Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 4105/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2338/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. April 2009 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger ab 1. September 2006 zustehenden Arbeitslosengelds (Alg).
Der 1953 geborene Kläger war ab 1. Januar 2002 als Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung am 31. August 2006. Die Lohnabrechnung für den Monat August 2006 erfolgte am 4. September 2006. Nach dieser Lohnabrechnung erzielte der Kläger im August 2006 2.807,11 EUR brutto.
Am 21. Juni 2006 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 31. August 2006 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 26. September 2006 Alg ab 1. September 2006 mit einem täglichen Leistungssatz von 26,61 EUR (Bemessungsentgelt 68,29 EUR). Hierbei ging sie von einem Bemessungszeitraum vom 1. September 2005 bis 31. Juli 2006 aus, wobei nach der Arbeitsbescheinigung in diesem Zeitraum von 334 Kalendertagen ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 22.807,92 EUR erzielt worden war.
Mit seinem Widerspruch vom 25. Oktober 2006 machte der Kläger geltend, dass bei der Berechnung des Bemessungsentgelts die Lohnzahlung für August 2006 nicht berücksichtigt worden sei, weil der Arbeitgeber diese Beträge in der Arbeitsbescheinigung nicht aufgeführt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, dass der Bemessungszeitraum gemäß § 130 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen umfasse. Der Monat August 2006 sei vom Arbeitgeber beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet gewesen und dürfe somit nicht in den Bemessungszeitraum einbezogen werden.
Hiergegen richtet sich die am 8. November 2006 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2009 die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 26. September 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2006 verurteilt, dem Kläger Alg in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung des Monats August 2006 als Entgeltzeitraum zu bewilligen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass Bemessungsentgelt das gemäß § 131 Abs. 1 SGB III durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt sei, welches der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III gälten Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber auf die geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 112 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) reagiert, welches mit Entscheidung vom 28. Juni 1995 (- 7 RAr 102/94 - BSGE 76, 162 = SozR 3 - 4100 § 112 Nr. 22) von der reinen Zuflusstheorie abgerückt sei. Das BSG gehe insoweit davon aus, dass der Begriff "erzielt" eine Korrektur vertragswidriger Lohnabrechnungen nicht ausschließe. Es komme lediglich darauf an, dass der Nachzahlungsbetrag nicht erst durch eine nachträgliche Vertragsänderung entstanden sei. Maßgeblich für die Rechtsprechungsänderung sei der Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entnommene Umstand, dass ein Arbeitsloser, dem ein Teil seines Arbeitsentgelts zunächst rechtswidrig vorenthalten worden sei, bei der Leistungsbemessung nicht schlechter gestellt werden dürfe als derjenige, dessen Arbeitsentgelt rechtzeitig und vollständig ausgezahlt worden sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei auch § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III dahingehend auszulegen, dass als abgerechnete Entgeltabrechnungszeiträume auch diejenigen Entgeltabrechnungszeiträume zu berücksichtigen seien, welche zunächst vertragswidrig vor dem Ausscheiden nicht abgerechnet worden seien und erst später endgültig abgerechnet und vollständig ausbezahlt worden seien. Andernfalls wäre die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur fehlerhafter Lohnabrechnungen ausgeschlossen, da für diese das Merkmal "abgerechnet" grundsätzlich zu verneinen sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei das Entgelt des Klägers für August 2006 bei der Bemessung zu berücksichtigen.
Gegen das ihr am 24. April 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Mai 2009 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie führt zur Begründung aus, dass ein Entgeltabrechnungszeitraum im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgerechnet sei, wenn der Arbeitgeber das für diesen Zeitraum erarbeitete Arbeitsentgelt vollständig errechnet habe, so dass es ohne weitere Rechenoperationen an den Arbeitnehmer ausgezahlt oder überwiesen werden könne. Entgeltabrechnungszeiträume zählten nur, wenn sie vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet worden seien. Der Kläger sei am 31. August 2006 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden, die Abrechnung für August sei jedoch erst am 4. September 2006 und somit nach dem Ausscheiden erfolgt. Der Monat August 2006 liege mithin nicht im Bemessungszeitraum nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Die Auffassung des SG, dass ein Fall nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegeben sei, sei nicht zutreffend. Für die Anwendung dieser Vorschrift sei ebenfalls erforderlich, dass eine Abrechnung des Lohnabrechnungszeitraums vor dem Ausscheiden erfolgt sei. Im Übrigen liege hier keine streitige Forderung vor. Eine Nachzahlung im Sinne einer nachträglichen Vertragserfüllung sei gerade nicht gegeben, sondern es sei lediglich zeitlich bedingt, dass die Abrechnung für August 2006 am 4. September 2006 erstellt worden sei (unter Hinweis auf Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 26. März 2009 - L 10 AL 253/07 - (juris)).
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Das SG weise zurecht darauf hin, dass als abgerechnete Entgeltabrechnungszeiträume auch diejenigen Zeiträume zu berücksichtigen seien, die erst später abgerechnet worden seien. Die Begründung überzeuge. Ansonsten hätte der Arbeitgeber es in der Hand, den Abrechnungszeitraum bei der Berechnung des Alg zu bestimmen. Dies könne der Gesetzgeber nicht gewollt haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist statthaft (§ 143 SGG), da die Berufung angesichts des Alg-Bezugs des Klägers vom 1. September 2006 bis 18. November 2007 einen Leistungszeitraum von mehr als einem Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte hat das Alg zutreffend berechnet und dabei zurecht das im August 2006 erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht gelassen.
Nach § 129 SGB III bemisst sich die Höhe des Alg nach dem pauschalierten Netto-Entgelt (Leistungsentgelt), das sich aus dem Brutto-Entgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind (§ 131 Abs. 1 SGB III). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten versicherungspflichtigen Pflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 3 SGB III).
Der Bemessungsrahmen umfasst vorliegend den Zeitraum 1. September 2005 bis 31. August 2006. Der Bemessungszeitraum umfasst den Zeitraum vom 1. September 2005 bis 31. Juli 2006, denn das Arbeitsentgelt für August 2006 wurde erst am 4. September 2006 und somit nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechnet. Das Arbeitsentgelt für August 2006 in Höhe von 2.807,11 EUR brutto kann nach alledem bei der Berechnung des Alg nicht berücksichtigt werden. Denn erst wenn das erarbeitete Arbeitsentgelt vollständig errechnet ist, so dass es ohne weiteres an den Arbeitsnehmer ausgezahlt werden kann, ist der Entgeltabrechnungszeitraum abgerechnet.
An der Festlegung des Bemessungszeitraums nach dem Merkmal der vollständigen Abrechnung hat sich durch den Wandel der Rechtsprechung zum sogenannten Zuflussprinzip nichts geändert (BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 12). Mit der vom SG zitierten Entscheidung (BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 22) hatte das BSG in Abkehr von der früheren Rechtsprechung (vgl. SozR 4100 § 112 Nr. 5) den vermittelnden Standpunkt einer kombinierten Anspruchs- und Zuflusstheorie eingenommen, der eine Korrektur vertragswidriger Lohnabrechnungen auf der Grundlage des § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG ermöglichte. Danach war § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG dahingehend auszulegen, dass als "erzielt" im Sinne dieser Regelung auch diejenigen Teile des Arbeitsentgeltes zu berücksichtigen waren, die dem Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden in Folge nachträglicher Vertragserfüllung für den Bemessungszeitraum zugeflossen waren. Grund hierfür war, dass Arbeitslose, denen Teile des Arbeitsentgelts zunächst rechtswidrig vorenthalten, aber später nachgezahlt worden waren, bei der Leistungsbemessung nicht schlechter stehen durften als diejenigen, deren Arbeitsentgelt rechtzeitig und vollständig ausgezahlt worden war. Dagegen ist das BSG ausdrücklich nicht der sogenannten Anspruchstheorie gefolgt, nach der dasjenige Arbeitsentgelt als erzielt anzusehen ist, das der Arbeitslose rechtlich für den Bemessungszeitraum zu beanspruchen hat.
Diese Rechtsprechung, wie auch die Vorschrift des § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III (vgl. zur Begründung der inhaltsgleichen Regelung des § 134 Abs. 1 Satz 2 a.F.: BR-Drucks. 550/96 Anhang 7.1 S. 82) bezieht sich indes auf streitige Forderungen und Nachzahlungen im Sinne einer nachträglichen Vertragserfüllung. Die allein zeitlich bedingte Lohnabrechnung erst im Folgemonat ist hiervon nicht umfasst (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26. März 2009, a.a.O.; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 12; Rolfs in Gagel, SGB III, § 130 Rdnr. 29 und § 131 Rdnr. 19).
Da die Beklagte das Alg entsprechend den Eintragungen in der Steuerkarte nach dem allgemeinen Leistungssatz (ohne Kind) in Höhe von täglich 26,61 EUR zutreffend berechnet hat, ist der Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger ab 1. September 2006 zustehenden Arbeitslosengelds (Alg).
Der 1953 geborene Kläger war ab 1. Januar 2002 als Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung am 31. August 2006. Die Lohnabrechnung für den Monat August 2006 erfolgte am 4. September 2006. Nach dieser Lohnabrechnung erzielte der Kläger im August 2006 2.807,11 EUR brutto.
Am 21. Juni 2006 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 31. August 2006 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 26. September 2006 Alg ab 1. September 2006 mit einem täglichen Leistungssatz von 26,61 EUR (Bemessungsentgelt 68,29 EUR). Hierbei ging sie von einem Bemessungszeitraum vom 1. September 2005 bis 31. Juli 2006 aus, wobei nach der Arbeitsbescheinigung in diesem Zeitraum von 334 Kalendertagen ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 22.807,92 EUR erzielt worden war.
Mit seinem Widerspruch vom 25. Oktober 2006 machte der Kläger geltend, dass bei der Berechnung des Bemessungsentgelts die Lohnzahlung für August 2006 nicht berücksichtigt worden sei, weil der Arbeitgeber diese Beträge in der Arbeitsbescheinigung nicht aufgeführt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, dass der Bemessungszeitraum gemäß § 130 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen umfasse. Der Monat August 2006 sei vom Arbeitgeber beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet gewesen und dürfe somit nicht in den Bemessungszeitraum einbezogen werden.
Hiergegen richtet sich die am 8. November 2006 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2009 die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 26. September 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2006 verurteilt, dem Kläger Alg in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung des Monats August 2006 als Entgeltzeitraum zu bewilligen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass Bemessungsentgelt das gemäß § 131 Abs. 1 SGB III durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt sei, welches der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III gälten Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe, als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen seien. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber auf die geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 112 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) reagiert, welches mit Entscheidung vom 28. Juni 1995 (- 7 RAr 102/94 - BSGE 76, 162 = SozR 3 - 4100 § 112 Nr. 22) von der reinen Zuflusstheorie abgerückt sei. Das BSG gehe insoweit davon aus, dass der Begriff "erzielt" eine Korrektur vertragswidriger Lohnabrechnungen nicht ausschließe. Es komme lediglich darauf an, dass der Nachzahlungsbetrag nicht erst durch eine nachträgliche Vertragsänderung entstanden sei. Maßgeblich für die Rechtsprechungsänderung sei der Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entnommene Umstand, dass ein Arbeitsloser, dem ein Teil seines Arbeitsentgelts zunächst rechtswidrig vorenthalten worden sei, bei der Leistungsbemessung nicht schlechter gestellt werden dürfe als derjenige, dessen Arbeitsentgelt rechtzeitig und vollständig ausgezahlt worden sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei auch § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III dahingehend auszulegen, dass als abgerechnete Entgeltabrechnungszeiträume auch diejenigen Entgeltabrechnungszeiträume zu berücksichtigen seien, welche zunächst vertragswidrig vor dem Ausscheiden nicht abgerechnet worden seien und erst später endgültig abgerechnet und vollständig ausbezahlt worden seien. Andernfalls wäre die verfassungsrechtlich gebotene Korrektur fehlerhafter Lohnabrechnungen ausgeschlossen, da für diese das Merkmal "abgerechnet" grundsätzlich zu verneinen sei. Unter diesem Gesichtspunkt sei das Entgelt des Klägers für August 2006 bei der Bemessung zu berücksichtigen.
Gegen das ihr am 24. April 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Mai 2009 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie führt zur Begründung aus, dass ein Entgeltabrechnungszeitraum im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III abgerechnet sei, wenn der Arbeitgeber das für diesen Zeitraum erarbeitete Arbeitsentgelt vollständig errechnet habe, so dass es ohne weitere Rechenoperationen an den Arbeitnehmer ausgezahlt oder überwiesen werden könne. Entgeltabrechnungszeiträume zählten nur, wenn sie vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet worden seien. Der Kläger sei am 31. August 2006 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden, die Abrechnung für August sei jedoch erst am 4. September 2006 und somit nach dem Ausscheiden erfolgt. Der Monat August 2006 liege mithin nicht im Bemessungszeitraum nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Die Auffassung des SG, dass ein Fall nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegeben sei, sei nicht zutreffend. Für die Anwendung dieser Vorschrift sei ebenfalls erforderlich, dass eine Abrechnung des Lohnabrechnungszeitraums vor dem Ausscheiden erfolgt sei. Im Übrigen liege hier keine streitige Forderung vor. Eine Nachzahlung im Sinne einer nachträglichen Vertragserfüllung sei gerade nicht gegeben, sondern es sei lediglich zeitlich bedingt, dass die Abrechnung für August 2006 am 4. September 2006 erstellt worden sei (unter Hinweis auf Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 26. März 2009 - L 10 AL 253/07 - (juris)).
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Das SG weise zurecht darauf hin, dass als abgerechnete Entgeltabrechnungszeiträume auch diejenigen Zeiträume zu berücksichtigen seien, die erst später abgerechnet worden seien. Die Begründung überzeuge. Ansonsten hätte der Arbeitgeber es in der Hand, den Abrechnungszeitraum bei der Berechnung des Alg zu bestimmen. Dies könne der Gesetzgeber nicht gewollt haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist statthaft (§ 143 SGG), da die Berufung angesichts des Alg-Bezugs des Klägers vom 1. September 2006 bis 18. November 2007 einen Leistungszeitraum von mehr als einem Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte hat das Alg zutreffend berechnet und dabei zurecht das im August 2006 erzielte Arbeitsentgelt außer Betracht gelassen.
Nach § 129 SGB III bemisst sich die Höhe des Alg nach dem pauschalierten Netto-Entgelt (Leistungsentgelt), das sich aus dem Brutto-Entgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind (§ 131 Abs. 1 SGB III). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten versicherungspflichtigen Pflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 3 SGB III).
Der Bemessungsrahmen umfasst vorliegend den Zeitraum 1. September 2005 bis 31. August 2006. Der Bemessungszeitraum umfasst den Zeitraum vom 1. September 2005 bis 31. Juli 2006, denn das Arbeitsentgelt für August 2006 wurde erst am 4. September 2006 und somit nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechnet. Das Arbeitsentgelt für August 2006 in Höhe von 2.807,11 EUR brutto kann nach alledem bei der Berechnung des Alg nicht berücksichtigt werden. Denn erst wenn das erarbeitete Arbeitsentgelt vollständig errechnet ist, so dass es ohne weiteres an den Arbeitsnehmer ausgezahlt werden kann, ist der Entgeltabrechnungszeitraum abgerechnet.
An der Festlegung des Bemessungszeitraums nach dem Merkmal der vollständigen Abrechnung hat sich durch den Wandel der Rechtsprechung zum sogenannten Zuflussprinzip nichts geändert (BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 12). Mit der vom SG zitierten Entscheidung (BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 22) hatte das BSG in Abkehr von der früheren Rechtsprechung (vgl. SozR 4100 § 112 Nr. 5) den vermittelnden Standpunkt einer kombinierten Anspruchs- und Zuflusstheorie eingenommen, der eine Korrektur vertragswidriger Lohnabrechnungen auf der Grundlage des § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG ermöglichte. Danach war § 112 Abs. 1 Satz 1 AFG im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG dahingehend auszulegen, dass als "erzielt" im Sinne dieser Regelung auch diejenigen Teile des Arbeitsentgeltes zu berücksichtigen waren, die dem Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden in Folge nachträglicher Vertragserfüllung für den Bemessungszeitraum zugeflossen waren. Grund hierfür war, dass Arbeitslose, denen Teile des Arbeitsentgelts zunächst rechtswidrig vorenthalten, aber später nachgezahlt worden waren, bei der Leistungsbemessung nicht schlechter stehen durften als diejenigen, deren Arbeitsentgelt rechtzeitig und vollständig ausgezahlt worden war. Dagegen ist das BSG ausdrücklich nicht der sogenannten Anspruchstheorie gefolgt, nach der dasjenige Arbeitsentgelt als erzielt anzusehen ist, das der Arbeitslose rechtlich für den Bemessungszeitraum zu beanspruchen hat.
Diese Rechtsprechung, wie auch die Vorschrift des § 131 Abs. 1 Satz 2 SGB III (vgl. zur Begründung der inhaltsgleichen Regelung des § 134 Abs. 1 Satz 2 a.F.: BR-Drucks. 550/96 Anhang 7.1 S. 82) bezieht sich indes auf streitige Forderungen und Nachzahlungen im Sinne einer nachträglichen Vertragserfüllung. Die allein zeitlich bedingte Lohnabrechnung erst im Folgemonat ist hiervon nicht umfasst (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 26. März 2009, a.a.O.; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 12; Rolfs in Gagel, SGB III, § 130 Rdnr. 29 und § 131 Rdnr. 19).
Da die Beklagte das Alg entsprechend den Eintragungen in der Steuerkarte nach dem allgemeinen Leistungssatz (ohne Kind) in Höhe von täglich 26,61 EUR zutreffend berechnet hat, ist der Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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