L 8 SB 3876/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 2722/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3876/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab 01.01.1999 und in Höhe von 60 ab 01.01.2002 im Verfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Bei der 1950 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt Freiburg (VA) mit Bescheid vom 05.10.1983 den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 v.H. seit 17.08.1983 fest. Als Behinderung wurde festgestellt: Gebärmutterentfernung mit psychoreaktiven Störungen.

Auf den Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 27.01.2003 wurde mit Bescheid vom 22.05.2003 der Grad der Behinderung (GdB) mit 40 seit 01.01.1999 festgestellt. Die Funktionsbeeinträchtigungen wurden wie folgt beschrieben: Verlust der Gebärmutter mit seelischen Störungen; psychoreaktive Störungen; degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen; Restless-legs-Syndrom.

Auf den dagegen erhobenen Widerspruch wurden weitere Arztberichte mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.01.2004 ausgewertet. Für "seelische Störung, psychovegetative Störungen, psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, chronisches Schmerzsyndrom" wurde ein Teil-GdB von 40 und für "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen" wurde ein Teil-GdB von 20 angenommen; außerdem wurde für "Verlust der Gebärmutter, Restless-legs-Syndrom und Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen" je ein Teil-GdB von 10 zugrunde gelegt. Der Gesamt-GdB wurde mit 50 beurteilt. Mit Abhilfe-Bescheid vom 23.01.2004 wurde der GdB mit 50 seit 01.01.2002 festgestellt.

Auf den Verschlimmerungsantrag vom 12.05.2004 wurde mit Bescheid vom 25.10.2004 unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Schlafapnoe-Syndroms (Teil-GdB 20) der Gesamt-GdB mit 60 seit 12.05.2004 festgestellt.

Mit Schreiben vom 16.03.2005 meldete sich der Bevollmächtigte der Klägerin und beantragte Überprüfung gemäß § 44 SGB X des Bescheides vom 22.05.2003 und des Abhilfebescheides vom 23.01.2004. Die angekündigte Begründung des Antrages erfolgte trotz Akteneinsicht und Mahnungen von Seiten des Beklagten gemäß Schreiben vom 27.07.2005 und 14.10.2005 sowie vom 23.01.2006 nicht. Mit Schreiben vom 22.02.2006 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit, der Beklagte möge die Angelegenheit noch auf eine längere Wiedervorlage legen bis zum 15.04.2006, die Angelegenheit sei nicht eilbedürftig. Bis zum 15.04.2006 erfolgte jedoch keine Reaktion von Seiten des Bevollmächtigten der Klägerin.

Am 02.06.2006 beantragte die Klägerin ohne ihren Bevollmächtigten die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung und gab hierzu die sie behandelnden Ärzte an. Unter Berücksichtigung des von der Klägerin eingereichten Attests des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.i vom 23.05.2006 gelangte der Versorgungsarzt in seiner Stellungnahme vom 10.07.2006 zu dem Ergebnis, dass sich die Funktionsbeeinträchtigungen "Depression, chronisches Schmerzsyndrom" verschlechtert hätten und diese nunmehr mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten seien. Den Gesamt-GdB schätzte er mit 70 ein.

Mit Bescheid vom 25.07.2006 stellte der Beklagte den GdB mit 70 seit 02.06.2006 fest.

Mit Bescheid vom 26.07.2006 traf der Beklagte die Entscheidung auf den vom Bevollmächtigten der Klägerin am 18.03.2005 eingegangenen Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X, dass die beantragte Feststellung wegen fehlender Mitwirkung versagt werde. Hierbei stütze sich der Beklagte auf § 60 Abs.1 SGB I und führte zur Begründung aus, der Bevollmächtigte der Klägerin sei zur Entscheidung über seinen Antrag mit den Schreiben vom 27.07.2005, 14.10.2005 sowie 23.01.2006 gebeten worden, zur Aufklärung des Sachverhalts weitere Angaben zu machen bzw. Unterlagen einzusenden. Dieser Mitwirkungspflicht sei der Bevollmächtigte der Klägerin jedoch trotz Fristsetzung und Hinweis auf die nachteiligen Folgen seines Verhaltens nicht nachgekommen, weshalb die beantragte Feststellung nach dem SGB IX versagt werde.

Gegen beide Bescheide erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch. Zur Begründung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26.07.2006 gab er an, in der Begründung des Überprüfungsantrages liege gleichzeitig die Begründung für den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.07.2006, der nach Durchsicht der gesamten Unterlagen im Wesentlichen fehlerhaft sein dürfte, was den Zeitpunkt des Vorliegens der Behinderung von 70% statt 60% angehe. Es liege nämlich eine Behinderung von 70% seit 12.05.2004 und nicht erst ab 02.06.2006 vor. Es werde daher zusammenfassend beantragt, den Bescheid vom 09.11.2004 abzuändern und einen Gesamt-GdB von 50 für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis 31.12.2001, von 60% für den Zeitraum vom 01.01.2002 bis 11.05.2004 und von 70% ab 12.05.2004 anzuerkennen.

Der Beklagte forderte den Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 10.10.2006 erneut auf, den Antrag näher zu begründen, zumal er mit Schreiben vom 04.08.2006 weitere Ausführungen angekündigt habe. Der Bevollmächtigte der Klägerin teilte daraufhin mit Schreiben vom 10.11.2006 mit, nach der von ihm vertretenen Auffassung seien weitere Ausführungen nicht erforderlich.

Mit Bescheid vom 14.12.2006 lehnte der Beklagte den Antrag des Bevollmächtigten der Klägerin auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Überprüfung unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bevollmächtigten der Klägerin habe ergeben, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X nicht erfüllt seien, weil bei Erlass des früheren Bescheides weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die ärztliche Überprüfung habe ergeben, dass die damals vorgelegenen Funktionsbeeinträchtigungen mit dem jeweiligen GdB ausreichend und korrekt bewertet worden seien.

Dagegen legte der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch ein und führte hierzu aus, der Beklagte habe den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zurückgewiesen. Eine nähere Begründung enthalte der Bescheid jedoch nicht. Es sei daher nicht möglich, eine darüber hinausgehende Begründung abzugeben über die, die bereits abgegeben worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen, da die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 44 SGB X nicht vorlägen.

Dagegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin am 15.05.2007 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG, S 6 SB 2722/07) und trug zur Begründung vor, eine gesonderte Begründung könne im vorliegenden Falle nicht weiter abgegeben werden, da der Beklagte mit Bescheid vom 14.12.2006 keine weiteren längeren Ausführungen getätigt habe.

Das SG forderte den Bevollmächtigten der Klägerin auf, die beigefügte Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden. Dies erfolgte im Juli 2007, wobei ärztliche Behandlungen für die Zeit ab 27.03.2007 genannt wurden.

Das SG holte sachverständige Zeugenaussagen vom Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 24.09.2007 (mit Befundbericht von Dr. H.-B., Chefarzt der Medizinischen Abteilung des Kreiskrankenhauses S. B., O. vom 21.08.2006), von Dr. G., Frauenärztin in Zell a.H. vom 10.10.2007, vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.i vom 23.10.2007 und vom Facharzt für Innere Medizin Dr. K. vom 26.11.2007 ein.

Mit Urteil vom 18.05.2009 wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe des dem Bevollmächtigten der Klägerin am 13.08.2009 zugestellten Urteils wird Bezug genommen.

Dagegen hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 25.08.2009 Berufung eingelegt. Er verfolgt seinen Antrag weiter und beantragt, "inkonkreto auf diese Rechtsfrage gezirkelt ärztliche Befundberichtsanfrage für diesen vergangenen Zeitraum bei dem jahrzehntelang behandelnden Hausarzt, Herrn Dr. K., W., von Amts wegen einzuholen". Das Gericht hätte sich gedrängt fühlen müssen, ganz konkret bei Dr. K. nochmals nachzufragen als dem behandelnden Arzt bei Herrn Dr. V., insbesondere vor dem Hintergrund des Ergebnisses des Reha-Entlassungsberichtes aus dem Jahr 2002 und der darin enthaltenen Diagnosen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Mai 2009 und den Bescheid vom 14. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2007 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 22.05.2003 und 23.01.2004 den GdB auf 50 ab 01.01.1999 und auf 60 ab 01.01.2002 bis 12.05.2004 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. In der Berufungsbegründung hätten sich keine neuen medizinischen Gesichtspunkte ergeben. Aus den vom SG eingeholten zeugenschaftlichen Auskünfte und medizinischen Unterlagen ergebe sich eben nicht, dass eine Schmerzstörung oder eine depressive Störung im Umfang eines GdB von 50 vorgelegen habe. Bei den als sachverständigen Zeugen gehörten Ärzten sei die Klägerin mit Ausnahme des Facharztes für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie Dr. K. erst nach dem 01.01.2002 in Behandlung gewesen, wobei auch Dr. K. in seiner Auskunft vom 26.11.2007 mitgeteilt habe, dass sich insbesondere die Schmerzsymptomatik im Bereich der Wirbelsäule und die Depressionen sowie die Atembeschwerden erst in den letzten drei Jahren, d.h. seit 2004, verschlechtert hätten. Die anamnestischen Angaben der Klägerin im Befundbericht des Dr. V. vom 14.08.2006, dass sie seit über 20 Jahren heftigste Rückenschmerzen habe, könne nicht als Nachweis gelten, dass vor dem 01.01.2002 die Schwerbehinderteneigenschaft bereits bestanden habe. Der ebenfalls zur Berufungsbegründung vorgelegte ärztliche Entlassungsbericht der H.klinik St. B. vom 03.12.2002 sei bereits aktenkundig und habe u.a. die Grundlage des Neufeststellungsbescheides vom 22.05.2003 gebildet, mit dem der GdB der Klägerin mit 40 seit dem 01.01.1999 festgestellt worden sei.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Akten des SG Freiburg und der Senatsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs.2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Freiburg mit dem angefochtenen Urteil vom 18.05.2009 die Klage abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2007, mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, die Bescheide vom 22.05.2003 und vom 23.01.2004 teilweise zurückzunehmen und einen GdB von 50 seit 01.01.1999 und einen GdB von 60 für die Zeit vom 01.01.2002 bis 12.05.2004 festzustellen.

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X einen Anspruch auf rückwirkende Feststellung eines höheren GdB geltend macht, steht der Klägerin ein solcher Anspruch nicht zu. Denn Feststellungen nach dem Schwerbehindertenrecht sind auch in Verbindung mit der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides zugunsten des Betroffenen grundsätzlich nur für die Zukunft zu treffen; die Rückwirkung liegt im Ermessen der Verwaltung (vgl. BSG-Urteil vom 29.05.1991 - 9a/9RVs 11/89-).

Der hier anzuwendende § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lautet: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist nach § 44 Abs. 2 SGB X ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Die Vorschrift des § 44 Abs.1 SGB X i.V.m. der Verfallklausel des Abs. 4 ist eine Spezialregelung für Verwaltungsakte über die Gewährung von sozialrechtlichen Leistungen. Die Unrichtigkeit eines Verwaltungsaktes, der zurückzunehmen und zu ersetzen sein soll, muss zur Folge gehabt haben, dass Leistungen der bezeichneten Art zunächst zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X), sodann aber für einen Zeitraum bis zu vier Jahren nachträglich zu erbringen sind (§ 44 SGB X). Um solche Leistungsbescheide geht es im SGB IX nicht. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 29.05.1991 - 9a/9 RVs 11/89) für den Bereich des Schwerbehindertenrechts entschieden. Es besteht kein Grund, dies nicht auch für das SGB IX anzunehmen, das das Schwerbehindertengesetz ab 09.07.2001 - ohne wesentliche Änderungen - abgelöst hat. Ein Bescheid über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch oder die Höhe des GdB beschränkt sich nach diesem Urteil auf diese Feststellungen der zuständigen Behörden. Außerdem - so das BSG - weist § 20 Abs. 1 SGB I bei der Beschreibung der "Leistungen" nach dem Schwerbehindertenrecht gerade nicht auf diese Feststellungen, sondern auf arbeitsrechtliche Vorteile wie vorrangige Beschäftigungschancen und Kündigungsschutz, verlängerter Urlaub sowie nachgehende Hilfen. Auch vom Inhalt und von den Rechtswirkungen her sind solche "Leistungen" und damit auch die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Höhe des GdB nur ab Antrag mit Wirkung für die Zukunft zu treffen. Das beruht nicht in erster Linie darauf, dass über die erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergangenheit nur schwer Feststellungen zu treffen sind. Dem wird schon dadurch Rechnung getragen, dass ein Antragsteller in jedem Fall das Risiko trägt, dass eine ausreichende Sachaufklärung zu seinen Gunsten nicht mehr möglich ist. § 44 Abs. 1 SGB X, der zu rückwirkenden Berichtigungen zwingt, passt aber nicht auf Statusfeststellungen, die allein nach dem Schwerbehindertenrecht vorgenommen werden (vgl. BSG-Urteil vom 29.05.199, Rdnr. 20). Der Senat folgt der Rechtsauffassung des BSG. Daraus ergibt sich, dass im vorliegenden Fall § 44 Abs. 2 SGB X anzuwenden ist. Dabei sind die nach dem SGB IX zu treffenden Feststellungen auch i.V.m. der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides zugunsten des Betroffenen grundsätzlich nur für die Zukunft zu treffen; die Rückwirkung liegt im Ermessen der Verwaltung.

Das bedeutet hier, dass eine (teilweise) Rücknahme des Bescheides vom 22.05.2003 und des Bescheides vom 23.01.2004 gemäß § 44 Abs.2 Satz 1 SGB X grundsätzlich nur für die Zukunft - bezogen auf den Zugunstenantrag nach § 44 SGB X vom 16.03.2005 in Betracht käme. Auf eine Rücknahme für die Vergangenheit, also ab 01.01.1999 - wie dies von der Klägerin geltend gemacht worden ist - besteht kein Rechtsanspruch. Insoweit besteht nur ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung des Beklagten (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Daraus folgt weiter, dass die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Bescheid vom 22.05.2003 sowie der Bescheid vom 23.01.2004 bei ihrem Erlass unrichtig gewesen sind.

Die Überprüfung der Bescheide vom 22.05.2003 und vom 23.01.2004 anhand der diesen Bescheiden vorangegangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen ergibt, dass der Beklagte zu Recht von der Richtigkeit dieser Bescheide ausgehen konnte. Nach dem Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 27.01.2003 ergab die Beweiserhebung des Beklagten, dass gegenüber den früheren Funktionsbeeinträchtigungen, die gemäß dem Bescheid vom 05.10.1983 mit einer MdE von 30 v.H. bewertet worden waren, zusätzlich zwei weitere Funktionsbeeinträchtigungen eingetreten waren. Zum einen handelte es sich hierbei um "degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen" mit einem Teil-GdB von 20 sowie einem "Restless-legs-Syndrom" mit einem Teil-GdB von 10. Aufgrund dessen war es gerechtfertigt, den GdB mit 40 anzuheben. Da die Wirbelsäulenbeschwerden (nach Arztbrief von Dr. F. vom 21.04.1992 eine Protrusionen bei L 4/5 mit möglichen radikulären Ausfällen und bei L 5/S 1 ohne Wurzelreizung) jedenfalls zu behandlungsbedürftigen Erkrankungen im Frühjahr 1999 führten (Arztbrief des Chirurgen M. vom 16.03.1999: L 5/S 1 Wurzelreizung, akute Lumboischialgie, mit Wurzelinfiltration bei L 5/S 1 als Therapie) und daher schon vor dem Verschlimmerungsantrag der Klägerin vom 27.01.2003 bestanden haben, konnte der Beklagte in Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB X den Gesamt-GdB in freier Beweiswürdigung rückwirkend ab 01.01.1999 feststellen. Beim Bescheid vom 23.01.2004, mit dem der GdB auf 50 seit 01.01.2002 festgestellt worden ist, war gemäß der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.12.2006 ausschlaggebend, dass bei der Klägerin eine Erschöpfungsdepression unter einem chronischen Schmerzsyndrom hinzugetreten ist und sich zugespitzt hatte, weshalb die Beschwerden auf psychischem/psychiatrischem Fachgebiet von früher 30 nunmehr auf 40 angehoben worden sind. Dieses chronische Schmerzsyndrom ergab sich als mögliche Entwicklung aus dem Arztbericht des Prof. Dr. M. von der Universitätsklinik Freiburg - Interdisziplinäres Schmerzzentrum - vom 01.08.2002 und als definitive Diagnose im Entlassungsbericht der H.klinik St. B. vom 03.12.2002. Das Erschöpfungssyndrom hatte sich aufgrund der berufliche Überlastung mit Eröffnung des Gastronomiebetriebes am 19.04.2001 entwickelt und wurde erstmals im August 2002 diagnostiziert (LVA-Gutachten Karlsruhe vom 06.08.2002). Die vorher vom Beklagten in den vorausgegangenen Bescheiden berücksichtigten psychoreaktive Störungen beinhalteten weniger belastende Einschränkungen (Entlassungsbericht des Kreiskrankenhauses Emmendingen vom 07.12.1982: depressive Verstimmung bei familiärer Belastungssituation mit Hyperventilationstetanieneigung). Damit war das chronische Schmerzsyndrom mit Erschöpfungsdepressionen, das zur Anhebung des Teil-GdB-Wertes von 30 auf 40 und letztendlich zur Anhebung des Gesamt-GdB von 40 auf 50 die Ursache gewesen ist, für die Zeit ab der ambulanten Untersuchung der Klägerin in der Untersuchungsstelle der LVA (Reha-Klinik K.; vgl Gutachten vom 06.08.2002) im August 2002 nachgewiesen. Dass der Beklagte den GdB von 50 nicht erst ab 06.08.2002, sondern rückwirkend ab 01.01.2002 festgestellt hat, trägt der angenommenen Beschwerdeentwicklung ab Aufnahme des Gastronomiebetriebes Rechnung und dürfte seinen Grund darin haben, dass bei der Klägerin im März 2002 wegen chronischer Lumbalgien unklarer Genese eine Kernspintomographie durchgeführt worden ist. Ein Nachweis darüber, dass bei der Klägerin das chronische Schmerzsyndrom schon vor dem 01.01.2002 bestanden hat, liegt dagegen nicht vor, weshalb die rückwirkende Feststellung des GdBs von 50 seit 01.01.2002 rechtsfehlerfrei erfolgt ist.

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin den für die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.03.2005 gestellten Antrag nach § 44 SGB X im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 25.08.2009 näher begründet hat, führt dies auch jetzt zu keiner anderen Entscheidung. Denn die Begründung des Bevollmächtigten der Klägerin vom 25.08.2009 enthält nichts Stichhaltiges. Wenn der Bevollmächtigte der Klägerin geltend macht, ausweislich der Rentenakte habe die Klägerin bereits Anfang der Achtziger Jahre einen Rentenantrag gestellt, woraus zu entnehmen sei, dass es ihr sehr schlecht gegangen sei, reicht dies nicht aus, damit die Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 22.05.2003 und vom 23.01.2004 nachzuweisen. Denn für eine Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides ist es erforderlich, dass zur Überzeugung dargelegt wird, dass und aus welchen Gründen die getroffene Feststellung rechtswidrig ist. Dazu sind im Bereich des Schwerbehindertenrechtes insbesondere Arztbefunde geeignet, aus denen sich das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen ablesen lässt. Die Angabe eines Versicherten, er stelle Rentenantrag, weil es ihm schlecht gehe, reicht dazu nicht aus. Ebenso verhält es sich mit dem Umstand, dass der Bevollmächtigte der Klägerin auf den Bericht des Dr. V. vom 14.08.2006 auf die Ausführungen verweist, wonach die Klägerin zur Beschwerdeschilderung geltend gemacht hat, dass sie seit über 20 Jahren heftigste Rückenschmerzen mit wiederholten ambulanten und stationären Behandlungen habe. Hierzu ist zu sagen, dass die Beschwerdeschilderung des Betreffenden allein ohne ärztlichen Befunde nicht ausreicht.

Soweit das SG auch ohne Sachvortrag und Begründung des Antrages nach § 44 SGB X vom 16.03.2005 durch den Bevollmächtigten der Klägerin Befundberichte vom Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 24.09.2007, von Dr. H.-B., Chefarzt der Medizinischen Abteilung des Kreiskrankenhauses S. B., O., vom 21.08.2006, von Dr. G., Frauenärztin in Zell a.H. vom 10.10.2007, vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.i vom 23.10.2007 und vom Facharzt für Innere Medizin Dr. K. vom 26.11.2007 eingeholt hat, hat diese von Amts wegen durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin bei sämtlichen als sachverständige Zeugen gehörten Ärzten mit Ausnahme von Dr. K. erst nach dem 01.01.2002 in Behandlung gewesen ist, sodass damit nicht nachgewiesen werden kann, dass die seit 01.01.2002 vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen, welche einen GdB von 50 hervorrufen, auch schon vor dieser Zeit ab 01.01.1999 vorgelegen haben. Dr. K. hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 26.11.2007 darauf hingewiesen, dass sich bei der Klägerin die Befunde zunehmend verschlimmert hätten, insbesondere in den letzten sechs Jahren, was bedeutet, dass er eine Verschlimmerung seit 2001 beschrieben hat. Die Schmerzsymptomatik im Bereich der Wirbelsäule und die Depressionen sowie Atembeschwerden haben sich nach der Auskunft des Dr. K. vom 26.11.2007 in den letzten drei Jahren verschlechtert, womit eine Verschlimmerung für die Zeit ab 2004 nachgewiesen ist. Damit ist festzustellen, dass auch die vom SG eingeholte sachverständige Zeugenaussage des Dr. K. keinen Nachweis für Gesundheitsstörungen erbringt, der dem Antrag des Bevollmächtigten der Klägerin nach § 44 SGB X zum Erfolg verhilft.

Der Beweisantrag des Bevollmächtigten der Klägerin, "inkonkreto auf diese Rechtsfrage gezirkelt ärztliche Befundberichtsanfrage für diesen vergangenen Zeitraum bei dem jahrzehntelang behandelnden Hausarzt Dr. K ... von Amts wegen einzuholen" (Berufungsschrift vom 25.08.2009) bzw. bei diesem Arzt "konkret nachzufragen, wie das chronische Schmerzsyndrom, seiner Aussage nach schon seit 1990, Entwicklung genommen hat in den einzelnen Episoden, genauso wie die Diagnosen, die schon durchgängig seit dem bestanden haben, seiner Aussage nach, entsprechenden Krankheitsverlauf genommen haben im Laufe der Jahre 1990 bis zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides" (Schreiben vom 14.07.2010), wird abgelehnt, da das SG Dr. K. entsprechend gefragt hat und dieser seine Aussage mit Schreiben vom 26.11.2007 gegenüber dem SG erstattet hat. Der Gesundheitszustand der Klägerin ist anhand der vorliegenden ärztlichen Befunde, die zeitgerecht zum streitigen Zeitraum ab 1999 erstellt wurden, zutreffend - wie oben dargelegt - bewertet worden. Gesichtspunkte für eine wiederholende Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung von Dr. K. sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vor allem hatte Dr. K. im Schreiben vom 26.11.2007 mitgeteilt, ein Großteil der bei ihm vorhandenen Befunde sei an den Hausarzt der Klägerin am neuen Wohnort geschickt worden, weshalb zusätzliche Erkenntnisse über die von ihm bereits dargelegte Krankheitsentwicklung auch nicht zu erwarten sind.

Nach alledem konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben und sie war mit der Kostenentscheidung aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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