L 6 VS 622/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 VS 3912/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 622/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14.12.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).

Der im Jahre 1976 geborene Kläger erlitt am 16.07.1996 als Wehrpflichtiger der Deutschen Bundeswehr im Rahmen seines Einsatzes in K. einen Unfall, bei dem er sich eine laterale Orbitawandfraktur, eine LE FORT I Fraktur und eine Siebbeinzelleinblutung jeweils rechts sowie eine Fraktur von zwei Zähnen zuzog. Die Verletzungen wurden im Bundeswehrkrankenhaus U. sowie durch den Zahnarzt Dr. F. versorgt. Mit Erstanerkennungsbescheid vom 14.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.1999 erkannte der Beklagte als Folgen der Wehrdienstbeschädigung eine verwaschene Knochenstruktur am Orbitaboden mit Verschattung der Kieferhöhle rechts, reizlose Narben im Augenwinkel und der Augenbraue rechts, eine geringe Gefühlsminderung im Bereich der rechten Gesichtshälfte sowie einen Aufbau der Zähne 31 und 41 nach Bruch an; eine Rentengewährung wurde abgelehnt, da durch die Wehrdienstbeschädigungsfolgen keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) erreicht werde.

Am 01.09.2005 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines Versorgungsanspruchs. Er machte geltend, er leide infolge des wehrdienstlichen Unfalles zwischenzeitlich auch an Depressionen, paranoider Schizophrenie und Hyperhidrosis. Dieser Antrag wurde nach Durchführung von Ermittlungen mit Bescheid des Landratsamts B. vom 23.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums St. vom 20.09.2006 abgelehnt, da die geltend gemachten Erkrankungen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Wehrdienstunfall zurückgeführt werden könnten.

Die daraufhin erhobene Klage wies das Sozialgericht Reutlingen nach auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtem schriftlichem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. F. vom 24.09.2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 14.09.2009 und nach Beiladung der B. D. (Beschluss vom 02.12.2009) mit Urteil vom 14.12.2009 ab. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen - Hyperhidrosis, paranoide Schizophrenie/paranoid-halluzinatorische Psychose - seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Diese Entscheidung wurde am 03.02.2010 zur Post gegeben.

Am 05.02.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt. Auch seien die einen Zusammenhang zwischen dem wehrdienstlichen Unfall und seinen geltend gemachten Erkrankungen nicht bestätigenden ärztlichen Einschätzungen unzutreffend.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14.12.2009 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 23.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der Wehrdienstbeschädigungsfolgen eine Rente nach einer MdE um mindestens 30 v. H. zu gewähren.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Stuttgart sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und der Wehrbereichsverwaltung Süd verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamts B. vom 23.02.2006 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums St. vom 20.09.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn er hat wegen der Folgen der von ihm am 16.07.1996 erlittenen Wehrdienstbeschädigung keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nach dem SVG.

Gemäß § 80 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Wehrdienstbeschädigung ist nach § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Das schädigende Ereignis, die dadurch eingetretene gesundheitliche Schädigung und die darauf beruhenden Gesundheitsstörungen (Schädigungsfolgen) müssen erwiesen sein, während nach § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG für die Frage des ursächlichen Zusammenhangs die Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77 - BSGE 45, 1; BSG, Urteil vom 19.03.1986 - 9a RVi 2/84 - BSGE 60, 58). Der ursächliche Zusammenhang ist vor allem nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, d. h. dass unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den behaupteten ursächlichen Zusammenhang spricht. Ist ein Sachverhalt nicht beweisbar oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich zu machen, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) der Beteiligte die Folgen zu tragen, der aus dem nicht festgestellten Sachverhalt bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Zusammenhang Rechte für sich herleitet (BSG, Urteil vom 29.03.1963 - 2 RU 75/61 - BSGE 19, 52; BSG, Urteil vom 31.10.1969 - 2 RU 40/67 - BSGE 30, 121; BSG, Urteil vom 20.01.1977 - 8 RU 52/76 - BSGE 43, 110). Ist allerdings die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges des Gesundheitsschadens mit der Wehrdienstbeschädigung nur deshalb nicht gegeben, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit - auch allgemein erteilter - Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der Gesundheitsschaden als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden (sog. Kannversorgung; vgl. § 81 Abs. 6 Satz 2 SVG), wobei die Zustimmung durch eine gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ersetzt werden kann (vgl. zu einer Verurteilung zur Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung BSG, Beschluss vom 28.10.1994 - 9 RV 17/94 - zit. nach juris).

In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es an einem wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen den vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen (Hyperhidrosis sowie psychische Erkrankung) und der Wehrdienstbeschädigung. Dies hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst die dem Kläger wohlwollendste Kausalitätseinschätzung, nämlich diejenige des behandelnden Facharztes für Psychiatrie Dr. Sch. vom 28.06.2006 lediglich von einem denkbaren Zusammenhang zwischen der Kopfverletzung und der Hyperhidrosis sowie der psychischen Symptomatik ausgeht. Dies genügt aber für einen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang nicht. Anlass für weitere Ermittlungen besteht nicht. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die vom Kläger aufgeworfene Frage der Dauer seiner Bewusstlosigkeit im Anschluss an den Unfall. Anders als der Kläger offenbar meint, bedarf es nämlich für die vom damaligen Obergefreiten Ch. E. gemachte Beobachtung, dass der Kläger, nachdem er im Anschluss an den Unfall an Land zurückgebracht worden war, zwar benommen war, aber laufen konnte und sich mit seiner Hilfe anzog (vgl. die Niederschrift über die Zeugenvernehmung vom 17.07.1996, Bl. 60 der Verwaltungsakten des Beklagten), keiner medizinischen Ausbildung.

Eine sog. Kannversorgung scheidet ebenfalls aus. Denn hinsichtlich der insoweit allein in Betracht kommenden, in ihrer Genese nicht genügend geklärten schizophrenen Psychose, fehlt es angesichts der jahrelangen Latenz an der erforderlichen engen zeitlichen Verbindung (bis zu mehreren Wochen) zwischen der Einwirkung und der Manifestation oder der Verschlimmerung des Krankheitsbildes (vgl. Teil C Nr. 4 Buchst. b) der am 01.01.2009 in Kraft getretenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG - [Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV - vom 10.12.2008, BGBl. I, S. 2412)] sowie Nr. 69 Abs. 1 der derzeit noch dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechenden [so auch Hess. LSG, Urteil vom 29.04.2009 - L 4 VS 1/05 -], bis zum Inkrafttreten der VG anzuwendenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht [Teil 2 SGB IX]" 2008 - AHP -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved