Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 1526/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2480/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 19. April 2010 aufgehoben.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Das Sozialgericht (SG) hat den beschwerdeführenden Antragsgegner sinngemäß zu Leistungen i.H.v. EUR 485.- monatlich seit dem 22. März 2010 verpflichtet. Der Beschwerdewert von EUR 750.- ist somit überschritten.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das SG hat den Antragsgegner zu Unrecht zur vorläufigen Leistungsgewährung verpflichtet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen; je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)).
In Anwendung dieser Maßstäbe liegt ein Anordnungsgrund i.S.e. besonderen Eilbedürftigkeit nicht vor. Zwar verweist die Antragstellerin zu Recht darauf, dass dieser keine schweren und unzumutbaren Nachteile voraussetzt, sondern (nur) wesentliche. Ihre weitere Begründung, dass bei Grundsicherungsleistungen grundsätzlich von einer Eilbedürftigkeit auszugehen sei, trägt jedoch nicht. Vorliegend stehen gerade keine das Existenzminimum sicherstellende Leistungen im Streit, sondern solche der Eingliederungshilfe. Anders als beim Entzug oder der Ablehnung von Grundsicherungsleistungen wird bei Leistungen der Eingliederungshilfe nicht zwingend und gleichsam immanent die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde gefährdet. Soweit die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die die Eingliederungshilfe sicherstellen soll, einen grundrechtlichen Bezug zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aufweist, ist zu beachten, dass die Antragstellerin vorliegend aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigung aktuell noch gar nicht in der Lage ist, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Sie soll durch die begehrten Leistungen erst an dieses herangeführt werden. Ein Eingriff in den grundrechtlich geschützten Kernbereich liegt somit nicht vor. Für eine aktuell drohende Gefährdung der Gesundheit der Antragstellerin und damit des grundrechtlichen Schutzgutes des Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes liegen entgegen deren Ansicht keine Anhaltspunkte vor. Das im Verfahren vor dem SG vorgelegte Attest von Dr. D. vom 3. November 2008 ist nicht mehr aktuell und trifft insbesondere keine Aussage zur nun maßgeblichen Situation der Antragstellerin seit ihrem Einzug in die eigene Wohnung im Juli 2009. Dem Gutachten des Gesundheitsamts Lahr vom 6. August 2009 ist eine akute Gefahr der Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes ebenfalls nicht zu entnehmen. Soweit der Mitarbeiter des Betreuten Wohnens (BeWO) W. in der Stellungnahme vom 15. April 2010 wegen Vereinsamung und Antriebslosigkeit die Gefahr eines Rückfalles in die früher akute Alkoholkrankheit nach dreizehnjähriger Abstinenz annimmt, findet sich hierfür weder im genannten Gutachten noch in der Stellungnahme des medizinisch-pädagogischen Dienstes des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) eine Stütze. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es seit dem Umzug der Antragstellerin in die eigene Wohnung im Juli 2009, mithin in einem Zeitraum von nunmehr fast einem Jahr, nicht zu einer solchen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist. Dies bedeutet nicht, dass die Antragstellerin keiner weiteren Hilfe bedarf. Maßgeblich ist hier jedoch zunächst nur, dass keine akute Gefährdung in einem grundrechtlich geschützten Bereich besteht, die einer Entscheidung aufgrund einer summarischen Prüfung entgegenstünde.
Eine besondere Eilbedürftigkeit ist nicht glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin kann nach derzeitigem Stand zugemutet werden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Die Versorgung der Antragstellerin im Bereich Wohnung und Haushalt ist nicht in Frage gestellt. Dies ergibt sich sowohl aus dem Gutachten des Gesundheitsamtes als auch aus der Stellungnahme des medizinisch-pädagogischen Dienstes des KVJS. Innerhalb ihrer Wohnung ist die Antragstellerin in der Lage, sich realitätsgerecht zu verhalten. Die beschriebene Antriebsminderung stand dem schon bislang nicht entgegen. Zwar ist die Antragstellerin aufgrund ihrer Ängste nicht in der Lage, ihre Einkäufe alleine zu erledigen. Doch ist es ihr bisher mit Hilfe ihrer Tochter gelungen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch diese wohl erhebliche psychische Probleme hat. Zu Schwierigkeiten ist es aber bislang offenbar nicht gekommen. Beschrieben und vorgetragen wird lediglich eine zunehmende Ablehnung von Seiten der ältesten Enkelin, wenn sich die Antragstellerin länger in der Familie ihrer Tochter aufhält. Diese Problemlage besteht jedoch für die abgegrenzten Zeiträume gemeinsamer Einkäufe außer Haus nicht.
Nach den vorliegenden Unterlagen besteht der Hilfebedarf der Antragstellerin insbesondere im Aufbau einer Tagesstruktur und sozialer Kontakte. Hierzu müssen ihre apathische Grundhaltung und sozialen Ängste überwunden werden. Es erscheint daher bedenklich, wenn der Antragsgegner einwendet, die Antragstellerin habe kein Interesse an außerhäusigen Kontakten oder Aktivitäten geäußert. Denn gerade diese krankheitsbedingten Hindernisse einer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gilt es zu überwinden. Des Weiteren dürfte die unterstützende Hilfe, die nach der Stellungnahme der BeWO für die Wahrnehmung von Arztterminen zu leisten ist, damit die Antragstellerin hierfür überhaupt das Haus verlässt, entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht in den Aufgabenkreis der bestellten Betreuerin fallen.
An einem Anordnungsgrund fehlt es jedoch, wenn der Antragsteller zumutbar darauf verwiesen werden kann, den bestehenden Bedarf in zumutbarer Weise anderweitig zu decken. Erfolgte die Bedarfsdeckung bisher durch Leistungen Dritter, besteht ein Anordnungsgrund nur, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Bereitschaft des Dritten zur Leistung nicht mehr besteht (Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Mai 2005 - L 5 B 4/05 AS ER - (juris); Hk-SGG, 3. Aufl., § 86b Rdnr. 38). Vorliegend erhält die Antragstellerin Betreuungsleistungen von den Mitarbeitern der BeWO. Dies erfolgt "ehrenamtlich", also für die Antragstellerin kostenfrei, was bei einem wirtschaftlich agierenden Unternehmen eigentlich nicht erwartet werden kann. Daher wird nicht davon auszugehen sein, dass diese Hilfeleistung einem materiellrechtlichen Leistungsanspruch der Antragstellerin entgegengehalten werden könnte. Dies wäre allerdings eine im Hauptsacheverfahren zu beachtende Frage. Für den Anordnungsgrund im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist die tatsächlich gewährte Hilfe jedoch zu beachten. Denn weder aus der Stellungnahme der BeWO vom 15. April 2010 noch aus dem bisherigen Ablauf des Verfahrens kann entnommen werden, dass diese Hilfe eingestellt werden soll. Solches hat auch der Bevollmächtigte der Antragstellerin auf den entsprechenden Hinweis des Antragsgegners nicht vorgetragen. Da diese kostenlose Hilfe bereits seit Juli 2009 und damit weit vor Stellung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz erbracht wird, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft nur bis zum Abschluss dieses gerichtlichen Eilverfahrens besteht. Der umschriebene Hilfebedarf ist somit durch diese Hilfeleistung derzeit überwiegend gedeckt.
Ungelöst bleibt nach der Stellungnahme der BeWO vom 15. April 2010 die schon im Bericht des medizinisch-pädagogischen Dienstes des KVJS vom 4. Januar 2010 angesprochene Problematik der Lösung der "symbiotischen Beziehung" der Antragstellerin zu ihrer Tochter. Die wöchentlichen Gespräche der Antragstellerin mit Mitarbeitern der BeWO über den psychischen Gesundheitszustand finden offenbar überwiegend in Gegenwart der Tochter statt, was ein freies Reden der Antragstellerin nachvollziehbar erschwert. Es ist jedoch nicht dargelegt, dass die benötigte Hilfe nicht in ausreichendem Maße durch den - ambulant agierenden - sozialpsychiatrischen Dienst des Antragsgegners geleistet werden könnte. Dies gilt im Übrigen, worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist, für den gesamten umschriebenen Hilfebedarf der Antragstellerin. In der Stellungnahme der BeWO vom 15. April 2010 wird lediglich angenommen, dass dieser Dienst "wahrscheinlich" keine ausreichende Hilfe bieten könne, ohne dies in irgendeiner Weise näher darzulegen. Das Angebot dieses Dienstes wurde von der Antragstellerin bislang auch nicht in Anspruch genommen, so dass sich auch im tatsächlichen Ablauf keine Unzulänglichkeit belegen ließ. Zumindest derzeit besteht daher keine Eilbedürftigkeit i.S.e. Anordnungsgrundes, so dass es auf das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruches (Anordnungsanspruch) nicht mehr ankommt.
Nach alldem kann offenblieben, ob der Beschluss des SG nicht schon wegen Nichteinhaltung der Vollstreckungsfrist gem. § 86b Abs. 2 SGG i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO aufzuheben gewesen wäre (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 11. Januar 2006 (FEVS 58, 14); LSG Sachsen, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 3 B 380/08 AS-ER -; Bay. LSG, Beschluss vom 27. April 2009 - L 8 SO 29/09 B ER - (beide juris)).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Das Sozialgericht (SG) hat den beschwerdeführenden Antragsgegner sinngemäß zu Leistungen i.H.v. EUR 485.- monatlich seit dem 22. März 2010 verpflichtet. Der Beschwerdewert von EUR 750.- ist somit überschritten.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das SG hat den Antragsgegner zu Unrecht zur vorläufigen Leistungsgewährung verpflichtet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Beides sind gleichberechtigte Voraussetzungen, die ein bewegliches System darstellen; je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein und umgekehrt. Völlig entfallen darf hingegen keine der beiden. Dementsprechend sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind dann unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B - und vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - (beide juris)).
In Anwendung dieser Maßstäbe liegt ein Anordnungsgrund i.S.e. besonderen Eilbedürftigkeit nicht vor. Zwar verweist die Antragstellerin zu Recht darauf, dass dieser keine schweren und unzumutbaren Nachteile voraussetzt, sondern (nur) wesentliche. Ihre weitere Begründung, dass bei Grundsicherungsleistungen grundsätzlich von einer Eilbedürftigkeit auszugehen sei, trägt jedoch nicht. Vorliegend stehen gerade keine das Existenzminimum sicherstellende Leistungen im Streit, sondern solche der Eingliederungshilfe. Anders als beim Entzug oder der Ablehnung von Grundsicherungsleistungen wird bei Leistungen der Eingliederungshilfe nicht zwingend und gleichsam immanent die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde gefährdet. Soweit die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die die Eingliederungshilfe sicherstellen soll, einen grundrechtlichen Bezug zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aufweist, ist zu beachten, dass die Antragstellerin vorliegend aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigung aktuell noch gar nicht in der Lage ist, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Sie soll durch die begehrten Leistungen erst an dieses herangeführt werden. Ein Eingriff in den grundrechtlich geschützten Kernbereich liegt somit nicht vor. Für eine aktuell drohende Gefährdung der Gesundheit der Antragstellerin und damit des grundrechtlichen Schutzgutes des Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes liegen entgegen deren Ansicht keine Anhaltspunkte vor. Das im Verfahren vor dem SG vorgelegte Attest von Dr. D. vom 3. November 2008 ist nicht mehr aktuell und trifft insbesondere keine Aussage zur nun maßgeblichen Situation der Antragstellerin seit ihrem Einzug in die eigene Wohnung im Juli 2009. Dem Gutachten des Gesundheitsamts Lahr vom 6. August 2009 ist eine akute Gefahr der Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes ebenfalls nicht zu entnehmen. Soweit der Mitarbeiter des Betreuten Wohnens (BeWO) W. in der Stellungnahme vom 15. April 2010 wegen Vereinsamung und Antriebslosigkeit die Gefahr eines Rückfalles in die früher akute Alkoholkrankheit nach dreizehnjähriger Abstinenz annimmt, findet sich hierfür weder im genannten Gutachten noch in der Stellungnahme des medizinisch-pädagogischen Dienstes des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) eine Stütze. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es seit dem Umzug der Antragstellerin in die eigene Wohnung im Juli 2009, mithin in einem Zeitraum von nunmehr fast einem Jahr, nicht zu einer solchen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist. Dies bedeutet nicht, dass die Antragstellerin keiner weiteren Hilfe bedarf. Maßgeblich ist hier jedoch zunächst nur, dass keine akute Gefährdung in einem grundrechtlich geschützten Bereich besteht, die einer Entscheidung aufgrund einer summarischen Prüfung entgegenstünde.
Eine besondere Eilbedürftigkeit ist nicht glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin kann nach derzeitigem Stand zugemutet werden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Die Versorgung der Antragstellerin im Bereich Wohnung und Haushalt ist nicht in Frage gestellt. Dies ergibt sich sowohl aus dem Gutachten des Gesundheitsamtes als auch aus der Stellungnahme des medizinisch-pädagogischen Dienstes des KVJS. Innerhalb ihrer Wohnung ist die Antragstellerin in der Lage, sich realitätsgerecht zu verhalten. Die beschriebene Antriebsminderung stand dem schon bislang nicht entgegen. Zwar ist die Antragstellerin aufgrund ihrer Ängste nicht in der Lage, ihre Einkäufe alleine zu erledigen. Doch ist es ihr bisher mit Hilfe ihrer Tochter gelungen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch diese wohl erhebliche psychische Probleme hat. Zu Schwierigkeiten ist es aber bislang offenbar nicht gekommen. Beschrieben und vorgetragen wird lediglich eine zunehmende Ablehnung von Seiten der ältesten Enkelin, wenn sich die Antragstellerin länger in der Familie ihrer Tochter aufhält. Diese Problemlage besteht jedoch für die abgegrenzten Zeiträume gemeinsamer Einkäufe außer Haus nicht.
Nach den vorliegenden Unterlagen besteht der Hilfebedarf der Antragstellerin insbesondere im Aufbau einer Tagesstruktur und sozialer Kontakte. Hierzu müssen ihre apathische Grundhaltung und sozialen Ängste überwunden werden. Es erscheint daher bedenklich, wenn der Antragsgegner einwendet, die Antragstellerin habe kein Interesse an außerhäusigen Kontakten oder Aktivitäten geäußert. Denn gerade diese krankheitsbedingten Hindernisse einer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gilt es zu überwinden. Des Weiteren dürfte die unterstützende Hilfe, die nach der Stellungnahme der BeWO für die Wahrnehmung von Arztterminen zu leisten ist, damit die Antragstellerin hierfür überhaupt das Haus verlässt, entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht in den Aufgabenkreis der bestellten Betreuerin fallen.
An einem Anordnungsgrund fehlt es jedoch, wenn der Antragsteller zumutbar darauf verwiesen werden kann, den bestehenden Bedarf in zumutbarer Weise anderweitig zu decken. Erfolgte die Bedarfsdeckung bisher durch Leistungen Dritter, besteht ein Anordnungsgrund nur, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Bereitschaft des Dritten zur Leistung nicht mehr besteht (Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Mai 2005 - L 5 B 4/05 AS ER - (juris); Hk-SGG, 3. Aufl., § 86b Rdnr. 38). Vorliegend erhält die Antragstellerin Betreuungsleistungen von den Mitarbeitern der BeWO. Dies erfolgt "ehrenamtlich", also für die Antragstellerin kostenfrei, was bei einem wirtschaftlich agierenden Unternehmen eigentlich nicht erwartet werden kann. Daher wird nicht davon auszugehen sein, dass diese Hilfeleistung einem materiellrechtlichen Leistungsanspruch der Antragstellerin entgegengehalten werden könnte. Dies wäre allerdings eine im Hauptsacheverfahren zu beachtende Frage. Für den Anordnungsgrund im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist die tatsächlich gewährte Hilfe jedoch zu beachten. Denn weder aus der Stellungnahme der BeWO vom 15. April 2010 noch aus dem bisherigen Ablauf des Verfahrens kann entnommen werden, dass diese Hilfe eingestellt werden soll. Solches hat auch der Bevollmächtigte der Antragstellerin auf den entsprechenden Hinweis des Antragsgegners nicht vorgetragen. Da diese kostenlose Hilfe bereits seit Juli 2009 und damit weit vor Stellung des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz erbracht wird, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft nur bis zum Abschluss dieses gerichtlichen Eilverfahrens besteht. Der umschriebene Hilfebedarf ist somit durch diese Hilfeleistung derzeit überwiegend gedeckt.
Ungelöst bleibt nach der Stellungnahme der BeWO vom 15. April 2010 die schon im Bericht des medizinisch-pädagogischen Dienstes des KVJS vom 4. Januar 2010 angesprochene Problematik der Lösung der "symbiotischen Beziehung" der Antragstellerin zu ihrer Tochter. Die wöchentlichen Gespräche der Antragstellerin mit Mitarbeitern der BeWO über den psychischen Gesundheitszustand finden offenbar überwiegend in Gegenwart der Tochter statt, was ein freies Reden der Antragstellerin nachvollziehbar erschwert. Es ist jedoch nicht dargelegt, dass die benötigte Hilfe nicht in ausreichendem Maße durch den - ambulant agierenden - sozialpsychiatrischen Dienst des Antragsgegners geleistet werden könnte. Dies gilt im Übrigen, worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist, für den gesamten umschriebenen Hilfebedarf der Antragstellerin. In der Stellungnahme der BeWO vom 15. April 2010 wird lediglich angenommen, dass dieser Dienst "wahrscheinlich" keine ausreichende Hilfe bieten könne, ohne dies in irgendeiner Weise näher darzulegen. Das Angebot dieses Dienstes wurde von der Antragstellerin bislang auch nicht in Anspruch genommen, so dass sich auch im tatsächlichen Ablauf keine Unzulänglichkeit belegen ließ. Zumindest derzeit besteht daher keine Eilbedürftigkeit i.S.e. Anordnungsgrundes, so dass es auf das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruches (Anordnungsanspruch) nicht mehr ankommt.
Nach alldem kann offenblieben, ob der Beschluss des SG nicht schon wegen Nichteinhaltung der Vollstreckungsfrist gem. § 86b Abs. 2 SGG i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO aufzuheben gewesen wäre (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 11. Januar 2006 (FEVS 58, 14); LSG Sachsen, Beschluss vom 24. Oktober 2008 - L 3 B 380/08 AS-ER -; Bay. LSG, Beschluss vom 27. April 2009 - L 8 SO 29/09 B ER - (beide juris)).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved