L 1 U 21/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 59/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 21/10
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. November 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung des Unfalls des Klägers vom 10. Oktober 2005 als Arbeitsunfall.

Der 1930 geborene Kläger stürzte am 10. Oktober 2005 bei der Apfelernte von der 4. Sprosse einer Leiter und klemmte sich dabei den linken Fuß zwischen den Sprossen ein. Er erlitt eine offene Sprunggelenksluxationsfraktur Typ Weber C links (Durchgangsarztbericht vom 10. Mai 2010, Dr. V., mit Operationsbericht in Anlage). Die Streuobstwiese steht im Eigentum des Sohns des Klägers, J. H. (Unfallanzeige vom 11. November 2005), der insgesamt 0,43 ha Wiesen und Grünland besitzt. Auf der Wiese, auf der der Kläger zu Fall kam, standen im Unfallzeitpunkt insgesamt 70 Hochstamm-Obstbäume, deren Früchte zu 100% dem Eigenverbrauch des Sohnes dienen. Im Fragebogen "Obsterntung" vom 11. November 2005 gab J. H. weiter an, am Unfalltag hätten lediglich einige Früchte zum sofortigen Verzehr geerntet werden sollen. In einem persönlichen Gespräch eines Mitarbeiters der Beklagten mit dem Kläger und dessen Sohn am 30. November 2005 gaben diese an, der Kläger und seine Ehefrau hätten am Unfalltag, wie die Tage zuvor, Mostobst geerntet, um dieses zu Apfelsaft zum eigenen Verbrauch pressen zu lassen. Kurz vor Abschluss der Ernte sei der Sturz erfolgt. Der Sohn des Klägers gab an, an dem Obst kein Interesse gehabt zu haben, so dass es ihm egal gewesen sei, dass seine Eltern das Obst ernteten. Er habe ihnen keinen Auftrag erteilt.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Das gesamte Mostobst sollte ausschließlich für den eigenen Haushalt genutzt werden und habe deshalb nicht im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs des Sohnes unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Dagegen erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger am 4. Januar 2007 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben und zur Begründung vorgebracht, sein Sohn und Grundstückseigentümer sei wegen eines Impfschadens zu 100% schwerbehindert und linksseitig gelähmt. Im Spätsommer 2005 habe er sich zudem einer Bandscheibenoperation unterziehen müssen. Deshalb sei es diesem nicht möglich gewesen, das restliche Obst auf dem Unfallgrundstück abzuernten. Da er das Obst jedoch nicht habe verrotten lassen wollen, habe er seinen Vater beauftragt, das Obst abzuernten. Als Vergütung dafür sei vereinbart gewesen, dass der Vater das Obst behalten dürfe. Dabei habe sich der Unfall ereignet. Es könne keinen Zweifeln unterliegen, dass das Abernten des Obstes dem landwirtschaftlichen Unternehmen des Sohnes dienlich und im Betriebsinteresse erfolgt sei. Es sei unerheblich, ob der Kläger für das Abernten in Geld oder Naturalien vergütet werde. Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat auf die Erstangaben des Klägers und seines Sohnes verwiesen, wonach das Obst dem Eigenverbrauch des Vaters gedient habe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. August 2009 hat das SG den Kläger angehört und seinen Sohn J. H. als Zeugen vernommen. Auf die Niederschrift vom gleichen Tag wird inhaltlich Bezug genommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 25. November 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger sei nicht als Beschäftigter seines Sohnes versichert gewesen. Nach den Einlassungen im Termin zur mündlichen Verhandlung sei der Kläger nicht den Weisungen seines Sohnes unterworfen gewesen, weder im Hinblick auf das Ob von Arbeiten auf der Streuobstwiese noch des Wann oder Wie. Der Kläger habe völlig autonom entschieden, am Unfalltag das restliche Obst abzuernten; der Sohn habe ihm lediglich zu Beginn der Erntezeit Bescheid gegeben, dass er die gesamten Äpfel holen könne, da er insbesondere wegen seiner Bandscheibenoperation im Jahr 2005 überhaupt nicht habe ernten können. Der Kläger sei auch nicht wie ein Beschäftigter versichert gewesen, da es zum einen an jedem tatsächlichen oder vermuteten Weisungsverhältnis zwischen Sohn und Vater gefehlt habe und zum anderen eine fremdwirtschaftliche, nämlich auf die unternehmerischen Belange des Sohnes gerichteten Handlungstendenz, fehle.

Gegen den am 2. Dezember 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4. Januar 2010, einem Montag, Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft zur Begründung das bislang Vorgebrachte und führt ergänzend aus, dass er sehr wohl den Weisungen seines Sohnes unterlegen habe, da er nicht ohne Kenntnis oder Zustimmung seines Sohnes die Ernte durchgeführt habe. Auf schriftliche Weisungen komme es zwischen Familienmitgliedern nicht an. Darüber hinaus stehe die Aberntung der Streuobstwiese sehr wohl im wirtschaftlichen Interesse des Grundstückseigentümers.

Der Kläger beantragt, sinngemäß gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. November 2009 sowie den Bescheid vom 14. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2006 aufzuheben und festzustellen, dass es sich beim Unfall des Klägers vom 10. Oktober 2005 auf dem Grundstück seines Sohnes J. H., Flst.-Nr., Gewann B., Gemeinde E. , um einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet. Der Kläger hat am 10. Oktober 2005 keinen versicherten Arbeitsunfall auf dem landwirtschaftlichen Grundstück seines Sohnes erlitten.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch [SGB VII]). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3, oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeiten (versicherte Tätigkeiten). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII).

Der Kläger war nicht als Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII im Unternehmen seines Sohnes versichert. § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) definiert den Begriff Beschäftigung. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Wie das SG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, fehlte es am Unfalltag an jeder Weisungslage zwischen Sohn und Vater. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Prüfung auf die Ausführungen des SG auf Seiten 8 und 9 Bezug und schließt sich diesen an (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Ausführungen im Berufungsverfahren vermögen eine andere Betrachtung nicht zu rechtfertigen. Insbesondere unter Berücksichtigung der ausführlichen Einlassungen des Klägers und seines Sohnes vor dem SG kann von einer Weisungslage zwischen beiden nicht ausgegangen werden. Diese ist insbesondere nicht daraus zu schließen, dass der Sohn als Grundstückseigentümer seinem Vater quasi das Signal für das Abernten gibt, in dem er ihm mitteilt, das Obst wäre reif. Denn dem Kläger stand es auch nach dieser Mitteilung durch den Sohn völlig frei, ob er das Obst erntet, wann er es erntet und was er damit macht, da der Sohn im Jahr 2005 keine eigene Arbeitsleistung auf der Streuobstwiese erbringen konnte und auch das Obst nicht wollte, da er noch genügend Apfelsaft aus dem Vorjahr bevorratet hatte. Dass der Kläger dem Sohn bei ihren beinahe täglichen Begegnungen mitteilt, dass er erntet oder wann er dies vorhat und der Sohn dies - billigend - zur Kenntnis nimmt, macht aus dem Verhalten des Sohnes noch keine Weisung; auch nicht unter Berücksichtigung des offenbar engen familiären Verhältnisses zwischen beiden, was möglicherweise geringere Anforderungen an eine Weisung bedingen könnte. Ob das Behalten dürfen des Obstes demnach eine Art der "Bezahlung" für die Ernte darstellt, konnte deshalb offen bleiben, wobei der Senat daran erhebliche Zweifel hat, da der Sohn nach seinen eigenen Angaben keinerlei Interesse an dem Obst hatte und sich demgemäß die Frage stellen würde, weshalb er - dennoch - für das Abernten bezahlen sollte (zumal der Kläger selbst vorgebracht hatte, dass das Obst in Jahren, in denen nur ein schlechter Preis erzielt werden konnte, auch einfach herunterfällt und liegen gelassen wird).

Wie das SG weiter zu Recht entschieden hat, war der Kläger auch nicht wie ein Beschäftigter nach § 2 Abs. 2 SGB VII versichert.

Gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII sind auch Personen versichert, die wie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Hintergrund des erweiterten Versicherungsschutzes ist die in der Regel fremdnützige Ausrichtung der Tätigkeit der sogenannten Wie-Beschäftigten, die sie den Beschäftigten nach Abs. 1 Nr. 1 vergleichbar (schutzbedürftig) macht. § 2 Abs. 2 SGB VII stellt trotz seines allgemein gehaltenen Wortlauts keine allgemeine Auffang- oder Billigkeitsklausel für sämtliche - an sich - unversicherten Tätigkeiten dar. Vielmehr wird der Versicherungsschutz aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen nur auf Tätigkeiten erstreckt, die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäftigung ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden kann, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (st. Rspr. seit BSG 28. 5. 1957 - 2 RU 150/55 = BSGE 5, 168; dazu zuletzt BSG 31. 5. 2005 - B 2 U 35/04 R = HVBG-Info 2005, 619ff. mit Anmerkung Osing, jurisPR - SozR 30/2005 Anm. 3 und BSG 5. 7. 2005 - B 2 U 22/04 R = Breithaupt 2006, 121ff). Unternehmer ist nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht.

Voraussetzung für die Anerkennung einer Fremdnützigkeit ist, dass die Tätigkeit einem Unternehmen dienen und für dieses einen wirtschaftlichen Wert besitzen muss. Erforderlich ist also eine fremdbezogene Handlungstendenz, die vom bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist (BSG Urteil vom 5. 3. 2002, B 2 U 9/01 R = SGb 2002, 441), so dass es nicht ausreicht, dass die Tätigkeit nur objektiv nützlich ist. Vielmehr muss der Handelnde gerade auch subjektiv das Geschäft eines anderen besorgen wollen. Die der Tätigkeit zugrundeliegende Handlungstendenz ist daher ausschlaggebend. Verfolgt eine Person mit ihrem Verhalten, das ansonsten einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnelt, in Wirklichkeit im Wesentlichen nur eigene Angelegenheiten, ist sie nicht mit fremdwirtschaftlicher Zweckbestimmung und damit nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig (BSG Urteil vom 19. 3. 1996 - 2 RU 15/95 = VersR 1997, 1254ff.; BSG Urteil vom 5. 3. 2002 - B 2 U 9/01 R = SGb 2002, 441 [Kurzwiedergabe]; BSG Urteil vom 31. 5. 2005 - B 2 U 35/04 R = HVBG-Info 2005; BSG Urteil vom 5. 7. 2005 - B 2 U 22/04 R = Breithaupt 2006, 121ff), sondern wie ein Unternehmer eigenwirtschaftlich. Es genügt aber trotz subjektiver Handlungstendenz nicht, dass die Tätigkeit allein der Bequemlichkeit des Unterstützten dient, z.B. damit dieser früher Feierabend oder länger Pause machen kann. In diesen Fällen fehlt es an einer dem Unternehmensinteresse dienenden Tätigkeit. Auf die Dauer der Handlung oder die Frage, ob die Tätigkeit wirtschaftlich besonders ins Gewicht fällt, kommt es dagegen nicht an, so dass auch nur geringfügige oder zeitlich kurze Tätigkeiten genügen, die der Unterstützung und Hilfeleistung dienen.

Die subjektive Zielrichtung der Tätigkeit des Klägers war jedoch gerade nicht darauf gerichtet, die Geschäfte seines Sohnes zu besorgen, sondern seine eigenen. Es mangelte daher an der Unternehmensdienlichkeit der Handlung. Das Mostobst, das er am Unfalltag und den Tagen zuvor mit seiner Frau geerntet hatte, diente seinem Eigengebrauch. Entgegen dem Vorbringen im Klage- und Berufungsverfahren handelte es sich bei dem Mostobst auch nicht um die "Bezahlung" von Erntetätigkeiten durch den Sohn, da dieser an der Ernte des Obstes kein eigenes tatsächliches oder wirtschaftliches Interesse hatte (die Äpfel wären, hätte der Kläger nicht geerntet, nicht abgeerntet worden, sondern als Fallobst auf der Wiese verrottet) und deshalb auch der Kläger in keinerlei Hinsicht fremdwirtschaftlich gehandelt hat. Dem entspricht, dass der Kläger ausgeführt hat, dass er - wenn er es gewollt hätte - die aufgelesenen Äpfel auch auf eigene Rechnung hätte verkaufen können. Zudem hat er vor dem SG betont, dass der Unfall bei der Ernte des Baumes passierte, der die ihm besonders gut schmeckenden Äpfel trug, die er nicht nur 2005, sondern auch die ganzen Vorjahre allein für sich geerntet und vermostet bzw. zum Schnapsbrennen verwendet hat. Eine Fremdnützigkeit der Tätigkeit liegt somit nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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