L 11 R 937/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1554/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 937/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. November wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Klageverfahren zwischen den Beteiligten vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) mit dem Aktenzeichen S 2 R 3871/08 wegen einer Klagerücknahme der Klägerin erledigt ist und ob der Klägerin Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zusteht.

Die am 08. Dezember 1949 geborene Klägerin erlernte von April 1964 bis September 1965 den Beruf der Kleidernäherin und übte diesen Beruf bis 1972 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis aus. Anschließend arbeitete sie bis 1975 als Kabelprüferin und in den Monaten März und April 1994 als Industrienäherin. Hieran schloss sich bis Juni 1994 eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit an. Für den Monat Januar 1995 wurde ein freiwilliger Beitrag entrichtet. Zwischen April 1999 und Oktober 2002 war die Klägerin stundenweise erneut versicherungspflichtig als Näherin beschäftigt. Zwischen dem 31. März und 31. Dezember 2004 ist eine Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vorgemerkt (Versicherungsverlauf vom 23. Juni 2005). Seit 26. November 2001 beträgt der Grad der Behinderung (GdB) 50 und seit dem 18. Oktober 2002 60.

Einen ersten Rentenantrag der Klägerin vom Januar 1998, den die Klägerin damit begründete, dass sie sich seit 1961 wegen Migräne, Depressionen, Kopfschmerzen, Wirbelsäulenbeschwerden, Gleichgewichtsstörungen und Fehlatmung für berufs- oder erwerbsunfähig halte, lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ab, nachdem im maßgeblichen Zeitraum vom 15. Januar 1993 bis 14. Januar 1998 nur vier Kalendermonate mit Beiträgen belegt waren (Bescheid vom 05. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juni 1998). Die hiergegen erhobene Klage unter dem Aktenzeichen S 8 RJ 1826/98 nahm die Klägerin zurück.

Am 06. Dezember 2002 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Auch diesen lehnte die Beklagte ab, da die Klägerin noch in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten (Bescheid vom 07. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Juli 2003). Die hiergegen unter dem Aktenzeichen S 7 R 2317/03 erhobene Klage und die sich daran anschließende Berufung unter dem Aktenzeichen L 11 R 5190/05 blieben erfolglos (Urteil des SG vom 30. September 2005; Senatsurteil vom 11. Juli 2006). Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Senats vom 11. Juli 2006 wurde vom Bundessozialgericht (BSG) unter dem Aktenzeichen B 13/4 R 379/06 B als unzulässig verworfen (Beschluss vom 12. Juli 2007).

Am 18. März 2008 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 25. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zwar bestehe seit dem 31. Januar 2001 eine volle Erwerbsminderung, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente seien jedoch nicht erfüllt. Im maßgeblichen Zeitraum vom 31. Januar 1996 bis 30. Januar 2001 seien nur ein Jahr und zehn Kalendermonate mit entsprechenden Beiträgen belegt. Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten unter nochmaligem Hinweis darauf, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden seien, zurück (Widerspruchsbescheid vom 11. November 2008).

Hiergegen erhob die Klägerin am 26. November 2008 beim SG unter dem Aktenzeichen S 2 R 3871/08 Klage, mit der sie geltend machte, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt. Sie habe vom 01. Januar 1999 bis 31. Oktober 2002 Pflichtbeiträge entrichtet. Von 1984 bis 1989 sei sie wegen Krankheit und der Kinder zuhause geblieben, wobei die Krankheit bereits 1974 angefangen habe. Ihr Mann habe 1991 einen schweren Unfall erlitten und sie habe die Pflege übernommen. Man habe sie nicht ausreichend informiert, sonst hätte sie bereits 1983 eine Rente beantragt. Auch sei ihr von der Beklagten im Dezember 2002 gesagt worden, dass alles in Ordnung sei.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 03. April 2009 gab die Klägerin ausweislich der Niederschrift (Blatt 16 -17 der SG-Akte S 2 R 3871/08) an, dass sie den Rechtsstreit für erledigt erkläre; ausweislich der Niederschrift wurde diese Erklärung der Klägerin vorgespielt und von dieser genehmigt.

Mit dem am 21. April 2009 beim SG eingegangenen Schreiben hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe niemals gesagt, dass der Rechtsstreit erledigt sei. Außerdem ergebe sich aus dem Gesetz, dass die Voraussetzungen einer Rente erfüllt seien, wenn man länger als fünf Jahre arbeitslos gewesen sei. Sie könne nichts dafür, dass sie krank geworden sei. Das SG hat den Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 2 R 1554/09 fortgeführt.

Mit Urteil vom 23. November 2009 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe in der nichtöffentlichen Verhandlung vom 03. April 2009 den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Erklärung der Klägerin sei durch Diktat festgehalten, wobei die vorläufige Tonbandaufzeichnung ihr vorgespielt und auch von ihr genehmigt worden sei. Dies ergebe sich aus der Niederschrift über die Verhandlung vom 03. April 2009. Dass die Klägerin nicht das Wort "Klagerücknahme" gewählt habe, sondern den Rechtsstreit für "erledigt" erklärt habe, ändere an den Rechtsfolgen nichts, da die einseitige Erledigungserklärung in der Sache eine Klagerücknahme darstelle. Dies habe zur Folge, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei. Das Vorbringen der Klägerin, sie habe den Rechtsstreit niemals für erledigt erklärt, widerspreche den Feststellungen im Protokoll und auch den Erinnerungen des Kammervorsitzenden. Im Übrigen handle es sich bei der Niederschrift um eine öffentliche Urkunde im Sinne der §§ 415, 417, 418 Zivilprozessordnung (ZPO). Diese Urkunde erbringe den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, also auch der Erledigungserklärung der Klägerin. Ein Gegenbeweis sei nur durch substantiierten Vortrag eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufes möglich. Das bloße Bestreiten genüge nicht, um die Beweiskraft der Urkunde zu erschüttern. Es müsse vielmehr bewiesen werden, dass die beurkundete Tatsache unrichtig sei. Die bloße Behauptung der Klägerin, sie habe die beurkundete Erklärung nicht abgegeben, reiche deshalb nicht aus, um die Beweiskraft der Niederschrift der nicht-öffentlichen Sitzung zu erschüttert.

Gegen das der Klägerin am 28. Januar 2010 zugestellte Urteil hat diese am 16. Februar 2010 beim SG Berufung eingelegt und erklärt, sie erhebe Widerspruch, da der Versicherungsverlauf mit fehlenden und falschen Daten eingetragen sei. Hierauf habe sie die Beklagte immer wieder hingewiesen. Sie hoffe, die Sache mit der Beklagten klären zu können.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23. November 2009 aufzuheben und festzustellen, dass das Klageverfahren S 2 R 3871/08 nicht erledigt ist sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01. März 2008 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Mit Schreiben vom 15. März 2010 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligen wird auf die Gerichtsakten erster (Az: S 2 R 3871/08 und S 2 R 1554/09) und zweiter (Az: L 11 R 937/10) Instanz und auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Da der Senat die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Die gemäß §§ 143, 151 Abs 2 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Begehren der Klägerin hat keinen Erfolg. Denn der Rechtsstreit S 2 R 3871/08 ist aufgrund der von der Klägerin formwirksam und ohne Einschränkung abgegebenen Erledigungserklärung vom 03. April 2009 erledigt.

Über die Wirksamkeit der Erledigungserklärung war in Fortsetzung des Klageverfahrens S 2 R 3871/08 zu entscheiden, in dem diese erklärt wurde (BSG, Urteil vom 26. Juli 1989 - 11 RAr 31/88 = SozR 1500 § 73 Nr 6). Gemäß § 102 Satz 1 SGG kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurückgenommen werden. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (Satz 2). Diese Rechtswirkung ist vorliegend eingetreten. Die prozessfähige Klägerin hat im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 03. April 2009 den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Dies ergibt sich bereits aus der Niederschrift über diesen Termin (Blatt 16/17 der SG-Akte in dem Verfahren S 2 R 3871/08), der insofern Beweiskraft zukommt (vgl § 122 SGG iVm § 165 ZPO). Die maßgeblichen Protokollierungsvorschriften des § 122 SGG iVm mit den § 160 Abs 3 Nr 8, 162 Abs 1 Satz 2 und 3 ZPO sind gewahrt worden. Der Kammervorsitzende hat die seitens der Klägerin erklärte Erledigungserklärung protokolliert und anschließend vermerkt, dass die vorläufige Aufzeichnung vorgespielt und genehmigt wurde. Ob die Einhaltung dieser Vorschriften für die Wirksamkeit der protokollierten Prozesshandlung erforderlich ist (bejahend LSG Rheinland-Pfalz, Entscheidungen vom 14. Januar - L 2 J 32/73 - und 04. Februar 1974 - L 2 J 65/73 = Breithaupt 1974, 906 ff, 993 ff; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 156 RdNr 2; Bley in Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 156 RdNr 18; aA BSG, Urteil vom 12. März 1981 - 11 RA 52/80 = SozR 1500 § 102 Nr 4), brauchte der Senat deshalb nicht zu entscheiden.

Das SG hat in diesem Zusammenhang auch zutreffend darauf hingewiesen, dass im sozialgerichtlichen Verfahren bereits die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache führt. Denn sie stellt sich in der vorliegenden prozessualen Konstellation als Klagerücknahme im Sinne des § 102 SG dar (vgl hierzu ausführlich Roller NZS 2003, 357).

Als den Rechtsstreit beendende Prozesserklärung kann die von der Klägerin zu Protokoll erklärte Erledigung weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums (§ 119 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) angefochten werden (BSG, Beschluss vom 24. April 2003 - B 11 AL 33/03 B mwN, veröffentlicht in juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 156 RdNr 2a). Zwar können auch Prozesshandlungen grundsätzlich im Verlauf des weiteren Verfahrens widerrufen, ergänzt, geändert oder berichtigt werden, dies gilt jedoch nur solange der Rechtsstreit anhängig ist (Putzo in Thomas/Putzo, ZPO, Einleitung III, RdNr 21). Unwiderruflich und nicht abänderungsfähig sind darüber hinaus solche Prozesshandlungen, durch die der Prozessgegner eine Rechtsstellung erlangt oder aufgrund derer er seine Rechtsstellung eingerichtet hat (Bundesfinanzhof [BFH], Beschluss vom 08. August 1991- VI B 134/90 = BFH/NV 1992, 49; Bayerisches LSG, Urteil vom 16. Oktober 2001 - L 15 V 37/01- veröffentlicht in juris). Dies ist bei der Erledigungserklärung der Fall. Für eine Anfechtung der Erledigung in entsprechender Anwendung des § 123 BGB ist schon deshalb kein Raum, weil der Vortrag der Klägerin hierzu völlig unsubstantiiert ist, abgesehen davon, dass auch insoweit die Anfechtung der Erledigung ausgeschlossen wäre (vgl BSG, Beschluss vom 12. August 1961 - 3 RK 13/59 = SozR Nr 6 zu § 102 SGG). Auch ein Widerruf der Erledigungserklärung entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage (vgl BSG, Urteil vom 24. April 1980 - 9 RV 16/79- veröffentlicht in juris) kommt nicht in Betracht, da ein gesetzlicher Restitutionsgrund im Sinne des § 179 Abs 1 SGG iVm § 580 ZPO (insbesondere: falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, strafbares falsches Zeugnis oder Gutachten, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters, Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde) weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist; abgesehen davon wären auch die Voraussetzungen des § 581 Abs 1 ZPO nicht erfüllt. Ob ein Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 579 ZPO ebenfalls einen Widerruf rechtfertigen könnte, kann dahingestellt bleiben, denn die in § 579 Abs 1 ZPO aufgeführten Nichtigkeitsgründe (unvorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts, Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen oder wegen Befangenheit abgelehnten Richters, den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechende Vertretung eines Beteiligten) liegen ebenfalls nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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