Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks, einer erheblichen Kraftminderung der rechten Hand und darüber hinaus an Belastungs- und Bewegungsschmerzen des rechten Handgelenks. Die hierdurch bedingten Funktionseinschränkungen der rechten Hand haben Prof. Dr. R. und Dr. L. übereinstimmend mit einer MdE um 20 v. H. bewertet. Diese Bewertung ist nach Überzeugung des Senats schlüssig. Zwar kann, wie die Beklagte zu Recht geltend macht, entgegen der Auffassung von Dr. L. als Referenzwert für die Ermittlung der Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks nicht nach dem im Strafverfahren geltenden Grundsatz "in dubio pro reo" auf die in der Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 573) angegebenen Maximalwerte (handrückenwärts bis zu 60°, handhohlwärts bis zu 60°, ellenwärts bis zu 40°, speichenwärts bis zu 30°) abgestellt werden. Vielmehr gilt im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der objektiven Beweislast. Danach geht, wenn ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden kann, dies zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Aber auch ausgehend von den von der Beklagten und deren Beratungsarzt Dr. T. als Referenzwert für die Ermittlung der Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks zu Grunde gelegten Mittelwerten (Bewegung des Handgelenks handrückenwärts/hohlhandwärts 45-0-55°, ellenwärts/speichenwärts 35-0-25°) rechtfertigt die Gesamtheit der Funktionseinbußen an der rechten Hand eine MdE um 20 v.H.

Dies lässt sich allerdings - wie die Beklagte zu Recht geltend macht - nicht allein aus der tatsächlich bestehenden Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks herleiten. Denn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 544) ist eine MdE um 20 v.H. erst bei einer Einschränkung der Handgelenksbeweglichkeit um insgesamt 80° vorgesehen. Ausgehend von den von Prof. Dr. R. gemessenen Bewegungsmaßen (rechtes Handgelenk handrückenwärts/hohlhandwärts 40-0-35° und ellenwärts/speichenwärts 15-0-10°) und dem auch von der Beklagten zu Grunde gelegten Mittelwert für die Bewegung des rechten Handgelenks ergibt sich eine Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks von insgesamt 60° und nach den von Dr. L. erhobenen Bewegungsmaßen (rechtes Handgelenk handrückenwärts/hohlhandwärts 45-0-20° und ellenwärts/speichenwärts 20-0-20°) eine Bewegungseinschränkung von insgesamt 55°.

Die Funktionsfähigkeit der Hand bzw. des Handgelenks wird allerdings, wie Prof. Dr. R. und Dr. L. zutreffend berücksichtigt haben, nicht allein durch die unfallbedingt bestehende Bewegungseinschränkung des Handgelenks, sondern auch durch die unfallbedingt bestehende Kraftminderung der rechten Hand und insbesondere die bei dem Kläger sowohl nach Einschät¬zung von Prof. Dr. R. als auch nach Einschätzung von Dr. L. glaubhaften Belastungs- und Bewegungsschmerzen beeinträchtigt. Prof. Dr. R. und Dr. L. haben bei der Un¬tersuchung des Klägers übereinstimmend eine erhebliche Kraftminderung der rechten Hand be¬schrieben, die - so Prof. Dr. R. - eine Kraftminderung um etwa 44 % ergibt. Zudem hat sowohl Prof. Dr. R. als auch Dr. L. bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen des rechten Handgelenks beschrieben, die - ebenso wie die Kraftminderung der rechten Hand - auf Grund des radiologischen Befundes nachvollziehbar sind. So hat Dr. L. radiologisch eine schwere Radiocarpalarthrose bei Status nach scapholunärer Dissoziation mit Verbreiterung des SL-Spalts sowie Dorsalkippung des Os luntatum (DISI-Stellung) und Vergrößerung des scapholunären Winkels auf 90°, einen nahezu aufgehobenen Gelenkspalt zwischen Scaphoidspitze und Radiusgelenkfläche, eine spitzzipflige Ausziehung des Radiusstyloids und einen fortschreitenden carpalen Kollaps beschrieben. Hinsichtlich der schmerzhaft verursachten Funktionsbeeinträchtigungen hat der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. L. Schmerzen in der rechten Hand beim Tragen und Heben schwerer Gegenstände ab 10 kg, beim Schreiben mit Kuli, Füller oder Tastatur, bei allen gleichbleibenden Tätigkeiten, die länger als eine Minute in Anspruch nehmen, bei leichten Gartenarbeiten und bei allen Arbeiten, die nur mit der rechten Hand ausgeführt werden können (z. B. kleinere Reparaturarbeiten wie Schrauben anbringen oder entfernen, nageln mit dem Hammer, Brot schneiden, Brot streichen, Obst schälen, Öffnen von Gläserdeckeln oder Aufreißen von Folienbeuteln) und beim Autowaschen sowie dem Ausdrücken eines Schwammes angegeben. Diese Beschwerden sind, wie Dr. L. nachvollziehbar dargelegt hat, auf Grund des radiologischen Befundes ebenso wie die von dem Kläger bei der Untersuchung demonstrierte Kraftminderung glaubhaft, weshalb sie bei der Bemessung der MdE neben der reinen Bewegungseinschränkung des Handgelenks zu berücksichtigen sind. Damit rechtfertigen die beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen der rechten Hand und des rechten Handgelenks nach Überzeugung des Senats, gemessen an Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, eine MdE um 20 v. H.

Soweit die Beklagte demgegenüber, gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. T. geltend macht, eine erhebliche Kraftminderung sei rechts objektiv nicht zu erklären, da links identische radiomorphologische Veränderungen vorlägen, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Denn Dr. L. hat überzeugend dargelegt, dass die erhebliche Kraftminderung bei der schweren Radiocarpalarthrose rechts als realistisch einzuschätzen ist. Eine Kraftminderung liegt bei dem Kläger, wie sowohl Prof. Dr. R. als auch Dr. L. dargelegt hat, im Übrigen nicht nur rechts, sondern - bei ebenfalls schwerer Radiocarpalarthrose links - auch an der linken Hand, wenn auch etwas geringer ausgeprägt, vor. Zudem hat die Beklagte insoweit nicht berücksichtigt, dass - so Prof. Dr. R. - an der linken Hand eine operative Denervierung vorgenommen wurde, sodass trotz nahezu identischem radiologischen Befund auf der linken und rechten Seite die weitgehende Schmerzfreiheit des linken Handgelenks hierdurch zu erklären ist. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass der Kläger die an der rechten Gebrauchshand bestehende Kraftminderung in Folge der auch links vorhandenen Kraftminderung allenfalls bedingt durch einen vermehrten Einsatz der linken Hand ausgleichen kann.

Soweit die Beklagte auf Grund der Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. T. außerdem geltend macht, am rechten Arm bestehe eine Mehrbemuskelung gegenüber dem linken Arm, hat Dr. L. überzeugend dargelegt, dass diese Begründung nicht herangezogen werden kann, da auch die linke Seite erkrankt ist und Vergleiche somit nicht möglich sind. Hinsichtlich des von der Beklagten bemängelten fehlenden Nachweises einer verminderten Handflächenver¬schwielung hat Dr. L. in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass diese bei seiner Untersuchung beidseits gleichmäßig und nicht sehr kräftig ausgeprägt war. Damit kann von einem tatsächlich vermehrten Einsatz der rechten Hand nicht ausgegangen werden.

Soweit die Beklagte außerdem ausführt, dass eine Herabsetzung des Kalksalzgehalts an Hand der vorliegenden radiologischen Aufnahmen nicht festzustellen sei, hat Dr. L. nachvollziehbar dargelegt, dass mit einem einseitig verminderten Kalksalzgehalt nur bei nur einseitig vorhandenen Veränderungen und einem nur einseitig verminderten Krafteinsatz zu rechnen sei, was bei dem Kläger gerade nicht der Fall ist. Soweit die Beklagte außerdem geltend gemacht hat, bei der Untersuchung durch Dr. L. seien der Faustschluss und die Streckung beidseits vollständig möglich gewesen und der Kläger habe auch Spitz- und Schlüsselgriff sowie Haken- und Grobgriff durchführen können, rechtfertigt auch dies keine andere Beurteilung. Denn diese Greiffunktionen kann der Kläger, wie sich aus seiner glaubhaften Beschwerdeschilderung ergibt, beim alltäglichen Einsatz - und damit auch im Berufsleben - unfallbedingt nur eingeschränkt einsetzen, da einerseits die Greiffunktionen nicht lange gehalten werden können und zudem die bereits beschriebene erhebliche Kraftminderung besteht. Insgesamt ergeben sich damit auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten und deren Beratungsarzt, Dr. T. geäußerten Bedenken keine Zweifel an der Schlüssigkeit der Bewertung der MdE durch Prof. Dr. R. und Dr. L ...

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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