L 12 AL 5998/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 1218/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 5998/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. November 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. Januar 2009.

Die 1948 geborene Klägerin arbeitete seit 1987 bei der Firma A. H. Technik GmbH in W., zuletzt als Leiterin für Controlling/Personalwesen. Zum 31. Dezember 2004 wurde ihr aus betriebsbedingten Gründen gekündigt. Auf ihren Antrag bewilligte ihr die Beklagte Alg ab 1. Januar 2005 für 780 Kalendertage in Höhe von 1.884,90 EUR monatlich. Am 1. April 2005 nahm die Klägerin eine selbstständige Tätigkeit als Management und Accounting Consultant auf, für die sie von der Beklagten Überbrückungsgeld in Höhe von 3.219,41 EUR monatlich für den Zeitraum 1. April bis 30. September 2005 erhielt.

Am 14. Januar 2009 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 1. März 2009 erneut arbeitslos, ihr Gewerbe hatte sie zum 28. Februar 2009 abgemeldet. Mit Bescheid vom 2. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil seit der Entstehung des Anspruchs auf Alg vom 1. Januar 2005 bereits vier Jahre verstrichen seien.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr sei im Jahr 2005 von den Beratern Ö. und O. erklärt worden, dass sie den Anspruch auf Alg erst nach 48 Monaten Selbstständigkeit verliere. Im Sommer 2008 habe sie nochmals bei der Agentur telefonisch nachgefragt, ihr sei wiederholt der Anspruch bestätigt worden. Herr K. habe im Gespräch sogar 690 Tage Anspruch auf Alg nach der Selbstständigkeit errechnet. Mit Frau W. von der Agentur in W. habe sie persönlich gesprochen (am 14. Januar 2009), hier sei sogar eine Frist für den Anspruch auf Alg bis 31. Dezember 2009 genannt worden. In den letzten Monaten habe sie einen Großteil ihrer Rücklagen aufgebraucht und sogar den Firmenwagen verkaufen müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Anspruch auf Alg habe nur, wer u.a. die Anwartschaftszeit erfülle. Die Klägerin habe in der Rahmenfrist nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden und daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Den am 1. Januar 2005 erworbenen Anspruch auf Alg könne sie nicht mehr geltend machen, weil seither vier Jahre verstrichen seien. Die Erlöschensfrist laufe ab Entstehung des letzten Anspruchs und nicht ab Beginn der selbstständigen Tätigkeit.

Am 7. April 2009 hat die Klägerin zum Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Sie bleibt dabei, seitens der Berater Ö. und O. falsch beraten worden zu sein. Darüber hinaus sei sie 2008 auch noch von Herrn K. unzureichend informiert worden. Er habe ihr bestätigt, dass sie einen Restanspruch von 690 Tagen Alg habe, sie aber nicht darauf hingewiesen, dass die im Fachprogramm hinterlegte Erlöschensfrist zum 2. Januar 2009 ablaufe. Zum 1. Mai 2009 hat die Klägerin ihr Gewerbe wieder angemeldet und die selbstständige Tätigkeit wieder aufgenommen.

Mit Urteil vom 13. November 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Unstreitig sei, dass die Klägerin durch ihre selbstständige Tätigkeit keinen neuen Anspruch auf Alg erworben habe, da sie innerhalb der Rahmenfrist nicht wenigstens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs stehe ihr ein Anspruch auf Alg nicht zu. Der am 1. Januar 2005 erworbene Anspruch könne nicht mehr geltend gemacht werden, weil zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung am 14. Januar 2009 und des Eintritts der Arbeitslosigkeit zum 1. März 2009 der Anspruch bereits nach § 147 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erloschen gewesen sei. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setze voraus, dass die Behörde durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln nachteilige Folgen für die Rechtsstellung des Versicherten herbeiführe. Rechtsfolge könne jedoch nur eine gesetzlich zulässige Amtshandlung sein. Selbst wenn ein Beratungsfehler vorläge, könne die Beklagte die Klägerin weder nachträglich so stellen, als habe sie sich rechtzeitig vor Erlöschen des Anspruchs arbeitslos gemeldet und Alg beantragt, noch könne sie die fehlende Verfügbarkeit, die in der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit bis 28. Februar 2009 begründet sei, durch eine zulässige Amtshandlung ersetzen. Die Meldung als arbeitsuchend sei nicht der Gestaltung durch Verwaltungshandeln zugänglich (unter Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 21. Juni 2001 - B 7 AL 6/00 R - (juris)). Die Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2003 sei nicht anwendbar, da es dort um die Verschiebung einer erfolgten Arbeitslosmeldung auf einen späteren - nicht früheren - Zeitpunkt gegangen sei. Die Tatsachenerklärung, arbeitslos zu sein, sei dort bereits abgegeben gewesen und habe nicht fingiert werden müssen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 25. November 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. Dezember 2009 eingelegte Berufung der Klägerin. Der Inhalt des Herstellungsanspruchs sei grundsätzlich auf Naturalrestitution gerichtet, weshalb die Klägerin so zu stellen sei, als habe sie rechtzeitig vor Erlöschen des Anspruchs eine Arbeitslosmeldung vorgenommen und Alg beantragt. Das SG differenziere nicht zwischen der Vornahme der Meldung durch den Arbeitslosen, die erfolgt sei, und dem Zeitpunkt, also der Rechtzeitigkeit der Meldung. Insoweit sei auch die zitierte Rechtsprechung des BSG nicht einschlägig. Das BSG habe die Frage in der hier vorliegenden Konstellation, soweit bekannt, noch nicht entschieden, aber für klärungsbedürftig gehalten. Teilweise werde angenommen, dass zwar nicht die fehlende Arbeitslosmeldung, wohl aber der Zeitpunkt derselben über den Herstellungsanspruch korrigiert werden könne (unter Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. November 2003 - L 12 AL 46/03 -). Die Ansicht des SG sei daher fehlerhaft.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheids vom 2. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2009 Alg ab 1. Januar 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des BSG könne eine nicht rechtzeitige Arbeitslosmeldung sowie die Verfügbarkeit nicht fingiert werden. Das zitierte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen sei nicht einschlägig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR übersteigt. Die Berufung ist indes nicht begründet, denn der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Alg ab 1. Januar 2009 nicht zu.

Einen neuen Anspruch auf Alg, unabhängig von dem 2005 erworbenen Anspruch, hat die Klägerin unstreitig weder zum 1. Januar 2009 noch zu einem späteren Zeitpunkt bis zur Wiederaufnahme der selbstständigen Tätigkeit am 1. Mai 2009 erworben. Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit haben nach § 118 Abs. 1 SGB III Arbeitnehmer, die (1.) arbeitslos sind, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 124 Abs. 1 SGB III). Innerhalb der insoweit maßgebenden Rahmenfrist vom 1. März 2007 bis 28. Februar 2009 hat die Klägerin keinerlei Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses i.S.v. § 24 Abs. 1 oder § 26 SGB III zurückgelegt, sie war als Selbstständige auch nicht nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III versicherungspflichtig auf Antrag, da sie keinen entsprechenden Antrag gestellt und auch keine Beiträge entrichtet hat. Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht auf den noch nicht erfüllten Rest des am 1. Januar 2005 entstandenen Alg-Anspruchs stützen. Denn nach § 147 Abs. 2 SGB III kann der Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung - wie hier - vier Jahre verstrichen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, hat die Verfallsregelung eine Ausschlussfrist zum Inhalt, die ohne Hemmungs- oder Unterbrechungsmöglichkeit kalendermäßig abläuft. Der Ablauf der Ausschlussfrist hat das Untergehen der gesamten Anspruchsberechtigung zur Folge. Diese bereits zur Vorgängerbestimmung des § 125 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz ergangene Rechtsprechung gilt auch unter Geltung des SGB III (vgl. BSG SozR 4-4300 § 147 Nr. 3 m.w.N.). Die Vierjahresfrist des § 147 Abs. 2 SGB III ist hier verstrichen, nachdem der Alg-Anspruch der Klägerin mit Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen (Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und Erfüllung der Anwartschaftszeit) am 1. Januar 2005 entstanden und die hier maßgebliche Arbeitslosmeldung erst am 14. Januar 2009 mit Wirkung zum 1. März 2009 erfolgt ist. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Alg ab 1. Januar 2009 nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB I)), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl. BSGE 92, 267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr. 1 m.w.N.). In solchen Fällen können gewisse sozialrechtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen, wie etwa eine verspätete Antragstellung, eine verspätete Beitragsentrichtung, eine verspätete Vorlage von Unterlagen als erfüllt angesehen werden, wenn die Verspätung gerade auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Leistungsträgers beruht. Allerdings gilt dies nicht für außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegende Tatbestände, die nach materiellem Recht für das Entstehen des Sozialrechtsanspruchs erforderlich sind (BSG SozR 2200 § 1233 Nr. 17, SozR 4100 § 56 Nr. 18); andernfalls verpflichtete der Herstellungsanspruch den Sozialleistungsträger unzulässigerweise zu einer Gesetz und Recht widersprechenden Handlung (vgl. BSG SozR 2200 § 1418 Nr. 8; SozR 2200 § 172 Nr. 14; BSG; SozR 2200 § 381 Nr. 44; SozR 4100 § 105 Nr. 2; SozR 4100 § 102 Nr. 6). Nach den oben dargelegten Grundsätzen kommt es auf die Frage der Verletzung einer Beratungspflicht durch die Beklagte nicht an. Es kann daher dahin stehen, ob die Berater Ö.und O. tatsächlich im Jahr 2005 zur Erlöschensfrist des § 147 Abs. 2 SGB III angegeben haben, diese beziehe sich auf die Dauer der ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und ob der Berater K. angesichts einer konkreten Nachfrage der Klägerin nach dem bestehenden Restanspruch auf Alg im Jahr 2008 - auch ohne dahingehende konkrete Nachfrage - nicht auf den Ablauf der Verfallsfrist zum 1. Januar 2009 hingewiesen hat. Ebenso ist entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht entscheidend, ob über den Herstellungsanspruch auch der Zeitpunkt einer Arbeitslosmeldung vorverlegt werden kann (für eine Verlegung auf einen - hier nicht in Betracht kommenden - späteren Zeitpunkt: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. November 2003 - L 12 AL 46/03 - (juris)).

Denn selbst bei einem (unterstellten) Fehlverhalten der Beklagten und der Vorverlegung des Zeitpunkts der Arbeitslosmeldung und Antragstellung kommt eine Korrektur im Wege des Herstellungsanspruchs nicht in Frage, weil die Klägerin vor dem 1. März 2009 nicht arbeitslos war und ein Nachteilsausgleich damit auf ein gesetzwidriges Handeln der Beklagten hinauslaufen würde (BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 4; BSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr. 1; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 15/05 R - (juris)). Die in §§ 118, 119 SGB III geregelten tatsächlichen Anforderungen an die Arbeitslosigkeit schließen aus, das - hier erforderliche - Bestehen eines Anspruchs auf Alg ab 1. Januar 2009 für die Zeit bis zum 28. Februar 2009 im Wege des Herstellungsanspruchs in gesetzeskonformer Weise zu fingieren. Die Klägerin war noch bis 28. Februar 2009 selbstständig als Beraterin tätig. Wie sie selbst in ihrem Widerspruchsschreiben ausführt, hat sie bis zuletzt versucht, neue Auftraggeber zu finden. Sie war damit weder objektiv noch subjektiv verfügbar. Tatsächliche Gegebenheiten, zum Beispiel der Bestand eines Arbeitsverhältnisses, können bis zum Ablauf der Verfallsfrist nicht mit Hilfe eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aus der Welt geschafft werden (vgl. BSGE 66, 258). Das gilt auch für eine tatsächlich ausgeübte selbständige Tätigkeit. Es ist ausgeschlossen, das Vorliegen von Arbeitslosigkeit oder Verfügbarkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Alg nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu fingieren (vgl. BSG, Beschluss vom 7. Mai 2009 - B 11 AL 71/08 B - (juris); BSG, Urteil vom 31. Januar 2006, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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