L 12 AS 3422/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 4413/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3422/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25.6.2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), im einzelnen die Frage der Anrechnung einer Abfindung.

Der 1958 geborene Kläger steht seit Anfang 2005 mit kleineren Unterbrechungen im Leistungsbezug bei der Beklagten. Am 1.5.2007 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II. Vom 5.12.2006 bis 12.1.2007 stand der Kläger in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma W. Personalservice GmbH. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 24.5.2007, in dem sich die Arbeitgeberin verpflichtete, dem Kläger als Abgeltung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Sozialabfindung gem. §§ 9,10 KSchG in Höhe von 900 EUR brutto zu bezahlen.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 1.6.2007 für die Zeit von Juni 2007 bis November 2007 Leistungen ohne Anrechnung des Abfindungsbetrages. Die Arbeitgeberin teilte am 12.6.2007 mit, am 6.6.2007 sei ein Betrag von 944,75 EUR an den Kläger ausbezahlt worden. Mit Änderungsbescheid vom 14.6.2007 rechnete die Beklagte diesen Betrag für den Zeitraum vom 1.7.2007 bis 31.10.2007 unter Abzug eines monatlichen Freibetrages von 30 EUR mit monatlich 206,18 EUR an.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, die Anrechnung sei nicht korrekt. Es handele sich um eine Sozialabfindung im Sinne der §§ 9,10 KSchG, die nach allgemeiner Ansicht nicht als Einkommen zu berücksichtigen sei.

Im Widerspruchsverfahren berücksichtigte die Beklagte, dass der Abrechnungsbetrag von 944,75 EUR sich aus 900 EUR Abfindung und 44,75 EUR Erwerbseinkommen (Gehaltsnachzahlung) zusammensetzte. Mit Änderungsbescheid vom 16.8.2007 verteilte die Beklagte die Abfindung von 900 EUR auf die genannten vier Monate und errechnete unter Berücksichtigung eines monatlichen Freibetrages von 30 EUR eine monatliche Anrechnung von 195 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.8.2007 wies die Beklagte den Widerspruch im übrigen zurück.

Dagegen hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 6.9.2007 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Er hat vorgetragen, bei der Abfindung gem. §§ 9,10 KSchG handele es sich um eine Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes, nämlich des Arbeitsplatzes. Eine Anrechnung auf das Arbeitslosengeld II stelle eine Zweckvereitelung dar, die Abfindung dürfe deshalb als zweckgebundene Leistung nicht als Einkommen angerechnet werden.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.6.2008 hat das SG durch Urteil vom selben Tag die Änderungsbescheide vom 14.6.2007 und vom 16.8.2007, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2007 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.7.2007 bis 31.10.2007 Leistungen ohne Anrechnung der Abfindung von 900 EUR zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat das SG nach Darstellung der hier anzuwendenden Rechtsnormen, insbesondere §§ 7 und 11 SGB II, ausgeführt, die nach §§ 9,10 KSchG gezahlte Abfindung sei nach § 11 Abs. 3 Ziff.1 Buchst. a) SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Zwischen einer nach §§ 9,10 KSchG gezahlten Abfindung und dem Alg II bestehe keine Zweckidentität. Die Kündigungsabfindung sei letztlich eine Entschädigung eigener Art für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die als vermögensrechtliches Äquivalent für die Aufgabe des als "sozialen Besitzstandes" anzusehenden Arbeitsplatzes Entschädigungsfunktion habe (BSG-Urteil vom 21.4.1988 ,7 RAr 49/86). Demgegenüber handele es sich bei dem Alg II um eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die unter anderem zur Sicherung des Lebensunterhalts beitragen solle. Die Höhe der vorliegend gezahlten Abfindung beeinflusse die Lage des Klägers auch nicht so günstig, dass daneben die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wäre.

Gegen dieses am 3.7.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.7.2008 Berufung eingelegt. Sie bringt vor, die Anrechnung der Abfindung sei rechtmäßig. Die dem Kläger zugeflossene Abfindung sei eine Einnahme in Geld und damit Einkommen im Sinne des §§ 11 SGB II. Die Anrechnung der Abfindung sei nicht gemäß § 11 Abs. 3 SGB II ausgeschlossen. Bei der Abfindung als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes liege Zweckidentität mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor. Früher habe das Bundessozialgericht zwar eine Abfindung nach §§ 9,10 KSchG bei der Arbeitslosenhilfe nicht als zu berücksichtigendes Einkommen angesehen, weil es sich dabei um einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes handele, deshalb habe § 138 Abs. 3 Nummer 6 AFG eingegriffen, wonach Leistungen zum Ersatz eines Schadens nicht als Einkommen angerechnet würden. Eine diese Bestimmungen vergleichbare Regelung sei aber weder im SGB II noch in die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aufgenommen worden. Vielmehr seien gemäß § 11 Abs. 3 Nummer 2 SGB II nur noch solche Entschädigungen nicht als Einnahmen zu berücksichtigen, "die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs. 2 BGB geleistet werden", d.h. für Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und/oder der sexuellen Selbstbestimmung. Beim Verlust des Arbeitsplatzes handele es sich nicht um eine Verletzung dieser Rechtsgüter. Eine erweiternde Auslegung des Ausnahmetatbestandes sei schon deshalb nicht geboten, weil dem Gesetzgeber die Regelung des §§ 138 Abs. 3 Nummer 6 AFG und des § 194 Abs. 3 Nummer 7 SGB III bekannt gewesen seien und er diese Regelung bewusst nicht in das SGB II übernommen, sondern sich am früheren Sozialhilferecht des BSHG orientiert habe. Dies sei zwischenzeitlich auch vom 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R - ausdrücklich so bestätigt worden.

Die Beklagte stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25.6.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist wiederholend darauf hin, dass die Sozialabfindung nach §§ 9,10 KSchG für den Verlust des Arbeitsplatzes gewährt werde, damit Entschädigungscharakter habe und nicht einen Ausgleich für entgangenes Arbeitsentgelt darstelle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Alg II ohne Anrechnung der Abfindung zu gewähren. Die Abfindung ist als Einkommen leistungsmindernd zu berücksichtigen.

Das SG hat zwar die hier anzuwendenden Rechtsnormen, insbesondere §§ 7 und 11 SGB II im angefochtenen Urteil ausführlich und zutreffend zitiert. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug. Das SG ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der Sozialabfindung nach §§ 9,10 KSchG um eine zweckgebundene Leistung nach § 11 Abs. 3 Ziff. 1 Buchst. a) SGB II handelt.

Dagegen ist die von der Beklagten von Anfang an vertretene Rechtsansicht zwischenzeitlich vom Bundessozialgericht ausdrücklich bestätigt worden. In der Entscheidung vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R - (z.B. BSGE 102,295-303) hat der 4. Senat ausdrücklich entschieden: "Die in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung wegen Verlustes des Arbeitsplatzes ist, wenn die Abfindungszahlung während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen erfolgt, beim Arbeitslosengeld II als Einkommen leistungsmindernd zu berücksichtigen" (Leitsatz). In dem Gründen führt das BSG aus, Abfindungen seien nicht von einer bedarfsmindernden Anrechnung auf das Alg II ausgenommen.

Sie erfüllten zum einen nicht den von seinem Wortlaut her eindeutigen Ausnahmetatbestand des §§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie seien weder eine Grundrente nach dem BVG noch eine Leistung nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Die Regelung des §§ 11 Abs. 1 SGB II, die nahezu wortgleich mit § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII übereinstimme, entspreche dem bisherigen § 46 BSHG, diese Anknüpfung an das BSHG sei vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen.

Zum anderen seien die Abfindungen auch nicht nach § 11 Abs. 3 Nr 1a) SGB II hinsichtlich ihrer Berücksichtigung als Einkommen des Hilfebedürftigen privilegiert. Sinn des §§ 11 Abs. 3 Nr 1a) SGB II sei es zu verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt werde, sowie dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht würden. Die Zweckbestimmung könne sich aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden, jedoch könnten auch zweckbestimmte Einkünfte auf privatrechtlicher Grundlage darunter fallen. Eine auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistung sei dann zweckbestimmt i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr 1a) SGB II, wenn ihr über die Tilgungsbestimmung hinaus erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen sei. Das BSG versteht dies als eine Vereinbarung, aus der sich objektiv erkennbar ergebe, dass die Leistungen für einen bestimmten Zweck verwendet werden solle (privatrechtlicher Verwendungszweck). Dies sei bei Abfindungszahlungen nicht der Fall. Die systematische Stellung der zweckbestimmten Einnahmen neben dem ebenfalls nicht als Einkommen zu berücksichtigenden Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege und Entschädigungen nach § 253 Abs. 2 BGB (Schmerzensgeld) schlössen es aus, Abfindungszahlungen wegen Verlusts des Arbeitsplatzes zu den "zweckbestimmten Einnahmen" in diesem Sinne zu rechnen. Abfindungszahlungen stellten eine immaterielle und materielle Ausgleichszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes dar, sie wiesen wie etwa das Schmerzensgeld zwar eine gewisse immaterielle Komponente auf, jedoch kompensierten sie auch den Wegfall des Erwerbseinkommens, hätten insoweit als materiellen Charakter. Sie seien nur insoweit zweckbestimmt, als die Zahlung erfolge, um den Abfindungsanspruch des früheren Arbeitnehmers zu erfüllen. Darüber hinaus liege einer Abfindungszahlung aber kein weitergehender Verwendungszweck zu Grunde. Der Arbeitgeber zahle die Abfindung, weil der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verloren habe, eine Zweckbestimmung im Hinblick auf die Verwendung der Abfindung durch den Arbeitnehmer sei damit nicht verbunden.

Für dieses Ergebnis spreche vor allem auch die Entstehungsgeschichte des § 11 SGB II. Dies wird vom BSG in dem genannten Urteil ausführlich dargelegt und im wesentlichen darauf gestützt, dass dem Gesetzgeber die Problematik einer Berücksichtigung von Abfindungen bekannt gewesen sei, als er mit Wirkung vom 1.1.2005 die bisherigen Regelungen der Alhi und Sozialhilfe für erwerbsfähige Arbeitsuchende durch die neue Leistung Alg II ersetzt habe. Gleichwohl habe er die frühere Privilegierung von Abfindungszahlungen im Recht der Alhi (§ 138 Abs. 3 Nr 6 AFG bzw. § 194 Abs. 3 Nr 7 SGB III) bewusst nicht in den Privilegierungstatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufgenommen und eine Anrechnung auf das Alg II gerade nicht ausgeschlossen.

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung, die auf die vorliegende Fallgestaltung ohne Abstriche anzuwenden ist. Die Beklagte hat demnach zu Recht die dem Kläger gewährte Abfindung von 900 EUR auf das dem Kläger gewährte Alg II angerechnet. Dabei ist die Verteilung der Anrechnung auf vier Monate (nach § 2 Abs. 4 Satz 3 Alg II-V) ebenso wenig zu beanstanden wie die Berücksichtigung der monatlichen Versicherungspauschale von 30 EUR (nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr 3 SGB II). Die Anrechnungsbeträge sind damit zutreffend berechnet.

Die Berufung der Beklagten hat damit Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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