L 1 U 260/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 878/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 260/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.12.2008 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall im Streit.

Der 1963 geborene Kläger ist Kraftfahrer. Beim Absteigen von seinem LKW erlitt er am 07.09.2000 einen Unfall, als er mit seinem rechten Fuß umknickte. Der Chirurg Dr. P. diagnostizierte am Unfalltag eine Außenbandruptur rechts. Im Nachschaubericht vom 10.11.2000 gab Dr. P. an, dass der Kläger mit einem Gips und einer Caligamed-Orthese konservativ behandelt worden sei. Der Kläger sei seit dem 30.10.2000 wieder arbeitsfähig, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe nicht. Der Kläger gab gegenüber Dr. P. Schmerzen seit Anfang November an, woraufhin Dr. P. das rechte obere Sprunggelenk röntgte und diskrete degenerative Veränderungen am Innenknöchel diagnostizierte, die bereits auf den Aufnahmen vom Unfalltag zu erkennen gewesen seien. Frische knöcherne Läsionen seien nicht vorhanden, der Kläger sei weiterhin arbeitsfähig.

Der Chirurg Dr. S. teilte am 21.12.2000 mit, dass in einer Kernspinuntersuchung eine Teilruptur der Syndesmose beschrieben worden sei; operative Konsequenzen ergäben sich hieraus nicht. Mit Bericht vom 24.01.2001 beschrieb der Unfallchirurg Prof. Dr. W. nach Durchführung einer Magnetresonanz-Tomographie eine Ruptur des vorderen und mittleren Außenbandzügels; fraglich sei noch eine Teilruptur der vorderen Syndesmose. Außerdem bestünden persistierende Belastungsschmerzen, wozu Voltaren verschrieben wurde. Auch Prof. Dr. W. verneinte eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

Prof. Dr. W. verblieb mit weiterer Stellungnahme 09.03.2001 bei seiner Einschätzung und verschrieb dem Kläger Schmerzmittel. Im April 2001 stellte der Kläger sich notfallmäßig bei Dr. S. vor, da er wegen seiner Aufregung über die vorhandenen Schmerzen starke Druckgefühle in der Herzgegend verspürt habe; das EKG habe laut Dr. S. keinen pathologischen Befund ergeben. Die Röntgenkontrolle habe eine verbreiterte Malleolargabel mit weitem Syndesmosespalt ergeben, so dass der Verdacht auf eine komplette Syndesmoseinsuffizienz bestehe. Dr. S. hielt eine Arthroskopie für unumgänglich, da die Erwerbsfähigkeit gefährdet sei. Dem trat Prof. Dr. W. mit Bericht vom 18.05.2001 entgegen, da der Kläger auch ohne Arthroskopie in seiner derzeit vorliegenden Arbeitsfähigkeit weder eingeschränkt noch gefährdet sei.

In der Folgezeit wandte sich der Betriebsrat der Beschäftigungsfirma des Klägers an die Beklagte und teilte mit, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass der Kläger trotz Schmerzmitteleinnahme arbeitsfähig sein solle. Nach einem Bericht des Dr. S. vom 09.07.2001 habe der Kläger sich bei ihm in aufgebrachter und verzweifelter Verfassung vorgestellt, woraufhin er ihm erneut Schmerzmittel verschrieben habe; werde in der BG-Klinik ebenfalls kein morphologisches Korrelat zum Beschwerdebild (persistierendes Schmerzbild nach Sprunggelenksdistorsion) gefunden, sei eine Vorstellung beim Psychologen/Psychosomatiker/Psychiater in Erwägung zu ziehen.

Am 16.07.2001 teilte Prof. Dr. W. von der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. mit, dass es für die geklagten Beschwerden kein medizinisches Korrelat gebe. Demgegenüber hielt Prof. Dr. B. von der Sportklinik S. mit Bericht vom 08.08.2001 eine Sprunggelenksarthroskopie für notwendig. Aufgrund eines zwischenzeitlich angefertigten Computertomogramms und unter nochmaliger Auswertung des Kernspintomogramms vom 11.05.2001, das im Rahmen der Untersuchung vom 12.07.2001 noch als "unauffällig" bezeichnet worden war, vertrat Prof. Dr. W. am 21.09.2001 nach der Diagnose einer Teilruptur der Syndesmose und einer Unterbrechung des vorderen Syndesmosebandes nunmehr die Auffassung, dass eine Bandplastik im Bereich der rechten Syndesmose gerechtfertigt sei.

Mit Schreiben vom 28.11.2001 räumte daraufhin die Beklagte gegenüber dem Kläger dessen derzeitige Arbeitsunfähigkeit bis auf weiteres ein.

Nach einer Operation des Sprunggelenkes am 10.12.2001 (transossäre Bandplastik rechtes OSG) in der Sportklinik S. ergab sich ein komplikationsloser Heilungsverlauf, jedoch berichtete der Kläger auch anschließend wieder über Schmerzen. Der Neurologe Dr. K. sah in seinem Bericht vom 03.04.2002 keinen Zusammenhang zwischen dem Unfall und den beschriebenen Gefühlsstörungen (Missempfindungen am Fußrücken und Schwellungsgefühl an der Außenseite der rechten Wade). Er habe den Kläger wegen derselben Beschwerden 1999 schon einmal untersucht. Prof. Dr. B. meldete am 25.04.2002 den Behandlungsabschluss. Der Kläger sei seit dem 04.04.2002 wieder arbeitsfähig. Die MdE betrage voraussichtlich unter 20 v.H ...

In einem unfallchirurgischen Zusammenhangsgutachten bestätigte Prof. Dr. S. am 25.07.2002, dass ein Zusammenhang zwischen der Außenband- und vorderen Syndesmoseruptur und dem Unfall vom 07.09.2000 festzustellen sei. Die MdE betrage bis zum 18.02.2001 100 v.H. und danach bis zum 23.07.2002 10 v.H ... Nach dem neurologischen Gutachten des Dr. E. vom 22.08.2002 lagen zum damaligen Zeitpunkt Unfallschäden auf neurologischem Gebiet nicht vor.

Mit Bescheid vom 28.10.2002 anerkannte die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls mit den Unfallfolgen "Schwellneigung im Bereich des Knöchels, Kahnbeins und Vorfußballens, geringe Verbreiterung der Malleolengabel, röntgenologische Veränderungen im Bereich des Sprunggelenks, Gewebewasseransammlung im Bereich des Außenknöchels, reizlose Narbenbildung im Bereich des Außenknöchels, allgemein herabgesetzte Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines, sowie medizinisch erklärbare Beschwerden nach einem Riss des Außen- und Syndesmosebandes". Nicht als Unfallfolge anerkannt wurden "geringfügige Veränderungen am Innenknöchel und eine Schädigung des Peronealnerven mit geringer Empfindungsstörung am rechten Großzeh". Die Beklagte verneinte einen Anspruch auf Verletztenrente, da die Erwerbsfähigkeit nicht wenigstens um 20 v.H. reduziert sei. Den Widerspruch des Klägers, der am 17.01.2003 bei der Beklagten einging, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2003 wegen Fristablaufs als unzulässig zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 01.04.2003 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben (S 5 U 804/03). In einem gerichtlichen Vergleich vom 28.5.2004 stellten die Beteiligten eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 03.04.2002 unstreitig, und die Beklagte verpflichtete sich im Hinblick auf noch durchzuführende Untersuchungen zu einer Überprüfung der angefochtenen Bescheide nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Im August/September 2003 wurde in der Unfallklinik T. ein dreiwöchiges stationäres Heilverfahren durchgeführt. Prof. Dr. W. vertrat im Entlassungsbericht vom 19.09.2003 die Auffassung, dass eine wesentliche Ursache für die geklagten Beschwerden nicht gefunden werden könne und eine MdE in rentenberechtigtem Ausmaß nicht verbleiben werde. Am 08.01.2004 führte Dr. V. vom Krankenhaus B., in dessen Schmerzambulanz der Kläger seit dem 05.11.2003 behandelt wurde, aus, dass die Arbeitssituation des Klägers und die ausgeprägten Nebenwirkungen keine weiteren medikamentösen Einstellungsversuche zuließen; eine psychologische Schmerztherapie sei erforderlich. In einer Stellungnahme vom 05.02.2004 vertrat Prof. Dr. W. dann die geänderte Auffassung, dass die glaubhaft geschilderten Beschwerden des Klägers in Kombination mit der mittlerweile bestehenden Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß begründeten. Die chirurgischen Maßnahmen seien ausgeschöpft, eine Beschwerdeminderung könne wohl nur durch eine konsequente analgetisch/antiphlogistische Therapie erreicht werden.

Am 05.02.2004 diagnostizierte Dr. S. vom Krankenhaus B. ein chronisches posttraumatisches Schmerzsyndrom (Differentialdiagnose: Somatoforme Schmerzstörung ICD-10 F 45.4), welches in der Folgezeit ambulant und stationär ohne eine wesentliche Verbesserung der Situation des Klägers behandelt worden sei. Die Dres. S. und P.-K. dieses Krankenhauses bezeichneten die Beschwerden des Klägers am 31.03.2004 und 14.04.2004 als eine depressive Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.21), die aus den rezidivierenden Schmerzen nach dem Arbeitsunfall und daraus entstehender Verunsicherung resultiere.

Der Chirurg Prof. Dr. H. teilte in einem Gutachten vom 30.08.2004 mit, dass als wesentliche Unfallfolge auf unfallchirurgischem Fachgebiet eine Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks mit einer Narbenbildung und Gangbildstörung bestehe, für die eine MdE um 10 v.H. anzunehmen sei. Das rechte obere Sprunggelenk sei nur zu 15-0-30 Grad (gegenüber 15-0-40 Grad links) beweglich gewesen. Es liege eine unfallunabhängig entstandene diskret vermehrte Arthrose im rechten OSG bei radiologisch gering verbreitertem Gelenkspalt ohne Anhalt für eine Instabilität vor. Auf Nachfrage der Beklagten bekräftigte Prof. Dr. H. seine Auffassung am 14.10.2004. Auch der Beratungsarzt der Beklagten Dr. B. stimmte dem am 13.10.2004 zu.

Eine weitere MdE um 10 v.H. aus psychiatrischer Sicht schlug der Nervenarzt Dr. S. in seinem Gutachten vom 10.09.2004 vor. Beim Kläger sei eine auf das Unfallgeschehen zu beziehende Anpassungsstörung festzustellen. Auf Anfrage der Beklagten bestätigte der Gutachter mit ergänzender Stellungnahme vom 07.12.2004 seine Feststellungen; auch mit zumutbarer Willensanstrengung könne der Kläger seine Beschwerden nicht überwinden. Beim Kläger handele es sich um eine primär einfache psychasthenische und hypochondrisch beschwerdebetonte Persönlichkeit, doch gehe er davon aus, dass der Kläger als Person insoweit auch mit diesen Auffälligkeiten versichert sei.

Mit Bescheid vom 11.01.2005 lehnte die Beklagte erneut die Gewährung von Rente und zusätzlich die Gewährung weiterer Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass der beklagten psychischen Probleme und der geltend gemachten Schmerzhaftigkeit ab. Als Unfallfolgen anerkannte die Beklagte gemäß dem Gutachten von Dr. S. für das rechte Bein des Klägers "eine geringe Bewegungseinschränkung im Bereich des oberen Sprunggelenkes, eine gering verbreiterte Malleolengabel ohne Anhalt für Instabilität und eine Narbenbildung am oberen Sprunggelenk nach einem Riss des Außen- und Syndesmosebandes". Nicht anerkannt wurden "geringe degenerative Veränderungen am Innenknöchel und eine Schädigung der Peronealnerven mit geringer Empfindungsstörung am rechten Großzeh". Die vom Kläger geklagten Schmerzen und damit zusammenhängenden psychischen Probleme seien nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, da die Störung auf der Persönlichkeitsprägung des Klägers beruhe. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2005 zurück.

Der Kläger hat am 21.03.2005 erneut Klage zum SG erhoben. Im Auftrag des SG ist am 30.10.2006 ein Gutachten durch den Neurologen und Psychiater Dr. L. erstellt worden, der eine testpsychologische Zusatzbegutachtung (30.08.2006) durch die Diplom-Psychologin R.-L. veranlasst hat. Nach Dr. L. bestehen nach objektiv nachgewiesenen Verletzungen des rechten oberen Sprunggelenks anhaltende Schmerzzustände, welche eine lang anhaltende depressive Reaktion hervorgerufen hätten. Die MdE für die psychische Störung sei alleine mit 10 v.H. zu veranschlagen. Außerdem bestehe der Verdacht auf eine Durchblutungsstörung. Das SG hat anschließend die Akte des Versorgungsamts Heilbronn beigezogen. Mit ergänzender Stellungnahme vom 27.04.2007 hat Dr. L. ausgeführt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nicht vorliege.

Die Beklagte trat diesen Gutachten unter anderem mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. S. vom 31.08.2007 entgegen, wonach zu keinem Zeitpunkt eine psychische Störung des Klägers gesichert vorgelegen habe.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 24.08.2008 von Dr. L. wird hierzu ausgeführt, dass keine Anpassungsstörung nach der ICD-10, sondern eine lang dauernde depressive Reaktion auf die Unfallfolgen vorliege. Außerdem deutet Dr. L. in dieser Stellungnahme an, dass die teilweise nur in Etappen erfolgte chirurgische Diagnostik beim Kläger dessen Schmerzproblematik beeinflusst hat.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 09.12.2008 unter Abänderung des Bescheids vom 11.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2005 verurteilt, dem Kläger ab dem 10.09.2004 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Im Gesamtergebnis der Beweisaufnahme hat das SG die Auffassung vertreten, dass die Unfallfolgen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet jeweils mit einer MdE um 10 v.H. zu bewerten seien. Insgesamt liege eine MdE um 20 v.H. vor, da sich die aus den psychiatrischen und orthopädischen Unfallfolgen resultierenden funktionellen Einschränkungen nicht deckten, sondern gegenseitig verstärkten. Hinsichtlich des orthopädischen Fachgebiets hat das SG auf das Gutachten von Prof. Dr. H. vom 30.08.2004 verwiesen. Als Unfallfolge bestehe nach der Verletzung im rechten Sprunggelenk eine Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks um 10 Grad und ein leicht gestörtes Gangbild. Eine MdE um 10 v.H. sei hierdurch gerechtfertigt, denn der Kläger leide zusätzlich an erheblichen Schmerzen, die über das übliche Maß hinausgingen. Übereinstimmend hätten der Schmerztherapeut Dr. V. am 08.01.2004 und der Psychotherapeut Dr. S. am 05.02.2004 ein chronisches posttraumatisches Schmerzsyndrom im rechten oberen Sprunggelenk diagnostiziert. Bereits die an der Behandlung des Klägers beteiligten Ärzte hätten Einschränkungen des Klägers auf neurologischem Fachgebiet verneint, weswegen diese auszuschließen seien. Ebenfalls sei die von Dr. L. geäußerte Vermutung, beim Kläger sei eine Durchblutungsstörung vorhanden, nicht bestätigt worden. Hinsichtlich des psychiatrischen Fachgebiets hat das SG auf das Gutachten und die Stellungnahmen des Dr. L. verwiesen, wonach als Folge des Unfalls eine lang anhaltende depressive Reaktion mit einer MdE um 10 v.H. anzunehmen sei. Das Gutachten des Dr. L. werde durch das testpsychologische Zusatzgutachten der Diplom-Psychologin R.-L. vom 30.08.2006 schlüssig bestätigt. Auch Dr. S. habe in seinem Gutachten vom 10.09.2004 auf die psychiatrische Problematik beim Kläger hingewiesen, wobei er hinsichtlich der Beurteilung der Unfallfolgen wesentlich mit der Einschätzung von Dr. L. übereinstimme. Der Anerkennung der psychischen Unfallfolgen stehe auch nicht entgegen, dass die von Dr. L. diagnostizierte lang anhaltende depressive Reaktion im Gegensatz zu der von der Dr. S. dargelegten Diagnose einer Anpassungsstörung nicht anhand der 10. Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989 (ICD-10) vorgenommen worden sei. Auch angesichts der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 09.05.2006 (- B 2 U 1/05 R -), wonach grundsätzlich in Fällen wie dem vorliegenden bei einer psychischen Gesundheitsstörung der entsprechende ICD-10 zu verwenden sei, sei die Diagnose des Dr. L. auch ohne eine Diagnose anhand der ICD-10 schlüssig nachvollziehbar. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 22.12.2008 zugestellt.

Die Beklagte hat am 15.01.2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Die Beklagte ist der Auffassung, das SG habe eine unzutreffende Wertung der zahlreichen vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen vorgenommen. Die Würdigung der Gutachten von Dr. L. und Dr. S. sei "eher nur pauschal und unvollständig" und genüge nicht den Anforderungen nach § 128 SGG, wonach sich das Gericht mit den von einem Beteiligten gegen ein Gutachten vorgetragenen Einwendungen auseinander zu setzen habe. So bleibe etwa die Argumentation von Prof. Dr. S. in seiner beratenden Stellungnahme vom 31.08.2007 in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils unerwähnt. Auch die Einwendungen der Berufungsklägerin in ihren Schriftsätzen vom 17.09.2007, 03.09.2008 und 21.10.2008 würden in dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend gewürdigt. Dies gelte insbesondere für die Argumentation zum Beginn der psychischen Beschwerden und dem Unfallzeitpunkt vor mehr als 8 Jahren sowie dem unauffälligen psychischen Befund in dem Reha-Entlassungsbericht für die DRV vom 06.10.2005. Auch die hilfsweise Argumentation der Berufungsklägerin gegen eine MdE-Beurteilung in Höhe von 10 v.H. im Schriftsatz vom 17.09.2007 unter II. bleibe in dem angefochtenem Urteil außer Acht. Im Übrigen sei eine Addition der MdE-Werte auch im vorliegendem Fall unzulässig gewesen (unter Berufung auf LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.03.2006 - L 17 U 178/04 -). Das SG habe auch fälschlich eine Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks rechts von 10 Grad anstelle der von Prof. Dr. S. in seinem Gutachten von 5 Grad angenommen. Auch lasse das Gericht die MdE-Beurteilung von PD Dr. F. von weniger als 10 v.H. auf Blatt 602 der Verwaltungsakte unerwähnt. Schließlich würden zur Kausalität des Schmerzsyndroms die bereits am Unfalltag feststellbaren unfallunabhängigen degenerativen röntgenologischen Veränderungen nicht berücksichtigt. Auch die im Berufungsverfahren eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen stützten eine MdE um 20 v.H. nicht, wobei zweifelhaft wäre, ob auch bei der Annahme einer psychiatrischem Teil-MdE um 10 v.H. bereits eine Gesamt-MdE um 20 v.H. erreicht würde (mit Hinweis auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 19.03.2007 - L 1 U 3064/04 -). Im Übrigen habe keine Abgrenzung zu dem von Dr. L. mitgeteilten CRPS stattgefunden.

Die Beklagte beantragt,

dass Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 09.12.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig. Er verweist darauf, dass das seinen Antrag stützende Gutachten von Prof. Dr. H. von der Beklagten selbst in Auftrag gegeben worden sei. Im Übrigen gelte, dass die Erwerbsfähigkeit auf orthopädischem Fachgebiet um mehr als 10 v.H. gemindert sei. Er leide nach wie vor unter der Schwellneigung, Gewebewasseransammlungen sowie der Instabilität des Gelenks. Die allein auf einem Aktenstudium beruhende Stellungnahme von Prof. Dr. S. könne dem umfassenden Gutachten des Sachverständigen Dr. L. nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden. Dr. L. habe insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass Pauschalierungen im vorliegenden Falle nicht weiter helfen könnten. Sofern die Beklagte hinsichtlich des Schmerzsyndroms auf unfallunabhängige degenerative röntgenologische Veränderungen verweise, missverstehe sie, dass unter einem Schmerzsyndrom Verarbeitungsmechanismen zu verstehen seien, wie sie Dr. L. klar herausgearbeitet habe. Seine Beschwerden seien ununterbrochen vorhanden gewesen und nicht erst nach einem Zeitintervall von 8 Jahren eingeklagt worden. Er habe insoweit eine wahre Behandlungs-Odyssee hinter sich gebracht. In der Summe seiner Beeinträchtigungen sei mindestens von einer MdE um 20 v.H. auszugehen.

Im Berufungsverfahren hat das Gericht aktuelle sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Hierbei hat unter anderem die Anästhesistin und Schmerztherapeutin Dr. L. am 11.09.2009 mitgeteilt, dass aufgrund des Unfalles vom 07.09.2000 ein chronisches regionales Schmerzsyndrom - CRPS Typ I - vorliege, welches eine schwerwiegende Funktionsstörung des rechten Beines mit Muskelatrophie rechts und Verminderung der Gehstrecke auf 100 m nach sich ziehe; die Tätigkeit als Berufskraftfahrer könne wegen der hiermit verbundenen Be- und Entladetätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden. Der Neurologe und Psychiater Dr. K. hat am 01.09.2009 ausgeführt, dass es sich bei der massiven Fußheberschwäche um eine psychogene Störung ohne Zusammenhang mit dem Unfallereignis handele; bei den ersten Untersuchungen nach dem Unfallereignis sei eine organische Nervenläsion nicht nachweisbar gewesen. Der Neurologe und Psychiater Dr. G. hat am 21.09.2009 mitgeteilt, dass unfallbedingte neurologische Komplikationen nicht ersichtlich seien; hier sei eine bessere Beurteilung der vom Kläger angegebenen Schmerzen durch einen Unfallchirurgen/Orthopäden möglich.

Daraufhin hat der Senat ein aktuelles Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und für Forensische Psychiatrie Dr. M. vom Klinikum am W. in Auftrag gegeben, welches am 20.05.2010 vorgelegt worden ist. Danach liege bei dem Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD10 F45.4) vor, welche sich typischerweise in einem andauernden, schweren und quälenden Schmerz äußere. Diese Schmerzstörung sei auf den Arbeitsunfall zurückzuführen und werde seitdem durchgängig vom Kläger beklagt. Die überwiegend somatisch orientierten Untersuchungen und Behandlungen hätten hierzu sicherlich wesentlich beigetragen. Die hierdurch bedingte Teil-MdE sei mit 10 v.H. zu bewerten, sie führe nicht zur Arbeitsunfähigkeit, jedoch zu gewissen Einschränkungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit. Im Verhältnis zu der von Prof. Dr. H. auf chirurgischem Fachgebiet festgestellten Teil-MdE um ebenfalls 10 v.H. ergäben sich zwar Überschneidungen, die funktionellen Einschränkungen unterschieden sich jedoch; insbesondere sei wegen der Einschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet die psychische Belastbarkeit reduziert. Deswegen sei von einer unfallbedingten Gesamt-MdE um 20 v.H. auszugehen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat in der angegriffenen Entscheidung zu Recht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. bejaht.

Bei dem Geschehen vom 07.09.2000 handelt es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), was zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist.

Gem. § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen u. a. in Form von Heilbehandlung (§ 27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld § 45 SGB VII und Rente § 56 SGB VII ). Insbesondere nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).

Die vorliegend geltend gemachte Verletztenrente ist von der Beklagten bereits mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.10.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2003 abgelehnt worden. Aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 28.05.2004, der sich auf die Regelung des § 44 SGB X bezieht, ist eine erneute inhaltliche Prüfung dieser Ablehnung durch die Beklagte erfolgt, die vorliegend Streitgegenstand ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Vorliegend bestehen zur Überzeugung des Senats Unfallfolgen sowohl auf chirurgischem Fachgebiet als auch auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, welche jeweils eine MdE um 10 v.H. bedingen und in der Gesamtschau eine MdE in rentenberechtigender Höhe um 20 v.H. verursachen. Die Beklagte hat deshalb zu Unrecht in den angefochtenen Bescheiden die Rücknahme des Bescheides vom 28.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2003 abgelehnt.

Erforderlich für die geltend gemachten Verletzungsfolgen und den hierauf aufbauenden Anspruch auf Verletztenrente ist, dass sowohl ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden besteht. Diese so genannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Für beide Bereiche der Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - , SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adä-quanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl. 2008, Vorb. v. § 249 RdNr. 58 ff. m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Aus-gangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht wer-den kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursa-chen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfol-gen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststel-lung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.N.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Der Senat geht nach dem aktuellen Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und für Forensische Psychiatrie Dr. M. vom Klinikum am W. vom 20.05.2010 davon aus, dass die zutreffende diagnostische Einordnung der beim Kläger auftretenden - und vielfach beschriebenen, wenngleich unterschiedlich eingeordneten - Schmerzen als eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD10 F45.4) zu erfolgen hat, was mit den vom Kläger beklagten andauernden, schweren und quälenden Schmerzen korrespondiert. Insoweit wird auch auf die Beurteilung der im Berufungsverfahren eingeholten aktuellen sachverständigen Zeugenaussagen und der vorausgehenden Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen durch Dr. M. Bezug genommen. Die Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge setzt im Regelfall eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSM IV) voraus, denn ein Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit kann nur bejaht werden, wenn nach dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand ein Unfallereignis oder Unfallfolgen der in Rede stehenden Art allgemein geeignet sind, die betreffende Störung hervorzurufen (BSGE 96, 196 = BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Diese Voraussetzungen werden durch das Gutachten von Dr. M. erfüllt.

Demgegenüber vermag die kurze Stellungnahme des Beratungsarztes Prof. Dr. S. vom 31.08.2007, wonach zu keinem Zeitpunkt psychische Auffälligkeiten bestanden hätten, nicht zu überzeugen. Denn in zahlreichen Stellungnahmen haben etwa Prof. S. und die Dres. S. und P.-K. bereits seit Januar 2001 - solange befindet sich der Kläger in speziellen Schmerzbehandlungen - auf belastungsabhängige Schmerzen und die Notwendigkeit einer Schmerzbehandlung und ab März 2004 dann auch auf eine depressive Anpassungsstörung hingewiesen. Angesichts der Vielzahl entsprechender Befunde von Ärzten, die den Kläger untersucht und behandelt oder begutachtet haben, misst der Senat den isolierten Ausführungen nach der Aktenlage von Prof. Dr. S. deutlich geringere Beweis- und Überzeugungskraft bei. Letztlich wurde bereits durch die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. im August 2003 vorgeschlagen, eine stationäre Heilbehandlung zur Durchführung einer Schmerztherapie einzuleiten.

Soweit die Anästhesistin Dr. L. als Diagnose ein CRPS mitgeteilt hat, teilt der Senat diese Zuordnung nicht. Dr. L. verweist darauf, dass die CRPS-Diagnose am 04.11.2008 durch das Universitätsklinikum H. gestellt worden sei. Das Universitätsklinikum H. hat in seiner Stellungnahme vom 14.10.2009 jedoch darauf hingewiesen, dass der Kläger lediglich einmalig am 04.11.2008 in ambulanter Behandlung gewesen sei und nur ein Kurzarztbrief angefertigt worden sei. In diesem Kurzarztbrief findet sich die Diagnose CRPS jedoch nicht. Darüber hinaus hat in nachfolgenden Untersuchungen (11. und 12.11.2008) das Universitätsklinikum T. nach beidseits unauffälligen Neurographien der unteren Extremität die Ursache - damit auch eine psychogene offen gelassen. Ein CRPS wurde jedenfalls nicht nachgewiesen.

In der Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 24.06.2009, welche die Beklagte vorgelegt hat, wird die Diagnose "langanhaltende depressive Reaktion" des Gutachters Dr. L. zudem als in sich schlüssig und den Vorgaben der ICD-10 entsprechend bezeichnet; im Übrigen weist auch Dr. S. darauf hin, dass die anderweitige Diagnose einer Anpassungsstörung sich in der Nähe dieser Diagnose bewegt und (lediglich) eine "Modifikation" darstellt. Soweit Dr. S. in der Folge seiner Ausführungen dann eine besondere Empfindlichkeit des Klägers hervorzuheben versucht und in Frage stellt, ob insoweit noch ein Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung zu gewähren sei, kann dem nicht gefolgt werden. Da eine Gelegenheitsursache ausgeschlossen werden kann, ist auch der ggf. in psychischer Hinsicht prämorbide Kläger so versichert gewesen, wie er war, als sich der Arbeitsunfall ereignete.

Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihrer Krankengeschichte (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2007 - B 2 U 8/06 R -). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die anhaltende somatoforme Schmerzstörung -als mittelbare Unfallfolge- wesentlich durch den Unfall vom 7.9.2000 ausgelöst worden ist und einer eventuellen Prädisposition des Klägers keine wesentliche Ursächlichkeit zukommt.

Insoweit stützt sich der Senat ebenso wie das SG zunächst auf die ausführlichen und schlüssigen Ausführungen des Gutachters Dr. L. vom 30.10.2006, 27.04.2007 und 24.08.2008, wonach bei dem Kläger eine lang dauernde depressive Reaktion auf die als Unfallfolgen aufgetretenen Beschwerden (insbesondere Schmerzen) entstanden sei. Dr. L. stützt sich hierbei zusätzlich auf einschlägige Literatur und das auf seine Veranlassung eingeholte Zusatzgutachten der Diplom-Psychologin R.-L ... Diese Auffassung wird durch die Aussage des Schmerztherapeuten Dr. V. vom 08.01.2004 bestätigt, wonach chronische posttraumatische Schmerzen sich zu einem eigenständigen Schmerzsyndrom entwickelt haben. Auch das Gutachten von Dr. S. vom 10.09.2004 weist in diese Richtung, wonach die Beschwerden des Klägers als Anpassungsstörung beschrieben werden. Diese Beurteilung stützt auch Dr. M ... Dementsprechend kann bereits der Auffassung des Dr. S., dass das Verhältnis zwischen Unfall und "vermeintlichen Folgen" nicht stimme, aus rechtlichen Gründen nicht gefolgt werden.

Es kann offen bleiben, ob es sich beim Arbeitsunfall -wie Dr. S. meint- um einen Bagatellunfall gehandelt hat. Entscheidend ist -wie von Dr. S. selbst eingeräumt-, dass ein "ungewöhnlich langer und schmerzhafter Heilungsprozess" vorgelegen hat, der bei objektiver Betrachtung bei einem zuvor völlig gesunden Menschen gravierende psychologische Folgebeschwerden hätte verursachen können (der Kläger hatte permanente Schmerzen, der Teilriss der Syndesmose wurde aber erst nach mehr als einem Jahr (an)erkannt und operiert; die Arbeitsunfähigkeit wurde zunächst für nur vier Wochen nach dem Unfall von der Beklagten bejaht und dann auf die Klage vor dem SG bis zum 03.04.2002 ausgedehnt). Der Vergleich Dr. S. mit einer "kleinen Augenverletzung", die seiner Ansicht nach die gleichen gesundheitlichen Folgeprobleme beim Kläger ausgelöst hätte, überzeugt daher nicht.

Das von der Beklagten angenommene zu lange Intervall zwischen dem Auftreten dieser von Dr. S. und Dr. M. genannten Erkrankung nach dem Arbeitsunfall, nach dem entsprechend der Auffassung der Beklagten eine Anerkennung als Unfallfolge ausgeschlossen wäre, kann nicht festgestellt werden. So hat der Kläger bereits laut den Arztberichten des Chirurgen Dr. S. vom 08. und 09.01.2001 - und damit lange Zeit vor dem Ende seiner unstreitig bis zum 03.04.2002 andauernden unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit - auf dauernde, belastungsabhängige Beschwerden hingewiesen. Auch Dr. M. weist in seinem aktuellen Gutachten zu Recht darauf hin, dass der Kläger nach dem Unfall ohne Unterbrechung über besondere Schmerzen geklagt hat. Der Akte lässt sich in der Folgezeit eine nahezu ununterbrochene Behandlung des Klägers entnehmen, die häufig auch speziell bzw. ausschließlich den Schmerzzuständen des Klägers gewidmet war. So berichten die Dres. V. und B. am 08.01.2004 für die Zeit ab dem 05.11.2003 von ständiger Krankengymnastik und transkutaner elektrischer Nervenstimulation (TENS) zur Schmerzbehandlung; ein Behandlungsversuch mit Akupunktur sei abgebrochen worden, jedoch sei eine psychologische Schmerztherapie dringend angeraten. Die Beklagte selbst hat dem Kläger durch die Übernahme der Mietkosten für ein TENS-Gerät im Februar 2004 die Notwendigkeit einer besonderen Schmerzbehandlung zugestanden. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass nach Auffassung von Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 24.08.2008 die langwierige Behandlung auf chirurgischem Fachgebiet (mit verspäteter Feststellung der Schädigung des Syndesmosebandes mehr als ein Jahr nach dem Arbeitsunfall, nachdem endlich ein Kernspintomogramm durchgeführt worden war, und nach zweimaliger Meinungsänderung durch Prof. Dr. W.) eine depressive Reaktion hervorgerufen habe; auch Dr. M. weist darauf hin, dass die von ihm und vom Senat angenommene anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD10 F45.4) ihre Grundlage auch in der nachfolgenden Behandlung des Klägers haben dürfte. Die Annahme einer MdE um 10 v.H. auf nervenärztlichem Fachgebiet durch Dr. L. überzeugt auch nach seinen Ausführungen. Eine MdE in dieser Höhe bestätigt auch Dr. S., wenngleich er von der Diagnose einer Anpassungsstörung ausgeht.

Soweit die Beklagte gegen das Gutachten von Dr. M. weiter einwendet, er habe keine Abgrenzung der Schmerzursächlichkeit im Hinblick auf die bereits vor dem Unfall bestehenden degenerativen Veränderungen vorgenommen, rechtfertigt dieser Einwand weder eine abweichende Beurteilung des Kausalverlaufs noch eine erneute Befragung von Dr. M ... Denn keiner der mit dem Gesundheitszustand des Klägers befassten Ärzte hat die Möglichkeit eines Zusammenhangs auch nur in Erwägung gezogen. Insoweit ergab sich auch für Dr. M. nicht die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung hiermit. Vergleichbares gilt für die Diagnose eines CRPS, wie bereits ausgeführt worden ist.

Auch auf orthopädischem Fachgebiet ist nach den Feststellungen des von der Beklagten beauftragten Prof. Dr. H. in seinem Gutachten vom 30.08.2004 als wesentliche Unfallfolge eine Bewegungseinschränkung des rechten oberen Sprunggelenks mit einer Gangbildstörung anzunehmen, für die eine MdE um 10v.H. anzunehmen ist (Beweglichkeit rechtes OSG von 15-0-30 Grad gegenüber 15-0-40 Grad links), bei diskret vermehrter Arthrose im rechten OSG bei gering verbreitertem Gelenkspalt. Dr. H. hat diese Auffassung auf Nachfrage der Beklagten bekräftigt, und auch der Beratungsarzt der Beklagten Dr. B. stimmte den Ausführungen dieses Gutachtens am 13.10.2004 zu. Zusätzlich hatte bereits zuvor der ebenfalls für die Beklagte tätige Prof. Dr. W. in seiner Stellungnahme vom 05.02.2004 die Auffassung vertreten, dass die glaubhaft geschilderten Beschwerden des Klägers in Kombination mit der mittlerweile bestehenden Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß begründeten.

Sofern die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung auf die nur geringfügig eingeschränkte Beweglichkeit laut dem Gutachten von Prof. Dr. S. vom 25.07.2002 hinweist, ist dies wohl durch das Alter des von der Beklagten zitierten Gutachtens zu erklären. Denn insoweit weist bereits Prof. Dr. W. von der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik am 05.02.2004 unter Bezugnahme auf dieses Gutachtens darauf hin, dass die Beweglichkeit zwischenzeitlich deutlich darüber hinaus reduziert sei. Sofern die Beklagte mit ihrer Berufungsbegründung weiter rügt, die MdE-Einschätzung von unter 10 v.H. durch PD Dr. F. sei vom SG übergangen worden, greift diese Rüge nicht durch, weil die Einschätzung von PD Dr. F. auf einem Formular in einem einzigen Satz und ohne jegliche Begründung vorgenommen wurde. Insofern fehlt dieser MdE-Einschätzung die für eine Auseinandersetzung mit diesem Standpunkt selbst die erforderliche Begründung.

Für die anhaltende somatoforme Schmerzstörung eröffnet sich unter Berücksichtigung der in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur verwendeten und vom Senat zur Gleichbehandlung aller Versicherten angewandten Bewertungstabellen eine MdE zwischen 10 und 30 v.H. bei einem chronifizierten Schmerzzustand mit stärkergradiger körperlich-funktioneller Einschränkung und psychisch-emotionaler Beeinträchtigung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2009, S. 222). Unter Berücksichtigung der Schwere der Erkrankung einerseits, andererseits aber auch der unsicheren und einfachen Primärpersönlichkeit des Klägers, die auch (wenn auch nicht wesentlich) zur Entstehung und Fortdauer der Erkrankung beigetragen hat und noch beiträgt, erachtet der Senat eine MdE auf psychiatrischem Fachgebiet von wenigstens 10 v.H. als angemessen.

Betreffen die Unfallfolgen mehrere Körperteile und Organe, so ist das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen mit einem MdE-Wert im Ganzen zu würdigen, d. h. eine Gesamt-MdE zu bilden. Dabei dürfen die einzelnen MdE-Ansätze nicht schematisch zusammengerechnet werden. Entscheidend ist eine integrierende "Gesamtschau der Gesamteinwirkungen" aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 48, 82; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 8. Aufl. 2009, S. 103; Mehrtens a. a. O., § 56 Rdnr. 10.4). Bei der integrierenden Gesamtschau ist der Grad der MdE in aller Regel niedriger als die Summe der Einzelschäden (Einzel-MdE-Grade). Auch sich überlagernde oder überschneidende Funktionseinschränkungen bemessen die Gesamt-MdE geringer als die Summe der einzelnen MdE-Werte (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.03.2006 - L 17 U 178/04 -). Andererseits kann auch eine mehrfache Addition zulässig sein und gar eine höhere Gesamt-MdE als das bloße Additionsergebnis, wenn die einzelnen Funktionseinschränkungen sich gegenseitig verstärken (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 159).

Zutreffend weist das SG darauf hin, dass eine Deckung oder Überschneidung der Beschwerden des Klägers auf orthopädisch-chirurgischem und auf nervenärztlichem Fachgebiet nicht vorliegt. Dies schlösse indes einen MdE-Wert von unter 20 v.H. in dem Fall nicht aus, dass aufgrund dieser wenngleich unterschiedlichen Beschwerden wegen (teils) gleicher Funktionseinschränkungen deckungsgleiche Bereiche des Erwerbslebens für den Kläger unerreichbar würden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 158). Auch dies kann vorliegend jedoch nicht festgestellt werden.

Der Kläger leidet als mittelbare Unfallfolge, resultierend aus der ungenügenden Behandlung zunächst der organischen Unfallfolgen und dann der seit 2001 von den Ärzten diskutierten Schmerzfehlverarbeitung, an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Diese Schmerzstörung lokalisierte der Kläger zwar - seiner Schmerzverarbeitungskompetenz entsprechend - zunächst im Bereich des rechten Knöchels. Sie weitete sich jedoch fortlaufend auf andere Körperregionen aus und hat sich inzwischen vom ursprünglichen Unfallgeschehen und seinen unmittelbaren organischen Folgen verselbständigt, wozu auf die Feststellungen des Gutachters Dr. M. verwiesen wird.

Die leichte Gangunsicherheit des Klägers und dessen Schmerzempfinden im Rahmen der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung nach ICD10 F45.4 lassen auch insoweit keine Deckungsgleichheit erkennen, so dass in dieser Konstellation eine Zusammenrechnung der MdE-Werte zu einer MdE um 20 v.H. zu erfolgen hatte. Diese Ansicht vertritt auch in überzeugender Weise Dr. M. in seinem Gutachten für den Senat vom 20.05.2010, in welchem er darauf hinweist, dass die durch die psychiatrische Erkrankung bedingte Reduzierung der Leistungsfähigkeit bei der maßgeblichen Frage nach den funktionellen Einschränkungen keine Überschneidungen mit der auf chirurgischem Fachgebiet festgestellten Bewegungseinschränkung ergebe, weswegen eine Gesamt-MdE um 20 v.H. anzunehmen ist. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des erkennenden Senats vom 19.03.2007 (Aktenzeichen L 1 U 3064/04) steht dem bereits deswegen nicht entgegen, weil in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt gerade anders als vorliegend eine Überlagerung der funktionellen Einschränkungen aufgrund der Unfallfolgen auf den verschiedenen medizinischen Fachgebieten festgestellt worden war.

Schließlich führt auch der Vortrag der Beklagten, das SG habe ihren Beteiligtenvortrag nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und verbeschieden, nicht zum Erfolg. Zum Mindestinhalt eines Urteils gehört die Angabe der angewandten Rechtsnormen und der für erfüllt bzw. nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der dafür ausschlaggebend gewesenen tatsächlichen und rechtlichen Gründe (vgl. BSG SozR 1500 § 136 Nrn. 8 und 10; SozR 2200 § 1246 Nr. 152; BSG SGb 1998, 13). Die Gerichte sind jedoch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ihrer Entscheidungen ausdrücklich zu verbescheiden; es muss davon ausgegangen werden, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten grundsätzlich auch zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung erwogen hat. Indessen verletzt das Gericht den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG- und § 62 SGG), wenn aus der Entscheidung nicht kenntlich wird, dass das Gericht ein Vorbringen des Beteiligten, das nach den Umständen des Falles für die Entscheidung des Rechtsstreits von Gewicht sein könnte, zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat (vgl. BVerfGE 22, 267, 274; BVerfG SozR 1500 § 62 Nr. 13; BSG, Urteil vom 14.11.1984 - 1 RA 17/84 -).

Die Beklagte führt hierzu als Beispiel die Stellungnahme von Prof. Dr. S. vom 31.08.2007 an, welche das SG indes auf S. 6 seines Urteils aufführt und auch inhaltlich zusammenfasst. Dass diese Erwähnung im Tatbestand der Entscheidung erfolgt ist, ist unerheblich, weil sich im Zusammenhang mit den Entscheidungsgründen des SG deutlich ergibt, dass das SG eine andere Auffassung als Prof. Dr. S. vertritt. Das SG übernimmt insoweit die Sichtweise von Dr. L. in dessen Replik vom 24.08.2008 auf die Kritik von Prof. Dr. S., woraus sich ebenfalls eine Befassung des SG mit den Ansichten von Prof. Dr. S. ergibt. Sofern die Beklagte die Auffassung vertritt, das SG berücksichtige nicht ihren Vortrag zu einem langen Intervall zwischen dem Arbeitsunfall und dem Beginn der psychischen Beschwerden, ist bereits nicht ersichtlich, dass das SG insoweit von einem langen Intervall ausgeht. Ausgehend von seiner Wertung des Gesamtgeschehens lag ein solch langes Intervall nicht vor, so dass das SG keine Veranlassung hatte, hierauf näher einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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