L 10 U 2378/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 4438/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2378/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.04.2008 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 12.06.2003 in der Fassung des Bescheids vom 28.05.2004, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2005 verurteilt, über den Anspruch auf Übergangsgeld für den Zeitraum vom 01.03.2001 bis 28.02.2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für die Zeit vom 01.03.2001 bis 28.02.2002 höheres Übergangsgeld zusteht.

Der am 1960 geborene Kläger war bei der Beklagten im Rahmen seiner Tätigkeit als selbständiger Gastwirt als Unternehmer unfallversichert. Wegen einer von der Beklagten als Berufskrankheit anerkannten Atemwegserkrankung nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) gab der Kläger seine Tätigkeit am 28.02.2001 auf. Er meldete zum 05.03.2001 ein Transportunternehmen als Gewerbe an und am 27.03.2001 wieder ab. Vom 01.05. bis 02.06.2001 war der Kläger dann in einer Montagefirma in G. und vom 20.06.2001 bis 31.03.2002 als Pizza-Ausfahrer in H. beschäftigt. Beim Arbeitsamt H. meldete er sich erstmals am 25.06.2002 arbeitslos.

Mit Bescheid vom 12.06.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger für das erste Jahr nach Tätigkeitsaufgabe (01.03.2001 bis 28.02.2002) eine Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV in Höhe von 9.302,18 EUR. Auf die Berechnung im Einzelnen wird verwiesen. Dabei verneinte sie für die Zeiträume vom 01.03. bis 30.04.2001 und vom 03. bis 24.06.2001 einen "Grundanspruch" mit dem Vermerk "keine Angaben oder kein EK-Nachweis". Hiergegen erhob der Kläger - soweit ein "Grundanspruch" verneint worden war - Widerspruch und machte geltend, sich unmittelbar nach Aufgabe seiner Tätigkeit beim Arbeitsamt vorgestellt und eigenständig nach freien Stellen gesucht zu haben. Nachdem ihm von mehreren Fuhrunternehmen in Aussicht gestellt worden sei, ihn als selbständigen Transportunternehmer zu beauftragen, habe er ab 05.03.2001 ein Transportgewerbe angemeldet. Nach Erhalt einer Beschäftigungszusage ab 01.05.2001 habe er, nachdem er so gut wie keine Fahraufträge erhalten habe, sein Gewerbe wieder abgemeldet. Im Hinblick auf den Zeitraum vom 03. bis 24.06.2001 führte er aus, nachdem er nach Beendigung des vorausgehenden Beschäftigungsverhältnisses kein Anschlussarbeitsverhältnis gefunden habe, habe er sich Anfang Juni 2001 entschlossen nach H. umzuziehen und dort dann eine neue Anstellung gefunden. Die Beklagte berechnete daraufhin die Übergangsleistung mit Bescheid vom 28.05.2004 neu, wobei sie einen "Grundanspruch" weiterhin für die Zeit vom 01.03. bis 04.03.2001, 28.03. bis 30.04.2001 sowie vom 03.06. bis 19.06.2001 verneinte und gewährte dem Kläger weitere 1.625,06 EUR. Auf die Berechnung im Einzelnen wird Bezug genommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 24.10.2005 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben und auf der Basis der von der Beklagten durchgeführten Berechnungen im Hinblick einen weiteren Minderverdienstausgleichs in Höhe von 3.313,16 EUR geltend gemacht. Eine weitere Begründung hat der Kläger trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Mit Gerichtsbescheid vom 07.04.2008 hat das SG die Klage unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide abgewiesen und ergänzend ausgeführt, angesichts des Ermittlungsergebnisses der Beklagten sei insbesondere die Verneinung eines Grundanspruchs in den streitbefangenen Zeiträumen nicht zu beanstanden.

Gegen den am 10.04.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13.05.2008 (Dienstag nach Pfingsten) Berufung eingelegt. Eine Begründung hat er erneut nicht vorgelegt.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.04.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 12.06.2003 in der Fassung des Bescheids vom 28.05.2004, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2005 zu verurteilen, für den Zeitraum vom 01.03.2001 bis 28.02.2002 Übergangsgeld in Höhe von weiteren 3.313,16 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat verhandelt und entschieden, obwohl weder der Kläger noch dessen Prozessbevollmächtigte im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Denn die Beteiligten sind mit Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden.

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 12.06.2003 in der Fassung des Bescheids vom 28.05.2004, diese in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2005, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger im Zeitraum vom 01.03. bis 04.03.2001 und 03.06. bis 19.06.2001 keinen durch Aufgabe der schädigenden Tätigkeit verursachten Minderverdienst hatte. Hinsichtlich des Zeitraums vom 28.03. bis 30.04.2001 ist diese Auffassung der Beklagten dagegen nicht zu beanstanden.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 2 der BKV. Danach haben Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderungen des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen. Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Vollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt.

Auf die Übergangsleistung besteht nur dem Grunde nach ein Anspruch, während die Art, Dauer und Höhe der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen des Unfallversicherungsträgers steht (BSG, Urteil vom 04.12.2001, B 2 U 6/01 R). Bei dieser Entscheidung hat der Träger der Unfallversicherung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch zu machen. Die Gesichtspunkte, von denen er bei der Ausübung seines Ermessens ausgegangen ist müssen in der Begründung der Entscheidung erkennbar werden.

Vorliegend legte die Beklagte im Bescheid vom 12.06.2003 hinreichend dar, von welchen Erwägungen und tatsächlichen Umstände sie bei der Bewilligung des Übergangsgeldes ausging. Diese Erwägungen, insbesondere die Gewährung eines im Rahmen der Höchstbeträge vollständigen Ausgleichs des krankheitsbedingten Minderverdienstes im ersten Jahr nach der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit, werden vom Kläger ebenso wenig angegriffen, wie die Höhe des von der Beklagten bei der Berechnung eingestellten fiktiven und - was die unstreitigen Zeiträume anbelangt - tatsächlichen Einkommens.

Der Kläger wendet sich vielmehr allein dagegen, dass die Beklagte für die Zeiträume vom 01.03. bis 04.03.2001, 28.03. bis 30.04.2001 sowie vom 03. bis 19.06.2001 einen "Grundanspruch" verneinte. Diese Frage - Bestehen eines "Grundanspruches" - ist indessen (zunächst) keine Frage ordnungsgemäßer Ausübung von Ermessen. Sie beantwortet sich vielmehr allein danach, ob - was die Beklagte ausweislich der Akten verneint - auch in diesen Zeiträumen ein Minderverdienst bestand bzw. auf die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit zurückzuführen war (zum Erfordernis dieser "zweiten" Kausalkette vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2975, 5 RKnU 5/74 in SozR 5677 § 3 Nr 1).

Diese Auffassung der Beklagten - fehlender "Grundanspruch" - wird in Bezug auf die Zeiträume vom 01.03. bis 04.03.2001 und 03.06. bis 19.06.2001 der Aktenlage nicht gerecht. Der Kläger legte bereits im Widerspruchsverfahren hinreichend deutlich sein Bemühen um Erwerbseinkommen dar (für den Zeitraum vom 01.03. bis 04.03.2001 Arbeitslosmeldung, wobei er auf Eigensuche verwiesen worden sei; Anfang Juni, also nach der bis 02.06.2001 dauernden Tätigkeit als Arbeiter Umzug nach Hamburg, weil er sich mehr Erfolg bei der Arbeitssuche versprach). Die Beklagte akzeptierte dies (s. Aktenvermerk Bl. 190) bereits als Nachweis eines "Grundanspruches" für diese Zeiträume. Warum dem Aktenvermerk dann insoweit nicht gefolgt wurde, ist nicht erkennbar.

Auch sachlich lässt sich ein Grundanspruch anhand dieser Angaben des Klägers ohne weiteres begründen. Maßgebend ist nach dem oben Gesagten allein, ob der Kläger wegen der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit einen Minderverdienst hatte. Dies bejaht der Senat.

Die Frage, ob ein Minderverdienst vorlag, hängt von der Höhe eventueller Einkünfte ab. Angesichts der kurzen Zwischenzeiträume zwischen den tatsächlich nach entsprechender Suche ausgeübten Tätigkeiten (01.03. bis 04.03.2001 und 03.06. bis 19.06.2001) sind solche zu verneinen. Für die Zeit vom 01.03. bis 04.03.2001 versuchte der Kläger - erfolglos - Arbeit bei Fuhrunternehmen zu bekommen, was zugleich bedeutet, dass er keine Einkünfte hatte. Gleiches gilt für die Zeit vom 03.06.2001 bis 19.06.2001; denn ab 03.06.2001 zog der Kläger nach Hamburg, um dort Arbeit zu suchen, die er (erst) ab 20.06.2001 auch fand, was für die Zeit davor fehlende Einkünfte belegt.

Dieser Minderverdienst war auch durch die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit bedingt. Dies wäre nur dann zu verneinen, wenn der Kläger gar keine Arbeit hätte aufnehmen wollen. Angesichts der festgestellten Tätigkeiten (Aufnahme von Tätigkeiten zum 05.03.2001, zum 01.05.2001 und erneut zum 20.06.2001) kann dies gerade nicht angenommen werden. Zu Unrecht stellt die Beklagte insoweit pauschal auf den fehlenden Nachweis einer Meldung beim Arbeitsamt zur Arbeitssuche ab. Der Kläger hat nämlich tatsächlich Arbeit gesucht, wie die spätere Entwicklung zeigt; er ist sogar zur Arbeitssuche nach H. gegangen, weil er glaubte, dort - wie früher - problemlos Arbeit zu finden (s. seine Widerspruchsbegründung) und er fand dort auch tatsächlich Arbeit. Allein die Aufnahme dreier Tätigkeiten innerhalb von vier Monaten einschließlich eines Umzuges schließt Zweifel am Willen des Klägers, nach Aufgabe der schädigenden Tätigkeit wieder tätig zu werden, aus.

Damit verneinte die Beklagte für die Zeit vom 01.03. bis 04.03.2001 und 03.06. bis 19.06.2001 zu Unrecht einen durch Aufgabe der Tätigkeit bedingten Minderverdienst und damit einen "Grundanspruch". Sie legte daher ihrer Ermessensentscheidung teilweise einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde. Deshalb ist sie - unter Annahme eines Grundanspruches für diese Zeiträume - zu verurteilen, im Rahmen ihres Ermessens erneut über die Höhe des Anspruch auf Übergangsgeld für den streitigen Zeitraum zu entscheiden.

Gleiches gilt indessen für den übrigen streitigen Zeitraum nicht. Insoweit verneint auch der Senat das Vorliegen eines durch Aufgabe der Tätigkeit verursachten Minderverdienstes. Soweit der Kläger in seiner Erklärung vom 25.08.2003 für den gesamten Zeitraum vom 01.03. bis 30.04.2001 eine Tätigkeit als selbstständiger Transporteur angab, ist diese Angabe durch die vorgelegte Gewerbeabmeldung zum 27.03.2001 widerlegt. Was der Kläger tatsächlich im Zeitraum vom 28.03. bis 30.04.2001 tat ist unbekannt. Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen aber erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Ist ein solcher Nachweis nicht möglich, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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