Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3442/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5542/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. November 2008 sowie die Bescheide des Beklagten vom 25. April 2007 und vom 24. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. November 2007 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers ab 01. November 2008 mit 60 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers.
Mit Bescheid vom 17.07.1978 wurde bei dem 1951 geborenen Kläger die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft abgelehnt, da die Behinderungen "Rechtsherzbelastung nach operativer Behandlung eines Vorhofseptumdefektes (1965), Verbiegung der Brust- und Lendenwirbelsäule" keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 30 v.H. darstellten.
Auf Antrag des Klägers vom 10.01.2007 stellte der Beklagte nach Durchführung medizinischer Ermittlungen, auf die Bezug genommen wird, mit Bescheid vom 25.04.2007 den GdB des Klägers mit 30 ab dem 10.01.2007 fest. Auf dessen Widerspruch und nach Durchführung weiterer medizinischer Ermittlung stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 24.10.2007 den GdB des Klägers mit 50 ab dem 10.01.2007 fest. Hierbei legte er folgende Gesundheitsbeeinträchtigungen zugrunde:
Seelische Störung Teil-GdB 30 Herzrhythmusstörungen, operierter Herzfehler Teil-GdB 20 Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen Teil-GdB 10 Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom Teil-GdB 20.
Eine Funktionsstörung der Hüftgelenke bedinge keinen Teil-GdB von mindestens 10.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2007 wies der Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 14.12.2007 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte, den HNO-Arzt Dr. M. und den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B., sowie die Psychologische Psychotherapeutin Dipl.-Psych. U. als sachverständige Zeugen gehört. Auf deren Aussagen wird Bezug genommen. Mit Gerichtsbescheid vom 11.11.2008 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers seien in den vom Beklagten zugrundegelegten Teil-GdBs sowie dem hieraus gebildeten Gesamt-GdB zutreffend und ausreichend berücksichtigt.
Gegen den am 12.11.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30.11.2008 Berufung eingelegt.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. I., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Im psychiatrisch-schmerzpsychologischen Gutachten vom 15.06.2009 hat Dr. I. folgende Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet gestellt:
• Chronisches Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium 2 - 3 • Kombinationskopfschmerz: Migräne mit Aura, Spannungskopfschmerz, Cluster-Typ • Anhaltende affektive Störung mittelgradiger Ausprägung • Organisch kognitive Störung, evtl. durch Narkosen bedingt • Nikotinabhängigkeit.
Auf neurologischem Fachgebiet bestehe ein mittelschweres Restless-legs-Syndrom, auf internistischem Fachgebiet ein Zustand nach mehrfacher Kardioversion mit Herz¬rhyth-musstörungen und Adipositas sowie auf HNO-ärztlichem Fachgebiet ein schwerer Tinnitus aurium beidseits. Den Einstufungen des Beklagten hinsichtlich der organischen Erkrankungen sei zu folgen. Allerdings sei inzwischen eine Verschlechterung auf psychiatrischem Gebiet eingetreten. Aus psychiatrischer Sicht stehe im Vordergrund eine depressive Störung verbunden mit nachvollziehbaren Ängsten in Bezug auf die schwere Herzerkrankung, kombiniert mit einer hirnorganisch kognitiven Störung, welche durch die Narkosen ausgelöst sein dürfte, teilweise aber auch Symptom der Depression sei. Auf psychiatrischem Fachgebiet habe der GdB bis Oktober 2008 30 und ab November 2008 40 betragen. Entscheidend für die höhere Bewertung ab November 2008 sei, dass in diesem Zeitraum die letzte der fünf Narkosen stattgefunden habe, was nach Angaben des Klägers, untermauert durch die testpsychologischen Untersuchungen, nicht nur zur Verschlechterung der Depression, sondern auch der kognitiven Leistung geführt habe.
Der Beklagte hat daraufhin mit Schreiben vom 07.09.2009 ein Vergleichsangebot dahingehend unterbreitet, den GdB ab 01.11.2008 mit 60 festzusetzen. Hierzu hat Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.08.2009 ausgeführt, der von Dr. I. im Gutachten angegebene Teil-GdB von 40 ab November 2008 könne übernommen werden.
Der Kläger hat weiter den Arztbrief des Facharztes für Neurochirurgie Dr. E. vom 20.03.2009 mit den Befunden "Lokalsyndrom LWS, keine sensomotorischen Defizite, Lasegue 45° beidseits" und der Diagnose "Instabilität L4/5" vorgelegt. Es werde zunächst ein konservativer Versuch mit gerätegestützter Krankengymnastik empfohlen.
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 03.09.2009 hat Dr. W. hierzu ausgeführt, aus dem Befundbericht von Dr. E. ergäben sich keine Gesichtspunkte, für das Wirbelsäulenleiden einen höheren als den bisher zugrundegelegten Teil-GdB von 20 anzunehmen. Selbst bei einem Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäule sei kein höherer Gesamt-GdB als 60 begründbar.
Mit Schreiben vom 04.11.2009 hat der Kläger das Vergleichsangebot des Beklagten abgelehnt mit der Begründung, der bei ihm vorliegende völlig dekompensierte Tinnitus sei mit einem Teil-GdB von 10 auch nicht nur annähernd ausreichend berücksichtigt.
Ein auf den 11.11.2009 terminierter Erörterungstermin ist aufgehoben worden, nachdem der Kläger unter Vorlage einer Bescheinigung des H. Ü. mitgeteilt hat, er befinde sich zur Durchführung einer Arthroskopie am linken Knie in stationärer Behandlung.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ist Prof. Dr. R., Leiter des Zentrums für M. am Universitätsklinikum F., mit der Erstattung eines HNO-fachärztlichen Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 14.07.2010 ist dieser zu der Beurteilung gelangt, beim Kläger bestehe eine beidseitige Schwerhörigkeit, die mit einem GdB von 10 zu beurteilen sei. Der für den darüber hinaus bestehenden Tinnitus festzusetzende GdB sei nur im Zusammenhang mit der psychischen Belastung einzuschätzen. Der Gutachter auf psychiatrischem Gebiet sei zu fragen, ob der von ihm in seinem Fachgebiet vorgeschlagene GdB von 40 den Tinnitus schon eingerechnet habe.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 02.08.2010 hat Dr. I. daraufhin mitgeteilt, in dem von ihm für sein Fachgebiet vorgeschlagenen GdB von 40 sei der Tinnitus bereits einbezogen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. November 2008 aufzuheben, die Bescheide vom 25. April 2007 und vom 24. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. November 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 70 ab dem 10. Januar 2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG ent-scheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50 bis zum 31.10.2008 und als 60 ab dem 01.11.2008.
Hinsichtlich der Darstellung der Rechtsgrundlagen für die Feststellung des GdB und der dabei anzuwendenden Bewertungsmaßstäbe nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht deshalb insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich festzustellen, dass seit 01.01.2009 die bisher maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Ent¬schädi-gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP 2008) durch die auf der Grundlage der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 erlassenen Versorgungsmedizinischen Grund-sätze (VMG) ersetzt worden sind ... Die im Wesentlichen mit den AHP 2008 inhaltsgleichen VMG treten an die Stelle der AHP 2008. Eine andere Beurteilung der hier in Frage stehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt sich durch die Anwendung der VMG nicht.
Bis Oktober 2008 hat der Beklagte den GdB mit 50 zutreffend festgestellt. Hierzu wird auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Zwischenzeitlich ist eine Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet eingetreten, die erstmals durch das von Dr. I. erstattete Sach-verständigengutachten nachgewiesen worden ist. Danach hat sich die beim Kläger bestehende Depression zunehmend verschlechtert, wobei insbesondere die im November 2008 durchgeführte Narkose zu einer Zunahme der Depression und einer Abnahme der kognitiven Leistung geführt hat. Dies konnte Dr. I. auch durch die von ihm durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen bestätigen. Es ist deshalb für den GdB auf psychiatrischem Fachgebiet ab dem 01.11.2008 ein Teil-GdB von 40 festzustellen, der zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB von 50 auf 60 führt. Dem hat der Beklagte auch Rechnung getragen und unter dem 07.09.2009 ein Vergleichsangebot unterbreitet, das vom Kläger jedoch nicht angenommen worden ist.
Ein höherer GdB als 60 liegt jedoch auch in der Zeit ab dem 01.11.2008 nicht vor. Insbesondere ist die Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend bewertet. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Prof. Dr. R. am 14.07.2010 erstattete Gutachten sowie die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. I. vom 02.08.2010, wonach der Tinnitus in den GdB von 40 für die Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet bereits einbezogen ist. Denn die Beurteilung des durch Ohrgeräusche (Tinnitus) bedingten GdB richtet sich gem. Teil B Nr. 5.3 VMG im Wesentlichen nach den dadurch bedingten psychischen und psychovegetativen Begleiterscheinungen und ist damit nach den Auswirkungen auf psychiatrischem Fachgebiet zu beurteilen.
Dahingestellt bleiben kann, ob die Beeinträchtigungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet mit einem Teil-GdB von 20 oder von 30 zu beurteilen sind, da selbst ein Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäulenbeschwerden keinen höheren Gesamt-GdB zu begründen vermag. Auch liegen keine Unterlagen über gesundheitliche Einschränkungen hinsichtlich der Kniegelenke vor, die einen Teil-GdB von wenigstens 20 begründen könnten. Der Kläger hat zwar einen Bericht der H. Ü. GmbH vom 29.10.2009 über eine für den 06.11.2009 vorgesehene Operation vorgelegt und hierzu mitgeteilt, es sei eine Arthroskopie des linken Knies vorgesehen. Mangels weiterer Anhaltspunkte, insbesondere des Umstandes, dass der Kläger nicht in fachorthopädischer Behandlung steht, liegen keine Anhaltspunkte für einen höheren Teil-GdB als 10 für die Funktionseinschränkung der Kniegelenke vor.
Nach Teil A Nr. 3 a) der VMG dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialme¬di-zinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Ta¬belle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funk-tionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes sind dem für die Erkrankungen auf psychiatrischem Gebiet ab November 2008 vorliegenden Teil-GdB von 40 auch bei einer Bewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Teil-GdB von 30 und einem Teil-GdB von 20 für die Erkrankungen auf internistischem Gebiet lediglich 20 Punkte hinzuzufügen, da sich die Auswirkungen der hinzutretenden Funktionsbeeinträchtigungen weitgehend überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass der Beklagte der Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers und der dadurch bedingten Erhöhung des GdB ab November 2008 unverzüglich nach deren Feststellung durch Dr. I. im Gutachten vom 15.06.2009 durch Abgabe eines sachgerechten Vergleichsangebots Rechnung getragen hat. Es entspricht deshalb der Billigkeit, eine Kostenerstattungspflicht zu verneinen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 193 Rn. 12c m.w.N.).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Beklagte wird verurteilt, den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers ab 01. November 2008 mit 60 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers.
Mit Bescheid vom 17.07.1978 wurde bei dem 1951 geborenen Kläger die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft abgelehnt, da die Behinderungen "Rechtsherzbelastung nach operativer Behandlung eines Vorhofseptumdefektes (1965), Verbiegung der Brust- und Lendenwirbelsäule" keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 30 v.H. darstellten.
Auf Antrag des Klägers vom 10.01.2007 stellte der Beklagte nach Durchführung medizinischer Ermittlungen, auf die Bezug genommen wird, mit Bescheid vom 25.04.2007 den GdB des Klägers mit 30 ab dem 10.01.2007 fest. Auf dessen Widerspruch und nach Durchführung weiterer medizinischer Ermittlung stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 24.10.2007 den GdB des Klägers mit 50 ab dem 10.01.2007 fest. Hierbei legte er folgende Gesundheitsbeeinträchtigungen zugrunde:
Seelische Störung Teil-GdB 30 Herzrhythmusstörungen, operierter Herzfehler Teil-GdB 20 Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen Teil-GdB 10 Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom Teil-GdB 20.
Eine Funktionsstörung der Hüftgelenke bedinge keinen Teil-GdB von mindestens 10.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2007 wies der Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 14.12.2007 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte, den HNO-Arzt Dr. M. und den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B., sowie die Psychologische Psychotherapeutin Dipl.-Psych. U. als sachverständige Zeugen gehört. Auf deren Aussagen wird Bezug genommen. Mit Gerichtsbescheid vom 11.11.2008 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers seien in den vom Beklagten zugrundegelegten Teil-GdBs sowie dem hieraus gebildeten Gesamt-GdB zutreffend und ausreichend berücksichtigt.
Gegen den am 12.11.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30.11.2008 Berufung eingelegt.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. I., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt worden. Im psychiatrisch-schmerzpsychologischen Gutachten vom 15.06.2009 hat Dr. I. folgende Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet gestellt:
• Chronisches Schmerzsyndrom nach Gerbershagen Stadium 2 - 3 • Kombinationskopfschmerz: Migräne mit Aura, Spannungskopfschmerz, Cluster-Typ • Anhaltende affektive Störung mittelgradiger Ausprägung • Organisch kognitive Störung, evtl. durch Narkosen bedingt • Nikotinabhängigkeit.
Auf neurologischem Fachgebiet bestehe ein mittelschweres Restless-legs-Syndrom, auf internistischem Fachgebiet ein Zustand nach mehrfacher Kardioversion mit Herz¬rhyth-musstörungen und Adipositas sowie auf HNO-ärztlichem Fachgebiet ein schwerer Tinnitus aurium beidseits. Den Einstufungen des Beklagten hinsichtlich der organischen Erkrankungen sei zu folgen. Allerdings sei inzwischen eine Verschlechterung auf psychiatrischem Gebiet eingetreten. Aus psychiatrischer Sicht stehe im Vordergrund eine depressive Störung verbunden mit nachvollziehbaren Ängsten in Bezug auf die schwere Herzerkrankung, kombiniert mit einer hirnorganisch kognitiven Störung, welche durch die Narkosen ausgelöst sein dürfte, teilweise aber auch Symptom der Depression sei. Auf psychiatrischem Fachgebiet habe der GdB bis Oktober 2008 30 und ab November 2008 40 betragen. Entscheidend für die höhere Bewertung ab November 2008 sei, dass in diesem Zeitraum die letzte der fünf Narkosen stattgefunden habe, was nach Angaben des Klägers, untermauert durch die testpsychologischen Untersuchungen, nicht nur zur Verschlechterung der Depression, sondern auch der kognitiven Leistung geführt habe.
Der Beklagte hat daraufhin mit Schreiben vom 07.09.2009 ein Vergleichsangebot dahingehend unterbreitet, den GdB ab 01.11.2008 mit 60 festzusetzen. Hierzu hat Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.08.2009 ausgeführt, der von Dr. I. im Gutachten angegebene Teil-GdB von 40 ab November 2008 könne übernommen werden.
Der Kläger hat weiter den Arztbrief des Facharztes für Neurochirurgie Dr. E. vom 20.03.2009 mit den Befunden "Lokalsyndrom LWS, keine sensomotorischen Defizite, Lasegue 45° beidseits" und der Diagnose "Instabilität L4/5" vorgelegt. Es werde zunächst ein konservativer Versuch mit gerätegestützter Krankengymnastik empfohlen.
In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 03.09.2009 hat Dr. W. hierzu ausgeführt, aus dem Befundbericht von Dr. E. ergäben sich keine Gesichtspunkte, für das Wirbelsäulenleiden einen höheren als den bisher zugrundegelegten Teil-GdB von 20 anzunehmen. Selbst bei einem Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäule sei kein höherer Gesamt-GdB als 60 begründbar.
Mit Schreiben vom 04.11.2009 hat der Kläger das Vergleichsangebot des Beklagten abgelehnt mit der Begründung, der bei ihm vorliegende völlig dekompensierte Tinnitus sei mit einem Teil-GdB von 10 auch nicht nur annähernd ausreichend berücksichtigt.
Ein auf den 11.11.2009 terminierter Erörterungstermin ist aufgehoben worden, nachdem der Kläger unter Vorlage einer Bescheinigung des H. Ü. mitgeteilt hat, er befinde sich zur Durchführung einer Arthroskopie am linken Knie in stationärer Behandlung.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ist Prof. Dr. R., Leiter des Zentrums für M. am Universitätsklinikum F., mit der Erstattung eines HNO-fachärztlichen Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 14.07.2010 ist dieser zu der Beurteilung gelangt, beim Kläger bestehe eine beidseitige Schwerhörigkeit, die mit einem GdB von 10 zu beurteilen sei. Der für den darüber hinaus bestehenden Tinnitus festzusetzende GdB sei nur im Zusammenhang mit der psychischen Belastung einzuschätzen. Der Gutachter auf psychiatrischem Gebiet sei zu fragen, ob der von ihm in seinem Fachgebiet vorgeschlagene GdB von 40 den Tinnitus schon eingerechnet habe.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 02.08.2010 hat Dr. I. daraufhin mitgeteilt, in dem von ihm für sein Fachgebiet vorgeschlagenen GdB von 40 sei der Tinnitus bereits einbezogen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 11. November 2008 aufzuheben, die Bescheide vom 25. April 2007 und vom 24. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. November 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 70 ab dem 10. Januar 2007 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG ent-scheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50 bis zum 31.10.2008 und als 60 ab dem 01.11.2008.
Hinsichtlich der Darstellung der Rechtsgrundlagen für die Feststellung des GdB und der dabei anzuwendenden Bewertungsmaßstäbe nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht deshalb insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist lediglich festzustellen, dass seit 01.01.2009 die bisher maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Ent¬schädi-gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP 2008) durch die auf der Grundlage der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 erlassenen Versorgungsmedizinischen Grund-sätze (VMG) ersetzt worden sind ... Die im Wesentlichen mit den AHP 2008 inhaltsgleichen VMG treten an die Stelle der AHP 2008. Eine andere Beurteilung der hier in Frage stehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt sich durch die Anwendung der VMG nicht.
Bis Oktober 2008 hat der Beklagte den GdB mit 50 zutreffend festgestellt. Hierzu wird auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Zwischenzeitlich ist eine Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet eingetreten, die erstmals durch das von Dr. I. erstattete Sach-verständigengutachten nachgewiesen worden ist. Danach hat sich die beim Kläger bestehende Depression zunehmend verschlechtert, wobei insbesondere die im November 2008 durchgeführte Narkose zu einer Zunahme der Depression und einer Abnahme der kognitiven Leistung geführt hat. Dies konnte Dr. I. auch durch die von ihm durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen bestätigen. Es ist deshalb für den GdB auf psychiatrischem Fachgebiet ab dem 01.11.2008 ein Teil-GdB von 40 festzustellen, der zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB von 50 auf 60 führt. Dem hat der Beklagte auch Rechnung getragen und unter dem 07.09.2009 ein Vergleichsangebot unterbreitet, das vom Kläger jedoch nicht angenommen worden ist.
Ein höherer GdB als 60 liegt jedoch auch in der Zeit ab dem 01.11.2008 nicht vor. Insbesondere ist die Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen mit einem Teil-GdB von 10 zutreffend bewertet. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Prof. Dr. R. am 14.07.2010 erstattete Gutachten sowie die ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. I. vom 02.08.2010, wonach der Tinnitus in den GdB von 40 für die Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet bereits einbezogen ist. Denn die Beurteilung des durch Ohrgeräusche (Tinnitus) bedingten GdB richtet sich gem. Teil B Nr. 5.3 VMG im Wesentlichen nach den dadurch bedingten psychischen und psychovegetativen Begleiterscheinungen und ist damit nach den Auswirkungen auf psychiatrischem Fachgebiet zu beurteilen.
Dahingestellt bleiben kann, ob die Beeinträchtigungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet mit einem Teil-GdB von 20 oder von 30 zu beurteilen sind, da selbst ein Teil-GdB von 30 für die Wirbelsäulenbeschwerden keinen höheren Gesamt-GdB zu begründen vermag. Auch liegen keine Unterlagen über gesundheitliche Einschränkungen hinsichtlich der Kniegelenke vor, die einen Teil-GdB von wenigstens 20 begründen könnten. Der Kläger hat zwar einen Bericht der H. Ü. GmbH vom 29.10.2009 über eine für den 06.11.2009 vorgesehene Operation vorgelegt und hierzu mitgeteilt, es sei eine Arthroskopie des linken Knies vorgesehen. Mangels weiterer Anhaltspunkte, insbesondere des Umstandes, dass der Kläger nicht in fachorthopädischer Behandlung steht, liegen keine Anhaltspunkte für einen höheren Teil-GdB als 10 für die Funktionseinschränkung der Kniegelenke vor.
Nach Teil A Nr. 3 a) der VMG dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialme¬di-zinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Ta¬belle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funk-tionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes sind dem für die Erkrankungen auf psychiatrischem Gebiet ab November 2008 vorliegenden Teil-GdB von 40 auch bei einer Bewertung des Wirbelsäulenleidens mit einem Teil-GdB von 30 und einem Teil-GdB von 20 für die Erkrankungen auf internistischem Gebiet lediglich 20 Punkte hinzuzufügen, da sich die Auswirkungen der hinzutretenden Funktionsbeeinträchtigungen weitgehend überschneiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass der Beklagte der Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers und der dadurch bedingten Erhöhung des GdB ab November 2008 unverzüglich nach deren Feststellung durch Dr. I. im Gutachten vom 15.06.2009 durch Abgabe eines sachgerechten Vergleichsangebots Rechnung getragen hat. Es entspricht deshalb der Billigkeit, eine Kostenerstattungspflicht zu verneinen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 193 Rn. 12c m.w.N.).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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