Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 1066/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2985/10 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 20. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG). Vorliegend kommt nur - wie vom Sozialgericht Konstanz (SG) zutreffend erkannt - eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs.2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen, nämlich den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund), ab (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 SGB XII beschaffen können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Vorliegend hat der Antragsteller zwar die Altersgrenze gemäß § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht, hat aber nicht glaubhaft gemacht, dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann; insbesondere hat er sein Vermögen in Gestalt seines Pkw zur Bestreitung seines Lebensunterhalts einzusetzen.
Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Ausnahmen hiervon sind in § 90 Abs. 2 und 3 SGB XII geregelt. Danach darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder der Verwertung eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen (§ 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII). Weiterhin darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII).
Der Pkw Mercedes-Benz CLK 320 des Antragstellers mit einem Kilometerstand von ca. 160.000 (Erstzulassung 30. März 1998) gehört zunächst nicht zu dem geschützten Hausrat gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) FEVS 48, 145 und BVerwGE 106, 105 zu § 88 Abs. 2 Nr. 3 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG); Hessisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 18. September 2006 - L 7 SO 49/06 ER - (juris); Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., § 90 Rdnr. 39). Auf den Erlös aus dem Verkauf eines Pkw ist vielmehr § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG ZfSH/SGB 1998, 428; FEVS 48, 145 und BVerwGE 106, 105 zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG; Wahrendorf, a.a.O., § 90 Rdnr. 60). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII (DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) vom 11. Februar 1988 (Bundesgesetzblatt (BGBl.) I S. 150), zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), werden als kleinere Barbeträge im Sinne dieser Vorschrift bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII 1.600 Euro, jedoch 2.600 Euro u.a. bei nachfragenden Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, nicht berücksichtigt; bei Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII bleiben gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII 2.600 Euro unberücksichtigt. Dass die hier maßgeblichen Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in der DVO zu § 90 SGB Abs. 2 Nr. 9 SGB XII keine Erwähnung finden, dürfte auf einem redaktionellen Versehen beruhen, nachdem nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage in § 3 Abs. 2 des - mit Inkrafttreten des SGB XII aufgehobenen - Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1310, 1335) eine entsprechende Anwendung des § 88 BSHG und der dazu erlassenen Rechtsverordnung vorgegeben war, die nach der Einbeziehung des GSiG in das SGB XII entfallen ist (vgl. im Einzelnen Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 90 Rdnr. 60). Ob damit generell auch im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII eine entsprechende Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII erfolgen kann, bedarf hier aber keiner Entscheidung, weil der Antragsgegner in Anlehnung an diese Vorschrift für den Antragsteller, der das 60. Lebensjahr bereits vollendet hat, einen geschützten Betrag von 2.600 Euro anerkannt hat. Das Vermögen des Antragstellers in Gestalt seines Pkw überschreitet diesen Betrag selbst unter Zugrundelegung des von ihm im Verfahren vor dem SG genannten Wertes von 4.775 Euro deutlich; dies entspricht auch dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Internet-Recherche. Der Antragsteller hat auch nicht etwa durch substantiierte Darlegung erfolgloser Verkaufsversuche glaubhaft gemacht, dass ein Verkauf aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.
Vorliegend scheidet auch eine Erhöhung des Freibetrags gemäß § 2 Abs. 1 der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII aus. Nach dieser Vorschrift ist der Freibetrag dabei angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage der nachfragenden Person besteht; bei der Prüfung, ob eine besondere Notlage besteht, sowie bei der Entscheidung über den Umfang der Erhöhung sind vor allem Art und Dauer des Bedarfs sowie besondere Belastungen zu berücksichtigen. Eine Erhöhung kann im Einzelfall bei Behinderungen oder Krankheiten in Betracht kommen (Brühl/Geiger in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 90 Rdnr. 61). Auch im Falle einer besonderen Notlage liegt die Entscheidung, in welchem Umfang der maßgebende Grundbetrag zu erhöhen ist, im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers (Lücking, a.a.O. Rdnr. 65). Vorliegend ist nicht erkennbar, dass der Antragsgegner mit der Anerkennung eines Freibetrags von 2.600 Euro ohne weitere Erhöhung seinen Ermessensspielraum insoweit überschritten hätte. Der Antragsteller hat zwar vorgetragen, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung, die Folge einer Kinderlähmung ist, in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt und deshalb auf die Benutzung eines Fahrzeugs mit Automatikgetriebe angewiesen sei. Ihm ist auch wegen "Gebrauchseinschränkung des linken Beines, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, abgelaufenem Herzinfarkt, Schlaganfallfolgen" ein Grad der Behinderung von 100 und das Merkzeichen "G" zuerkannt. Zu Recht hat das SG in dem angefochtenen Beschluss aber darauf hingewiesen, dass das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung mit der Folge vergünstigter Beförderung in öffentlichen Personennahverkehrsmitteln, vgl. § 145 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) im Unterschied zum Nachteilsausgleich "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) gerade nicht die Unfähigkeit voraussetzt, öffentliche Nahverkehrsmittel zu benutzen. Der Senat hat im Übrigen eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers durch das Gesundheitsamt des Antragsgegners veranlasst. Nach der Stellungnahme der Dr. S. vom 2. September 2010 ist der Antragsteller zwar in der Tat aufgrund eines Postpoliomyeliesyndroms in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt. Auch Jahrzehnte nach einer erlittenen Kinderlähmung könne es zu einer Verschlechterung bestehender Muskelschwächen, Schmerzen und Müdigkeit kommen. Insofern sei es aus medizinischer Sicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller beim Tragen der Gehschiene vermehrt Schmerzen empfinde. Eine Neuanpassung sei allerdings noch nicht erfolgt; auch bestehe die Möglichkeit der medikamentösen Therapie der Schmerzsymptomatik. Insofern sei es für den Antragsteller beschwerlich, aber zumutbar, behindertengerechte Busse zu benutzen. Die Angabe des Antragstellers, schon nach 30 m wegen der auftretenden Schmerzen nicht mehr gehen zu können, könne nicht objektiviert werden. Ob die beklagte Luftnot eine kardiologische Ursache habe, müsste internistisch abgeklärt werden. Das Ein- und Aussteigen in Busse sei mit Hilfe von Gehhilfen möglich, da auch die meisten Busse über eine Einstiegshilfe verfügten. Mit einer Verschlechterung des Postpoliomyeliesyndroms und damit auch der Gehfähigkeit sei allerdings zu rechnen. Auf der Grundlage dieser Beurteilung erscheint die Anerkennung eines erhöhten Freibetrags aufgrund der Behinderung des Antragstellers jedenfalls derzeit noch nicht zwingend geboten.
Der Verweisung des Antragstellers auf die Vermögensverwertung bis zur Freigrenze steht auch die Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht entgegen, wonach die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung des Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Bei dem Begriff der Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Zusammenhang mit den vorangehenden Vorschriften über das Schonvermögen gesehen werden muss. Während die Vorschriften über das Schonvermögen typische Lebenssachverhalte regeln, bei denen es unbillig erscheint, die Sozialhilfe vom Einsatz bestimmter Vermögensgegenstände abhängig zu machen, regelt § 90 Abs. 3 SGB XII (wie § 88 Abs. 3 BSHG) atypische Fallgestaltungen, die mit den Regelbeispielen des § 90 Abs. 2 SGB XII (bzw. § 88 Abs. 2 BSHG) vergleichbar sind. Danach kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften zu einem den Leitvorstellungen des § 90 Abs. 2 SGB XII nicht entsprechenden Ergebnis führen würde (vgl. grundlegend BVerwGE 23, 149 zu § 88 Abs. 3 BSHG sowie Bundessozialgericht (BSG) FEVS 59, 441 zu § 90 Abs. 3 SGB XII). Eine Härte liegt danach vor, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles, wie z.B. die Art, Schwere und Dauer der Hilfe, das Alter, der Familienstand oder die sonstigen Belastungen des Vermögensinhabers und seiner Angehörigen eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen Situation wird, weil die soziale Stellung des Hilfesuchenden insbesondere wegen einer Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist (BSG, a.a.O.). Nach der Stellungnahme der Dr. S. vom 2. September 2010 ist beim Antragsteller zwar - wie oben dargelegt - von einer Behinderung aufgrund eines Postpoliomyeliesyndroms auszugehen. Dies führt jedoch noch nicht dazu, dass eine Anwendung der Regelbeispiele des § 90 Abs. 2 SGB XII, wonach eine Verwertung seines Pkw zulässig wäre, zu einem den Leitvorstellungen der Vorschriften über das Schonvermögen nicht mehr entsprechenden Ergebnis führen würde. Denn auch bei einer solchen Vermögensverwertung ist nach derzeitigem Sachstand davon auszugehen, dass ihm eine Bewältigung seines Alltags und eine Teilhabe am sozialen Leben noch möglich wäre. Nach Einschätzung der Dr. S. ist für den Antragsteller die Benutzung von Bussen zwar beschwerlich, derzeit aber noch zumutbar. Die Angabe des Antragstellers, schon nach 30 m wegen der auftretenden Schmerzen nicht mehr gehen zu können, könne nicht objektiviert werden. Der Antragsgegner hat darüber hinaus unter Vorlage von Fahrplänen dargelegt, dass dem Antragsteller eine gute Busverbindung zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund hat der Antragsteller zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen atypischen Sachverhalt glaubhaft gemacht, der dem Einsatz des über den Freibetrag von 2.600 Euro hinausgehenden Erlöses aus dem Verkauf des Pkw entgegenstehen würde.
Einsetzbares Vermögen, das tatsächlich für den Lebensunterhalt nicht eingesetzt wird, kann der Hilfebedürftigkeit Monat für Monat aufs Neue entgegenhalten werden. Der Antragsteller muss vor einer Hilfebewilligung seinen sozialhilferechtlichen Bedarf zunächst durch Verwertung seines - jeweils noch vorhandenen - Vermögens decken. Die Annahme eines fiktiven Vermögensverbrauchs ist mit der Rechtsnatur der Sozialhilfe, die nur bei einem tatsächlichen Bedarf erforderlich ist, nicht vereinbar. Die Grundsätze zu § 88 BSHG (grundlegend: BVerwGE 106, 105, 110) gelten insofern auch unter der Regelung des § 90 SGB XII fort (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Juli 2008 - L 20 SO 17/08 -; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 18. September 2006 - L 7 SO 49/06 ER - und vom 21. Mai 2010 - L 7 SO 78/06 -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. August 2009 - L 8 B 4/07 - (jeweils juris)).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG). Vorliegend kommt nur - wie vom Sozialgericht Konstanz (SG) zutreffend erkannt - eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs.2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen, nämlich den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) sowie der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (Anordnungsgrund), ab (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Die Anordnungsvoraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 SGB XII beschaffen können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Vorliegend hat der Antragsteller zwar die Altersgrenze gemäß § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht, hat aber nicht glaubhaft gemacht, dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann; insbesondere hat er sein Vermögen in Gestalt seines Pkw zur Bestreitung seines Lebensunterhalts einzusetzen.
Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Ausnahmen hiervon sind in § 90 Abs. 2 und 3 SGB XII geregelt. Danach darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder der Verwertung eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen (§ 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII). Weiterhin darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen (§ 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII). Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde (§ 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII).
Der Pkw Mercedes-Benz CLK 320 des Antragstellers mit einem Kilometerstand von ca. 160.000 (Erstzulassung 30. März 1998) gehört zunächst nicht zu dem geschützten Hausrat gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) FEVS 48, 145 und BVerwGE 106, 105 zu § 88 Abs. 2 Nr. 3 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG); Hessisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 18. September 2006 - L 7 SO 49/06 ER - (juris); Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl., § 90 Rdnr. 39). Auf den Erlös aus dem Verkauf eines Pkw ist vielmehr § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG ZfSH/SGB 1998, 428; FEVS 48, 145 und BVerwGE 106, 105 zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG; Wahrendorf, a.a.O., § 90 Rdnr. 60). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII (DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) vom 11. Februar 1988 (Bundesgesetzblatt (BGBl.) I S. 150), zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), werden als kleinere Barbeträge im Sinne dieser Vorschrift bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII 1.600 Euro, jedoch 2.600 Euro u.a. bei nachfragenden Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, nicht berücksichtigt; bei Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII bleiben gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII 2.600 Euro unberücksichtigt. Dass die hier maßgeblichen Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in der DVO zu § 90 SGB Abs. 2 Nr. 9 SGB XII keine Erwähnung finden, dürfte auf einem redaktionellen Versehen beruhen, nachdem nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage in § 3 Abs. 2 des - mit Inkrafttreten des SGB XII aufgehobenen - Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1310, 1335) eine entsprechende Anwendung des § 88 BSHG und der dazu erlassenen Rechtsverordnung vorgegeben war, die nach der Einbeziehung des GSiG in das SGB XII entfallen ist (vgl. im Einzelnen Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, § 90 Rdnr. 60). Ob damit generell auch im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII eine entsprechende Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII erfolgen kann, bedarf hier aber keiner Entscheidung, weil der Antragsgegner in Anlehnung an diese Vorschrift für den Antragsteller, der das 60. Lebensjahr bereits vollendet hat, einen geschützten Betrag von 2.600 Euro anerkannt hat. Das Vermögen des Antragstellers in Gestalt seines Pkw überschreitet diesen Betrag selbst unter Zugrundelegung des von ihm im Verfahren vor dem SG genannten Wertes von 4.775 Euro deutlich; dies entspricht auch dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Internet-Recherche. Der Antragsteller hat auch nicht etwa durch substantiierte Darlegung erfolgloser Verkaufsversuche glaubhaft gemacht, dass ein Verkauf aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.
Vorliegend scheidet auch eine Erhöhung des Freibetrags gemäß § 2 Abs. 1 der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII aus. Nach dieser Vorschrift ist der Freibetrag dabei angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage der nachfragenden Person besteht; bei der Prüfung, ob eine besondere Notlage besteht, sowie bei der Entscheidung über den Umfang der Erhöhung sind vor allem Art und Dauer des Bedarfs sowie besondere Belastungen zu berücksichtigen. Eine Erhöhung kann im Einzelfall bei Behinderungen oder Krankheiten in Betracht kommen (Brühl/Geiger in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 90 Rdnr. 61). Auch im Falle einer besonderen Notlage liegt die Entscheidung, in welchem Umfang der maßgebende Grundbetrag zu erhöhen ist, im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers (Lücking, a.a.O. Rdnr. 65). Vorliegend ist nicht erkennbar, dass der Antragsgegner mit der Anerkennung eines Freibetrags von 2.600 Euro ohne weitere Erhöhung seinen Ermessensspielraum insoweit überschritten hätte. Der Antragsteller hat zwar vorgetragen, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung, die Folge einer Kinderlähmung ist, in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt und deshalb auf die Benutzung eines Fahrzeugs mit Automatikgetriebe angewiesen sei. Ihm ist auch wegen "Gebrauchseinschränkung des linken Beines, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Spinalkanalstenose, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, abgelaufenem Herzinfarkt, Schlaganfallfolgen" ein Grad der Behinderung von 100 und das Merkzeichen "G" zuerkannt. Zu Recht hat das SG in dem angefochtenen Beschluss aber darauf hingewiesen, dass das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung mit der Folge vergünstigter Beförderung in öffentlichen Personennahverkehrsmitteln, vgl. § 145 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) im Unterschied zum Nachteilsausgleich "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) gerade nicht die Unfähigkeit voraussetzt, öffentliche Nahverkehrsmittel zu benutzen. Der Senat hat im Übrigen eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers durch das Gesundheitsamt des Antragsgegners veranlasst. Nach der Stellungnahme der Dr. S. vom 2. September 2010 ist der Antragsteller zwar in der Tat aufgrund eines Postpoliomyeliesyndroms in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt. Auch Jahrzehnte nach einer erlittenen Kinderlähmung könne es zu einer Verschlechterung bestehender Muskelschwächen, Schmerzen und Müdigkeit kommen. Insofern sei es aus medizinischer Sicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller beim Tragen der Gehschiene vermehrt Schmerzen empfinde. Eine Neuanpassung sei allerdings noch nicht erfolgt; auch bestehe die Möglichkeit der medikamentösen Therapie der Schmerzsymptomatik. Insofern sei es für den Antragsteller beschwerlich, aber zumutbar, behindertengerechte Busse zu benutzen. Die Angabe des Antragstellers, schon nach 30 m wegen der auftretenden Schmerzen nicht mehr gehen zu können, könne nicht objektiviert werden. Ob die beklagte Luftnot eine kardiologische Ursache habe, müsste internistisch abgeklärt werden. Das Ein- und Aussteigen in Busse sei mit Hilfe von Gehhilfen möglich, da auch die meisten Busse über eine Einstiegshilfe verfügten. Mit einer Verschlechterung des Postpoliomyeliesyndroms und damit auch der Gehfähigkeit sei allerdings zu rechnen. Auf der Grundlage dieser Beurteilung erscheint die Anerkennung eines erhöhten Freibetrags aufgrund der Behinderung des Antragstellers jedenfalls derzeit noch nicht zwingend geboten.
Der Verweisung des Antragstellers auf die Vermögensverwertung bis zur Freigrenze steht auch die Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht entgegen, wonach die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung des Vermögens abhängig gemacht werden darf, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Bei dem Begriff der Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Zusammenhang mit den vorangehenden Vorschriften über das Schonvermögen gesehen werden muss. Während die Vorschriften über das Schonvermögen typische Lebenssachverhalte regeln, bei denen es unbillig erscheint, die Sozialhilfe vom Einsatz bestimmter Vermögensgegenstände abhängig zu machen, regelt § 90 Abs. 3 SGB XII (wie § 88 Abs. 3 BSHG) atypische Fallgestaltungen, die mit den Regelbeispielen des § 90 Abs. 2 SGB XII (bzw. § 88 Abs. 2 BSHG) vergleichbar sind. Danach kommt es bei der Bestimmung des Begriffs der Härte darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften zu einem den Leitvorstellungen des § 90 Abs. 2 SGB XII nicht entsprechenden Ergebnis führen würde (vgl. grundlegend BVerwGE 23, 149 zu § 88 Abs. 3 BSHG sowie Bundessozialgericht (BSG) FEVS 59, 441 zu § 90 Abs. 3 SGB XII). Eine Härte liegt danach vor, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles, wie z.B. die Art, Schwere und Dauer der Hilfe, das Alter, der Familienstand oder die sonstigen Belastungen des Vermögensinhabers und seiner Angehörigen eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen Situation wird, weil die soziale Stellung des Hilfesuchenden insbesondere wegen einer Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist (BSG, a.a.O.). Nach der Stellungnahme der Dr. S. vom 2. September 2010 ist beim Antragsteller zwar - wie oben dargelegt - von einer Behinderung aufgrund eines Postpoliomyeliesyndroms auszugehen. Dies führt jedoch noch nicht dazu, dass eine Anwendung der Regelbeispiele des § 90 Abs. 2 SGB XII, wonach eine Verwertung seines Pkw zulässig wäre, zu einem den Leitvorstellungen der Vorschriften über das Schonvermögen nicht mehr entsprechenden Ergebnis führen würde. Denn auch bei einer solchen Vermögensverwertung ist nach derzeitigem Sachstand davon auszugehen, dass ihm eine Bewältigung seines Alltags und eine Teilhabe am sozialen Leben noch möglich wäre. Nach Einschätzung der Dr. S. ist für den Antragsteller die Benutzung von Bussen zwar beschwerlich, derzeit aber noch zumutbar. Die Angabe des Antragstellers, schon nach 30 m wegen der auftretenden Schmerzen nicht mehr gehen zu können, könne nicht objektiviert werden. Der Antragsgegner hat darüber hinaus unter Vorlage von Fahrplänen dargelegt, dass dem Antragsteller eine gute Busverbindung zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund hat der Antragsteller zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen atypischen Sachverhalt glaubhaft gemacht, der dem Einsatz des über den Freibetrag von 2.600 Euro hinausgehenden Erlöses aus dem Verkauf des Pkw entgegenstehen würde.
Einsetzbares Vermögen, das tatsächlich für den Lebensunterhalt nicht eingesetzt wird, kann der Hilfebedürftigkeit Monat für Monat aufs Neue entgegenhalten werden. Der Antragsteller muss vor einer Hilfebewilligung seinen sozialhilferechtlichen Bedarf zunächst durch Verwertung seines - jeweils noch vorhandenen - Vermögens decken. Die Annahme eines fiktiven Vermögensverbrauchs ist mit der Rechtsnatur der Sozialhilfe, die nur bei einem tatsächlichen Bedarf erforderlich ist, nicht vereinbar. Die Grundsätze zu § 88 BSHG (grundlegend: BVerwGE 106, 105, 110) gelten insofern auch unter der Regelung des § 90 SGB XII fort (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Juli 2008 - L 20 SO 17/08 -; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 18. September 2006 - L 7 SO 49/06 ER - und vom 21. Mai 2010 - L 7 SO 78/06 -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. August 2009 - L 8 B 4/07 - (jeweils juris)).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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