L 1 U 1643/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 1980/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1643/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.03.2010 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Wege des Zugunstenverfahrens die Kostenübernahme für die Anfertigung von Ober- und Unterkieferprothesen im Streit.

Die 1930 geborene Klägerin erlitt am 25.03.1953 auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad einen Unfall. Sie zog sich eine Fraktur des linken aufsteigenden Unterkieferastes, eine Gehirnerschütterung sowie eine Schürfwunde am linken Bein zu. Wegen der Folgen dieses Unfalls bezieht die Klägerin eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 von Hundert (v.H.). Insoweit wird auf die Ausführungen in dem Urteil des Sozialgerichts Konstanz (SG) vom 13.10.1980 (Aktenzeichen [Az.] S 5 U 81/78) Bezug genommen.

Als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannte die Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 07.05.1992 eine Arthropathie beider Kiefergelenke des Unterkiefers links infolge von Fehl- und Überbelastung des in Fehlstellung verheilten Bruches des linken aufsteigenden Unterkieferastes, einen Druckschmerz und Parästhesien des linken 3. Trigeminusastes, sowie ein subjektives Syndrom im Sinne von Kopfschmerzen und Schwindelerscheinungen nach geschlossenem Schädel-Hirntrauma. Gemäß Bescheid vom 09.04.1991 wurden nicht als Unfallfolgen anerkannt eine Osteomyelitis im Bereich des linken Oberkiefers, eine chronische Entzündung in beiden Kieferhöhlen, Parästhesien im Bereich des linken ersten und zweiten Trigeminusastes, sowie eine Raumforderung in der praepontinen Cisterne rechts.

Mit Schreiben vom 20.06.2005 beantragte die Klägerin die Übernahme eines Behandlungsvorschlages von Prof. Dr. L. vom 18.05.2005, wonach die Anfertigung neuer Ober- und Unterkieferprothesen erfolgen solle.

Mit Bescheid vom 04.08.2005 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab, da es ausweislich der vorliegenden Gutachten durch den Arbeitsunfall nicht zu einem Zahnverlust gekommen sei.

Die Klägerin begründete ihren am 24.08.2005 eingelegten Widerspruch damit, dass bisher wegen der Folgen des Unfalls noch nie ein Behandlungsvorschlag erfolgt sei. Durch die Fehlstellung des Kiefergelenks nach dem Arbeitsunfall und eine chronische Osteomyelitis sei es zum Verlust der Zähne im ganzen Oberkiefer gekommen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2005 als unbegründet zurück, wobei sie sich auf die vorliegenden Gutachten stützte. Danach könnten die Osteomyelitis mit konsekutivem Knochenabbau sowie die chronische Entzündung in den Kieferhöhlen mit vielfachen Operationen und nachfolgenden Parästhesien nicht als Folgen des Unfalles angesehen werden. Die durchgeführten Zahnextraktionen sowie die nachfolgend notwendig gewordene prothetische Versorgung seien wegen der unfallunabhängig bestehenden Erkrankungen im Bereich des Ober- und Unterkiefers erforderlich.

Die Klägerin hat am 27.12.2005 Klage (Az. S 5 U 3416/05) beim Sozialgericht Konstanz erhoben. In einem für das Gericht angefertigten Gutachten vom 08.06.2007 gab Oberarzt Dr. M. der Klinik für Zahnärztliche Prothetik vom Universitätsklinikum A. an, dass er entsprechend der Einschätzung der Vorgutachter der Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität T. ebenfalls meine, dass aufgrund des langen Zeitraums seit dem Unfall keine aussagekräftigen und beweisbaren Rückschlüsse auf neu aufgetretene unfallbedingte Folgen mehr gezogen werden könnten. Unfallbedingte Folgen seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr von unfallunabhängigen temporomandibulären Funktionsstörungen und degenerativen Prozessen abgrenzbar. Es bestünden bei der Klägerin mehrere Hinweise auf degenerative Veränderungen des Skelettsystems, weswegen eine degenerative Verursachung im temporomandibulären System in Betracht zu ziehen sei. Aus zahnärztlicher Sicht seien wegen der Unfallfolgen keine Behandlungsmaßnahmen notwendig. Die von Prof. Dr. L. vorgeschlagene Behandlungsmaßnahme diene ausschließlich der prothetischen Versorgung zum Ersatz fehlender Zähne und damit der Behebung unfallunabhängiger Krankheitsbilder. Nach Vorlage eines MRT-Befundes vom 22.06.2007 (Dr. Böttger) gab Dr. M. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 29.08.2007 an, er bleibe bei seiner ablehnenden Beurteilung.

In der mündlichen Verhandlung des SG vom 24.01.2008 einigten sich die Beteiligten dahingehend, dass die Klägerin sich bezüglich der Kostenerstattung an die Krankenversicherung wenden solle; sofern diese eine Kostenübernahme ablehne, könne sie erneut unter Vorlage eines Attestes die Kostenübernahme bei der Beklagten beantragen.

Am 30.01.2009 legte die Klägerin bei der Beklagten ein Attest von Prof. Dr. G. (Universitätsspital Z.) vom 23.01.2009 vor, wonach ihre Zahnlosigkeit im Oberkiefer mit großer Wahrscheinlichkeit auch dafür verantwortlich sei, dass eine Arthrose in beiden Kiefergelenken bestehe. Empfohlen werde ein Knochenaufbau im Oberkiefer und der Einsatz von Implantaten. Bei der Klägerin bestehe eine erhebliche Atrophie im Bereich des Oberkiefers, der Prothesenhalt sei völlig unzureichend.

Nach dem die Beklagte diese Unterlagen an die Krankenkasse der Klägerin (BKK W.) weitergeleitet hatte, lehnte diese die Durchführung der Behandlung ab; der Eingriff wäre laut ärztlicher Aussage so aufwendig, dass er beim Alter und dem Zustand der Klägerin zu riskant sei (Aktenvermerk vom 06.03.2009). Die Krankenkasse erklärte sich allenfalls bereit, den Betrag in Höhe der Kosten einer in Deutschland durchgeführten entsprechenden Operation (2500 EUR) zu übernehmen, was ausweislich eines Schreibens des Prof. Dr. D. vom Universitätsspital B. vom 28.02.2008 nur einen kleinen Teil der Kosten der von der Klägerin in B. gewünschten Operation abgedeckt hätte.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 16.02.2009 ein Privatgutachten des Arztes für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Dr. U. vom 21.08.2008 vor. Danach sei offensichtlich im Rahmen der Mittelgesichtsfraktur eine deutliche dorsale Verlagerung des Mittelgesichts bei konservativer Versorgung erfolgt. Aufgrund des schmalen und extrem dorsal liegenden Kiefers sei eine Fehlbelastung des Mittelgesichts entstanden, aus der sich eine Fehlstellung des Oberkiefers einschließlich einer Fehlbelastung der Kiefergelenke sowie des anterioren Oberkieferbereiches herausgebildet habe. Der Arbeitsunfall sei daher mittelbare Ursache für die derzeitige Schmerzsymptomatik der Klägerin. Mit weiterem Schreiben vom 09.03.2009 beantragte die Klägerin die volle Kostenübernahme der angestrebten Behandlung und zusätzlich Schmerzensgeld, Schadensersatz und Fahrtkosten.

Mit Bescheid vom 06.04.2009 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 04.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2005 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab. Die Annahmen des Dr. Dr. U. seien nicht zutreffend, wozu auf die Vorgutachten verwiesen werde. Den Widerspruch der Klägerin vom 22.04.2009 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2009 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat deswegen am 20.07.2009 Klage beim SG erhoben, mit der sie sich auf das Gutachten von Dr. Dr. U. gestützt hat (Az. zunächst S 2 U 1980/09, dann S 11 U 1980/09). Danach seien im Jahr 1976 im Oberkiefer alle Zähne gezogen worden, weil eine chronisch persistierende Inflammation des Oberkiefers vorgelegen habe. Die Verursachung dieser Zahnextraktionen durch den Unfall werde im Gutachten von Dr. M. nicht ausreichend thematisiert.

Die Klägerin hat im Klageverfahren neben weiteren Unterlagen auch aktuelle CT-Befunde des Mittelgesichts vom 10.09.2009 (Dr. S.: Hochgradige Atrophie des Oberkiefers, partieller Defekt des linken Oberkiefers/harten Gaumens, Hypo- bis Aplasie der Kieferhöhlen, Pansinusitis bzw. Polyposis nasi, links führende ausgeprägte Kiefergelenksarthrose) und vom 14.12.2009 (Dr. M.: Mittelgesichtshypoplasie mit maxillärer Retrognathie, u. a. neben einigen kleineren Frakturresiduen größere Knochenlücken an der Kieferhöhlenvorwand beidseits) vorgelegt.

Im Auftrag des SG hat Dr. M. am 23.12.2009 und am 23.01.2010 nach Aktenlage ergänzende gutachterliche Stellungnahmen erstellt. Danach könne dem Gutachten von Dr. Dr. U. bereits deswegen nicht gefolgt werden, da die von ihm in seiner Argumentation zugrunde gelegte Mittelgesichtsfraktur nie vorgelegen habe. Dokumentiert sei lediglich eine Fraktur des Unterkiefers. Hieran änderten auch die aktuellen vorgelegten CT-Befunde nicht. Die von Dr. M. diagnostizierte Mittelgesichtshypoplasie mit maxillärer Retrognathie sei höchstwahrscheinlich angeboren und nicht durch den Unfall erworben. Die pathologischen Befunde im Bereich der Nasennebenhöhlen seien durch multiple Operationen, welche nicht durch den Arbeitsunfall bedingt seien, verursacht worden. Die beschriebene Kiefergelenksarthrose sei bekannt. Es sei nicht mehr möglich, zum heutigen Zeitpunkt röntgenologisch diagnostizierte Veränderungen im Mittelgesicht als Folge eines vor 55 Jahren erfolgten Unfalls zu bewerten.

Die Klägerin hat anschließend einen aktuellen MRT-Befund der Halswirbelsäule vorgelegt (Dr. S. vom 11.03.2010: Torsionsskoliose und Fehlstellung der HWS).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22.03.2010 abgewiesen. Ein Anspruch auf Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 03.08.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2005 bestehe nicht. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Heilbehandlung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII (zahnärztliche Behandlung), weil der durch den eingereichten Behandlungsvorschlag zu behandelnde Gesundheitsschaden (Zahnersatz) nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sei. Nach den überzeugenden Gutachten des Dr. M. seien die arthrotischen Veränderungen und der Zahnverlust im Oberkiefer mit Wahrscheinlichkeit keine Folge des Arbeitsunfalls vom 25.03.1953. Im Einklang mit den gutachterlichen Äußerungen im Verwaltungsverfahren weise Dr. M. überzeugend darauf hin, dass aufgrund des langen Zeitraums seit dem Unfall keine aussagekräftigen und beweisbaren Rückschlüsse auf heutige Gesundheitsschäden gezogen werden könnten. Dr. M. habe dargelegt, dass Kieferatrophien und Zahnverluste im Alter der Klägerin häufig Folge degenerativer Prozesse seien, die sich von Unfallfolgen kaum abgrenzen ließen. Die von der Klägerin bereits im Verfahren mit dem Az. S 5 U 3416/05 angeführte Argumentation, die Osteomyelitis mit konsekutivem Knochenabbau im Bereich des linken Oberkiefers sei auf eine jahrelang unfallbedingte Fehl- und Überbelastung der Kiefergelenke zurückzuführen, sei nach der zutreffenden Bewertung von Dr. M. medizinisch nicht zu begründen. Daran änderten auch die von der Klägerin wiederholt vorgelegten CT- und MRT-Befunde nichts, wobei der zuletzt vorgelegte MRT-Befund zudem ausschließlich die HWS betreffe. Der Einschätzung des Dr. Dr. U. könne bereits deswegen nicht gefolgt werden, weil diese schon ausweislich seiner Wortwahl ("offensichtlich") spekulativ sei. Insoweit schließe sich das SG der entsprechenden Kritik von Dr. M. an. Die Ansicht von Dr. Dr. U. lasse sich mit den dokumentierten Befunden und Diagnosen des Erstschadens nicht vereinbaren; insbesondere fehle es am Nachweis einer Mittelgesichtsfraktur, auf die Dr. Dr. U. seine Bewertung wesentlich stütze.

Die Klägerin hat am 08.04.2010 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen den Ausführungen des SG könne die Beurteilung der Sache durch Dr. Dr. U. nicht als spekulativ bezeichnet werden. Aus den von Dr. Dr. U. beigezogenen Röntgenaufnahmen gehe deutlich eine stattgehabte Fraktur des Mittelgesichts hervor. Dr. M. habe auch darauf hingewiesen, dass bereits in den Gutachten vom 28.02.1979 der Universität Freiburg ein ursachlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Kiefergelenksbeschwerden hergestellt worden sei; es habe eine in Fehlstellung verheilte Fraktur im linken aufsteigenden Unterkieferast stattgefunden, durch die es zu Achsendrehungen in beiden Kiefergelenken gekommen sei. Darauf basiere mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Arthropathie der Kiefergelenke. Trotz der zahlreichen Hinweise auf eine Verursachung von Kieferproblemen bei der Klägerin durch den Arbeitsunfall sei das SG ohne überzeugende Begründung den Gutachten von Dr. M. gefolgt.

Die Klägerin beantragt, teils sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22.03.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 06.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2009 sowie den Bescheid vom 03.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die vollen Kosten der von Prof. Dr. G. für notwendig erachteten zahnmedizinischen Maßnahmen zu üB.ehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig. Entgegen den Ausführungen der Klägerin gehe Dr. M. in seinem Gutachten vom 08.06.2007 sowie in den ergänzenden Stellungnahmen vom 23.12.2009 und vom 23.01.2010 ausführlich auf die zahlreich vorliegenden Gutachten ein. Angesichts der Fülle der Gutachten sei eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich.

Die Beteiligten sind zu der beabsichtigen Entscheidung des Senats nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat aufgrund der Folgen des Unfalls vom 25.03.1953 keinen Anspruch auf die beantragte Versorgung mit Zahnprothesen.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Richtige Klageart ist in diesem Fall die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -), wie sie von der Klägerbevollmächtigten im Wesentlichen zutreffend formuliert worden ist, wobei auch die früheren Ablehnungsbescheide vor dem Verfahren nach § 44 SGB X einzubeziehen sind.

Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem SG der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheids vom 04.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2005 nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht erfüllt sind.

Auf den geltend gemachten Anspruch auf medizinische Versorgung sind die Vorschriften des SGB VII anzuwenden, obwohl der Arbeitsunfall der Klägerin sich vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII noch zur Zeit der Geltung der Reichsversicherungsordnung (RVO) ereignet hat. Aus der Übergangsvorschrift des § 214 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ergibt sich, dass für Heilbehandlungen, die erstmalig nach dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 01.01.1997 in Anspruch genommen werden, die Vorschriften des SGB VII anzuwenden sind.

Gemäß §§ 26 f. SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen unter anderem in Form von Heilbehandlung. Der Anspruch auf zahnärztliche Heilbehandlung umfasst nach § 28 Abs. 3 SGB VII die Tätigkeit der Zahnärzte, die nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst erforderlich und zweckmäßig ist. Das Ereignis vom 25.03.1953 wurde bereits als Arbeitsunfall anerkannt, wobei die Beklagte indes die Anerkennung von bestimmten Unfallfolgen abgelehnt hat.

Ein Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer zahnprothetischen Versorgung des Unter- und Oberkiefers besteht nicht, weil nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser medizinische Bedarf auf die Folgen des Unfallereignisses vom 25.03.1953 zurückzuführen ist. Wie sich den Vorgutachten in den Verwaltungsakten der Beklagten entnehmen lässt, hat die Beklagte zu Recht die Anerkennung der Erkrankungen "Osteomyelitis im Bereich des linken Oberkiefers, chronische Entzündung in beiden Kieferhöhlen, Parästhesien im Bereich des linken ersten und zweiten Trigeminusastes, Raumforderung in der praepontinen Cisterne rechts" als Unfallfolgen abgelehnt. Insbesondere die nicht als Unfallfolge bestehende Osteomyelitis ist indes geeignet, die von der Klägerin beklagten Zahnverluste zu erklären. Nach den schlüssigen Ausführungen des Dr. M. im Verfahren vor dem SG sind zudem degenerative Prozesse des Skelettsystems der Klägerin vorhanden, welche altersgemäß bei ihr zu erwarten wären und welche für sich genommen bereits geeignet wären, den vorliegend geltend gemachten Bedarf nach einer zahnprothetischen Versorgung zu begründen.

Erforderlich wäre insoweit, dass sowohl ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden besteht. Diese so genannte doppelte Kausa-lität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haf-tungsausfüllende Kausalität. Für beide Bereiche der Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG Ur¬teil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12). Danach werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Er-folg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12.04.2005 a.a.O., RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ur-sache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Be-deutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vor-handenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erschei-nungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, son-dern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung aus-gelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. BSG a.a.O.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfol-gen-gen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Fest-stellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.N.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen liegt zur Überzeugung des Senats eine unfallbedingte Kausalität für die geltend gemachten Gesundheitsstörungen (Bedarf nach zahnprothetischer Versorgung) nicht vor. Entsprechend den überzeugenden Ausführungen des SG ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall aus dem Jahr 1953 und diesen geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu bejahen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG Bezug, denen er sich nach eigener Überprüfung anschließt. Insbesondere hat das SG zu Recht darauf abgestellt, dass der von Dr. Dr. U. seiner Argumentation wesentlich zugrundelegte Umstand einer Mittelgesichtsfraktur nach den umfangreich durchgeführten Ermittlungen nicht bestanden hat. Die Beschwerden der Klägerin im Mittelgesichtsbereich lassen sich befriedigend mit den bekannten, teils degenerativ entstandenen Beschwerden erklären. Insoweit kann zudem offen gelassen werden, ob sich zwischenzeitlich eine Mittelgesichtsfraktur der Klägerin nach dem Unfall im Jahre 1953 ereignet hat, weil jedenfalls zeitnah nach dem Unfall eine solche nicht vorlag. Die zuletzt von der Klägerin vorgelegten Unterlagen enthalten entweder keinen eindeutigen Hinweis auf eine Mittelgesichtsfraktur, oder sie schweigen jedenfalls zu der Frage der Verursachung.

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren auf Folgendes hinzuweisen: Die Klägerbevollmächtigte führt in der Berufung an, dass Dr. M. auch darauf hingewiesen habe, dass bereits in dem Gutachten vom 28.02.1979 der Universität F. ein ursachlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Auftreten der Kiefergelenksbeschwerden hergestellt worden sei; es habe eine in Fehlstellung verheilte Fraktur im linken aufsteigenden Unterkieferast stattgefunden, durch die es zu Achsendrehungen in beiden Kiefergelenken gekommen sei. Darauf basiere mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Arthropathie der Kiefergelenke. Es ist aber nicht ersichtlich, dass deswegen eine ursächliche Beziehung zwischen einer anerkannten Verletzung der Kiefergelenke und der Frage der Notwendigkeit von Zahnprothesen bestehen kann. Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten lässt sich aus den anerkannten Unfallfolgen einer Kieferfehlstellung und -fehlbelastung nicht der sichere Schluss auf den Bedarf nach zahnprothetischer Versorgung ziehen, worauf Dr. M. bereits mehrfach hingewiesen hat. Unabhängig hiervon ist auch mit hoher Wahrscheinlichkeit von degenerativen Prozessen auszugehen, worauf im übrigen Skelettsystem der Klägerin Hinweise vorhanden sind. Diese lassen sich aber entsprechend den Ausführungen von Dr. M. nicht von eventuellen Unfallfolgen abgrenzen.

Sofern zuletzt mit Schriftsatz vom 20.09.2010 erneut der CT-Bericht des Dr. M. vom 14.12.2009 vorgelegt wurde, ist dieser aus den oben genannten Gründen nicht geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu stützen. Zunächst bezeichnet der Bericht das Vorliegen einer Mittelgesichtsfraktur ausdrücklich als "Fragestellung", ohne diese ausdrücklich zu bestätigen. Zur entscheidenden Frage der Verursachung durch den Unfall aus dem Jahr 1953 enthält der Bericht keine Ausführungen. Gleiches gilt für den erneut vorgelegten Bericht von Dr. S ... Die Berichte waren Dr. M. zudem bei seiner zweiten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 23.01.2010 bekannt, und Dr. M. hat in überzeugender Weise darauf hingewiesen, dass die weiteren von Dr. M. in dem Bericht getroffenen Feststellungen auf eine angeborene kraniofaziale Anomalie hinweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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