L 3 SB 5750/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 1521/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5750/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

In der Sache begehrt die Klägerin einen höheren Grad der Behinderung (GdB) seit 06.01.2008. Streitig ist vorab, ob die von der Klägerin erhobene Berufung zulässig ist.

Der Beklagte hatte bei der 1947 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 26.04.2005 ab 30.05.2005 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen "Erkrankung des lymphatischen Systems (in Heilungsbewährung), chronische Magenschleimhautentzündung, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom" (Teil-GdB 80) und "Depression, funktionelle Kreislaufstörungen" (Teil-GdB 20) einen GdB von 90 festgestellt. Auf die von dem Beklagten im Mai 2007 eingeleitete Nachprüfung der Verhältnisse hob der Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 03.01.2008 den Bescheid vom 26.04.2005 auf und setzte den GdB ab 06.01.2008 unter Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen "chronische Magenschleimhautentzündung" (Teil-GdB 10), "Depression, funktionelle Kreislaufstörungen, funktionelle Organbeschwerden" (Teil-GdB 30) und "chronisch-venöse Insuffizienz rechts, Krampfadern, Allergie" (Teil-GdB 20) auf 40 fest. Den von der Klägerin dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte unter Anerkennung einer "Harninkontinenz" mit einem Teil-GdB von 10 mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2008 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 08.04.2008 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat unter anderem Beweis erhoben durch Einholung eines fachneurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie A. vom 15.10.2008, die den bei der Klägerin festgestellten Gesamt-GdB von 40 bestätigt hat. In Anschluss daran meldete sich für die Klägerin die Vertrauensperson für Schwerbehinderte im Landratsamt Karlsruhe B. C., der vom SG als Prozessbevollmächtigter geführt wurde. Mit Gerichtsbescheid vom 29.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Gerichtsbescheid wurde B. C. laut Postzustellungsurkunde am 05.11.2009 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 02.12.2009, der sich in einem Briefumschlag mit dem Poststempel des Briefzentrums 76 -07.12.2009-6 befindet und beim Landessozialgericht Baden-Württemberg am 08.12.2009, einem Dienstag, eingegangen ist, hat B. C. unter Vorlage einer Vollmacht der Klägerin Berufung eingelegt. Im weiteren Verlauf hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, ihn treffe an der Versäumnis keine Schuld. Er hat sich hierzu auf die von der Deutschen Post im Internet angegebenen Laufzeitquoten, wonach über 95 % aller Briefe am Tag nach der Einlieferung beim Empfänger seien, berufen. Ergänzend hat er auf seine schwer angeschlagene Gesundheit hingewiesen. Zwischen Ende November 2009 und 10.12.2009 habe er sich in einer Ausnahmesituation befunden und habe am 01.12.2009 einen Notfalltermin bei dem Integrationsfachdienst Karlsruhe wahrnehmen müssen.

Der Senat hat darauf hingewiesen, dass eine Vertretung der Klägerin durch B. C. nach § 73 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 01.07.2008 geltenden Fassung nicht mehr zulässig und deshalb beabsichtigt sei, B. C. zurückzuweisen, worauf sich für die Klägerin Rechtsanwalt Dr. Krauskopf von der Kanzlei Bartsch und Partner als neuer Bevollmächtigter gemeldet hat.

Dieser hat eine eidesstattliche Erklärung von B. C. vom 09.03.2010 vorgelegt, ausweislich dessen dieser erklärt hat, dass er den Brief am Sonntag, den 06.12.2009, im Briefzentrum 76 in Karlsruhe eingeworfen habe.

Der Senat hat hierauf eine Auskunft der Deutschen Post AG in Karlsruhe eingeholt. Für diese hat D. E. unter dem 18.03.2010 mitgeteilt, dass Briefe, die beim Briefzentrum Karlsruhe sonntags vor 15.30 Uhr in den Briefkasten eingeworfen würden, den Stempel des Sonntags mit der Uhrzeit 17.00 Uhr, und Briefe, die danach bis 23.30 Uhr beim Briefzentrum eingeworfen würden, den Stempel des Folgetags mit der Uhrzeit 6.00 Uhr erhielten. Wenn es sich um Sendungen für die eigene Leitregion (76 ...) handele, würden diese noch am selben Tag zugestellt. Sendungen für andere Leitregionen kämen am Folgetag in die Auslieferung.

Die Klägerin hat sich hierzu dahin geäußert, dass B. C. nicht bekannt gewesen sei, dass sonntags eingeworfene Briefe im Briefzentrum wie von diesem beschrieben behandelt würden. Er sei von dem Grundsatz der Deutschen Post ausgegangen, dass Sendungen für andere Leitregionen am Folgetag ausgeliefert würden.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

ihr gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Oktober 2009 aufzuheben, den Bescheid vom 03. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2008 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unzulässig.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie - unter anderem - nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt ist. Dies kann nach Satz 2 der Vorschrift durch Beschluss geschehen. Ein Beschluss darf nicht ergehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2009 § 158 Rd. 6). So liegt der Fall hier.

Gemäß § 143 SGG findet gegen Urteile der Sozialgerichte - nach § 105 SGG gilt gleiches für Gerichtsbescheide - die Berufung statt. Diese ist beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Diese Frist ist hier versäumt.

Nach § 63 Abs. 2 SGG wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt. Dabei kann ein Schriftstück durch Postzustellungsurkunde zugestellt werden (§§ 176 ff. ZPO). Ist ein Prozessbevollmächtigter bestellt, hat die Zustellung gemäß § 172 ZPO an ihn zu erfolgen.

Hier hat das SG den Gerichtsbescheid dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin per Postzustellungsurkunde am 05.11.2008 zugestellt. Die Zustellung war wirksam. Zwar war eine Vertretung durch B. C. nach § 73 SGG in der ab 01.07.2008 geltenden Fassung nicht mehr zulässig. B. C. war und ist jedoch nicht gemäß § 73 Abs. 3 SGG zurückgewiesen, so dass von ihm vorgenommene und an ihn gerichtete Handlungen wirksam waren und sind. Etwas anderes würde erst für die Zeit nach einem Zurückweisungsbeschluss nach § 73 Abs. 3 SGG gelten. Ein solcher Beschluss liegt nicht vor.

Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung. Gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (§ 64 Abs. 3 SGG).

Die einmonatige Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 SGG) hat somit am 06.11.2009 begonnen. Da der 05.12.2009 ein Samstag war, lief die Frist gemäß § 64 Abs. 3 SGG am Montag, den 07.12.2009 ab. Die Berufung der Klägerin ist dagegen erst am 08.12.2009 und damit nach Fristablauf bei Gericht eingegangen.

Gründe, die gemäß § 67 Abs. 1 SGG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist einem Prozessbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist der Fall, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden angesichts der gesamten Umstände des Einzelfalles nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist (BSGE 72,158). Der Beteiligte kann eine Frist bis zu deren Ende ausschöpfen. Kurz vor dem Fristablauf erhöht sich jedoch die Sorgfaltspflicht (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 64 Rd. 6, § 67, Rd. 9n).

Der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden der Klägerin zuzurechnen ist und ihrem eigenen Verschulden gleichsteht (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 67 Rd. 3e), beruft sich zum einen auf seine Erkrankung und zum anderen auf Verzögerungen bei der Postzustellung. Beides vermag indessen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen.

Bezüglich der Erkrankung trägt B. C. vor, dass er von Ende November 2009 bis 10.12.2009 völlig handlungsunfähig gewesen sei und am 01.12.2009 einen Notfalltermin habe wahrnehmen müssen. Zu beachten ist insoweit, dass die Berufungsschrift das Datum 02.12.2009 trägt und dass der Brief von B. C. am 06.12.2009 in den Briefkasten des Briefzentrums Karlsruhe eingeworfen wurde. Eine völlige Handlungsunfähigkeit und fehlendes Verschulden ist damit widerlegt. Die Erkrankung hat B. C. nicht daran gehindert, die Berufung rechtzeitig einzulegen.

Ein Verschulden von B. C. ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil es zu Verzögerungen bei der Briefbeförderung gekommen ist. Insoweit läge kein Verschulden vor, wenn ein Schriftstück den postalischen Bestimmungen entsprechend richtig frankiert so rechtzeitig zur Post gegeben ist, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgemäß erreicht hätte. Der Absender kann sich darauf verlassen, dass die Post öffentlich, z.B. durch Aushang bekannt gegebene Postlaufzeiten einhält (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 67 Randziffer 6a). Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die im Internet veröffentlichten Postlaufzeiten.

Zu von der Klägerin nicht verschuldeten Verzögerungen bei der Beförderung der Post ist es indessen nicht gekommen, denn es kam zu keinen postalischen Verzögerungen. Vielmehr wurde der Brief nicht rechtzeitig eingeworfen. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein gewissenhafter Prozessführender davon ausgehen kann, dass ein am Vortag eingeworfener Brief sicher am Folgetag beim Empfänger ankommt. Problematisch könnte dies deshalb sein, weil auch unter Berücksichtigung der von der Deutschen Post in das Internet eingestellten Laufzeitquoten nicht alle Briefe, sondern im Jahr 2008 nur 95,1 % aller Briefe und im Jahr 2009 nur 94,4% aller Briefe am Tage nach der Einlieferung beim Empfänger waren. Letztendlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, denn ein gewissenhafter Prozessführender kann sich, zumal kurz vor Fristablauf, auf jeden Fall nicht darauf verlassen, dass jeder Brief, den er an einem Sonntag einwirft, am Folgetag beim Empfänger ankommt. Bei einem Sonntag handelt es sich nicht um einen normalen Arbeitstag. An einem Sonntag verhält es sich nach der vom Senat eingeholten Auskunft bei der Deutschen Post AG in Karlsruhe so, dass Briefe, die vor 15.30 Uhr in den Briefkasten eingeworfen werden, den Stempel des Sonntags mit der Uhrzeit 17.00 Uhr bekommen, Briefe, die zwischen 15.30 Uhr und 23.30 Uhr eingeworfen werden, erhalten den Stempel des Folgetags mit der Uhrzeit 6.00 Uhr. Letztere werden in der eigenen Leitregion (76 ...) noch am selben Tag, Sendungen für andere Leitregionen am Folgetag ausgeliefert. Dass die Leerung um 15.30 Uhr und 23.30 Uhr erfolgt, steht auf dem Briefkasten. Diese Leerungszeiten sind auch im Internet aufgeführt. Nachdem der Briefumschlag den Stempel 07.12.2009 6.00 Uhr trägt, wurde der Brief zwischen 15.30 Uhr und 23.30 Uhr eingeworfen. Nach dem regelmäßigen Betriebsablauf erreichte er den Empfänger, das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart, das sich außerhalb der Leitregion Karlsruhe befindet, erst am Dienstag. Verzögerungen der Briefbeförderungen lagen damit nicht vor.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil dies B. C. nicht bekannt war. Grundsätzlich kann sich der Absender - wie ausgeführt - nicht darauf verlassen, dass ein Brief am Folgetag ankommt. Dies gilt erst Recht für Sonntage. Dass er an einem Sonntag bei der Deutschen Post nicht anrufen konnte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann dahingestellt bleiben, ob am Sonntag dort tatsächlich niemand telefonisch erreichbar war, wobei dies im Übrigen auch als Beleg dafür herangezogen werden kann, dass die Verhältnisse am Sonntag anders sind als an Werktagen. Denn dass B. C. sich erst am Sonntag erkundigen wollte, entspricht ebenfalls nicht dem, was einem gewissenhaften Prozessführenden angesichts der gesamten Umstände des Einzelfalls nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist. In einem solchen Fall hätte ein gewissenhafter Prozessführender während der üblichen Postöffnungszeiten und damit spätestens am Samstag anrufen müssen. Bei rechtzeitigem Anruf hätte ihm die Post auch mitgeteilt, dass er den Brief am Sonntag vor 15.30 Uhr in den Briefkasten einwerfen muss, damit er am Folgetag in Stuttgart zugestellt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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