L 7 SO 2277/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1042/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2277/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere ist sie auch statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Nach dem maßgeblichen Schreiben des Antragstellers vom 2. Mai 2010 ist Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zunächst das Begehren des Antragstellers, den Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, um EUR 351,63 monatlich höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab 9. Februar 2010 zzgl. " aktuellen " Zinsen zu zahlen. Die gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz beschränkt sich bei bereits bewilligten Leistungen auf den Zeitraum des jeweiligen Bewilligungsabschnittes (Senatsbeschlüsse vom 23. März 2010 - L 7 SO 86/10 ER-B - und vom 28. April 2008 - L 7 AS 1707/08 ER-B -). Denn auch in der Hauptsache würden Bewilligungsbescheide über sich anschließende Zeiträume nicht kraft Gesetzes gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand eines Berufungsverfahrens (Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-4200 § 22 Nr. 1). Da im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich keine weiteren Rechtspositionen eingeräumt werden können als im Hauptsacheverfahren möglich, kann zulässiger Gegenstand der Beschwerde maximal die Zeit bis zum Ablauf des im Bescheid vom 28. Januar 2010 geregelten Bewilligungsabschnitts sein, also bis 30. Juni 2010. Darüber hinaus begehrt der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung "angeforderter Vorschusszahlungen in ermessensgerechter Höhe".

Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Reutlingen (SG) hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebotes der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruches auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide (juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - beide (juris)).

Unter Berücksichtigung der genannten Vorgaben und Maßstäbe liegt hinsichtlich der laufenden Leistungsgewährung ein Anordnungsanspruch nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Er gehört zu dem leistungsberechtigten Personenkreis des § 41 SGB XII, was auch nicht im Streit steht. Nach § 42 Satz 1 SGB XII umfassen die Leistungen der Grundsicherung insbesondere den Regelsatz nach § 28 SGB XII, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 29 SGB XII sowie Mehr- und einmalige Bedarfe entsprechend §§ 30 und 31 SGB XII. Mit Ausnahme der in den genannten Vorschriften gesondert geregelten Bedarfe wird der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts durch den Regelsatz erbracht (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Dieser wird durch die Landesregierung gemäß der Regelsatzverordnung nach § 40 SGB XII festgelegt und beträgt aktuell EUR 359.-. Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann somit nicht von einem Existenzminimum i.H.v. EUR 985.- monatlich für eine Einzelperson ausgegangen werden. Anderes ergibt sich auch nicht aus der von ihm angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - SGb 2010, 227). Das BVerfG hatte in diesem Urteil zwar die Unvereinbarkeit der im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch gesetzlich geregelten Regelleistungen mit dem Grundgesetz festgestellt. Die dortige Regelleistung für Alleinstehende entspricht in Höhe und Zusammensetzung dem für den Antragsteller maßgeblichen Regelsatz nach § 28 SGB XII. Die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz wurde jedoch gerade nicht damit begründet, dass die Regelleistung nicht zur Deckung des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums ausreiche. Vielmehr hat das BVerfG gerade ausdrücklich dargelegt, dass die Leistung nicht evident unzureichend ist (bestätigt in Nichtannahmebeschlüssen vom 18. Februar 2010 - 1 BvR 1523/08 - und 24. März 2010 - 1 BvR 395/09 - (jeweils juris)). Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, inwieweit nach dieser Rechtsprechung des BVerfG eine Prüfung des nicht durch formelles Gesetz, sondern durch Rechtsverordnung festgelegten Regelsatzes nach § 28 SGB XII durch die Fachgerichte möglich ist. Denn der Antragsteller hat nicht substantiiert vorgetragen und dargelegt, welche Bedarfslagen nicht oder unzureichend erfasst seien. Die nur pauschale Behauptung eines vom Regelsatz abweichenden Betrages "gem. statistischem Bundesamt" bietet keinen Anlass von den festgelegten Beträgen abzurücken, zumal das BVerfG in der Entscheidung vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) ausdrücklich betont hatte, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukommt und eine bestimmte Methode zur Feststellung des Existenzminimums verfassungsrechtlich nicht vorgeschrieben ist.

Die Bedarfe waren vorliegend auch nicht nach der Öffnungsklausel des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII abweichend festzulegen. Dies ist nach der gesetzlichen Regelung nur möglich, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Hierzu hat der Antragsteller jedoch nichts Konkretes vorgetragen, erst recht nicht glaubhaft gemacht. Den vorgelegten Verwaltungsakten sind insoweit ebenfalls keine Anhaltspunkte zu entnehmen. Für einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII fehlt es an einem Nachweis, dass das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist. Nach § 30 Abs. 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Den vorliegenden Verwaltungsakten ist lediglich zu entnehmen, dass der Antragsteller zwischenzeitlich die Notwendigkeit einer lipidsenkenden Kost geltend gemacht hat. Nachweise hierfür, insbesondere ein entsprechendes ärztliches Attest hat er jedoch trotz Anforderung des Antragsgegners nicht vorgelegt. Ein Vortrag zu dieser Kostform ist im vorliegenden Verfahren nicht erfolgt. Es ist daher nicht darüber zu entscheiden, ob die Notwendigkeit einer solchen Kostform überhaupt einen Mehrbedarf i.S.d. § 30 Abs. 5 SGB XII auslöst (verneinend z.B. Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2008 - L 7 AS 4314/08 ER-B). Der Antragsgegner hat seiner Berechnung daher zu Recht allein den Regelsatz i.H.v. EUR 359.- zugrunde gelegt.

Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hat der Antragsgegner i.H.v. EUR 274,37 angesetzt. Ausgehend von der tatsächlich geschuldeten Warmmiete i.H.v. EUR 294.- monatlich wurden lediglich die - bereits im Regelsatz enthaltenen - Kosten der Warmwasserbereitung und die Kosten für den nicht der Unterkunft dienenden Kfz-Stellplatz i.H.v. EUR 13.- nicht berücksichtigt. Dies begegnet bei der hier vorzunehmenden Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keinen Bedenken.

Zutreffend hat der Antragsgegner dem so ermittelten Bedarf gem. §§ 19 Abs. 2, 41 Abs. 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 und 2 SGB XII als Einkommen den Auszahlungsbetrag der Altersrente i.H.v. EUR 445,62 gegenübergestellt. Die Zuwendungen, die der Antragsteller von seinem Sohn erhält, wurden nicht berücksichtigt. Die vorgenommene Berechnung ist somit zumindest für den Antragsteller nicht nachteilig.

Für in der Vergangenheit liegende Leistungszeiträume vor Antragstellung bei Gericht hat das SG einen Anordnungsgrund zutreffend verneint. Denn die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind (vgl. schon Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 2005 - L 7 SO 2060/05 ER-B - (juris) und vom 1. August 2005 a.a.O.; ferner Senatsbeschluss vom 28. März 2007 - L 7 AS 1214/07 ER-B- (juris)). Einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit herbeizuführen, ist deshalb grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine Ausnahme ist bei einer begehrten Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 a.a.O.; ferner Krodel, NZS 2007, 20, 21 (m.w.N. aus der Rechtsprechung)). Einen derartigen Nachholbedarf zur Sicherung der Existenz hat der Antragsteller indessen nicht vorgetragen oder gar glaubhaft gemacht. Dies gilt auch für die nunmehr im Rahmen der einstweiligen Anordnung begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von zu früheren Zeitpunkten und für mittlerweile zurückliegende Zeiträume "angeforderten Vorschusszahlungen".

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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