L 8 U 3179/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2979/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3179/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. April 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Die 1942 geborene Klägerin war - nach ihren Angaben - vom 01.07.1958 bis 21.03.1964 bei der Firma F., W., und vom 23.03.1964 bis 25.12.1970 bei der Firma E. G. H., H., beschäftigt. Danach war die Klägerin nicht mehr berufstätig.

Am 02.04.2006 ging bei der Lederindustrie Berufsgenossenschaft von Dr. M. die Anzeige vom 24.03.2006 wegen des Verdachts auf eine Berufskrankheit Nr. 4302 ein. Darin wird mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine chronische Bronchitis und Husten. Wegen dieser Erkrankung sei von der Klägerin am 15.04.1998 erstmals ein Arzt aufgesucht worden. Seit 1998 erfolge eine ständige lungenfachärztliche Mitbetreuung. Radiologisch zeigten sich Bronchiektasen beidseits. Es träten gehäuft eitrige Bronchitiden mit protrahiertem Verlauf unter Antibiose auf. Die Blutgaseanalyse habe eine Hypoxämie ergeben. Die Berufskrankheitenanzeige wurde an die Textil- und Bekleidungs-BG (im Folgenden Beklagte), eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, weitergeleitet.

Die Beklagte leitete ein Feststellungsverfahren ein. Sie holte den Bericht von Dr. S. vom 26.06.2006 ein. Darin teilte Dr. S. unter Vorlage von Befundberichten vom 07.05.1998 und 14.11.2003 mit, sie habe die Klägerin im Mai 1998 erstmals untersucht. Die Klägerin habe über heftige Hustenattacken geklagt. Die Klägerin habe berichtet, dass der Husten seit einer Narkose vor einem Jahr bestehe. Außerdem teilte Dr. S. die erhobenen Befunde (normale Lungenfunktion) und den Behandlungsverlauf mit. Als Ursache des Hustens sah Dr. S. in erster Linie einen gastrooesophagalen Reflux an.

Mit Bescheid vom 25.10.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass bei ihr keine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der BKV vorliege und Ansprüche auf Leistungen nicht bestünden. Am 06.08.2007 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 25.10.2006 Widerspruch ein, den die Beklagte als Antrag gemäß § 44 SGB X wertete. Die Klägerin führte aus, sie sei sich sicher, dass die sich verschlimmernden schweren Hustenanfälle nur mit ihrer früheren Tätigkeit zusammenhingen. Sie sei während ihrer Tätigkeit Dämpfen von Schuhklebern sowie Aceton ausgesetzt gewesen. Ihr 1970 geborener Sohn sei mit schweren Missbildungen zur Welt gekommen. Damals hätten die Ärzte der Kinderklinik gesagt, die Missbildungen könnten nur von Umweltgiften sein. Die Klägerin legte medizinische Befundunterlagen bezüglich ihres Sohnes vor.

Die Beklagte holte von der Präventionsabteilung den Bericht zur Arbeitsplatzexposition vom 06.11.2007 ein, der unter Beteiligung der Klägerin erstellt wurde. Die Präventionsabteilung gelangte zu der Beurteilung, die Klägerin sei während ihrer Tätigkeit bei der Firma F. täglich kurzzeitig einer Belastung durch das Lösungsmittel Trichlorethylen ausgesetzt gewesen. Außerdem habe eine Belastung durch Öldämpfe bestanden. Genauere Angaben zum Verbrauch von Lösungsmitteln und der Höhe der Ölbelastung könnten nicht mehr gemacht werden. Bei der Firma E. habe die Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließlich unmittelbaren Umgang zu Latexdispersionsklebstoffen gehabt, die möglicherweise schwach ammoniakhaltig gewesen seien. Eine Belastung durch Lösungsmittel habe durch die Verarbeitung von lösungsmittelhaltigen Trennmitteln an benachbarten Arbeitsplätzen bestanden. Genauere Angaben könnten nicht mehr gemacht werden. Eine Belastung durch andere atemwegreizende Stoffe habe nicht ermittelt werden können. Außerdem holte die Beklagte die zusammenfassende Stellungnahme von Herrn S. vom 20.02.2008 ein.

Mit Bescheid vom 11.04.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin gemäß § 44 SGB X ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Überprüfung habe ergeben, dass für eine Rücknahme des Bescheides vom 25.10.2006 keine Gründe vorhanden seien. Ein grenzwertüberschreitender Kontakt zu chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen habe nicht nachgewiesen werden können. Es sei davon auszugehen, dass bei der Klägerin kein Krankheitsbild im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der BKV vorliege. Das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung habe nicht festgestellt werden können. Im Übrigen sei ein zeitlicher Zusammenhang mit der ausgeübten beruflichen Tätigkeit nicht gegeben. Die Tätigkeit sei auch nicht aufgrund der Atemwegserkrankung aufgegeben worden.

Hiergegen legte die Klägerin am 15.04.2008 Widerspruch ein. Sie machte zur Begründung geltend, chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe (Trichlorethylen, Latexdispersionsklebstoffe, Öldämpfe und Ammoniak) am Arbeitsplatz hätten bei ihr eine obstruktive Atemwegserkrankung verursacht. Die Ausführungen im Bescheid, dass ein grenzwertüberschreitender Kontakt zu chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen nicht nachgewiesen worden sei, sei unerheblich, da der Grenzwert und der Kontakt zu solchen Stoffen weder untersucht noch sonst ermittelt worden sei. Die Beklagte zog den Befundbericht der Thoraxklinik am Universitätsklinikum H. vom 03.06.2008 (mit weiteren Unterlagen) bei (Diagnosen: chronischer Husten, DM II und Adipositas).

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2008 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 11.04.2008 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 04.09.2008 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG). Sie trug zur Begründung vor, sie leide an obstruktiven Atemwegserkrankungen, verursacht durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hätten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich gewesen seien oder hätten sein können. Ihre Lunge sei geschädigt. Sie sei an ihren Arbeitsplätzen täglich mit Lösungsmitteln, u.a. Trichlorethylen, Öldämpfe, Latexdispersionsklebstoffen und Ammoniak usw. in Berührung gekommen, welche zu der schweren Lungenerkrankung geführt hätten, insbesondere mit Verengung der Atemwege. Sie sei nicht mehr belastbar, habe insbesondere nachts starke Hustenanfälle, was zu Schlafunterbrechung und Schlafmangel führe. Ihre Lunge sei durch die genannten Stoffe sogar teilweise chronisch entzündet. Hinzu komme, dass ihr Sohn aufgrund massiver Einwirkung fruchtschädigender Substanzen am Arbeitsplatz mit schweren Behinderungen geboren worden sei. Nach Aufgabe ihrer Tätigkeit sei ihre Tochter im Jahr 1972 gesund geboren worden. Nach § 9 Abs. 3 SGB VII werde vermutet, dass ihre Erkrankungen während der versicherten Tätigkeit verursacht worden seien. Eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 BKV liege somit vor.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezug auf die ergangenen Bescheide und die Ermittlungsergebnisse der Präventionsabteilung entgegen.

Mit Urteil vom 28.04.2009 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, es falle zunächst auf, dass zwischen der Tätigkeitsaufgabe und dem Beginn erster Hustenattacken ein beschwerdefreier Zeitraum von fast drei Jahrzehnten liege, weshalb fraglich sei, ob ein ursächlicher Zusammenhang bestehen könne. Hinzu komme, dass keine grenzwertüberschreitende chemisch-irritativ bzw. toxisch wirkende Belastungen hätten festgestellt werden können und weitere Arbeitsplatzermittlungen knapp 40 Jahre nach der Tätigkeitsaufgabe nicht mehr möglich seien. Im Übrigen habe keiner der gehörten Ärzte eine obstruktive Atemwegserkrankung bestätigt, deren Vorliegen für die Bejahung der Berufskrankheit Nr. 4302 unabdingbare Voraussetzung sei. Außerdem sei die Feststellung einer Berufskrankheit nicht möglich, da für die Klägerin im Jahr 1970 kein gesundheitlicher Grund für eine Tätigkeitsaufgabe bestanden habe.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 09.06.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.07.2009 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung ausgeführt, sie sei während ihrer Tätigkeit täglich chemisch-irritativ und/oder toxisch wirkenden Stoffen ausgesetzt gewesen, die zu ihrer Atemwegserkrankung geführt hätten. Die Beklagte habe keine nachvollziehbaren Feststellungen zu einer unter dem Grenzwert liegenden Belastung am Arbeitsplatz getroffen. Entgegen dem Vortrag der Beklagten lägen grenzwertüberschreitende Messwerte vor. Die Beklagte trage insbesondere nicht vor, worauf die Behauptung gestützt werde, dass grenzwertüberschreitende Kontakte zu chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen nicht hätten nachgewiesen werden können. Da andere Stoffe ausgeschlossen werden könnten, seien nur die während ihrer versicherten Tätigkeit kontaktierten Substanzen ursächlich für die Erkrankung. Andere Ursachen seien ebenfalls nicht gegeben. Unerheblich sei, dass nach Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit und ersten Hinweisen auf eine Atemwegserkrankung ein Zeitraum von mehr als 20 Jahre verstrichen sei. Durch die chronischen Einwirkungen der kontaktierten Stoffe hätten sich ihre Atemwege im Laufe der Jahre zunehmend verengt, wodurch es zur Behinderung der Atemmechanik und zu einer Dyspnoe gekommen sei, was durch die nunmehr aufgetretenen Hustenattacken erkennbar und feststellbar geworden sei. Ihre Erkrankung sei damit schon während der versicherten Tätigkeit angelegt gewesen. Wegen ihrer Atemwegserkrankung sei sie gezwungen gewesen, die gefährdende Tätigkeit auf Dauer aufzugeben. Ein objektiver Zwang zur Arbeitsaufgabe habe vorgelegen, obgleich diese Gründe bei ihr zunächst noch nicht erkennbar gewesen und erst Jahre später aufgetreten seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. April 2009 sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. Oktober 2006 und 11. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2008 aufzuheben und festzustellen, dass ihre Lungenerkrankung Folge einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung ausgeführt, weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Vor-aussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der BKV seien erfüllt. Auch habe die im Jahr 1998 erstmals diagnostizierte Atemwegserkrankung nicht zur Aufgabe der bis 25.12.1970 ausgeübten beruflichen Tätigkeit gezwungen, sodass auch die formalen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 BKV nicht erfüllt seien.

Der Senat hat mit richterlicher Verfügung vom 16.04.2010 auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 16.04.2010 auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig.

Die Klägerin erstrebt bei sinnentsprechender Auslegung ihres Begehrens (§ 123 SGG) die Aufhebung sowohl der jetzigen als auch der früheren, bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidungen sowie die gerichtliche Feststellung der geltend gemachten Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV.

Richtige Klageart zur Erreichung des angestrebten Ziels ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Die Feststellungsklage ist zulässig, denn es besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der geltend gemachten Erkrankung als Berufskrankheit. Auf die Feststellung dieses Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Unfallversicherungsträger können Entschädigungsleistungen gestützt werden. Einer zusätzlichen Verpflichtungsklage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Dass ein Verwaltungsakt nach Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr vor Gericht angefochten, sondern nur noch im Zugunstenverfahren zurückgenommen werden kann und dass hierüber nach § 44 Abs. 3 SGB X die zuständige Verwaltungsbehörde entscheidet, rechtfertigt nicht den Schluss, dass auch im Prozess über die Ablehnung des Zugunstenantrags die Rücknahmeentscheidung nicht vom Gericht ersetzt werden kann. Wäre es anders, käme eine mit dem Verpflichtungsantrag verbundene Leistungsklage - die auch von der Gegenmeinung für zulässig gehalten wird - aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Denn die Verwaltungsbehörde kann nicht zur Leistung verurteilt werden, ehe der entgegenstehende bestandskräftige (Ausgangs-)Bescheid beseitigt ist und solange nur die Behörde verpflichtet ist, ihn zurückzunehmen. Richtigerweise kann deshalb mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die von der Klägerin geltend gemachte Atemwegserkrankung ist nicht Folge einer Berufserkrankung nach Nr. 4302 BKV. Der Bescheid der Beklagten vom 25.10.2006 ist nicht rechtswidrig und der Bescheid vom 11.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.08.2008 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten muss sie in eine erneuten Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18 m. w. H.).

Aus den Entscheidungen des 9. und des 4. Senats des BSG (BSG vom 03.02.1988 - 9/9a RV 18/86 - BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr. 33 und BSG vom 03.04.2004 - B 4 RA 22/00 R - BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr. 20), die in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. §§ 578 ff der Zivilprozessordnung) oder an § 51 VwVfG ein abgestuftes Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder Erkenntnisse - Prüfung derselben, insbesondere ob sie erheblich sind - Prüfung, ob Rücknahme zu erfolgen hat - neue Entscheidung) fordern, folgt nichts Anderes. Unabhängig von der Frage, inwieweit der aufgezeigten Rechtsprechung zu einem abgestuften Prüfungsverfahren gefolgt werden kann, ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen anführt, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein, der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren, wie oben dargestellt, ankommen. Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss (vgl. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).

Anzuwenden sind weiter die Vorschriften des zum 01.01.1997 in Kraft getretenen Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII), da der geltend gemachte Versicherungsfall erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sein kann (§ 212 Abs.1 SGB VII). Die BKV ist in ihrer zum 01.12.1997 in Kraft getretenen Fassung vom 31.10.1997 (BGBl I S. 2623) anzuwenden, die aufgrund des SGB VII erlassen worden ist.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheiten Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind.

Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Abweichend von der früheren Verwendung des Begriffs der haftungsbegründenden Kausalität folgt der Senat der überzeugenden neueren Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil 02.04.2009 a.a.O.), dass auch im Berufskrankheiten-Recht der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen nicht als haftungsbegründende Kausalität bezeichnet werden kann. Durch diesen Zusammenhang wird keine Haftung begründet, weil Einwirkungen durch die versicherte Tätigkeit angesichts ihrer zahlreichen möglichen Erscheinungsformen und ihres unterschiedlichen Ausmaßes nicht zwangsläufig schädigend sind. Denn Arbeit - auch körperliche Arbeit - und die damit verbundenen Einwirkungen machen nicht grundsätzlich krank. Erst die Verursachung einer Erkrankung oder ihre wesentliche Verschlimmerung durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen - in nachgewiesener Dauer und Intensität - begründet eine "Haftung". Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles.

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Der Tatbestand der Berufskrankheiten-Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV lautet: Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Hiervon ausgehend trifft bei der Klägerin nicht zu, dass die von ihr geltend gemachte Erkrankung auf Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper am Arbeitsplatz mit rechtlich hinreichender Wahrscheinlichkeit hervorgerufen wurde. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung vielmehr mit dem SG zu der Überzeugung, dass im Hinblick auf den zwischen der Tätigkeitsaufgabe und dem Beginn erster Hustenattacken liegenden beschwerdefreien Zeitraum von ca. 28 Jahren ein ursächlicher Zusammenhang sehr unwahrscheinlich ist, dass weiter keine grenzwertüberschreitende chemisch-irritativ bzw. toxisch wirkende Belastungen festgestellt werden konnten, die einen Zusammenhang der geltend gemachten Erkrankung mit Einwirkungen bei der versicherten Tätigkeit hinreichend wahrscheinlich machen und weitere Arbeitsplatzermittlungen knapp 40 Jahre nach der Tätigkeitsaufgabe nicht mehr möglich sind, im Übrigen keiner der gehörten Ärzte eine obstruktive Atemwegserkrankung bestätigt hat, deren Vorliegen für die Bejahung der Berufskrankheit Nr. 4302 unabdingbare Voraussetzung ist und außerdem die Feststellung einer Berufskrankheit nicht möglich ist, da für die Klägerin im Jahr 1970 kein gesundheitlicher Grund für eine Tätigkeitsaufgabe bestanden hat. Der Senat verweist zur Begründung seiner eigenen Entscheidung vollumfänglich auf die hierzu gemachten Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Klägerin bleibt auszuführen:

Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte habe keine nachvollziehbaren Feststellungen zu einer unter dem Grenzwert liegenden Belastung am Arbeitsplatz getroffen. Nach den von der Beklagten durch die Präventionsabteilung durchgeführten Ermittlungen (Bericht zur Arbeitsplatzexposition vom 06.11.2007) war die Klägerin während ihrer Tätigkeit bei der Firma F. täglich kurzzeitig einer Belastung durch das Lösungsmittel Trichlorethylen ausgesetzt. Außerdem hat eine Belastung durch Öldämpfe bestanden. Bei der Firma E. hat die Klägerin - mit hoher Wahrscheinlichkeit - ausschließlich unmittelbaren Umgang zu Latexdispersionsklebstoffen gehabt, die möglicherweise schwach ammoniakhaltig gewesen sind. Eine Belastung durch Lösungsmittel hat durch die Verarbeitung von lösungsmittelhaltigen Trennmitteln an benachbarten Arbeitsplätzen bestanden. Eine Belastung durch andere atemwegreizende Stoffe hat nicht ermittelt werden können. Genauere Ermittlungen waren nicht mehr möglich, was im Hinblick darauf, dass die Klägerin im Dezember 1970 letztmals berufstätig war, plausibel und naheliegend ist und nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten der Klägerin geht. Für die Richtigkeit ihrer (pauschalen) Behauptung, entgegen dem Vortrag der Beklagten lägen grenzwertüberschreitende Messwerte vor, fehlt danach jeder Anhaltspunkt. Damit bleibt allenfalls die (vage) Möglichkeit der Verursachung der geltend gemachten Erkrankung (oder ihre wesentliche Verschlimmerung) durch die der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Einwirkungen, die nicht ausreicht, einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang zu begründen.

Gegen einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang spricht auch, dass die geltend gemachte Erkrankung erst ca. 28 Jahre nach der Aufgabe der angeschuldigten Tätigkeiten aufgetreten ist. Allein der Umstand, dass andere Stoffe und Ursachen ausgeschlossen werden könnten, wie die Klägerin geltend macht, ist nicht schon geeignet, einen rechtlich wesentlichen Zusammenhang zu begründen. Brückensymptome oder -befunde, die das Vorbringen der Klägerin stützen, ihre Erkrankung sei schon während der versicherten Tätigkeit angelegt gewesen, sind nicht nachgewiesen. Damit kann auch nicht festgestellt werden, dass bei der Klägerin ein objektiver Zwang zur Arbeitsaufgabe vorgelegen hat.

Schließlich kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf § 9 Abs. 3 SGB VII berufen. Nach dieser Vorschrift wird bei Versicherten, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit erkranken und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist. Dass bei der Klägerin solche besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit vorlagen, steht nach dem Ausgeführten indessen nicht fest.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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