L 12 AS 2339/10 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 5516/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2339/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. April 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Monat August 2008 und eine damit verbundene Erstattungsforderung der Beklagten in Höhe von 747,10 EUR.

Die 1980 geborene Klägerin befand sich bis 31. Juli 2008 im Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des höheren Schuldienstes an Gymnasien. Zum 5. September 2008 wurde sie als Studienassessorin in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg eingestellt (Beamtenverhältnis auf Probe).

Mit Bescheid vom 5. August 2008 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 16. September 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für August 2008 in Höhe von 747,10 EUR. Die Bezüge der Klägerin für den Monat September 2008 in Höhe von 1.795,05 EUR netto wurden ihrem Konto am 29. August 2008 gutgeschrieben.

Nachdem die Beklagte im Oktober 2008 hiervon Kenntnis erlangt hatte, hob sie mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21. August 2009 die Bewilligung für August 2008 ganz auf und forderte überzahlte Leistungen in Höhe von 747,10 EUR zurück. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, das Entgelt sei für September 2008 gezahlt worden und dürfe daher hinsichtlich der Leistungen für August 2008 nicht berücksichtigt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 2. November 2009 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Mit Urteil vom 29. April 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe rechtsfehlerfrei den gewährenden Bescheid aufgehoben und die Erstattung von 747,10 EUR geltend gemacht. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) seien laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Hieran ändere sich nichts dadurch, dass das der Klägerin im August 2008 zugeflossene Entgelt erst im September 2008 erarbeitet worden sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass die Norm ermächtigungskonform sei und dass Einnahmen, die in einem Monat zufließen, jedoch für einen anderen Monat bestimmt sind, im Zuflussmonat zu berücksichtigen seien (unter Hinweis auf Urteil vom 21. Dezember 2009 - B 14 AS 46/08 R -).

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 5. Mai 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. Mai 2010 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Von grundsätzlicher Bedeutung sei folgende Rechtsfrage: Gilt das in § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V normierte Zuflussprinzip auch dann, wenn die zugeflossene Leistung nicht bereits früher verdientes Arbeitsentgelt betrifft, sondern - wie bei Beamten auf Probe - Arbeitsentgelt, das erst im darauffolgenden Monat durch entsprechende Leistungserbringung verdient wird? Jeder, der zunächst Anwärterbezüge für den höheren Dienst erhalte, dann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch nehmen müsse und dann in ein Beamtenverhältnis auf Probe berufen werde, sehe sich mit einem Rückforderungsanspruch konfrontiert, weil der Dienstherr die Bezüge im Voraus und so überpünktlich bezahle, dass sie bereits einige Tage vor dem Monatsersten gezahlt würden. Die Frage sei auch klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ergebe sich vom reinen Wortlaut her zwar unmittelbar aus dem Gesetz. § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V betreffe aber den "Normalfall", in dem der Leistungsempfänger nachträglich bereits verdientes Arbeitsentgelt erhalte. Die Vorschrift enthalte eine Regelungslücke für die Fälle, in denen Beamte ihr Gehalt im Gegensatz zu allen anderen Arbeitnehmern bereits im Voraus erhielten. Soweit ersichtlich, beträfen die Entscheidungen der Gerichte ausnahmslos Sachverhalte, in denen nachträglich Entgeltzahlungen geleistet worden seien. Gerade der vorliegende Fall gebiete es, die im zitierten Urteil des BSG erwähnte besondere Härtefallklausel in die Alg II-V hineinzulesen. Es sei auch kein Grund ersichtlich, weshalb ein Beamter auf Probe schlechter behandelt werden sollte als andere Arbeitnehmer, die ihr Gehalt erst nachträglich erhielten. Abgesehen davon würde der Klägerin von dem für September 2008 erarbeiteten Gehalt nicht einmal der nach § 850c Zivilprozessordnung unpfändbare Betrag verbleiben bei Erstattung von 747,10 EUR.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die gemäß § 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zwar zulässig (§ 145 Abs. 1 SGG), sie ist jedoch nicht begründet, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nicht gegeben sind.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts (LSG), wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben; weder stehen wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit, noch ist die erforderliche Berufungssumme in Anbetracht des Beschwerdewerts von insgesamt 747,10 EUR erreicht. Das SG hat die Berufung im angefochtenen Urteil auch nicht zugelassen, sodass sie der Zulassung durch das LSG bedurft hätte. Eine solche Zulassung kommt vorliegend nicht in Betracht.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1.) Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle die notwendige Klärung erfolgt (so die ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 129, 132). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rdnrn. 28 f.; § 160 Rdnrn. 6 ff. (jeweils m.w.N.)). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit, d.h. die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, d.h. die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage hinzutreten (vgl. dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr. 53; SozR 1500 § 160a Nr. 54). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 7).

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im oben dargestellten Sinn stellen sich hier nicht. Die ständige Rechtsprechung des BSG greift bei der Frage der Einkommensanrechnung auf das Zuflussprinzip zurück, das auch in § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V verankert ist (vgl. hierzu u.a. BSG SozR 4-4200 § 11 Nrn. 17 und 22; BSG SozR 4-4225 § 1 Nr. 1 = SozR 102, 258; BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 86/08 R - (juris)). Dass es sich bei der Zahlung der Beamtenbezüge um laufendes Einkommen handelt, wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Entsprechend sind diese Bezüge ebenso zu behandeln wie anderes Einkommen. Die Klägerin erhielt die Bezüge für September 2008 im August ausgezahlt. Dieses Einkommen stand ihr daher zur Deckung des Bedarfs im August 2008 zur Verfügung. Zwar liegen den vom BSG entschiedenen Fällen - soweit ersichtlich - Konstellationen zugrunde, in denen Einkommen (Erwerbseinkommen oder auch Sozialleistungen) für einen bestimmten Zeitraum nachträglich gezahlt wurde. Das BSG hat jedoch in den genannten Entscheidungen wiederholt ausgeführt, dass es nicht auf den Zeitraum ankommt, für den das Einkommen bestimmt ist, sondern allein auf den Zuflusszeitpunkt. Somit kommt es für die Einkommensberücksichtigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V nicht darauf an, ob Gehalt nachträglich oder im Voraus gezahlt wird. Darüber hinaus ist eine Ungleichbehandlung gegenüber Arbeitnehmern, die ihr Gehalt erst nachträglich ausbezahlt erhalten, nicht zu erkennen, denn diesen steht das Einkommen dann im jeweiligen Auszahlungsmonat zur Bedarfsdeckung zur Verfügung. Bei einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe hätte die Klägerin entsprechend bereits zu einem früheren Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II als ein Arbeitnehmer, dem nachträglich noch Gehalt zufließt. Eine Versorgungslücke besteht daher nicht. Die vorliegende Rechtsfrage ist nach alledem nicht klärungsbedürftig im oben dargestellten Sinne.

(2.) Eine Abweichung der Entscheidung des SG von einer Entscheidung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte liegt nicht vor und wird von der Klägerin konkret auch nicht geltend gemacht.

(3.) Ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist weder dargetan noch erkennbar.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Das angefochtene Urteil vom 29. April 2010 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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