L 12 AS 3069/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1934/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 3069/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Reutlingen vom 16.06.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Das einstweilige Rechtsschutzverfahren betrifft die Berücksichtigung einer Abfindung bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die Antragstellerin erhielt seit 01.01.2005 aufstockend zu ihrer Tätigkeit bei der Fa. R., M. und S. GmbH, R., Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Das Arbeitsverhältnis wurde aus betrieblichen Gründen zum 30.09.2009 unter Zahlung einer Abfindung von 1.921,20 EUR beendet. Die Abfindung ging am 29.09.2009 auf dem Konto der Antragstellerin ein. Hiervon informierte sie den Antragsgegner bei ihrer Vorsprache am 07.10.2009. Am 08.10.2009 erging daraufhin der Änderungsbescheid, mit dem der Antragsgegner bei der Gewährung der Leistungen zur Grundsicherung anstelle des Erwerbseinkommens ab 01.10.2009 nunmehr Arbeitslosengeld I und zusätzlich für die Zeit vom 01.11. bis 31.12.2009 die Abfindung als Einkommen aus einmaliger Einnahme berücksichtigte und dies anteilig in Höhe von monatlich 384,30 EUR anrechnete. Hierbei wurde die Abfindungssumme von 1.921,20 EUR auf einen Zeitraum von fünf Monaten verteilt.

Im Widerspruchsverfahren machte die Antragstellerin geltend, ihr sei bei ihrer Vorsprache mitgeteilt worden, sie könne mit der Abfindungssumme machen was sie wolle, weshalb sie das Geld bis auf einen Betrag von 631,50 EUR größtenteils zur Schuldentilgung ausgegeben habe.

Die angefochtene Entscheidung wurde mit Bescheid vom 14.12.2009 dahingehend abgeändert, dass die Abfindung von 1.921,50 EUR ab dem 01.11.2009 auf elf Monate aufgeteilt und nunmehr ein monatlicher Betrag von 174,68 EUR (1.921,20 EUR: 11 = 174,68 EUR) angerechnet wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2010 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück, die Abfindung müsse als einmaliges Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II bedarfsmindernd auf die Leistungen angerechnet werden. Die Anrechnung sei nach den Vorgaben von § 2 Abs. 4 Alg II-V erfolgt.

Hiergegen wurde am 22.01.2010 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben (S 4 AS 257/10).

Mit Bescheid vom 22.12.2009 wurden Leistungen für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2010 weiterhin unter Berücksichtigung der Abfindung als einmalige Einnahme berücksichtigt und monatlich ein Betrag von 174,68 EUR angerechnet.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 zurückgewiesen.

Auch dagegen hat die Antragstellerin Klage zum SG erhoben (S 4 AS 1120/10). Es wurde zur Begründung vorgetragen, sie sei am 07.10.2009 von einer Sachbearbeiterin des Antragsgegners falsch beraten worden. Diese habe unmissverständlich mitgeteilt, dass es sich bei der Abfindung um eine Einmalzahlung handele, die deshalb nicht als Einkommen angerechnet werde. Deshalb sei die Abfindung zur Schuldentilgung und für notwendige Anschaffungen verwendet worden. Durch die falsche Auskunft der Sachbearbeiterin habe sie einen erheblichen finanziellen Schaden erlitten. Sie habe einen Anspruch auf Ausbezahlung der bewilligten Leistungen ohne Anrechnung der Abfindung aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Mit Beschluss vom 28.04.2010 wurden die Klagen zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung verbunden.

Am 10.06.2010 hat die Antragstellerin beim SG Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

Mit Beschluss vom 16.06.2010 wies das SG diesen Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, es fehle jedenfalls ein Anordnungsanspruch, da der Antragstellerin nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz vorzunehmenden summarischen Prüfung kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung von monatlich 174,68 EUR zustehe. Einkommen im Sinne des § 11 SGB II seien alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und Rechtsgrundlage. Die der Antragstellerin gezahlte Abfindung sei Einkommen und nicht Vermögen. In Abgrenzung zum Vermögen (§ 12 Abs. 1 SGB II) sei Einkommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich all das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte, und Vermögen all das, was er in der Bedarfszeit bereits habe. Nachdem die Antragstellerin die Abfindung während des laufenden Leistungsbezugs erhalten habe, handle es sich hiernach um Einkommen im Sinne des § 11 SGB. Die Abfindung sei auch nicht nach § 11 Abs. 3 SGB II anrechnungsfrei. Einmalige Einnahmen seien, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt sei, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 4 Satz 3 Alg II-V). Die vom Antragsgegner vorgenommene Aufteilung der Abfindungssumme auf elf Monate sei zur Überzeugung der Kammer angemessen. Hierbei sei berücksichtigt worden, dass ein vollständiger Wegfall der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht erfolgt sei und für die Antragstellerin insoweit keine Notwendigkeit bestehe, sich freiwillig weiter zu versichern. Ein kürzerer Verteilzeitraum würde demgegenüber zum vollständigen Verlust des Leistungsanspruchs der Antragstellerin führen. Ein längerer Verteilzeitraum würde in Ansehung des Hilfebedarfs der Antragstellerin von derzeit monatlich 315,73 EUR außer Verhältnis zur Höhe des Abfindungsbetrages von 1.921,20 EUR stehen.

Bei einer Aufteilung der Abfindung auf elf Monate errechne sich der vom Antragsgegner festgestellte Betrag von 174,68 EUR monatlich. Hiervon sei der Pauschbetrag von 30,00 EUR für die Beträge zur privaten Versicherung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V nicht abzusetzen, da dieser Pauschbetrag bereits vom sonstigen Einkommen der Antragstellerin (Arbeitslosengeld I) abgezogen worden sei. Ein nochmaliger Abzug komme deshalb nicht in Betracht. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergebe sich ein Anspruch auf höhere Leistungen auch nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob eine Mitarbeiterin des Antragsgegners tatsächlich geäußert haben soll, dass die Abfindungssumme nicht angerechnet werde. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kein Raum verbleibe, wenn ein eingetretener Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden könne. Da die Nichtanrechnung der Abfindungssumme als Einkommen den gesetzlichen Vorgaben widersprechen würde, könne ein Leistungsanspruch auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt werden.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin unter gleichzeitiger Beantragung von Prozesskostenhilfe beim LSG Baden-Württemberg Beschwerde eingelegt und vorgetragen, sie habe auf die ihr bewilligten Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II ohne Anrechnung der streitgegenständlichen Abfindung gemäß § 45 SGB X vertrauen können, nachdem die zuständige Sachbearbeiterin des Antragsgegners ihr mehrfach zugesichert habe, sie könne den Abfindungsbetrag verbrauchen. Unter Abwägung des öffentlichen Interesses an der Anrechnung sei das Vertrauen der Antragstellerin in den Bestand des ursprünglichen Verwaltungsakts (Bewilligungsbescheid ohne Anrechnung der Abfindung) schutzwürdig; die Antragstellerin habe die Abfindung zwischenzeitlich vollständig verbraucht und Umstände, die den Vertrauenstatbestand gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht rechtfertigen würden, lägen nicht vor.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 173 Sätze 1 und 2 SGG) ist statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG), sie ist indes nicht begründet.

Das SG hat zurecht unter ausführlicher Darstellung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen den vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen des SG und weist die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend ist noch auszuführen, dass es sich vorliegend nicht um eine Aufhebung nach § 45 SGB X, sondern um eine solche nach § 48 SGB X handelt. Der Bewilligungsbescheid wurde wegen Veränderung der Verhältnisse - hier Zufluss von anrechenbaren Einkommen - nach § 48 SGB X mit Wirkung ab 1.11.2009 für die Zukunft aufgehoben. Eine Aufhebung für die Vergangenheit erfolgte nicht. Ab 1.1.2010 wurden die Leistungen ohnehin von Anfang an in geringerer Höhe bewilligt. Hierbei ist für die Prüfung des Vertrauensschutzes kein Raum.

Zudem ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es sind keine Gründe ersichtlich, dass die Antragstellerin bei ihrer Einkommenssituation mit der Anrechnung von monatlich 174,68 EUR für den derzeit noch verbleibenden Zeitraum von 3 Monaten existentiell gefährdet wäre. Ein Zuwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist zumutbar.

Wegen der fehlenden Erfolgsaussicht ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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