L 3 SB 5540/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 1997/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5540/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Oktober 2009 und der Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2007 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Grad der Behinderung mit 70 seit 19. September 2006 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ein Viertel der außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob der Klägerin ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 60 zusteht und ob bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Merkzeichen "RF") vorliegen.

Bei der 1951 geborenen Klägerin hatte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 16.07.2004 ab 18.02.2004 einen GdB von 60 festgestellt. Dieser Einschätzung hatte der Beklagte eine Depression, funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 30), eine Schwerhörigkeit (Teil-GdB 30), eine Funktionsbehinderung des rechten Handgelenkes (Teil-GdB 10), eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes (Teil-GdB 20), ein Nierensteinleiden (Teil-GdB 10) und einen Bluthochdruck, Kopfschmerzsyndrom (Teil-GdB 20) zugrunde gelegt. Die gleichzeitig beantragte Feststellung der Merkzeichen "G" und "RF" war abgelehnt worden.

Am 19.09.2006 beantragte die Klägerin eine weitere Erhöhung des GdB sowie die Feststellung der Merkzeichen "Gl" (Nachteilsausgleich im Nahverkehr/bei der Kfz-Steuer wegen Gehörlosigkeit) und "RF".

Der Beklagte zog hierauf einen Befundbericht der Hausärztin der Klägerin K.-K. vom 18.09.2006, in dem die Diagnosen einer Nephrolithiasis (links), eines HWS-Syndroms, eines Wirbelsäulensyndroms, einer Struma, einer Adipositas, eines Supraspinatus-Syndroms (rechts), eines Harnleitersteins (rechts), eines Zustands nach Skoliose, einer Schwerhörigkeit, einer Arthrose (rechtes Handgelenk), einer Coxa valga (beidseits), einer Migräne, einer Carotisstenose (rechts), einer Hypertonie (arterielle), eines Schmerzsyndroms (chronisches), einer chronischen Gastritis und einer Hiathushernie gestellt wurden und ergänzend auf eine schwere Depression hingewiesen wurde und dem Arztbriefe der die Klägerin behandelnden Fachärzte aus den Jahren 2005 und 2006 beigefügt waren, und den Operationsbericht des S.-B.-Klinikums in V.-S. vom 24.07.2006 (Entfernung beider Adnexe bei Zustand nach Hysterektomie) bei und lehnte anschließend nach Einholung einer Stellungnahme von Dr. P. mit Bescheid vom 27.10.2006 eine Neufeststellung und die Zuerkennung der Merkzeichen "Gl" und RF" ab. Die Depression und die funktionellen Organbeschwerden wurden nunmehr als Depression, funktionelle Organbeschwerden, chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgiesyndrom, Kopfschmerzsyndrom bezeichnet und mit einem Teil-GdB von 40 bewertet, für den Bluthochdruck wurde ohne das Kopfschmerzsyndrom weiterhin ein Teil-GdB von 20 berücksichtigt und zusätzlich wurde der Verlust der Gebärmutter, Verlust der Eierstöcke mit einem Teil-GdB von 10 anerkannt.

Auf den von der Klägerin hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem sie insbesondere die Bewertung der Depression beanstandete und darauf hinwies, dass sie wegen ihrer psychischen Störungen nicht mehr in der Lage sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, zog der Beklagte noch einen Befundbericht des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. vom 02.02.2007 bei und wies anschließend unter Berücksichtigung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2007 zurück.

Gegen die Nichtzuerkennung des Merkzeichens "RF" und die Ablehnung der Erhöhung des GdB hat die Klägerin am 22.05.2007 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie unter Vorlage des Entlassbriefs des S.-B.-Klinikums V.-S. vom 18.06.2007 (Diagnosen: Frozen sholder rechts, RM-Teilruptur; Therapie: Narkosemobilisation rechte Schulter am 04.06.2007, diagnostische MRT der Schulter rechts am 13.06.2007) im Wesentlichen noch einmal vorgetragen, dass die Depression, aber auch die Beschwerden im Bereich der Schulter zu niedrig bewertet seien und die psychischen Störungen bei ihr die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" rechtfertigten.

Das SG hat Dr. G., den Orthopäden Dr. M. und die Hausärztin K.-K. als sachverständige Zeugen gehört.

Dr. G. hat unter dem 25.10.2007 mitgeteilt, dass er die Klägerin wegen Cervicobrachialgien und einer Depression behandelt habe. Zuletzt habe sie im Mai 2007 erneut über starke Schmerzen im rechten Arm geklagt. Für die Wurzelreizerscheinungen würde er einen GdB zwischen 30 und 40 vorschlagen. Er hat seiner Auskunft eigene Arztbriefe und Arztbriefe der Radiologen Dr. S. und Dr. S. vom 07.03.2005 bzw. 09.02.2007 beigefügt.

Dr. M. hat unter dem 30.10.2007 unter Beifügung von Arztbriefen des Dr. G. und des Radiologen Dr. R. im Hinblick auf den aktuellen Beschwerdestand der Klägerin über eine rechtsseitige Cervico-Brachialgie unter Miteinbezug der rechten Schulter berichtet und sich der Bewertung durch den Beklagten angeschlossen.

Die Ärztin K.-K. hat unter dem 19.11.2007 unter Beifügung des Medikamentenplans, des Laborblatts, einer Ergometerbelastung, Ultraschallbefunden und Arztbriefen des S.-B.-Klinikums V.-S. sowie des Arztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. K., des Dr. G., des Internisten Dr. B. sowie des Dr. M. ausgeführt, dass sich die orthopädischen Beschwerden und das Schmerzsyndrom der Klägerin verschlimmert hätten, die Klägerin sei sehr depressiv. Von dem Beklagten nicht berücksichtigt worden sei die Hiatushernie, die immer wieder auch abdominelle Beschwerden mit verursache. Die chronischen Schmerzen seien ihres Erachtens nicht ausreichend gewürdigt.

Für den Beklagten hat sich hierzu Dr. M. in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.03.2008 dahingehend geäußert, dass die anerkannten Funktionsbehinderungen korrekt eingestuft seien und der Nachteilsausgleich "RF" nicht zugestanden werden könne.

Im Anschluss daran hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. G. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 24.08.2008 ausgeführt, bei der Klägerin bestehe auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet ein chronifizierendes depressives Syndrom, etwa mittelgradiger Ausprägung und der dringende Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Seit 16.07.2004 sei bezüglich des depressiven Geschehens keine wesentliche Änderung eingetreten. Der Teil-GdB für die Funktionsbeeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet betrage 40. Insgesamt ergebe sich ein Gesamt-GdB von 60. Abgeklärt werden sollten aber noch eine Carotis-Stenose links, das Postcholecystektomie-Syndrom und die früher diagnostizierte Hiatushernie. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" lägen nicht vor.

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch Einholung des orthopädischen Gutachtens des PD Dr. S. gemäß § 109 SGG. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 08.04.2009 bei der Klägerin ein Verschleißleiden der Wirbelsäule mit unterschiedlicher Ausprägung in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten, eine sehr gering ausgeprägte Skoliose der Brustwirbelsäule, eine Degeneration der Rotatorenmanschette an der rechten Schulter mit erheblicher Einengung des subacromialen Raumes infolge Oberarmkopfhochstand und Formveränderung des Acromions, eine erhebliche Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit rechts und eine Myotendinose der pelvitrochanteren Muskulatur links diagnostiziert. Der GdB auf orthopädischem Fachgebiet sei mit 20 derzeit sachgerecht eingeschätzt. Der Besuch öffentlicher Veranstaltungen sei der Klägerin zumutbar.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich hierbei im Wesentlichen auf die von Dr. G. und Dr. S. erstatteten Gutachten und die Darlegungen im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid sowie die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. gestützt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" lägen nicht vor.

Gegen den am 09.11.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30.11.2009 Berufung eingelegt. Sie ist weiter der Ansicht, dass die Beeinträchtigungen auf psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet zu niedrig festgesetzt worden sind und die Hiatushernie fehlerhaft bisher überhaupt nicht berücksichtigt worden sei. Insgesamt sei bei ihr ein Gesamt-GdB von 80 anzuerkennen. Sie sei nicht in der Lage, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen, sodass die Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" vorlägen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2007 zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 80 und das Merkzeichen "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass der vorliegende medizinische Sachverhalt mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend gewürdigt ist.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 07.04.2010 erörtert. Auf die hierüber gefertigte Niederschrift vom 07.04.2010 (Bl. 26/27 der LSG-Akte) wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten und die Schwerbehindertenakten des Beklagten Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist auch teilweise begründet. Der GdB der Klägerin ist ab 19.09.2006 mit 70 festzustellen. Insoweit sind der Gerichtsbescheid des SG und die angefochtenen Bescheide abzuändern.

Wegen der für die GdB-Feststellung erforderlichen Voraussetzungen und der hierfür maßgeblichen Rechtsvorschriften sowie der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" nimmt der Senat auf die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 und § 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist festzustellen, dass zwischenzeitlich die im Wesentlichen mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2004 gleichlautenden AHP 2008 in Kraft getreten waren, die ihrerseits aber schon wieder durch die ebenfalls im Wesentlichen unveränderten Teile A und B der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ersetzt worden sind.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die einzelnen Teil-GdB-Werte nach Auffassung des Senats aus den vom SG ausführlich und zutreffend dargestellten Gründen angemessen und zutreffend bewertet. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass diese Einzel-GdB-Werte auch den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 25.10.2006, 12.04.2007 und 28.03.2008 entsprechen und bezüglich der Depression insbesondere auch nicht von dem behandelnden Nervenarzt Dr. G. und bezüglich der orthopädischen Beschwerden nicht von dem behandelnden Orthopäden Dr. M. beanstandet werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil Dr. G. für die Cervicalbrachialgie einen GdB von 30 bis 40 vorgeschlagen hat, denn die bei der Klägerin vorliegenden Befunde werden einer solchen Bewertung nicht gerecht. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule war bei der Begutachtung der Klägerin durch Dr. S. zwar eingeschränkt, er fand jedoch keinen auffallenden Hartspann und auch ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule liegt nach den kernspintomographischen Aufnahmen nicht vor. Die rechte Schulter war bezüglich des Vor- und Rückhebens zwischen 95-0-40 ° beweglich. Dies bedingt nach den VMG Teil B Nr. 18.9 sowie Teil B Nr. 18.13 einen GdB von insgesamt 20 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks.

Für die Depression, funktionelle Organbeschwerden, chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgiesyndrom, Kopfschmerzsyndrom ist kein höherer GdB als 40 anzusetzen. Dies gilt auch unter Beachtung der Tatsache, dass Dr. G. in seinem Gutachten vom 24.08.2008. auf S. 39 seines Gutachtens ausgeführt hat, dass bezüglich des depressiven Geschehens seit dem 16.07.2004 keine wesentliche Änderung eingetreten und der GdB mit 40 zu bewerten sei, während nach dem Bescheid vom 16.07.2004 für die Depression, funktionelle Organbeschwerden noch ein Teil-GdB von 30 und im Bescheid vom 27.10.2006 hierfür ein Teil-GdB von 40 berücksichtigt wurde. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht, ob der Gutachter von einer Verschlechterung ausgeht, sondern wie er den GdB letztendlich bewertet und insoweit befindet er sich im Einklang mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen und Dr. G ... Abgesehen davon besteht insoweit auch kein Widerspruch, denn die Erhöhung erfolgte - worauf auch das SG hinwies - nicht wegen einer Zunahme der Depression, sondern wegen einer Zunahme des Schmerzerlebens. Eine weitere Verschlechterung geht insoweit auch nicht aufgrund der Angaben der Klägerin im Erörterungstermin hervor. Die Notwendigkeit einer stationären Behandlung im Krankenhaus Rottenmünster hat Dr. G. schon ausweislich seines Arztbriefes vom 28.06.2006 angesprochen. Bisher erfolgte noch keine Einweisung.

Einen höheren Teil-GdB als 10 rechtfertigt auch nicht die Funktionsbehinderung des rechten Handgelenkes der Klägerin. Für eine Bewegungseinschränkung des Handgelenks geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 30/0/40) sehen die VMG Teil B Nr. 18.13 einen GdB zwischen 0 und 10 vor. Bei der Begutachtung durch Dr. S. war das rechte Handgelenk der Klägerin zwischen 40/0/80 ° beweglich. Die Konturen beider Handgelenke waren glatt, es bestand kein Erguss, keine Kapselschwellung und auch das Fingerspreizen und der Faustschluss waren beidseits ohne Einschränkung möglich. Festgestellt werden konnte lediglich eine Einschränkung der Translation zwischen der proximalen Handwurzelreihe und dem Vorderarm rechts auf die Hälfte und in der Sehne des Musc. abductor pollicis rechts fand sich eine erbsengroße, derbe Knotenbildung. Dieser Befund, der bezüglich der Verdickung auch dem von Dr. G. erstatteten Gutachten entspricht, rechtfertigt angesichts der nahezu fehlenden Funktionseinschränkung keinen höheren GdB als 10.

Als weitere Behinderung zu berücksichtigen ist bei der Klägerin aber noch eine Hiatushernie, die nach der sachverständigen Zeugenauskunft der Hausärztin K.-K. immer wieder abdominelle Beschwerden verursacht. Anlässlich des Erörterungstermins hat die Klägerin insoweit beinahe täglich auftretende krampfartige Schmerzen erwähnt, die aber auf eine medikamentöse Behandlung ansprächen. Auch Dr. G. gegenüber hat sie über gelegentliche postprandial auftretende Krämpfe und Oberbauchschmerzen berichtet. Nach dem Arztbrief von Dr. B. vom 27.06.2006 zeigte sich bei der durchgeführten Gastroskopie eine leichte Hiatushernie. Die VMG sehen in Teil B Nr. 11.3 für Zwerchfellbrüche ohne wesentliche Funktionsstörung einen GdB zwischen 0 und 10 und für größere Zwerchfellbrüche je nach Funktionsstörung einen GdB zwischen 20 und 30 vor. Nachdem es sich insoweit nur um eine leichte Hernie handelt und die Krämpfe mit Medikamenten behandelbar sind, ist nach Auffassung des Senats ein Teil-GdB von 10 hierfür angemessen und ausreichend.

Weitere Behinderungen sind bei der Klägerin nicht anzuerkennen. Dies gilt Bezug nehmend auf die Ausführungen des SG insbesondere auch im Hinblick auf die Stenose der Arteria carotis interna links, aber auch den Zustand nach Cholezystektomie, nachdem seit der laparoskopischen Cholezystektomie am 10.08.2007, deren Verlauf sich als komplikationslos gestaltete, von den behandelnden Ärzten nicht mehr über fortbestehende Beschwerden wie bei Gallenwegskrank¬heiten berichtet wird und der Verlust der Gallenblase ohne wesentliche Störungen nach Teil B Nr. 10.3.5 keinen GdB rechtfertigt.

Ausgehend von der mit einem Teil-GdB-Wert von 40 bewerteten Funktionsbeeinträchtigung von Seiten der Depression, der funktionellen Organbeschwerden, des chronischen Schmerzsyndroms, des Fibromyalgiesyndroms und des Kopfschmerzsyndroms, einem Teil-GdB-Wert von 30 für die Schwerhörigkeit, Teil-GdB-Werten von jeweils 20 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule einschließlich Bandscheibenschaden und Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes sowie Bluthochdruck und Teil-GdB-Werten von jeweils 10 für die Funktionsbehinderung des rechten Handgelenkes, Verlust der Gebärmutter einschließlich der Eierstöcke, des Nierensteinleidens und der Hiatushernie wird nach Auffassung des Senats hier jedoch in Anwendung von Teil A Nr. 3 der VMG ein Gesamt-GdB von 70 erreicht. Danach ist dann, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen maßgebend, welche Auswirkungen die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander haben. Es ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit ist hier zu berücksichtigen, dass die Depression mit dem chronischen Schmerzsyndrom sich zwar mit der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und des rechten Schultergelenkes überschneidet und sie sich nur gering gegenseitig verstärken. Auf völlig anderem Gebiet liegt jedoch die Schwerhörigkeit und auch der Bluthochdruck, die mit Teil-GdB-Werten von 30 bzw. 20 zu berücksichtigen sind und zusätzlich zu beachten sind auch die vier weiteren Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten des rechten Handgelenkes, des Verlustes der Gebärmutter und der Eierstöcke, des Nierensteinleidens und der Hiatushernie. Zwar bedingen diese jeweils nur Teil-GdB-Werte von 10, was grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führt. Doch ist hier zu beachten, dass sich das Nierensteinleiden und die Hiatushernie gegenseitig verstärken können und auch die Funktionsbehinderung des rechten Handgelenkes sich negativ auf die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes auswirkt, sodass hier ausnahmsweise unter Heranziehung auch dieser Teil-GdB-Werte insgesamt ein Gesamt-GdB von 70 gerechtfertigt ist.

Einen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilausgleichs "RF" hat die Klägerin nicht.

Streitgegenstand des Verfahrens ist insoweit nicht die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, sondern die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen, die dann für die Rundfunkanstalt, die über die Befreiung zu entscheiden hat, bindend ist (BSGE 52, 168, 170 ff. - SozR 3870 § 3 Nr.13).

Nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilausgleichen, so treffen diese Behörden auch die insoweit erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist im Ausweis auf der Rückseite das Merkzeichen "RF" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Zur Beurteilung des GdB im Einzelfall wendet der Senat insoweit - wie bereits ausgeführt - die seit 01.01.2009 in Kraft getretenen VMG an. Nach Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 7 und 8 des 8. Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 08. bis 15.10.2004 in der Fassung des Baden-Württembergischen Gesetzes vom 17.03.2005 werden aus gesundheitlichen Gründen auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht folgende natürliche Personen und deren Ehegatten befreit: Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung; hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist; behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Die Klägerin gehört nicht zu dem vorstehend bezeichneten Personenkreis. Sie ist zweifelsohne nicht schwer sehgeschädigt und auch ein GdB von wenigstens 80 liegt bei ihr nicht vor, sodass es nicht darauf ankommt, ob sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Die Klägerin ist aber auch nicht so schwer hörgeschädigt, dass sie bereits gehörlos wäre oder ihr eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich wäre, nachdem der Teil-GdB-Wert für die Schwerhörigkeit sich nur auf 30 beläuft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt das teilweise Obsiegen der Klägerin.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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