L 7 AS 3349/10 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 3372/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3349/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 16. Juli 2010 gem. § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht beim Landessozialgericht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 172 Abs. 3, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen. Die beiden Voraussetzungen stellen ein bewegliches System dar: Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Bereits am Vorliegen eines Anordnungsanspruches i.S.e. materiell-rechtlichen Anspruches bestehen nach derzeitigem Sachstand deutliche Zweifel. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch i.V.m. § 77 Satz 1 Nr. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn u.a. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist. Anerkannt wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmern wegen fehlenden Berufsabschlusses, wenn sie über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch auf Grund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB III; die Alternative der Nr. 2 kommt beim Antragsteller nicht in Betracht).

Der Antragsteller hatte vom 1. September 1995 bis zum 12. Januar 1998 eine (zweite) Ausbildung zum Werbekaufmann absolviert und erfolgreich abgeschlossen. In diesem Beruf war er versicherungspflichtig beschäftigt vom 15. April 1999 bis 31. August 2003 sowie vom 1. Februar bis 12. Juli 2005. Danach war der Antragsteller zwar arbeitslos, übte aber diverse nicht versicherungspflichtige Nebentätigkeiten aus. Die Tätigkeit bei der Fa. J. als Lagerarbeiter betraf dabei nicht das Berufsfeld des Lehrberufs. Anderes gilt für die Nebentätigkeit bei der Fa. H. Heizung vom 1. Juni bis 31. August 2008 als Bürokraft für Graphik & Design. Allerdings wurde diese Beschäftigung seitens des Arbeitgebers gerade wegen Defiziten des Antragstellers im Bereich der notwendigen Softwarebeherrschung gekündigt. Hinsichtlich der Art der weiteren Nebentätigkeit ab 1. Dezember 2008 (Druckerei Sch.) finden sich in der Verwaltungsakte unterschiedliche Hinweise, nämlich Versandhilfe und Werbekaufmann. Zumindest hat der Antragsteller jedoch zum 12. Januar 2009 eine - offenbar mit Eingliederungszuschuss unterstützte - Beschäftigung als Marketingfachkraft mit DTP-Kenntnissen (Fa. u.) aufnehmen können. Diese wurde nicht durch den Arbeitgeber, sondern den Antragsteller wegen "persönlicher und gesundheitlicher" Gründe aufgegeben. Angesichts der möglichen Vermittlung in eine Tätigkeit im Berufsfeld des Lehrberufes erscheint es daher derzeit nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller ohne Weiterbildung i.S.d. § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB III eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben kann.

Die Notwendigkeit der Weiterbildung zur beruflichen Eingliederung bei Arbeitslosigkeit setzt voraus, dass die Teilnahme an der begehrten Maßnahme geeignet und erforderlich ist, um eine Eingliederung zu erreichen. Erforderlichkeit ist nur gegeben, wenn kein gleich geeignetes und weniger aufwändiges Mittel vorhanden ist. Des Weiteren muss eine positive Beschäftigungsprognose auf einen angemessenen Dauerarbeitsplatz vorliegen, eine bloße Beschäftigungschance genügt nicht. Einzuschätzen sind die zukünftigen Beschäftigungschancen ohne jegliche Leistungsgewährung, mit anderweitiger Förderung und nach Abschluss der begehrten Maßnahme. Nur wenn die letztgenannte Variante bessere Chancen bietet als die anderen, ist die Förderung notwendig. Die Prognose hat sich auf die Vermittlung in einem angemessenen Zeitraum zu beziehen. Maßgeblicher Zeitpunkt, um eine Prognose zu treffen, ist die letzte Verwaltungsentscheidung, also der Widerspruchsbescheid. Dem Träger kommt dabei ein Beurteilungsspielraum wegen besonderer Sachkunde zu, aber nur bzgl. der komplexen Abwägung der zukünftigen Vermittlungsaussichten, nicht der persönlichen Eignung (zum Ganzen B. Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB II, § 77 Rn. 33ff; Bundessozialgericht SozR 4-4300 § 77 Nr. 1 und 2). Insoweit besteht demnach nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Gerichts hinsichtlich der vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes, der Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände und der Methodik der Prognoseentscheidung. Die Entscheidung muss substantiell und nachvollziehbar begründet sein; es darf keine offensichtliche Fehleinschätzung vorliegen. Es erscheint nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung zumindest zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin die persönlichen Stärken und Schwächen des Antragstellers, die Dauer seiner Arbeitslosigkeit und seine Erfahrungen bei der Stellensuche ausreichend in ihre Entscheidung eingestellt hat. Zu Recht hat sie aber die bereits vorhandenen Qualifikationen des Antragstellers sowie Lage und Entwicklung des Stellenmarktes in der Werbebranche berücksichtigt. Soweit sie sich in den in der Hauptsache angefochtenen Bescheiden auf eine schlechte Stellensituation gestützt hat, wird dies durch eine Meldung des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft e.V. auf dessen Internetseite (www.zaw.de) bestätigt; danach sind im ersten Halbjahr 2009 die Arbeitsplatzangebote für Werbeberufe von Agenturen, Medien und werbenden Firmen um 41% eingebrochen. Die Arbeitslosenquote sei angestiegen, liege aber mit 4,8% unter der der allgemeinen Arbeitslosenquote von 8,1%. Die Zahl der Beschäftigten in der Branche sei gesunken. Eine Trendwende für das zweite Halbjahr werde nicht erwartet. Der Antragsteller hat weiter vorgetragen, seine Qualifikationen seien durch die Entwicklungen im Softwarebereich überholt, konkurrenzfähig sei er auf dem Arbeitsmarkt nur mit den in der begehrten Maßnahme vermittelten Kenntnissen. Eine Internetabfrage durch den Berichterstatter am 27. Juli 2010 über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit nach Stellen für Werbekaufmann/Kaufmann für Marketingkommunikation ergab fünf Stellenangebote, die im Anforderungsprofil Kenntnisse in zumindest einem der Softwareprogramme nannten, für die der Antragsteller die Weiterbildung begehrt; in 19 Arbeitsangeboten wurden diese Programmkenntnisse nicht ausdrücklich gefordert. Eine eindeutige Aussage lässt sich daher nach summarischer Prüfung nicht treffen.

In erster Linie dürfte der Annahme der Notwendigkeit einer Weiterbildung jedoch derzeit die erfolgreiche Vermittlung in die Beschäftigung bei der Fa. o. entgegenstehen. Zwar ist diese offenbar durch die Gewährung von Eingliederungszuschüssen gefördert worden. Dennoch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass es sich dabei um ein weniger aufwändiges Mittel handelt, zumal auf diesem Weg anders als bei der Weiterbildung bereits eine Eingliederung auf einen konkreten Arbeitsplatz erfolgt. Schließlich bestehen auch Bedenken, inwieweit der Antragsteller gesundheitlich überhaupt in der Lage ist, nach erfolgreicher Weiterbildung eine entsprechende Beschäftigung auszuüben. Immerhin wurde die letzte Tätigkeit in diesem Berufsbild, nämlich gerade die Stelle bei der Fa. o., vom Antragsteller selbst aus gesundheitlichen Gründen schon nach zwei Wochen wieder beendet. Hierzu hatte er am 15. Mai 2009 angegeben, er sei bereits seit zwei Jahren wegen Angstzuständen und Panikattacken in psychotherapeutischer Behandlung. Diese Störungen seien am Arbeitsplatz wieder aufgetreten, da er sich auch in größere Menschengruppen (Meeting, Präsentation) habe begeben müssen. Anschließend befand er sich mindestens zwei Monate in teilstationärer Behandlung; eine Arbeitsunfähigkeit wurde nach Aktenlage mindestens bis 30. September 2009 bescheinigt. Ob die bewilligte medizinische Rehabilitation durchgeführt wurde und mit welchem Ergebnis, kann den Akten nicht entnommen werden. Da Versammlungen, Meetings und Präsentationen im Berufsfeld eines Werbekaufmanns bzw. Kaufmanns für Marketingkommunikation nicht ungewöhnlich sein dürften, dürfte eine Weiterbildung in dieser Richtung ohne Abklärung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit ohnehin ausscheiden.

Da die Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen des Weiteren im Ermessen der Antragsgegnerin steht und angesichts der geschilderten Umstände nicht angenommen werden kann, dass nur die Gewährung der begehrten Leistung ermessensgerecht wäre (Ermessensreduktion auf Null), kann auch unter diesem Gesichtspunkt ein Anordnungsanspruch nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden.

Dessen ungeachtet fehlt es auch am Anordnungsgrund i.S.e. besonderen Eilbedürftigkeit. Nach den über die Internetseite der Macromedia Akadamie Stuttgart erhältlichen Informationen und ergänzenden Angaben auf telefonische Anfrage des Berichterstatters ist ein Einstieg bei der begehrten modularen Weiterbildung flexibel in jeden Einzelkurs möglich. Die Kurse werden in beständigem Turnus mehrmals jährlich wiederholt. So beginnt z.B. das Modul Graphik II am 23. August 2010 und erneut am 29. November 2010. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der beschriebenen deutlichen Zweifel hinsichtlich des Anordnungsanspruches ist es dem Antragsteller zuzumuten, eine Sachaufklärung und Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten (vgl. a. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. September 2009 - L 19 B 266/09 AS ER - (juris)).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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