Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 02830/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 AL 4132/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts HN vom 19. September 2002 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit streitig.
Der am 15. Juli 1964 geborene Kläger beantragte am 12. April 2000 die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi), die ihm gewährt wurde, zuletzt mit Bescheid vom 26. Juli 2001 bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 30. November 2001 nach einem wöchentlichen Leistungssatz von DM 229,88 (Bemessungsentgelt DM 610,-, Leistungsgruppe A, Kindermerkmal 0). Leistungen in dieser Höhe wurden bis einschließlich 31. August 2001 gezahlt.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2001 unterbreitete das Arbeitsamt HN (AA) dem Kläger ein Arbeitsangebot bei der MW Personalleasing GmbH in HN als Blechschlosser bzw. -helfer zu einem Lohn von 15,- DM pro Stunde. Mit Schreiben vom 7. August 2001 teilte die Firma mit, der Kläger habe auf die Schreiben vom 26.Juli und 1. August 2001 nicht reagiert und sich weder vorgestellt noch schriftlich beworben (Bl. 365 der Leistungsakte).
Hierauf forderte das AA den Kläger auf, bis 27. August 2001 ausführlich mitzuteilen, weshalb er sich nicht vorgestellt habe bzw. es zu einer Arbeitsaufnahme nicht gekommen sei. Nachdem der Kläger ebenfalls hierauf nicht reagierte, stellte das AA mit Bescheid vom 7. September 2001 den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 mit der Begründung fest, dem Kläger sei am 25. Juli 2001 eine Arbeit als Blechschlosserhelfer bei der Firma MW angeboten worden, welche den Grundsätzen einer sachgerechten Arbeitsvermittlung entsprochen habe. Die Arbeit sei ihm deshalb zuzumuten gewesen. Er habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die Arbeit nicht angenommen, obwohl er hätte voraussehen müssen, dass er infolge seines Verhaltens weiterhin arbeitslos bleiben würde. Da er eine Stellungnahme hierzu nicht abgegeben habe, bestünden auch keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes (Bl. 368 der Leistungsakte).
Ab dem 24. November wurde dem Kläger mit Bescheid vom 11. September 2001 Alhi wieder bewilligt.
Mit seinem am 13. September 2001 gegen den Sperrzeitbescheid vom 7. September 2001 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe vom 23. bis 27. Juli 2001 bei der Firma RTH in B. zur Probe gearbeitet. Das Entgelt der angebotenen Arbeit bei der Firma MW sei ihm zu niedrig gewesen. Außerdem habe er inzwischen kein Kfz mehr. Deshalb könne er auch bei der Firma RTH kein Arbeitsverhältnis begründen, da er den Arbeitsplatz nicht erreichen könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch mit der Begründung zurück, die dem AA bis zur Einlegung des Widerspruch entgegen seiner Verpflichtung nicht mitgeteilte Beschäftigung des Klägers bei der Firma RTH stelle keinen wichtigen Grund dafür dar, die ihm angebotene Stelle bei der Firma MW in HN nicht anzutreten. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis bei der Firma RTH nicht zustande gekommen sei. Die Beschäftigung bei der Firma MW sei sowohl im Hinblick auf das Arbeitsentgelt als auch im Hinblick auf die Pendelzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die weniger als 2 Stunden betrügen, zumutbar. Eine Entlohnung in Höhe von 15,- DM pro Stunde sei in Anbetracht der lang dauernden Arbeitslosigkeit angemessen. Gleichzeitig wurde die Bewilligung von Alhi vom 26. Juli 2001 nach § 48 Abs. 1 S. 1 und Nr. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Dauer der eingetretenen Sperrzeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 mit der Begründung aufgehoben, der Kläger hätte aufgrund der Rechtsfolgenbelehrung auf dem Vermittlungsvorschlag wissen müssen, dass eine 12-wöchige Sperrzeit einträte, während derer sein Anspruch auf Alhi wegfalle.
Gegen den noch am selben Tag zur Post aufgegebenen Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 22. November 2001 Klage beim Sozialgericht HN (SG), zu deren Begründung er vortrug, die Beklagte habe zu Unrecht den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt, da die vorgeschlagene Stelle bei der Firma MW unzumutbar gewesen sei. Er wäre aufgrund seiner hohen Schulden auf einen höheren Verdienst angewiesen. Aus seiner Sicht sei die Frist zur Klageerhebung noch nicht abgelaufen.
Nach richterlichem Hinweis (Schreiben vom 17. Januar 2002 - Bl. 4 SG-Akte) beantragte der Kläger am 8. Februar 2002 die Überprüfung der Sperrzeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 nach § 44 SGB X, was mit Bescheid vom 15. Februar 2002 abgelehnt wurde (Bl. 17 der Senatsakte sowie Bl. 416-418 der Leistungsakte). Der Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen ihn der Widerspruch zulässig sei. Das SG wurde weder vom Kläger noch von der Beklagten über den Erlass dieses Bescheids informiert.
Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, dass der Widerspruchsbescheid am 10. Oktober 2001 zur Post gegeben worden sei, und der Kläger auf dreimalige Anfrage des Gerichts zur Einhaltung der Klagefrist (Schreiben vom 16. Januar 2002, 2. April 2002 und 11. Juni 2002) nicht reagierte, wies das SG mit Urteil vom 19. September 2002 die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klagefrist sei, nachdem von einer Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides spätestens am 13. Oktober 2001 nach der Regelung des § 37 SGB X ausgegangen werden müsse, am 13. November 2001 abgelaufen gewesen. Die Klage vom 22. November 2001 sei daher verspätet und somit als unzulässig abzuweisen. Die Klage wäre auch unbegründet. Insoweit nahm das SG auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001 nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Bezug.
Gegen das zum Zwecke der Zustellung mit Übergabe-Einschreiben vom 5. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Oktober 2002 Berufung beim SG mit der Begründung eingelegt, er habe sich aufgrund der Probearbeit bei der Firma RTH nicht bei der Firma MW vorstellen können. Diese hätten ihm einen Lohn von monatlich 3.500,- DM brutto in Aussicht gestellt, so dass er versucht habe, das bessere Angebot zu erhalten. Deswegen empfände er die Feststellung der Sperrzeit als ungerecht.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts HN vom 19. September 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2001 sowie des Bescheides vom 15. Februar 2002 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe auch in der Zeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 144 SGG statthaft, da der Kläger einen Leistungsanspruch für 12 Wochen mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 229,88 DM, d.h. für insgesamt 3.804 DM (= 1.944,95 EUR) geltend macht und hierdurch die Berufungssumme von 500,- EUR bei Weitem überschritten wird.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, da der Kläger die einmonatige Klagefrist des § 87 SGG versäumt hat. Nach dieser Vorschrift ist eine Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2001 ist dem Kläger zugegangen, wie seine Erwähnung bei Klagerhebung am 22. November 2001 sowie seine Vorlage in Ablichtung mit der Berufungsbegründung Bl. 29 Senatsakte beweisen. Er wurde laut Aktenvermerk auf dem Entwurf des Widerspruchsbescheids am selben Tag mit einfacher Post an den Kläger abgesandt. Er gilt damit am 13. Oktober 2001 als bekannt gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid dem Kläger tatsächlich erst später zugegangen ist, sind nicht ersichtlich. Die Klagefrist endete daher nach § 64 Abs. 2 SGG, wonach eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monates endet, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, also am 13. November 2001. Die Klage vom 22. November 2001 war daher verspätet.
Der Kläger hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihm eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG wegen nicht verschuldeter Fristversäumung hätte gewährt werden müssen, sondern hat vielmehr jegliche Anfragen des Gerichts, die auch zur Klärung, warum der Kläger verspätet Klage erhoben hatte, hätte beitragen können, unbeantwortet gelassen. Das SG hat daher die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am 8. Februar 2002 die Überprüfung des Bescheides vom 7. September 2001 nach § 44 SGB X beantragt hat. Der Bescheid vom 15. Februar 2002 ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens nach § 96 SGG geworden und führt nicht dazu, dass die ursprünglich unzulässige Klage zulässig wird.
Nach dieser Vorschrift wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens.
Das BSG hat zwar in seinem Urteil vom 24. März 1992 (Az.: 14b. /4 REg 12/90) ausgeführt, dass ein auf § 44 SGB X gestützter Bescheid gemäß § 96 SGG in das Verfahren einbezogen wird und darüber auch sachlich zu entscheiden ist. Denn mit einem solchen Bescheid verneine der Beklagte seine Pflicht, die vorangegangenen Bescheide als rechtswidrig zurückzunehmen (sog negativer Zugunstenbescheid). § 96 SGG gebe dann die prozessuale Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines nachträglich erlassenen Bescheides, der einen früheren Bescheid ändert oder ersetzt, im anhängigen Klageverfahren mitzuprüfen, um das gesamte Streitverhältnis schnell und erschöpfend zu klären. Für auf § 44 SGB X gestützte Folgebescheide ergebe sich die Einbeziehung in das anhängige Streitverfahren daraus, dass hier ebenfalls über die Rechtmäßigkeit der früheren Verwaltungsakte entschieden werde und der Streitgegenstand deswegen weitgehend identisch sei.
An dieser Rechtsprechung kann nach dem In-Kraft-Treten des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I, 2144) am 2. Januar 2002 nicht mehr festgehalten werden (vgl. auch Urteil des Senats vom 19. März 2003 - L 5 AL 753/02).
Auszugehen ist davon, dass § 96 SGG grundsätzlich sowohl bei gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197 a SGG wie bei den übrigen Verfahren, die für Kläger gem § 183 SGG gerichtskostenfrei und für Beklagte gem. § 184 SGG nur pauschgebührenpflichtig sind, in gleicher Weise auszulegen ist. Die bislang praktizierte entsprechende Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG hätte für gerichtskostenpflichtige Beteiligte nicht vertretbare Auswirkungen.
Nach § 184 Abs. 1 Satz 1 SGG in der Fassung des 6.SGG-ÄndG haben Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 genannten Personen gehören, für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten. Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen, werden nach § 197a Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der Fassung des 6. SGG-ÄndG ist der Streitwert (vorbehaltlich der folgenden Vorschriften des GKG) nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen und im Berufungsverfahren nach § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG in der Fassung des 6. SGG-ÄndG nach den Anträgen des Rechtsmittelklägers. Die Einbeziehung weiterer Bescheide in (entsprechender) Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG führt dazu, dass der Kläger seinen Antrag entsprechend auch auf diese Bescheide erstrecken und das Gericht auch auf Grund der sich aus § 106 Abs. 1 Satz 1 SGG ergebenden Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden, auf eine entsprechende Antragstellung hinwirken muss. Mit einem erweiterten Antrag wird aber zugleich der Streitwert erhöht mit der weiteren Folge, dass auch höhere Gerichtsgebühren zu zahlen sind. Da ein Kläger auf den Erlass weiterer Bescheide, auch die Anzahl weiterer ergehender Bescheide, regelmäßig keinen Einfluss hat und die Rechtswirkungen des § 96 Abs. 1 SGG unabhängig vom Wissen und Wollen der Beteiligten eintreten und die Ausweitung des Streitstoffes damit deren Disposition weit gehend entzogen ist (BSG SozR 3 2500 § 85 Nr. 10), kann er zu Beginn des Rechtsstreites möglicherweise nicht übersehen, welche weiteren kostenrechtlichen Folgen sein Rechtsstreit nach sich zieht.
Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass diese kostensteigernde Wirkung nur bei Folgebescheiden, die spätere Zeiträume betreffen, eintreten kann, der Streitwert der Bescheide nach § 44 SGB X aber mit dem der ursprünglich erhobenen Klage identisch ist. Solche Fallkonstellationen mag es zwar in der Praxis häufig geben, was aber nichts daran ändert, dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob eine Identität der Streitgegenstände vorliegt. Bei einer nicht unerheblichen Vielzahl an Fällen entstünde jedoch eine erhebliche Unsicherheit, ob ein Bescheid Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist oder nicht. Solche Unsicherheiten lassen sich nur über eine restriktive Handhabung des § 96 Abs. 1 SGG vermeiden. Die Vorschrift muss daher im Interesse der Rechtssicherheit und einer gleichmäßigen Anwendung auf die vom Wortlaut erfassten Fallkonstellationen der Abänderung oder Ersetzung beschränkt werden.
Falls ein Kläger später ergangene Bescheide zum Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits machen will, steht ihm die Möglichkeit der Klageerweiterung nach § 99 SGG zur Verfügung. In diesem Fall kann er auch die kostenrechtlichen Auswirkungen in seine Überlegungen mit einbeziehen.
Vorliegend ist der Bescheid vom 15. Februar 2002 nicht im Wege der (gewillkürten) Klageerweiterung nach § 99 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden. Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 15. Februar 2002 keine Klage beim SG erhoben und noch nicht einmal das SG über diesen Bescheid in Kenntnis gesetzt. Dementsprechend hat das SG zu Recht nur über den Bescheid vom 7. September 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001 entschieden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision war gem. § 160 Abs 2 SGG zuzulassen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit streitig.
Der am 15. Juli 1964 geborene Kläger beantragte am 12. April 2000 die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi), die ihm gewährt wurde, zuletzt mit Bescheid vom 26. Juli 2001 bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 30. November 2001 nach einem wöchentlichen Leistungssatz von DM 229,88 (Bemessungsentgelt DM 610,-, Leistungsgruppe A, Kindermerkmal 0). Leistungen in dieser Höhe wurden bis einschließlich 31. August 2001 gezahlt.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2001 unterbreitete das Arbeitsamt HN (AA) dem Kläger ein Arbeitsangebot bei der MW Personalleasing GmbH in HN als Blechschlosser bzw. -helfer zu einem Lohn von 15,- DM pro Stunde. Mit Schreiben vom 7. August 2001 teilte die Firma mit, der Kläger habe auf die Schreiben vom 26.Juli und 1. August 2001 nicht reagiert und sich weder vorgestellt noch schriftlich beworben (Bl. 365 der Leistungsakte).
Hierauf forderte das AA den Kläger auf, bis 27. August 2001 ausführlich mitzuteilen, weshalb er sich nicht vorgestellt habe bzw. es zu einer Arbeitsaufnahme nicht gekommen sei. Nachdem der Kläger ebenfalls hierauf nicht reagierte, stellte das AA mit Bescheid vom 7. September 2001 den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 mit der Begründung fest, dem Kläger sei am 25. Juli 2001 eine Arbeit als Blechschlosserhelfer bei der Firma MW angeboten worden, welche den Grundsätzen einer sachgerechten Arbeitsvermittlung entsprochen habe. Die Arbeit sei ihm deshalb zuzumuten gewesen. Er habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die Arbeit nicht angenommen, obwohl er hätte voraussehen müssen, dass er infolge seines Verhaltens weiterhin arbeitslos bleiben würde. Da er eine Stellungnahme hierzu nicht abgegeben habe, bestünden auch keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grundes (Bl. 368 der Leistungsakte).
Ab dem 24. November wurde dem Kläger mit Bescheid vom 11. September 2001 Alhi wieder bewilligt.
Mit seinem am 13. September 2001 gegen den Sperrzeitbescheid vom 7. September 2001 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe vom 23. bis 27. Juli 2001 bei der Firma RTH in B. zur Probe gearbeitet. Das Entgelt der angebotenen Arbeit bei der Firma MW sei ihm zu niedrig gewesen. Außerdem habe er inzwischen kein Kfz mehr. Deshalb könne er auch bei der Firma RTH kein Arbeitsverhältnis begründen, da er den Arbeitsplatz nicht erreichen könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch mit der Begründung zurück, die dem AA bis zur Einlegung des Widerspruch entgegen seiner Verpflichtung nicht mitgeteilte Beschäftigung des Klägers bei der Firma RTH stelle keinen wichtigen Grund dafür dar, die ihm angebotene Stelle bei der Firma MW in HN nicht anzutreten. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis bei der Firma RTH nicht zustande gekommen sei. Die Beschäftigung bei der Firma MW sei sowohl im Hinblick auf das Arbeitsentgelt als auch im Hinblick auf die Pendelzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die weniger als 2 Stunden betrügen, zumutbar. Eine Entlohnung in Höhe von 15,- DM pro Stunde sei in Anbetracht der lang dauernden Arbeitslosigkeit angemessen. Gleichzeitig wurde die Bewilligung von Alhi vom 26. Juli 2001 nach § 48 Abs. 1 S. 1 und Nr. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Dauer der eingetretenen Sperrzeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 mit der Begründung aufgehoben, der Kläger hätte aufgrund der Rechtsfolgenbelehrung auf dem Vermittlungsvorschlag wissen müssen, dass eine 12-wöchige Sperrzeit einträte, während derer sein Anspruch auf Alhi wegfalle.
Gegen den noch am selben Tag zur Post aufgegebenen Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 22. November 2001 Klage beim Sozialgericht HN (SG), zu deren Begründung er vortrug, die Beklagte habe zu Unrecht den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt, da die vorgeschlagene Stelle bei der Firma MW unzumutbar gewesen sei. Er wäre aufgrund seiner hohen Schulden auf einen höheren Verdienst angewiesen. Aus seiner Sicht sei die Frist zur Klageerhebung noch nicht abgelaufen.
Nach richterlichem Hinweis (Schreiben vom 17. Januar 2002 - Bl. 4 SG-Akte) beantragte der Kläger am 8. Februar 2002 die Überprüfung der Sperrzeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 nach § 44 SGB X, was mit Bescheid vom 15. Februar 2002 abgelehnt wurde (Bl. 17 der Senatsakte sowie Bl. 416-418 der Leistungsakte). Der Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen ihn der Widerspruch zulässig sei. Das SG wurde weder vom Kläger noch von der Beklagten über den Erlass dieses Bescheids informiert.
Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, dass der Widerspruchsbescheid am 10. Oktober 2001 zur Post gegeben worden sei, und der Kläger auf dreimalige Anfrage des Gerichts zur Einhaltung der Klagefrist (Schreiben vom 16. Januar 2002, 2. April 2002 und 11. Juni 2002) nicht reagierte, wies das SG mit Urteil vom 19. September 2002 die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klagefrist sei, nachdem von einer Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides spätestens am 13. Oktober 2001 nach der Regelung des § 37 SGB X ausgegangen werden müsse, am 13. November 2001 abgelaufen gewesen. Die Klage vom 22. November 2001 sei daher verspätet und somit als unzulässig abzuweisen. Die Klage wäre auch unbegründet. Insoweit nahm das SG auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001 nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Bezug.
Gegen das zum Zwecke der Zustellung mit Übergabe-Einschreiben vom 5. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Oktober 2002 Berufung beim SG mit der Begründung eingelegt, er habe sich aufgrund der Probearbeit bei der Firma RTH nicht bei der Firma MW vorstellen können. Diese hätten ihm einen Lohn von monatlich 3.500,- DM brutto in Aussicht gestellt, so dass er versucht habe, das bessere Angebot zu erhalten. Deswegen empfände er die Feststellung der Sperrzeit als ungerecht.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts HN vom 19. September 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2001 sowie des Bescheides vom 15. Februar 2002 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe auch in der Zeit vom 1. September 2001 bis 23. November 2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgemäß eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 144 SGG statthaft, da der Kläger einen Leistungsanspruch für 12 Wochen mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 229,88 DM, d.h. für insgesamt 3.804 DM (= 1.944,95 EUR) geltend macht und hierdurch die Berufungssumme von 500,- EUR bei Weitem überschritten wird.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, da der Kläger die einmonatige Klagefrist des § 87 SGG versäumt hat. Nach dieser Vorschrift ist eine Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2001 ist dem Kläger zugegangen, wie seine Erwähnung bei Klagerhebung am 22. November 2001 sowie seine Vorlage in Ablichtung mit der Berufungsbegründung Bl. 29 Senatsakte beweisen. Er wurde laut Aktenvermerk auf dem Entwurf des Widerspruchsbescheids am selben Tag mit einfacher Post an den Kläger abgesandt. Er gilt damit am 13. Oktober 2001 als bekannt gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid dem Kläger tatsächlich erst später zugegangen ist, sind nicht ersichtlich. Die Klagefrist endete daher nach § 64 Abs. 2 SGG, wonach eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monates endet, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, also am 13. November 2001. Die Klage vom 22. November 2001 war daher verspätet.
Der Kläger hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihm eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG wegen nicht verschuldeter Fristversäumung hätte gewährt werden müssen, sondern hat vielmehr jegliche Anfragen des Gerichts, die auch zur Klärung, warum der Kläger verspätet Klage erhoben hatte, hätte beitragen können, unbeantwortet gelassen. Das SG hat daher die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am 8. Februar 2002 die Überprüfung des Bescheides vom 7. September 2001 nach § 44 SGB X beantragt hat. Der Bescheid vom 15. Februar 2002 ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens nach § 96 SGG geworden und führt nicht dazu, dass die ursprünglich unzulässige Klage zulässig wird.
Nach dieser Vorschrift wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens.
Das BSG hat zwar in seinem Urteil vom 24. März 1992 (Az.: 14b. /4 REg 12/90) ausgeführt, dass ein auf § 44 SGB X gestützter Bescheid gemäß § 96 SGG in das Verfahren einbezogen wird und darüber auch sachlich zu entscheiden ist. Denn mit einem solchen Bescheid verneine der Beklagte seine Pflicht, die vorangegangenen Bescheide als rechtswidrig zurückzunehmen (sog negativer Zugunstenbescheid). § 96 SGG gebe dann die prozessuale Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines nachträglich erlassenen Bescheides, der einen früheren Bescheid ändert oder ersetzt, im anhängigen Klageverfahren mitzuprüfen, um das gesamte Streitverhältnis schnell und erschöpfend zu klären. Für auf § 44 SGB X gestützte Folgebescheide ergebe sich die Einbeziehung in das anhängige Streitverfahren daraus, dass hier ebenfalls über die Rechtmäßigkeit der früheren Verwaltungsakte entschieden werde und der Streitgegenstand deswegen weitgehend identisch sei.
An dieser Rechtsprechung kann nach dem In-Kraft-Treten des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG-ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I, 2144) am 2. Januar 2002 nicht mehr festgehalten werden (vgl. auch Urteil des Senats vom 19. März 2003 - L 5 AL 753/02).
Auszugehen ist davon, dass § 96 SGG grundsätzlich sowohl bei gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197 a SGG wie bei den übrigen Verfahren, die für Kläger gem § 183 SGG gerichtskostenfrei und für Beklagte gem. § 184 SGG nur pauschgebührenpflichtig sind, in gleicher Weise auszulegen ist. Die bislang praktizierte entsprechende Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG hätte für gerichtskostenpflichtige Beteiligte nicht vertretbare Auswirkungen.
Nach § 184 Abs. 1 Satz 1 SGG in der Fassung des 6.SGG-ÄndG haben Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 genannten Personen gehören, für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten. Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen, werden nach § 197a Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz SGG Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der Fassung des 6. SGG-ÄndG ist der Streitwert (vorbehaltlich der folgenden Vorschriften des GKG) nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen und im Berufungsverfahren nach § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG in der Fassung des 6. SGG-ÄndG nach den Anträgen des Rechtsmittelklägers. Die Einbeziehung weiterer Bescheide in (entsprechender) Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG führt dazu, dass der Kläger seinen Antrag entsprechend auch auf diese Bescheide erstrecken und das Gericht auch auf Grund der sich aus § 106 Abs. 1 Satz 1 SGG ergebenden Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden, auf eine entsprechende Antragstellung hinwirken muss. Mit einem erweiterten Antrag wird aber zugleich der Streitwert erhöht mit der weiteren Folge, dass auch höhere Gerichtsgebühren zu zahlen sind. Da ein Kläger auf den Erlass weiterer Bescheide, auch die Anzahl weiterer ergehender Bescheide, regelmäßig keinen Einfluss hat und die Rechtswirkungen des § 96 Abs. 1 SGG unabhängig vom Wissen und Wollen der Beteiligten eintreten und die Ausweitung des Streitstoffes damit deren Disposition weit gehend entzogen ist (BSG SozR 3 2500 § 85 Nr. 10), kann er zu Beginn des Rechtsstreites möglicherweise nicht übersehen, welche weiteren kostenrechtlichen Folgen sein Rechtsstreit nach sich zieht.
Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass diese kostensteigernde Wirkung nur bei Folgebescheiden, die spätere Zeiträume betreffen, eintreten kann, der Streitwert der Bescheide nach § 44 SGB X aber mit dem der ursprünglich erhobenen Klage identisch ist. Solche Fallkonstellationen mag es zwar in der Praxis häufig geben, was aber nichts daran ändert, dass in jedem Einzelfall geprüft werden muss, ob eine Identität der Streitgegenstände vorliegt. Bei einer nicht unerheblichen Vielzahl an Fällen entstünde jedoch eine erhebliche Unsicherheit, ob ein Bescheid Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist oder nicht. Solche Unsicherheiten lassen sich nur über eine restriktive Handhabung des § 96 Abs. 1 SGG vermeiden. Die Vorschrift muss daher im Interesse der Rechtssicherheit und einer gleichmäßigen Anwendung auf die vom Wortlaut erfassten Fallkonstellationen der Abänderung oder Ersetzung beschränkt werden.
Falls ein Kläger später ergangene Bescheide zum Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits machen will, steht ihm die Möglichkeit der Klageerweiterung nach § 99 SGG zur Verfügung. In diesem Fall kann er auch die kostenrechtlichen Auswirkungen in seine Überlegungen mit einbeziehen.
Vorliegend ist der Bescheid vom 15. Februar 2002 nicht im Wege der (gewillkürten) Klageerweiterung nach § 99 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden. Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 15. Februar 2002 keine Klage beim SG erhoben und noch nicht einmal das SG über diesen Bescheid in Kenntnis gesetzt. Dementsprechend hat das SG zu Recht nur über den Bescheid vom 7. September 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001 entschieden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision war gem. § 160 Abs 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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