L 8 SB 1377/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 SB 1930/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1377/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) und die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G (erhebliche Gehbehinderung) streitig.

Mit - im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens ergangenen - Abhilfebescheid vom 23.09.1982 stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) bei dem 1959 geborenen Kläger unter Berücksichtigung einer degenerativen Wirbelsäulenveränderung mit Folgeerscheinungen, eines Reizmagens und einer Konversionsneurose einen GdB von 50 seit Juni 1982 fest. Die danach vom Kläger gestellten Neufeststellungsanträge führten zwar zu Erweiterungen der Bezeichnung der Funktionsstörungen um "rezidivierende Harnwegsinfekte" (Neufeststellungsbescheid vom 07.01.1985) und "chronische Bronchitis, chronische Sinusitis" (Neufeststellungsbescheid vom 15.03.1990), aber nicht zu einer Erhöhung des GdB (GdB weiterhin 50).

Am 05.07.2005 beantragte der Kläger beim Landratsamt Böblingen (LRA) die Erhöhung des GdB und die Feststellung der Nachteilsausgleiche G und B. Zur Begründung gab er an, er leide inzwischen an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einer Hypertonie, einer Arthrose II. Grades im Bereich des rechten Kniegelenks, Kreislaufstörungen und an einem Carpaltunnelsyndrom. Das LRA holte von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. einen Befundbericht ein, dem weitere ärztliche Unterlagen (Klinik- und Facharztberichte) beigefügt waren. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.10.2005, in der erweiterte Bronchien (Bronchiektasen) und eine chronische Nebenhöhlenentzündung (anstatt chronische Bronchitis und chronische Sinusitis) sowie zusätzlich ein Diabetes mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) und eine Polyneuropathie (GdB 30) berücksichtigt, insgesamt aber weiterhin ein GdB von 50 angenommen und die gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G und B verneint wurden, erließ das LRA am 16.11.2005 einen entsprechenden ablehnenden Neufeststellungsbescheid. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen Bluthochdruck, Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Mittelnervendruckschädigung (Carpaltunnelsyndrom) bedingten keine Funktionsbeeinträchtigungen bzw. keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 und stellten deshalb keine Behinderungen dar.

Dagegen legte der Kläger am 05.12.2005 Widerspruch ein, mit dem er einen GdB von 80 und den Nachteilsausgleich G geltend machte. Zur Begründung brachte er vor, er leide an einer schweren psychischen Störung (ausgeprägte Depressionen, Konversionsneurose, Angststörung, chronische Schlafstörung) und starken Schmerzen. Er sei in ständiger schmerztherapeutischer, orthopädischer und psychiatrischer Behandlung. Ferner leide er unter Ohrgeräuschen, Taubheitsgefühlen und einer chronischen Mittelohrentzündung als Folge des Diabetes. Ferner habe er auch Sehstörungen. Hierzu legte er die Untersuchungsberichte des HNO-Arztes Dr. Sch. vom 20.05. und 15.06.2005 vor. Das LRA holte von der Nervenärztin Dr. O. den Bericht vom 08.12.2005 ein, worin diese eine diabetische Polyneuropathie, eine anhaltende Schmerzstörung und eine Anpassungsstörung diagnostizierte. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der ärztlichen Unterlagen erließ das LRA am 11.01.2006 einen Teilabhilfebescheid, mit dem unter zusätzlicher Berücksichtigung von funktionellen Organbeschwerden, eines chronischen Schmerzsyndroms, einer beidseitigen Mittelnervendruckschädigung (Carpaltunnelsyndrom) und einer Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks ein GdB von 60 seit 05.07.2005 festgestellt wurde. Nachdem der Versorgungsarzt D. in seiner Stellungnahme vom 09.03.2006 eine höhere Bewertung der Funktionsstörungen Diabetes mellitus, Polyneuropathie, Mittelnervendruckschädigung beidseitig und chronisches Schmerzsyndrom ( GdB 50) und einen Gesamt-GdB von 70 befürwortet hatte, gab das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - dem Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2006 insoweit statt (GdB 70 seit 05.07.2005). Im Übrigen wies es den Widerspruch zurück.

Am 20.03.2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der er einen GdB von mindestens 80 und den Nachteilsausgleich G geltend machte. Sein Hauptleiden sei seine schwere psychische Störung (ausgeprägte Depressionen, Konversionsneurose, Angststörung, chronische Schlafstörung) i.V.m. einer Schmerzstörung, die mit einem GdB von 50 zu bewerten sei. Hinzu kämen seine Erkrankungen auf HNO-ärztlichem Gebiet (Ohrgeräusche, Taubheitsgefühle und chronischen Mittelohrentzündung) und seine Sehstörungen sowie ausgeprägte Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke, die zusammen mit den Schmerzen einen GdB von 40 bis 50 bedingten. Insgesamt sei von einem GdB von 80 bis 90 auszugehen. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G resultierten aus der Gesamtzahl der Faktoren, die sein Gehvermögen auf ein Minimum reduzierten. Dazu gehörten die starken Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparats, insbesondere in den Beinen, Schwindelattacken, zeitweise Gleichgewichtsstörungen und Schweißausbrüchen bereits nach

wenigen Metern Gehstrecke. Er könne in 30 Minuten nur weniger als 300 m gehen. Der Kläger legte die ärztlichen Atteste von Dr. O. vom 27.01.2006, 15.05.2006, 07.03.2007, 16.06.2008 und 05.11.2008, den Untersuchungsbericht des Internisten und Kardiologen Dr. G. vom 18.07.2006, die Berichte des Internisten und Diabetologen Dr. S. vom 14.12.2006 und 22.01.2008, die Bescheinigung des Diplompsychologen G. vom 27.08.2008, den Bericht von Prof. Dr. St. vom 29.05.2007, von Dr. K ... vom 30.03.2007 sowie die Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 04.04.2007 und 19.09.2008 vor.

Der Beklagte trat der Klage entgegen und machte unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 15.02.2007, 10.05.2007, 06.11.2007, 27.03.2008 und 15.01.2009 geltend, die Funktionsstörungen des Klägers seien mit einem GdB von 70 weiterhin angemessen bewertet. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G lägen beim Kläger nicht vor.

Das SG hörte zunächst den HNO-Arzt Dr. Sch. (schriftliche Angaben vom 02.05.2006), Dr. O. (01.05.2006), Dr. S. (15.05.2006) und den behandelnden Klinikarzt des Krankenhauses B. C. (Angaben vom 16.08.2006 wegen einer am 25.02.2006 ambulant behandelten Halswirbelsäulendistorsion) als sachverständige Zeugen. Anschließend zog es die von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg im Rentenverfahren von der Internistin Dr. H.-Z. und dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. erstatteten Gutachten vom 22.02.2006 und 05.10.2006 sowie das im zwischenzeitlich anhängigen Rentenrechtsstreit S 22 R 1434/07 von dem Orthopäden Dr. H. erstattete fachärztliche Gutachten vom 07.02.2008 bei und nahm die genannten Gutachten zu den Akten. Ferner holte das SG von dem Internisten/Sozialmediziner Dr. S das auf ambulanter Untersuchung des Klägers beruhende Sachverständigengutachten vom 23.08.2008 ein. Dieser diagnostizierte am 11.08.2008 eine seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden und ein chronisches Schmerzsyndrom (GdB 40), einen Diabetes mellitus Typ II (mit Diät, oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) und eine diabetische Polyneuropathie (GdB 40), einen Bluthochdruck und eine hypertensive Kardiomyopathie (GdB 20), erweiterte Bronchien und eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung (GdB 10), einen chronischen Harnwegsinfekt (GdB 10), einen Reizmagen (GdB 10), ein Carpaltunnelsyndrom beidseits (GdB 20), eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 10) und eine Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks (GdB 10). Den Gesamt-GdB schätzte Dr. S auf 70. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr verneinte der Sachverständige. Organisch objektivierbar wirkten sich in leichter Weise das Wirbelsäulenleiden, die Funktionsstörung am Knie, die Polyneuropathie und das Herzleiden, und subjektiv vor allem das Schmerzsyndrom auf das Gehvermögen des Klägers aus.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.02.2009 wies das SG die Klage ab. Im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von Dr. S und die ausführliche versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 15.01.2009, denen ein höherer Beweiswert als den Angaben seiner behandelnden Ärzte und der von ihm vorgelegten medizinischen Unterlagen zukomme, hielt es einen höheren GdB als 70 nicht für gerechtfertigt. Auch die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G hielt das SG nicht für erfüllt.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 23.02.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 23.03.2009 Berufung eingelegt, mit der er an seinen Zielen festhält. Aus dem Gutachten von Dr. K. vom 19.09.2008, das das SG in seiner Begründung nicht ausreichend gewürdigt habe, gehe eindeutig hervor, dass der Gesamt-GdB 80 betrage und ihm der Nachteilsausgleich G zustehe. Er sei nicht mehr in der Lage, 2 km am Stück zu gehen und erst recht nicht innerhalb einer halben Stunde. Er sei aufgrund der erheblichen Gelenkschmerzen im gesamten Bewegungsapparat gezwungen, außerhalb der Wohnung mit einem Rollator zu gehen. Sowohl Dr. K. als auch die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. in ihrem im Rentenrechtsstreit erstatteten sozialmedizinischen Gutachten vom 05.01.2009 bestätigten, dass er an Konzentrations- und Koordinationsmängeln leide, was ebenfalls zu einer Orientierungslosigkeit führen könne. Seine multiplen Erkrankungen würden durch seine schwere Depression verstärkt. Der Kläger legt neben dem genannten Gutachten von Dr. E. den Bericht des B-Hospital S. vom 12.05.2009 über seine wegen chronisch entgleistem Diabetes mellitus Typ II erfolgte stationäre Behandlung (29.04. bis 12.05.2009) und den Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik B.B. vom 12.10.2009 über seine stationäre Behandlung vom 18.08.1009 bis 03.09.2009 vor, aus der er mit den Diagnosen Diabetes mellitus Typ IIB mit Polyneuropathie, arterielle Hypertonie, metabolisches Syndrom, Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulensyndrom sowie depressiv getönte Anpassungsstörung in familiären und sozialen Konfliktsituationen als arbeitsunfähig entlassen wurde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Februar 2009 aufzuheben und die Bescheide des Beklagten vom 16. November 2005 und vom 11. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mindestens 80 sowie den Nachteilsausgleich G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und macht unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. vom 28.10.2009 geltend, die Funktionsstörungen des Klägers seien mit einem GdB von 70 nach wie vor angemessen bewertet und eine für den Nachteilsausgleich G relevante Einschränkung des Gehvermögens des Klägers sei weiterhin nicht nachgewiesen.

Der Senat hat vom SG die Akte S 22 R 1434/07 beigezogen und das in diesem Rechtsstreit von Dr. E. erstattete Gutachten vom 05.01.2009 sowie das von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Privatdozent (PD) Dr. W. eingeholte neurologisch-psychiatrisch-algologische Gutachten vom 05.03.2009 zu den Akten genommen. Letzterer diagnostizierte auf seinem Fachgebiet neben einer nicht stark ausgeprägten diabetischen Polyneuropathie und einem prinzipiell der Behandlung zugänglichen Carpaltunnelsyndrom eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, verbunden mit missmutig-trauriger Verstimmung und Angsterleben sowie Schlafstörungen. Ferner bestehe beim Kläger eine Adipositas von Krankheitswert (Body-Mass-Index 39,7) bei ausgeprägter Stammfettsucht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs.1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80 oder mehr und auch keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 16.11.2005 (Ablehnung des Merkzeichens G und B) in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 11.01.2006 - dieser hat den ursprünglichen Bescheid hinsichtlich der GdB-Feststellung ersetzt - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2006, mit dem der Beklagte wegen wesentlicher Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers den GdB von bisher 50 auf 70 erhöht, eine weitergehende Erhöhung und die Feststellung des Nachteilsausgleichs G aber abgelehnt hat. Der Kläger macht demgegenüber geltend, dass eine Erhöhung des GdB auf mindestens 80 gerechtfertigt sei und er auch Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G habe.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" 2004 (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 5).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen und am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX), so dass die mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008" (AHP) inhaltsgleichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zu § 2 VersMedV - VG -) nun heranzuziehen sind.

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Teil A Nr. 3 der VG). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VG a.a.O.). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (vgl. BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5, jeweils zu den AHP).

Das SG ist in seiner Entscheidung unter Anwendung der genannten gesetzlichen Vorschriften und der Beurteilungsgrundsätze der AHP zu dem Ergebnis gekommen, dass die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers ab 05.07.2005 keinen höheren GdB als 70 bedingen und der Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G zu Recht verneint hat. Der Senat kommt unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der im Berufungsverfahren erfolgten weiteren medizinischen Sachaufklärung zum selben Ergebnis. Die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers rechtfertigen keinen höheren GdB als 70. Ferner liegt bei ihm keine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vor. Diese Beurteilungen gründen sich im Wesentlichen auf die Angaben der vom SG gehörten behandelnden Ärzte des Klägers, das vom SG eingeholte fachärztliche Gutachten von Dr. S , die aktenkundigen Klinik- und Arztberichte einschließlich der vom Kläger vorgelegten Gutachten von Dr. K. und die beigezogenen Rentengutachten von Dr. H.-Z., Dr. S., Dr. H., Dr. E. und PD Dr. W ...

Eine Würdigung der umfangreichen aktenkundigen ärztlichen Unterlagen ergibt, dass der Kläger in erster Linie durch sein psychisches Leiden einschließlich Schmerzsyndrom und den bei ihm vorliegenden Diabetes mellitus und die damit verbundene diabetische Polyneuropathie beeinträchtigt ist. Hinzu kommen noch - in geringerer Ausprägung - ein Bluthochdruck, ein Carpaltunnelsyndrom beidseits, erweiterte Bronchien und eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung, ein chronischer Harnwegsinfekt, ein Reizmagen, sowie Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des rechten Kniegelenks.

Beim Kläger liegt eine psychische Beeinträchtigung (seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden, chronisches Schmerzsyndrom) vor, die mit einem GdB von 40 nicht zu niedrig bewertet ist. Hierbei handelt es sich um eine stärker behindernde psychische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die nach Teil B Nr. 3.7 der VG mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten ist. Ein noch stärkeres Ausmaß des psychischen Leidens des Klägers - der Beklagte hat den vorgegebenen Bewertungsrahmen voll nach oben ausgeschöpft - ist entgegen der Ansicht des Klägers, der insoweit einen GdB von 50 für gerechtfertigt hält, nicht belegt. Dies würde nach Teil B Nr. 3.7 der VG schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten (GdB 50 bis 70) voraussetzen, die beim Kläger jedoch nicht vorliegen. Dass ein GdB von 50 auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des chronischen Schmerzsyndroms nicht angenommen werden kann, folgt für den Senat im Wesentlichen aus den Beurteilungen von Dr. S. und PD Dr. W. in ihren nervenärztlichen Gutachten vom 05.10.2006 und 05.03.2009. Nach dem Gutachten von Dr. S. bestehen beim Kläger eine depressiv getönte Anpassungsstörung in familiärer und sozialer Konfliktsituation und Hinweise auf Somatisierungen. PD Dr. W. hat eine komplexe psychische Problematik mit anhaltender somatoformer Schmerzstörung, verbunden mit missmutig-trauriger Verstimmung und Angsterleben sowie Schlafstörungen konstatiert. Schwere psychische Störungen - die Nervenärztin Dr. E. geht in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 05.01.2009 von einer ängstlichen und depressiven (mittelgradigen bis schweren) Störung aus - sind damit nicht nachgewiesen, zumal die den Kläger seit August 2005 behandelnde Nervenärztin Dr. O. am 01.05.2006 gegenüber dem SG eine psychische Erkrankung des Klägers sogar verneint und das Schmerzsyndrom für seine entsprechenden Beschwerden verantwortlich gemacht hat. Infolge der bestehenden Schmerzen sah sie die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt und hielt eine mittelgradige soziale Anpassungsstörung für gegeben. Auch damit läßt sich aber eine schwere psychische Beeinträchtigung iS von Teil B Nr. 3. 7 der VG - wie bereits erwähnt Grundvoraussetzung für einen GdB von 50 - nicht begründen.

Ferner liegt beim Kläger ein Diabetes mellitus Typ II (mit Diät, oralen Antidiabetika und Insulin einstellbar) und eine diabetische Polyneuropathie vor. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen sind bei zusammenfassender Betrachtungsweise mit einem GdB von 40 angemessen bewertet. Der Senat stützt diese Bewertung auf das fachärztliche Gutachten des Internisten Dr. S , das dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 23.08.2008 erstattet hat. Diese zusammenfassende Bewertung - der Beklagte ging bei gesonderter Bewertung für den Diabetes mellitus und die Polyneuropathie jeweils von einem GdB von 30 aus, was angesichts der nur leichten Ausprägung der Polyneuropathie etwas überhöht erscheint - entspricht den Bewertungskriterien der VG (Teil B Nr. 15.1), wonach ein Diabetes mellitus unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten ist. Auch unter Berücksichtigung der leichten diabetischen Polyneuropathie ergibt sich insoweit kein höherer GdB als 40.

Der Bluthochdruck und die hypertensive Kardiomyopathie, die beim Kläger außerdem vorliegen, bedingen keinen höheren GdB als 20. Ein GdB von 30 (oder mehr) würde einen - hier nicht vorliegenden - Bluthochdruck mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades voraussetzen, der gemäß Teil B Nr. 9.3 je nach Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten ist. Eine höhere Bewertung des Herzleidens des Klägers - ein Herzmuskelschaden konnte von dem Sachverständigen Dr. S nicht nachgewiesen werden - hält der Senat mangels entsprechender Befunde nicht für gerechtfertigt. Gleiches gilt für das beidseitige Carpaltunnelsyndrom, für das kein höherer GdB als 20 angesetzt werden kann.

Die weiteren Funktionsstörungen (erweiterte Bronchien, chronische Nasennebenhöhlenentzündung, chronischer Harnwegsinfekt, Reizmagen, Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des rechten Kniegelenks) sind mit einem GdB von 10 jeweils angemessen bewertet. Soweit der Kläger unter Hinweis auf das von ihm vorgelegte Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 19.09.2008 orthopädischerseits einen GdB von 50 geltend macht, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Befunde im Bereich der Gelenke und der Wirbelsäule, die Dr. K. dieser Bewertung zugrunde gelegt hat, sind nicht als von ihm objektiv erhobene Befunde erkennbar. Vielmehr vermischen sich in diesem Gutachten anamnestische Angaben des Klägers und Beurteilungen des Gutachters. Im Übrigen stehen die Angaben von Dr. K. im deutlichen Gegensatz zu den Befunden und Diagnosen, die der Orthopäde Dr. H. in seinem auf Veranlassung der Rentenversicherung am 25.01.2008 erhoben bzw. gestellt hat. Dieser diagnostizierte nämlich - neben einer Polyneuropathie mit Mißempfindungen und Sensibilitätsstörungen im Bereich der oberen und unteren Gliedmaßen und einem Carpaltunnelsyndrom beidseits - lediglich eine schmerzhafte Funktionsstörung der Wirbelsäule ohne Anzeichen einer wirbelsäulenbedingten Nerven- bzw. Nervenwurzelschädigung bei diskreten bis mäßiggradigen, nicht altersuntypischen Verschleißerscheinungen im Bereich der Hals- und der Lendenwirbelsäule. Die demonstrierten Bewegungseinschränkungen vieler großer und kleiner Gelenke im Rahmen der gezielten Untersuchung - so der Gutachter überzeugend - stünden in einem offenkundigen Widerspruch zu den beobachtbaren Bewegungsumfängen bei Spontanbewegungen. Der Senat hat deshalb erhebliche Zweifel daran, ob die Beurteilungen von Dr. K. den objektiven Gegebenheiten entsprechen, weshalb er ihnen nicht folgt. Soweit Dr. K. ebenso wie andere Ärzte, vor allem die behandelnde Nervenärztin Dr. O., die Schmerzangaben des Klägers hervorhebt (und diese seiner insoweit fachfremden Beurteilung zugrundelegt), ist darauf hinzuweisen, dass die üblicherweise vorhandenen Schmerzen in der Bewertung der einzelnen Funktionsstörungen bereits enthalten sind. Im Übrigen ist hier ein chronisches Schmerzsyndrom - wie sich auch aus der Bezeichnung der Funktionsstörungen im Abhilfebescheid vom 11.01.2006 ergibt - zusätzlich bei der Beurteilung des GdB berücksichtigt worden.

Insgesamt ergibt sich kein höherer GdB als 70. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist von der schwerwiegendsten Funktionsbeeinträchtigung - hier der seelischen Störung, funktionelle Organbeschwerden, chronisches Schmerzsyndrom (GdB 40) - auszugehen. Hinzu kommen der Diabetes mellitus und die diabetische Polyneuropathie mit einem GdB von 40 sowie der Bluthochdruck und die hypertensive Kardiomyopathie und das Carpaltunnelsyndrom beidseits mit einem GdB von jeweils 20. Diese bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigenden Funktionsstörungen bedingen keinen höheren GdB als 70. Dies wäre im Übrigen auch nicht anders zu beurteilen, wenn man - wie der Beklagte - den Diabetes mellitus und die diabetische Polyneuropathie jeweils gesondert mit einem GdB von 30 bewerten würde. Die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen (erweiterte Bronchien, chronische Nasennebenhöhlenentzündung, chronischer Harnwegsinfekt, Reizmagen, Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und des rechten Kniegelenks) bedingen jeweils nur einen GdB von 10, so dass damit eine Erhöhung des Gesamt-GdB im Hinblick auf Teil A Nr. 3 d) ee) der VG nicht zu begründen ist. Ein Ausnahmefall, der mit der in dieser Vorschrift der VG genannten Art vergleichbar wäre, liegt nicht vor.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G.

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Ob die Regelungen der VG zum Merkzeichen G mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig sind, weil die Verordnungsermächtigung in § 30 Abs. 17 BVG nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), lässt der Senat dahinstehen. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben die Grundsätze zum Merkzeichen G aus den AHP übernommen (vgl. Teil D Nr. 1 S. 114 f) und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist. In den VG ist ebenso wie in den AHP (BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R - SozR 3-3100 § 30 Nr. 22) der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben. Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. zum Vorstehenden auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.2009 - L 6 SB 4693/08 -). Der Senat sieht derzeit keinen Anlass, von diesen in ständiger Übung angewandten Bewertungsgrundsätzen abzuweichen, die im maßgebenden Verkehrskreis nach allge -

meiner, von ständiger Rechtsprechung geprägten Überzeugung als rechtsverbindlich im oben dargelegten Sinne beurteilt wurden und damit einer gewohnheitsrechlichten Übung entsprachen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG in SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2) gelten als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten. Die VG haben diesen Maßstab übernommen und geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist". Damit tragen sie dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen (vgl. Gebauer, MedSach 1995, 350). Von diesen Faktoren filtern die maßgebenden Bewertungsgrundsätze all jene heraus, die nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des Schwerbehinderten im Straßenverkehr nicht in Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die VG beschreiben dazu in Teil D Nr. 1 S. 114, 115 solche Fälle, bei denen nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG SozR 3 3870 § 60 Nr. 2 zu den AHP).

Danach kann eine Einschränkung des Gehvermögens angenommen werden, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei einem GdB von unter 50 auch gegeben sein, wenn sich diese Behinderungen an den unteren Gliedmaßen auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei einer Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Bei hirnorganischen Anfällen ist die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks.

Hiervon ausgehend liegt beim Kläger keine erhebliche Beeinträchtigung seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX iVm den zu berücksichtigenden Beurteilungsmaßstäben vor. Die hierfür in erster Linie in Betracht zu ziehenden Funktionsstörungen des Klägers (Wirbelsäulenleiden, Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks, Polyneuropathie, Herzleiden und Schmerzsyndrom) reichen sowohl jeweils für sich genommen als auch in ihrem Zusammenwirken nicht aus, um die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G als erfüllt ansehen zu können.

Entgegen der Auffassung des Klägers haben die sein Gehvermögen beeinträchtigenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet nicht das für den Nachteilsausgleichs G erforderliche Ausmaß. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und die Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenks sind lediglich leichter Natur, was auch durch die Bewertung dieser Funktionsstörungen mit einem GdB von jeweils 10 deutlich zum Ausdruck kommt. Die für den Nachteilsausgleich G erforderliche Voraussetzungen, dass die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule einen GdB von wenigstens 50 bedingen, sind somit bei Weitem nicht erfüllt. Der Senat stützt sich insoweit - wie bereits hinsichtlich der Beurteilung des GdB - in erster Linie auf das fachorthopädische Gutachten von Dr. H. vom 07.02.2008, das dieser für das SG im Rentenrechtsstreit erstattet hat. Die Untersuchung von Dr. H. ergab lediglich diskrete bis mäßiggradige, nicht altersuntypische Verschleißerscheinungen im Bereich der Hals- und der Lendenwirbelsäule. Diese vermögen eine nennenswerte Einschränkung des Gehvermögens nicht zu begründen, zumal der Kläger nach den Ausführungen von Dr. H. in seinem Gutachten eine ausgeprägte Gehstörung demonstriert hat, die aber nicht mit den vom Sachverständigen beobachteten Spontanbewegungen der Wirbelsäule und der Beine vereinbar war, was dafür spricht, dass der Kläger seine Gehbeschwerden zumindest aggraviert. Der Einschätzung von Dr. K. (GdB orthopädischerseits mindestens 50 und Nachteilsausgleich G) folgt der Senat nicht. Eine kritische Würdigung der Beschwerdeangaben des Klägers ergibt sich aus dessen Gutachten vom 19.09.2008 nicht. Vielmehr vermischen sich die vom Kläger geschilderten Beschwerden mit den Beurteilungen des Gutachters, so dass sich der Eindruck aufdrängt, dass die anamnestischen Angaben des Klägers von ihm mehr oder weniger unkritisch übernommen worden sind.

Als weitere das Gehvermögen beeinträchtigende Funktionsstörung ist die diabetische Polyneuropathie zu nennen. Diese vom Beklagten mit einem GdB von 30 bewertete Funktionsstörung (der Sachverständige Dr. S geht unter Einschluss des Diabetes mellitus von einem GdB von 40 aus) beeinträchtigt das Gehvermögen des Klägers aber nicht so stark, dass von einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auszugehen ist. Die behandelnde Nervenärztin des Klägers Dr. O. hat am 01.05.2006 gegenüber dem SG angegeben, die diabetische Polyneuropathie wirke sich auf die Gehfähigkeit des Klägers aus, da Schmerzen, Missempfindungen, Gleichgewichtsstörungen und Schwäche auftreten könnten. Bei einer Wegstrecke von zwei km in einer halben Stunde würden sich die Schmerzen und Missempfindungen an den Beinen dermaßen verstärken, dass der Kläger nicht mehr gehfähig wäre. Abgesehen davon, dass Dr. O. davon spricht, dass die von ihr genannten gesundheitlichen Folgen lediglich auftreten können, dies also nicht - wie erforderlich - sicher ist, entspricht die Einschätzung, der Kläger wäre nach einer Wegstrecke von zwei km in einer halben Stunde nicht mehr gehfähig, nicht dem zu beachtenden Beurteilungsmaßstab. Danach kommt es nicht auf den gesundheitlichen Zustand nach dem Zurücklegen der Wegstrecke, sondern auf das Ausmaß der Beeinträchtigung des Gehvermögens während dem Zurücklegen der Wegstrecke an. Gegen eine erhebliche Gehbehinderung wegen dieser Funktionsstörung spricht auch die Einschätzung von Dr. S. gegenüber dem SG vom 15.05.2006, der trotz Berücksichtigung der diabetischen Polyneuropathie, eines degenerativen Wirbelsäulensyndroms und einer Retropatellararthrose im Bereich des rechten Knies die Frage, ob der Kläger ohne erhebliche Schwierigkeiten oder ohne Gefahren für sich oder andere die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurücklegen kann, bejaht hat. Hinzu kommt, dass im für die Rentenversicherung von Dr. S. erstatteten nervenärztlichen Gutachten vom 05.10.2006 gravierende Funktionseinschränkungen durch die diabetischen Polyneuropathie verneint worden sind.

Das Herzleiden des Klägers - Bluthochdruck und eine hypertensive Kardiomyopathie - wirkt sich auf das Gehvermögen des Klägers nach der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. S nur leicht aus. Dies umso mehr, als der Sachverständige einen Herzmuskelschaden als fraglich angesehen und - den bisherigen GdB von 20 eher anzweifelnd - vorgeschlagen hat, diesen GdB-Wert dennoch beizubehalten. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens durch die Herzleistungsbeeinträchtigung ist von ihm jedenfalls verneint worden.

Soweit der Kläger geltend macht, sowohl Dr. K. als auch Dr. E. (in ihrem Gutachten vom 05.01.2009) bestätigten, dass er an Konzentrations- und Koordinationsmängeln leide, was auch zu einer Orientierungslosigkeit führen könne, wodurch die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G ebenfalls bestätigt würden, kann dem Kläger gleichfalls nicht gefolgt werden. Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind nach Teil D Nr. 1 f) der VG nur anzunehmen, wenn eine Sehbehinderung mit einem GdB von wenigstens 70 oder eine Sehbehinderung mit einem GdB von 50 oder 60 bzw. eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit jeweils in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits bzw. Sehbehinderung oder geistige Behinderung) oder eine mindestens mit einem GdB von 80/90 bewertete geistige Behinderung vorliegt. Diese Voraussetzungen für entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit sind beim Kläger offensichtlich nicht erfüllt.

Schließlich kann sich der Kläger zur Begründung des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Feststellung des Nachteilsausgleichs G auch nicht auf das chronische Schmerzsyndrom stützen, das von den meisten der sich in diesem Rechtsstreit äußernden Ärzte (Dr. O., Dr. S., Dr. H., Dr. S , Dr. E. und PD Dr. W.) als zumindest eine den Kläger subjektiv (stark) beeinträchtigende Gesundheitsstörung beschrieben worden ist. Allein aufgrund der subjektiven Schmerzangaben des Betroffenen ohne entsprechende objektive Befunde können die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs G jedoch nicht als nachgewiesen betrachtet werden. Schmerzen werden subjektiv unterschiedlich empfunden und sind daher einer Feststellung durch Dritte nur sehr eingeschränkt zugänglich. Erst glaubhafte Angaben und der damit korrelierende objektive Krankheitsbefund machen die geklagten Schmerzen in der Regel im erforderlichen Maße nachvollziehbar und plausibel. Zwar ist unstreitig, dass der Kläger an einem chronischen Schmerzsyndrom leidet. Dies wurde bei der Beurteilung des GdB auch im Zusammenhang mit der seelischen Störung und den funktionellen Organbeschwerden mit einem GdB von 40 berücksichtigt. Andererseits waren die Schmerzangaben des Klägers nicht immer mit der in der Untersuchungssituation erkennbaren Gehfähigkeit in Deckung zu bringen, worauf Dr. S in seinem Gutachten vom 23.08.2008 schlüssig hinweist, weshalb er in sinngemäßer Übereinstimmung mit den Ärzten Dr. H. und Dr. W., die die rentenrechtliche Wegefähigkeit des Klägers bejahten, für den Senat überzeugend die Voraussetzungen des Merkzeichens G verneinte. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist mit der Schmerzstörung nach Überzeugung des Senats daher nicht verbunden, zumal durch die vom 13.08.2009 bis 03.09.2009 im Klinikum B.B. durchgeführte Kur die vom Kläger im Vorfeld geklagten Schmerzen im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich sowie in beiden Kniegelenken gelindert werden konnten. Von einem chronischen Schmerzsyndrom als eigenständige Erkrankung ist denn auch im Kurentlassungsbericht vom 12.10.2009 nicht (mehr) die Rede.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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