L 11 KR 3089/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 3985/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3089/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versicherte der GKV, die hochgradig sehbehindert sind, können im
Rahmen der Hilfsmittelversorgung einen Anspruch auf Versorgung mit
einem Screenreader (Bildschirmvorleseprogramm) haben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch auf Versorgung des Klägers mit einer Bildschirmvorlesesoftware (sog Screenreader-Software).

Der 1946 geborene Kläger ist als Rentner bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an einer Retinitis pigmentosa beidseits, die zu einer fortschreitenden Gesichtsfeldeinschränkung führt, einem Nachstar rechts und einer beidseitigen Pseudophakie. Der Visus betrug am 3. September 2007 auf dem rechten Auge 0,02 und auf dem linken Auge 0,10. Am 10. Dezember 2008 konnte der Kläger auf dem rechten Auge nur noch Handbewegungen wahrnehmen, auf dem linken Auge betrug der Visus 0,05. Der Kläger ist damit nahezu blind.

Im Jahr 2002 versorgte die Beklagte den Kläger über die Firma C. mit einem Texterkennungssystem, bestehend aus einem Computer, einem Scanner, einer Tastatur und der entsprechenden Software der Marke AudioCharta. Wird das System als sog geschlossenes System konfiguriert, kann mit dem Computer ausschließlich das Vorleseprogramm genutzt werden, während die Konfiguration als sog offenes System auch die Nutzung des Computers ohne Aktivierung des Vorlesesystems ermöglicht. Nach den Angaben des Klägers wurde das ihm gelieferte System als offenes System konfiguriert. Auf eigene Kosten ersetzte der Kläger die Festplatte des Computers und den Scanner. Der Kläger verfügt auch über einen Internetzugang.

Im Jahr 2006 stellte die Beklagte dem Kläger ein Lesegerät, einen sog Pocket Viewer, zur Verfügung. Mit diesem transportablen Gerät werden eingelesene Texte oder Zeichen siebenfach vergrößert.

Am 2. Juli 2007 verordnete Augenarzt Dr. H. dem Kläger eine Screenreader-Software, die den Bildschirminhalt einliest und die Informationen über Sprache oder Braille-Zeilen wiedergibt. Mit Bescheid vom 12. Juli 2007 lehnte die Beklagte die Versorgung des Klägers mit einer Screenreader-Software ab, da die Beklagte für Belange der privaten Lebensführung, ua der Nutzung des Internets, wozu der Kläger nach eigenen Angaben die Software verwenden wolle, nicht leistungspflichtig sei.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch verwies der Kläger auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2004 (Az. S 87 KR 353/03) und des Sozialgerichts Leipzig vom 22. April 2004 (Az. S 13 KR 92/01) und legte den Kostenvoranschlag der Firma K. vom 6. August 2007 über die Software JAWS (in Höhe von 1.420,17 EUR) mit Installation und Schulung (in Höhe von 700 EUR) über insgesamt 2.523 EUR brutto vor. Die Screenreader-Software JAWS ist im GKV-Hilfsmittelverzeichnis unter den Positionsnummern 07.99.03.2001 (JAWS Standard für Windows, Version 5.1, Art.-Nr. 028) und 07.99.03.2001 (JAWS Professional für Windows XP, Version 5.1, Art.-Nr. 033) eingetragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Mit dem vorhandenen Texterkennungssystem mit Sprachausgabe sei es dem Kläger möglich, sich Informationen zB aus der Tagespresse und aus Zeitschriften zu beschaffen. Damit werde der Ausgleich der Behinderung sichergestellt und das Grundbedürfnis zur Aufnahme von Informationen erfüllt. Die Versorgung mit einer Screenreader-Software sei nicht erforderlich. Zu einer ausreichenden Informationsbeschaffung sei die Nutzung des Internets nicht notwendig.

Hiergegen hat der Kläger am 5. November 2007 beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, sein derzeitiges Restsehvermögen sei soweit vermindert, dass bei ihm Blindheit festgestellt worden sei. Durch Nutzung einer Screenreader-Software sei das Lesen der Tageszeitung über das Internet möglich. Zudem sei die Internetnutzung im Rahmen des Grundbedürfnisses auf Information durch die Beklagte zu ermöglichen. Mit dem Pocket Viewer sei die Nutzung elektronischer Medien nicht möglich.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das SG den Befundbericht des Dr. H. vom 18. Januar 2008 eingeholt und den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2009 persönlich angehört. Der Kläger hat erklärt, die AudioCharta-Software erkenne mehrspaltige Vorlagen, wie zB eine Zeitung, nicht. Die Zeitung müsse daher von seiner Ehefrau zum Lesen vorbereitet werden. Zudem arbeite er täglich mit dem Computer.

Mit Urteil vom 26. Mai 2009 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger einen Screenreader zu verschaffen. Der Kläger habe gemäß § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf die Versorgung mit einer Screenreader-Software. Dabei handele es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, denn ein gesunder Versicherter würde sich damit nicht versorgen. Zum Ausgleich einer hochgradigen Sehbehinderung oder Blindheit, also einer Behinderung, stelle die Screenreader-Software vor allem für denjenigen, der wie der Kläger bereits mit einem PC und einem Internetanschluss versorgt sei, ein geeignetes Hilfsmittel dar. Eine solche Software sei dem allgemeinen Grundbedürfnis eines Menschen zuzuordnen, denn zu den Grundbedürfnissen gehöre die Schaffung eines körperlichen und geistigen Freiraumes. Dazu gehöre auch die Möglichkeit, sich unter Nutzung seines Computers und eines bereits vorhandenen Zugangs zum Internet ohne die Hilfe eines anderen Menschen, also höchst selbständig, die Informationen zu verschaffen, an denen ein schutzwürdiges Interesse bestehe. Das Maß des Notwendigen im Sinne von § 12 SGB V stehe bei der Verschaffung einer Screenreader-Software nicht entgegen. Das vorhandene AudioCharta-System könne der Kläger in vielfältiger Hinsicht nicht ohne die Mithilfe anderer Menschen nutzen. Das Lesen der Tageszeitung zB setze die Mitwirkung einer Hilfsperson voraus, die dem Kläger zunächst durch Vorlesen der Überschriften die Wahl des ihn interessierenden Artikels ermöglichen müsse. Dann müsse die Hilfsperson den Zeitungsartikel ausschneiden, da das Lesen der Spalten einer Tageszeitung das Vorlesesystem überfordere. Bei dem Einsatz einer Screenreader-Software hingegen könne der Kläger bei einer Tageszeitung seiner Wahl die Artikelauswahl selbst und allein vornehmen. Er könne auch mit anderen Menschen elektronisch kommunizieren. Der schützenswerte Freiraum werde vergrößert. Das allgemeine Kommunikationsbedürfnis, das nicht über das Hören im Gespräch befriedigt werden könne, werde durch den Einsatz der Screenreader-Software befriedigt. Das Gericht folge damit der Tendenz, die bereits den Entscheidungen, die der Kläger genannt habe, zu entnehmen sei.

Gegen das der Beklagten am 19. Juni 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Juli 2009 Berufung beim Landessozialgericht mit der Begründung eingelegt, sie müsse nur elementare Grundbedürfnisse, wie zB die Informationsbeschaffung, ausgleichen. Dazu seien das AudioCharta-System und der PocketViewer ausreichend. Das dem Kläger im Jahr 2002 gelieferte AudioCharta-System könne als geschlossenes oder offenes System genutzt werden, je nach Konfiguration. Auch wenn der Kläger mit einem offenen System versorgt worden sei, könne das Programm durch gleichzeitiges Betätigen zweier Tasten gestartet und mit insgesamt nur vier Tasten benutzt werden. Somit sei dem Kläger, auch nach Verschlechterung des Krankheitsbildes, eine Nutzung des AudioCharta-Systems noch möglich. Die Versorgung mit einer Screenreader-Software sei nicht erforderlich und würde das Maß des Notwendigen im Hinblick auf eine Grundversorgung überschreiten. Die Nutzung des Internets gehöre nicht zu den Grundbedürfnissen, wofür die gesetzliche Krankenversicherung Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen habe. Schließlich hat die Beklagte Produktinformationen über das AudioCharta-System und den Lieferschein der Firma C. vom 20. Juni 2002 über das dem Kläger gelieferte AudioCharta-System vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig. Mittlerweile sei sein restliches Sehvermögen so gering, dass er den Bildschirm am Computer nicht mehr sehen und das Programm deshalb nicht mehr starten könne. Dies erledige momentan seine Ehefrau. Zudem könne er mit dem AudioCharta-System keine Zeitung lesen, da das Gerät mehrspaltige Vorlagen nicht erkenne.

Der Senat hat noch die sachverständige Zeugenauskunft des Dr. H. vom 11. Februar 2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 15. März 2010, der die Visuswerte mitgeteilt hat, und die telefonische Auskunft der Firma C. vom 23. April 2010 eingeholt. Danach könne das System als offenes oder geschlossenes System konfiguriert werden. Die Art der Konfiguration könne dem Lieferschein nicht entnommen werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierfür ihr Einverständnis erteilt haben.

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG statthafte und im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den Kläger mit einer sog Screenreader-Software zu versorgen.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V ua die Versorgung mit Hilfsmitteln. Gemäß § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (in der ab 1. April 2007 geltenden Fassung durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst gemäß § 33 Abs 1 Satz 4 SGB V auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Gemäß § 12 Abs 1 Satz 1 SGB V müssen Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen bzw Erforderlichen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte gemäß § 12 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht beanspruchen.

Die Screenreader-Software ist weder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen noch ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Als allgemeiner Gegenstand des täglichen Lebens wird ein Gegenstand bezeichnet, der üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt wird (BSG, Urteil vom 3. November 1993, 1 RK 42/92, SozR 3-2500 § 33 Nr 5 mwN). Ein Gegenstand, der in erster Linie für den Gebrauch durch Kranke oder Behinderte konzipiert ist und folglich von diesem Personenkreis in Anspruch genommen wird, wird jedoch erst dann zum Gegenstand des täglichen Lebens, wenn er auch von Nichtbehinderten in nennenswerter Zahl genutzt wird (BSG, Urteil vom 16. April 1998, B 3 KR 9/97 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 27 mwN). Die Screenreader-Software wird weder üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt noch wird sie von Nichtbehinderten in nennenswerter Zahl genutzt, so dass es sich um keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.

Zum Ausgleich der beim Kläger bestehenden Behinderung, nämlich der hochgradigen Sehbehinderung bzw Blindheit, ist die Screenreader-Software im Bereich der Kommunikation und Informationsbeschaffung ein geeignetes und erforderliches Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Der von der Beklagten geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich dabei entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird.

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit steht bei dem in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als dritte Variante genannten Zweck des Behinderungsausgleichs (vgl jetzt auch § 31 Abs 1 Nr 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch) der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion im Vordergrund. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens, weil die Erhaltung bzw Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, juris mwN - Hörgeräteversorgung).

Ist die Erhaltung bzw Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich und werden deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt (sog mittelbarer Behinderungsausgleich), sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Denn Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören ua das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme und deren Ausscheiden sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR 19/03 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 7 mwN - schwenkbarer Autositz). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen Menschen (BSG, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 11/08 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 25 - Rollstuhl-Fahrrad-Kombination mit Elektrohilfsmotor).

Die Screenreader-Software ermöglicht dem Kläger die Nutzung des Computers, indem das Sehen des Bildschirminhalts durch das Hören ersetzt wird. Damit wird die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht vollständig bzw ausreichend ersetzt, sondern das Hilfsmittel wird nur benötigt, um Folgen der Behinderung in einem Teilbereich auszugleichen. Somit ist die Beklagte, worauf sie selbst zu Recht hingewiesen hat, zunächst nur zu einem Basisausgleich verpflichtet.

Allerdings ist vorliegend ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen, weshalb auch der mittelbare Behinderungsausgleich in die Leistungspflicht der Beklagten fällt. Hierfür spricht schon, dass das Hilfsmittel im GKV-Hilfsmittelverzeichnis unter den Positionsnummern 07.99.03.2001 und 07.99.03.2001 eingetragen ist. Zwar ergibt sich daraus noch kein unmittelbarer Anspruch, da das GKV-Hilfsmittelverzeichnis nur eine unverbindliche Auslegungshilfe bietet. Jedoch benötigt der Kläger die Screenreader-Software vorliegend, um das allgemeine Grundbedürfnis des täglichen Lebens auf Kommunikation und die Beschaffung von Informationen sicherzustellen oder wesentlich zu erleichtern. Dahinstehen kann, ob der Kläger allein unter Zuhilfenahme des vorhandenen AudioCharta-Systems Zeitungsinhalte erfassen kann und sein diesbezügliches Informationsbedürfnis schon gedeckt ist. Selbst wenn dies - zugunsten der Beklagten - unterstellt wird, verschafft die Screenreader-Software weitere Vorteile, die ebenfalls ein Grundbedürfnis befriedigen. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten besteht zwar das Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden (BSG, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 11/08 R, aaO), im Hinblick auf das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen geistigen Freiraums" ist dieses Grundbedürfnis jedoch nicht nur in einem eingeschränkten Sinn auszugleichen, sondern insbesondere dem Informationsbedürfnis ist in einem umfassenden Sinn Rechnung zu tragen. Es genügt, dass ein Informationsbedarf im Rahmen einer normalen Lebensführung auftritt (BSG, Urteil vom 23. August 1995, 3 RK 7/95, SozR 3-2500 § 33 Nr 16); der Informationsbedarf und die Informationsmöglichkeiten in der modernen Gesellschaft, die ständig und in steigendem Maße zunehmen, sind zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 16. April 1998, B 3 KR 6/97 R, aaO unter ausdrücklichem Hinweis auf die Nutzung des Internets).

Zur Überzeugung des Senats tritt der Kommunikations- und Informationsbedarf über das Internet und den Computer im Allgemeinen mittlerweile im Rahmen einer normalen Lebensführung auf und betrifft daher ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Bezüglich des Informationsbedarfes können über das Internet ua Recherchen betrieben. Das Lesen einer Online-Zeitung oder der regionalen oder überörtlichen Zeitung stellt dabei nur einen Teilbereich der Möglichkeiten dar. Darüber hinaus können Informationen aus vielen anderen Bereichen, zB rund um notwendige Behördengänge, beschafft oder Online-Geschäfte abgeschlossen werden. Bereits in diesem weiten Sinn ist eine Zugangsmöglichkeit zum Internet als Grundbedürfnis im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung der Gesellschaft anzusehen. Hierauf hat schon das SG mit zutreffender Begründung, auf die gemäß § 153 Abs 2 SGG Bezug genommen wird, hingewiesen. Des Weiteren erleichtert die Screenreader-Software dem Kläger über die Nutzung des Computers, insbesondere der einschlägigen (Text-) Programme, (mit und ohne Internet) Grundbedürfnisse im Bereich der Kommunikation, insbesondere auch der aktiven schriftlichen Kommunikation. Das SG hat hier zu Recht auf die elektronische Kommunikation hingewiesen. Ferner wird mit der Screenreader-Software die Fähigkeit, sich im Alltag druckschriftlich mitzuteilen, unterstützt. Sowohl im gesellschaftlichen als auch im privaten Bereich müssen wesentliche Erklärungen schriftlich und insbesondere in lesbarer Form abgegeben werden, wie zB in der Kommunikation mit Kreditinstituten, dem Vermieter, privaten oder staatlichen Unternehmen (zB dem Energieversorger etc) oder Behörden (zB der Beklagten oder dem Rentenversicherungsträger). Solche Erklärungen kann der Kläger mit den vorhandenen Systemen nicht selbständig und ohne Hilfe anderer Personen verfassen. Über die Screenreader-Software wird damit die selbständige Lebensführung des Klägers gesichert. Die Versorgung mit einem geschlossenen Vorlesesystem und dem PocketViewer entspricht daher nicht annähernd den heutigen gesellschaftlichen Informations- und Kommunikationsanforderungen.

Der begehrten Leistung steht schließlich das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V nicht entgegen. Denn das umfassende Informations- und Kommunikationsbedürfnis kann der Kläger nur über die Benutzung der Screenreader-Software befriedigen. Die Kosten für die Versorgung stehen nicht außer Verhältnis zum Nutzen, da der Kläger nach eigenen Angaben die Software zum täglichen Zeitunglesen verwenden will. Kosten für eine Hardware-Standardausrüstung, die als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens vom Kläger selbst zu finanzieren wäre (BSG, Urteil vom 25. Juni 2009, B 3 KR 4/08 R, juris), fallen vorliegend nicht an. Denn der Kläger ist schon mit der entsprechenden Hardware, die notwendige Voraussetzung für die Nutzung der Sreenreader-Software ist, versorgt und macht Kosten für eine solche nicht geltend. Hingegen sind die Kosten für die Ausbildung im Gebrauch des Gegenstandes im Rahmen der Versorgung des Klägers gemäß § 33 Abs 1 Satz 4 SGB V zusätzlich von der Beklagten zu übernehmen.

Da sich der Anspruch des Klägers schon aus deren originärem Leistungsrecht der Beklagten ergibt, kann dahinstehen, ob auch das Leistungsrecht anderer Rehabilitationsträger den geltend gemachten Anspruch ergeben würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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