L 8 SB 3454/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3064/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3454/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte der Klägerin den Nachteilsausgleich aG zu Recht aberkannt hat.

Für die Klägerin stellten die Eltern erstmals am 09.01.1991 einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz und fügten ihm verschiedene Arztberichte bei. Der Versorgungsärztliche Dienst untersuchte die Klägerin am 24.07.1991 und erstattete das Gutachten vom 14.08.1991. Darin ist ausgeführt, bei der noch nicht zweijährigen Klägerin bestehe ein Dysmorphie-Syndrom mit verschiedenen gravierenden Behinderungen. Es liege eine schwere Sehbehinderung sowie eine erhebliche Schwerhörigkeit vor, eine exakte Quantifizierung sei noch nicht möglich. Zusätzlich bestehe eine komplette Facialisparese links sowie eine erhebliche Dysplasie der linken Ohrmuschel. Des Weiteren bestehe eine erhebliche psychomotorische Entwicklungsstörung, das Kind könne nur wenige Sekunden frei sitzen bei noch völlig ungenügender Kopf- und Rumpfkontrolle; Krabbeln sei nicht möglich, aktives und passives Sprachvermögen sei noch überhaupt nicht vorhanden. Insgesamt würden die Behinderungen einen Gesamt-Grad der Behinderung (Gesamt-GdB) von 100 bedingen, eine ausreichend genaue Angabe von Einzel-GdB-Sätzen sei nicht möglich. Die Voraussetzungen für die Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung), B (Notwendigkeit einer Begleitperson) und H (Hilflosigkeit) lägen vor. Der Versorgungsarzt führte weiter in seinem Gutachten aus, seines Erachtens könne bei dem ein dreiviertel Jahre alten Kind auch zum jetzigen Zeitpunkt schon das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) anerkannt werden. Blindheit liege vermutlich nicht vor. Zum Merkzeichen RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) sei eine Aussage mit ausreichender Sicherheit nicht möglich.

Mit Bescheid vom 29.08.1991 wurde bei der Klägerin ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen G, B, H. aG anerkannt. Auf den Widerspruch der Eltern und dem Antrag auf Feststellung der Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erging der Widerspruchsbescheid vom 07.01.1992, mit dem der Widerspruch zurückgewiesen wurde. Auf einen erneuten Antrag vom 04.02.1994 wurde der Nachteilsausgleich RF mit Bescheid vom 04.02.1994 erneut abgelehnt. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch wurde mit Bescheid vom 11.04.1994 abgeholfen, in dem nunmehr auch der Nachteilsausgleich RF festgestellt wurde.

Im August 1997 teilte das Versorgungsamt Ravensburg den Eltern der Klägerin mit, es sei nachzuprüfen, ob in den Verhältnissen, die für die letzte Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz maßgebend gewesen seien, eine wesentliche Änderung eingetreten sei; auch die Merkzeichen G, B, H und aG seien zu überprüfen. Mit dem Einverständnis der Eltern der Klägerin zog das VA den Kindergartenjahresbericht 1996/97 sowie das pädagogisch-psychologische Gutachten der H. F. über die Untersuchung der Klägerin vom 23.06.1994 bei.

Mit Bescheid vom 23.03.1998 stellte das VA fest, dass aufgrund des Ergebnisses der ärztlichen Überprüfung derzeit nicht beabsichtigt sei, die Behinderungen, den Grad der Behinderung und die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen neu festzustellen. Es verbleibe bei den bisher getroffenen Feststellungen.

Im März 2008 teilte das nunmehr zuständige Landratsamt Bodenseekreis (Kreissozialamt - Versorgungsamt) den Eltern der Klägerin mit, dass die gesundheitlichen Verhältnisse erneut zu überprüfen seien. Der Schulbericht über das Schuljahr 2006/07 mit Psychotherapiebericht wurde beigezogen und auch das Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Klägerin vom 13.08.2004, dem die Untersuchung vom 24.06.2004 zugrunde lag. In diesem Gutachten ist unter 3.1 (Stütz- und Bewegungsapparat) ausgeführt: "Erheben/Gehen überwiegend selbstständig möglich. Gangbild recht flüssig. Kind eher überaktiv. Dauernde Bewegungen mit den Armen, ok. Greiffunktion links eingeschränkt, linker Daumen etwas abgespreizt."

Die Auswertung durch den Versorgungsärztlichen Dienst ergab, dass bei der Klägerin gemäß dem Gutachten vom 13.08.2004 und gemäß dem sich im Schulbericht befindlichen Therapiebericht, wonach die Wege vom Haus zur Therapie oder aus der Therapie zurück in die Werkstufe zuverlässig alleine von der Klägerin zurückgelegt werden könnten, die Gehfähigkeit wesentlich gebessert habe; die Voraussetzungen für aG lägen nicht mehr vor.

Mit Schreiben vom 09.05.2008 wurde die Klägerin angehört und es wurde darauf hingewiesen, dass insofern eine wesentliche Änderung eingetreten sei, als eine wesentliche Besserung der Gehfähigkeit eingetreten sei, weshalb das Merkzeichen aG nicht mehr vorliege; die Merkzeichen G, B, H, RF lägen weiterhin vor und der GdB betrage weiterhin 100. Es sei deshalb beabsichtigt, einen entsprechenden Neufeststellungsbescheid zu erteilen. Daraufhin teilte der Vater der Klägerin mit Schreiben vom 25.05.2008 dem Beklagten mit, als Betreuer seien sie bezüglich Annas Gehsituation anderer Meinung und sicher sei es hilfreich, den behandelnden Arzt Dr. T. F. dazu zu hören.

Dem kam der Beklagte nach und holte das ärztliche Attest des Dr. T. F. vom 31.05.2008 ein. Darin führte dieser aus, die Klägerin sei in der Lage, ca. 50 bis 100 m auf absolut ebenem, hindernisfreiem Untergrund in Begleitung eines Menschen zu laufen. Unebene Wege (steinig, kiesig, Bürgersteige, Treppen) verunsicherten die Klägerin so stark, dass sie nur mit beidseitiger Unterstützung und Absicherung begangen bzw. überwunden werden könnten. Da eine Gehbehinderung weiter bestehe, sollte "G" keinesfalls aus dem Schwerbehindertenausweis gestrichen werden.

Mit Bescheid vom 24.06.2008 wurde der Bescheid vom 11.04.1994 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens aG nicht mehr erfüllt seien. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit dieses Bescheides sei die Klägerin verpflichtet, den Schwerbehindertenausweis zur Berichtigung und den Bescheid vom 11.04.1994 zur Aufnahme eines Vermerkes einzusenden und den Parkausweis zurückzusenden.

Dagegen legten die Eltern der Klägerin als Betreuer der Klägerin Widerspruch ein und machten geltend, sie hätten den Eindruck, dass die außergewöhnliche Behinderung ihrer Tochter, die ihre Mobilität und Orientierung sehr stark einschränken würde, nicht genügend berücksichtigt worden sei. Ihre Tochter könne sich nur mit fremder Hilfe fortbewegen.

Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.08.2008, wonach eine Abhilfe nicht empfohlen werden konnte, erging der Widerspruchsbescheid vom 16.09.2008, mit dem der Widerspruch zurückgewiesen wurde.

Dagegen erhoben die Eltern als Betreuer der Klägerin am 20.10.2008 Klage zum Sozialgericht Konstanz und trugen zur Begründung vor, ohne Zweifel habe sich Annas Gehfähigkeit seit dem letzten Bescheid vom 11.04.1994 verbessert, sodass sie in häuslicher Umgebung auf glattem, ebenem und hindernisfreiem Untergrund ein Stück weit alleine laufen könne. Eine solche Situation sei im Therapiebericht des Physiotherapeuten beschrieben worden. Sobald sie aber mit Anna in den öffentlichen Verkehr der Stadt kämen, seien sie mit Anna in einer Situation, die ihre ganze Aufmerksamkeit fordere, da Anna allein völlig überfordert sei. Anna könne sich nicht orientieren, wo es lang gehe, der Verkehr und lange Wege machten ihr Stress, sie sei unsicher und bleibe stehen wegen Unebenheiten im Gehweg. Stufen könne Anna nur an ihrer Hand überwinden. Um Anna ihr Leben nicht unnötig noch schwerer zu machen, sei der Erhalt des Merkzeichens aG unbedingt erforderlich. Anna sei hilflos und entsprechend betreuungsintensiv sei ihre Begleitung. Der Erhalt des Merkzeichens aG bedeute eine notwendige Entlastung für Anna und für ihre Eltern, sie seien darauf angewiesen. Hierzu legten die Betreuer der Klägerin das ärztliche Attest des Dr. F. vom 31.05.2008 vor. In diesem ärztlichen Attest ist in Abweichung des früheren Attests gleichen Datums im letzten Satz ausgeführt: Da eine Gehbehinderung weiter besteht, sollte "aG" auf keinen Fall aus dem Schwerbehindertenausweis gestrichen werden.

Das SG holte die sachverständige Zeugenaussage des Dr. F. vom 02.02.2009 ein, der zur Frage der außergewöhnlichen Gehbehinderung ausführte, die Klägerin könne sich außerhalb ihrer Wohnung und eines engen täglich gewohnten äußeren Terrains (Schule, Schulweg) nur mit fremder Hilfe bewegen. Ständige Aufmerksamkeit und potentielle Hilfestellung bedürfe sie überall und zu fast jeder Zeit.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2009 wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe des den Betreuern der Klägerin am 29.06.2009 zugestellten Gerichtsbescheides wird Bezug genommen.

Dagegen haben die Betreuer der Klägerin am 24.07.2009 beim SG Berufung eingelegt. Sie berufen sich auf ihren bisherigen Vortrag und machen ergänzend geltend, für die Gewährung der Parkerleichterungen sei nicht nur die außergewöhnliche Gehbehinderung relevant, sondern bei ihrer Tochter sei auch das Sehvermögen derart eingeschränkt, dass ihr eine selbstständige Fortbewegung in unbekanntem Terrain nicht möglich sei. Die Einschränkung des Sehvermögens sei bei ihrer Tochter mit Blindheit gleichzusetzen. Außerdem bestehe eine Skoliose, eine Beinverkürzung links, Genua valga beidseits. Auf den vorgelegten Untersuchungsbericht des Orthopäden Dr. M. vom 15.03.2010, der Merkzeichen aG für indiziert erachtet, werde verwiesen. Im übrigen habe das Sozialgericht verkannt, dass die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung alternativ an zwei Voraussetzungen anknüpfe, nämlich auf das "Angewiesensein auf fremde Hilfe" und auf die "ebenso große Anstrengung". Das Sozialgericht habe allein auf das Merkmal der großen Anstrengung abgestellt. Dagegen ergebe sich aus der Aussage von Dr. F. vom 02.02.2009, dass sie auf fremde Hilfe beim Gehen angewiesen sei. Allein gehen könne sie nur in Ausnahmesituationen, die in den Bereichen, auf die das Merkzeichen aG abziele, nicht zuträfen.

Mit dem am 17.07.2009 beim Beklagten eingegangenen Änderungsantrag haben die Betreuer der Klägerin die Feststellung des Merkzeichens "Bl" (Blindheit) beantragt, worüber noch nicht entschieden ist.

Im vorliegenden Berufungsverfahren beantragen die Betreuer der Klägerin,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Juni 2009 sowie den Bescheid vom 24. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Am 26.03.2010 ist die Rechtssache in nicht-öffentlicher Sitzung durch den Berichterstatter erörtert worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Konstanz und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten (§ 124 Abs. 2 SGG) mit Urteil ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist auch im übrigen zulässig. Zwar ist die Berufung nicht formgerecht bis zum Ablauf der am 29.07.2009 endenden einmonatigen Berufungsfrist (Zustellung des Gerichtsbescheids an die Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 29.06.2009) erhoben worden, denn die am 24.07.2009 beim SG eingegangene Berufungsschrift war nicht unterschrieben und die Unterschrift ist auch nicht innerhalb der Berufungsfrist nachgeholt worden, weshalb die Berufung nicht fristgerecht schriftlich eingelegt worden ist (§ 151 SGG). Der Klägerin ist aber von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen (§ 67 Abs. 1, Abs. 2 Satz 4 SGG), denn sie war ohne Verschulden verhindert, insoweit die Frist zu wahren. Die zu diesem Zeitpunkt noch nicht anwaltlich vertretene Klägerin hätte in der verbleibenden Zeitdauer der Berufungsfrist vom 24.07. bis einschließlich 29.07.2009 noch eine form- und fristgerechte Berufung einlegen können, wenn sie zeitgerecht vom SG, vor dem sie fristwahrend auch eingelegt werden kann (§151 Abs. 2 Satz 1 SGG), auf die fehlende Schriftform ihrer Berufung hingewiesen worden wäre. Für diesen die Einhaltung der Berufungsfrist hindernden Umstand fehlt es am ursächlichen Verschulden der Klägerin (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 151 Rn. 5b mit Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 67 Nr. 21). Die Betreuer der Klägerin haben auf richterlichen Hinweis vom 10.08.2009 die versäumte Rechtshandlung mit dem am 14.08.2009 beim SG eingegangenen Schreiben auch nachgeholt.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Konstanz mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 22.06.2009 die Klage abgewiesen. In den Verhältnissen der Klägerin ist eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten, weshalb der Beklagte zu Recht den Nachteilsausgleich "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) entzogen hat.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die zur Zeit des Bescheides vom 29.08.1991 (Vergleichsbescheid) vorlagen und mit denen die Verhältnisse zur Zeit des angegriffenen Bescheides (vom 24.06.2008) verglichen werden müssen, ist eine wesentliche Änderung dergestalt eingetreten, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches aG nicht mehr zu bejahen ist. Die in der Form eines Bescheids ergangene Mitteilung vom 23.03.1998, wonach keine Neufeststellung zum GdB und zu den Nachteilsausgleichen beabsichtigt sei, ist entgegen der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung kein anfechtbarer Verwaltungsakt, denn es wird ausdrücklich keine Regelung getroffen, sondern lediglich mitgeteilt, dass keine Neufeststellung beabsichtigt ist und es deshalb bei den bisherigen Feststellungen verbleibt. Selbst wenn eine Regelung und damit ein Verwaltungsakt unterstellt würde, erschöpfte sich die Entscheidung in der -einmaligen- Feststellung des Ergebnisses der Nachprüfung. Darin wäre kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu sehen, der der Vorschrift des § 48 SGB X unterfällt. Nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) iVm §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 12 Nr. 4 des Gesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 1950), ist auf Antrag des behinderten Menschen der Nachteilsausgleich aG in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Ein solcher Vermerk ist Grundlage für die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen, die von den Straßenverkehrsbehörden für bestimmte Ausnahmefälle vorgesehen sind.

Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind.

Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist ... Wer selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung gehen kann, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).

Zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des angegriffenen Bescheides vom 24.06.2008 (Widerspruchsbescheid vom 16.09.2008) stellten sich die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin im Vergleich zum Bescheid vom 29.08.1991 besser dar, sodass eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu bejahen ist.

Das dem Bescheid vom 29.08.1991 zugrundeliegende Gutachten vom 14.08.1991 beschrieb eine erhebliche psychomotorische Entwicklungsstörung. Das 21 Monate alte Kind konnte nur wenige Sekunden frei sitzen bei noch völlig ungenügender Kopf- und Rumpfkontrolle, Krabbeln war nicht möglich; auch als Fünfjährige konnte die Klägerin nach dem Gutachten vom 23.06.1994 im Nachprüfungsverfahren nur krabbeln und gerade 2-3 Meter gehen. Demgegenüber ist nach den neuen Befunden eine wesentliche Änderung eingetreten.

Maßgebend ist das Ausmaß der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit bezogen auf die Fortbewegung als solches (BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9A SB 5/05 R-, veröff. in Juris und Behindertenrecht 2008,138); auf Beeinträchtigungen der allgemeinen Bewegungsfähigkeit, z.B. durch fehlende Orientierungsfähigkeit, kommt es nicht an.

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen steht für den Senat fest, dass die Klägerin in ihrer Gehfähigkeit nicht mehr in dem erforderlichen Maße eingeschränkt ist. Zu den oben genannten Schwerbehinderten, denen nach der Verwaltungsvorschrift regelmäßig das Merkzeichen aG zusteht (Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte usw.), zählt die Klägerin nicht. Sie ist auch nicht der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten zuzurechnen. Weder ist sie beim Gehen dauernd auf fremde Hilfe angewiesen noch kann sie nur mit großer Anstrengung gehen.

Auf fremde Hilfe ist sie nur angewiesen auf unebenen Wegen oder zur Überwindung von Hindernissen. Wie sich aus dem Pflegegutachten vom 13.08.2004 ergibt, ist das Erheben/Gehen überwiegend selbstständig möglich und das Gangbild der Klägerin ist recht flüssig. Nach dem Pflegegutachten kann sie sogar selbständig Treppen benutzen. Die Klägerin kann nach dem dem Schulbericht beigefügten Therapiebericht aus dem Jahre 2007 in der ihr vertrauten Umgebung Wege zwischen den verschiedenen Einrichtungen (Haus der Therapie und Werkstufe) allein zurücklegen. Damit stimmt auch die schriftliche Zeugenaussage von Dr. F. vom 02.02.2009 überein, wonach die Klägerin - nur - außerhalb der Wohnung und der täglichen gewohnten Umgebung, wie Schule und Schulweg, fremder Hilfe bedarf. Er hat in seinem Schreiben vom 31.05.2008 ausgeführt, dass die Klägerin in der Lage sei, ca. 50 bis 100 m auf absolut ebenem hindernisfreiem Untergrund in Begleitung eines Menschen zu laufen. Damit ist nach Überzeugung des Senats die Gehfähigkeit der Klägerin jedoch nicht in dem erforderlichen Maße eingeschränkt, dass der Nachteilsausgleich "aG" berechtigt wäre. Hinweise darauf, dass die Wirbelsäulenverkrümmung mit 32° nach Cobb - erst eine Skoliose ab 70° nach Cobb begründet eine besonders schwere Auswirkungen, vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze (VG) B 18.9 -, die Beinverkürzung und X-Beinstellung eine Gleichstellung mit den Regelfällen der Querschnittsgelähmten, Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten usw. erlaubt, enthält auch der Untersuchungsbericht von Dr. M. vom 15.03.2010 nicht. Ob der dort genannte Befund bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Widerspruchsbescheids vom 16.09.2008 vorlag bzw. bekannt war, kann daher dahinstehen.

Soweit Dr. F. in seiner Aussage vom 02.02.2009 unter Hinweis auf die Symptomatik des Charge-Syndroms mit Bewegungsstörung mit ataktischem Gang, Körperkoordinations- und Gleichgewichtsstörungen links stärker als rechts mit gemischter Muskeltonusstörung eine Sturzgefahr bei den kleinsten Unebenheiten des Untergrunds bzw. auch bei nur sanft abfallendem Terrain beschreibt und deshalb in Übereinstimmung mit dem Orthopäden Dr. M. die Voraussetzungen des Merkzeichens aG weiter bejaht, kann dem der Senat nicht folgen. Ob ein bestimmter - unstreitiger - medizinischer Befund die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal einer außergewöhnlichen Gehbehinderung rechtfertigt, ist keine medizinische Frage, sondern die dem Senat vorbehaltene Beurteilung einer Rechtsfrage. Der von Dr. F. mitgeteilte Befund vermittelt eine Hilfebedürftigkeit der Klägerin für das Gehen nur bei bestimmten, wenn auch nicht selten vorherrschenden Umgebungsbedingungen. Der Hilfebedarf besteht aber nicht praktisch ab dem ersten Schritt - außerhalb des Kraftfahrzeuges -. Auch die Beobachtungen des Berichterstatters während des nicht-öffentlichen Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 26.03.2010 lassen keinen Schluss auf eine solchermaßen erhebliche Einschränkung der Gehfähigkeit zu. Das Gangbild der Klägerin, die auf dem Gerichtsflur ohne Hilfe der Eltern und im Sitzungssaal während der Sitzung mehrfach von dem ihr von ihren Betreuern zugewiesenen Platz im Bereich der Zuhörer selbstständig und unaufgefordert zum Tisch der Eltern gegangen ist - weshalb sie auch von den Eltern ermahnt wurde, wieder im Zuhörerbereich Platz zu nehmen -, war nicht auffällig oder unsicher, wie auch die Klägerin selbst keine Ängstlichkeit beim Gehen hat erkennen lassen.

Dass sich die Klägerin nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeugs fortbewegen kann, ist den medizinischen Befunden nicht zu entnehmen. Hierauf hat auch das Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend hingewiesen. Dies wird letztlich auch von der Klägerin selbst nicht behauptet.

Hierbei wird nicht verkannt, dass die Klägerin auf Betreuung angewiesen ist und eine Begleitperson benötigt. Dies zum einen bei unebenem Weg und zum anderen auch zur Orientierung und zur Vermeidung von Gefahren im Straßenverkehr. Dies kann aber bei der Prüfung der Gehfähigkeit im Rahmen des Nachteilsausgleiches "aG", wie dargelegt, nicht berücksichtigt werden, sondern spielt vielmehr beim Nachteilsausgleich "B" (Notwendigkeit einer Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel) eine Rolle. Letzteres ist bei der Klägerin anerkannt und wird auch vom Beklagten weiterhin zugestanden.

Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass zur Zulassung der Revision liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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