L 8 AL 2089/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AL 2355/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 2089/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 24. März 2010 aufgehoben.

Der Klägerin wird für das Klageverfahren S 12 AL 2355/09 ab 2. November 2009 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen bewilligt und Rechtsanwältin S. E. J., M., beigeordnet.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich im beim Sozialgericht Mannheim (SG) anhängigen Hauptsacheverfahren S 12 AL 2355/09 gegen die Aufhebung der Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und die Rückforderung erbrachter Leistungen in Höhe von 3.256,34 EUR.

Die 1983 geborene Klägerin begann am 16.10.2006 eine Ausbildung zur Friseurin. Die Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 01.11.2006 bis 31.08.2008 (Ausbildungsende) unter Berücksichtigung ihrer Ausbildungsvergütung und der Miete für ihre Wohnung, in der sie zusammen mit ihrer am 14.11.2000 geborenen Tochter lebte, sowie der Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihre Tochter BAB in Höhe von 405 EUR monatlich (Änderungsbescheid vom 18.01.2007). Nachdem die Klägerin am 24.01.2007 den Vater ihres Kindes geheiratet hatte und keine Unterhaltsvorschusszahlungen mehr erfolgten, bewilligte die Beklagte der Klägerin vom 24.01.2007 bis 31.08.2008 BAB in Höhe von 526 EUR monatlich.

Ihren durch die Verlängerung der Ausbildungszeit um 6 Monate veranlassten Antrag auf Weiterbewilligung von BAB für die Zeit bis 31.03.2009 vom 17.06.2008 - sie gab hierzu an, von dem Vater des Kindes monatlich 260 EUR Unterhalt für ihre Tochter zu erhalten, von diesem dauernd getrennt zu leben und während ihrer Ausbildung nicht außerhalb des Haushalts ihrer Eltern zu wohnen - lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.09.2008 ab. Die Fragen der Beklagten im Ablehnungsbescheid, seit wann sie wieder im Haushalt ihrer Eltern lebe und seit wann sie Unterhalt für ihre Tochter erhalte, beantwortete die Klägerin nicht. Nach am 03.12.2008 erfolgter Anhörung der Klägerin hob die Beklagte mit Bescheid vom 21.01.2009 die Bewilligung von BAB für die Zeit vom 24.01.2007 bis 31.08.2008 auf und forderte bis 31.08.2008 erbrachte Leistungen zurück.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 18.02.2009, mit dem sie unter Vorlage der Anmeldebestätigung der Meldebehörde vom 19.09.2008 geltend machte, erst seit September 2008 wieder bei ihren Eltern zu wohnen, hob die Beklagte den angegriffenen Bescheid für die Zeit vom 24.01.2007 bis 31.07.2007 ganz und für die Zeit vom 01.08.2007 bis 30.06.2008 teilweise auf und forderte noch einen Betrag in Höhe von 3.256,24 EUR zurück. Da die Klägerin wieder von ihrem Ehemann getrennt lebe und dieser seit 01.08.2007 Unterhalt in Höhe von 260 EUR monatlich und für die Zeit vom 01.04.2008 bis 31.10.2008 in Höhe von 210 EUR monatlich gezahlt habe, habe sich das anrechenbare Einkommen erhöht und der Anspruch auf BAB vermindert. Da die Klägerin zudem angegeben habe, dass sie wieder bei ihren Eltern wohne, habe sie ab 01.07.2008 gar keinen Anspruch auf BAB mehr.

Dagegen erhob die Klägerin am 17.07.2009 Klage zum SG, mit der sie geltend machte, ihre Angaben im Antrag vom 17.06.2008 hätten nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprochen. Wegen der Gewalttätigkeiten ihres geschiedenen Ehemannes habe sie aus der Wohnung flüchten müssen, die sie jedoch bis Ende August 2008 bewohnt habe. Erst seit 13.09.2008 lebe sie wieder im Haushalt ihrer Eltern. Dies würde auch die beiliegende Anmeldebestätigung belegen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und machte geltend, die Klägerin haben nach ihrer Heirat bis zum erneuten Antrag auf BAB für die Zeit ab 01.09.2008 zu keinem Zeitpunkt angegeben, dass sie sich bereits am 30.07.2007 von ihrem Mann wieder getrennt habe und erneut Unterhalt für ihr Kind erhalte. Damit habe sie ihre Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten verletzt.

Am 02.11.2009 beantragte die Klägerin unter Beifügung der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 13.08.2009 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Mit Beschluss vom 24.03.2010 lehnte das SG den Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage ab. Das für die Zeiträume ab 01.08.2007 und 01.04.2008 anzurechnende Einkommen der Klägerin sei von der Beklagten richtig berechnet worden. Ferner habe die Klägerin ab Juli 2008 keinen Anspruch auf BAB mehr, da sie zumindest seit Juli 2008 wieder im Haushalt ihrer Eltern lebe. Die Angaben der Klägerin, sie sei erst im September 2008 zu ihren Eltern gezogen, könnten das Gericht nicht überzeugen. Die von ihr vorgelegte Anmeldebestätigung, wonach sie erst am 13.09.2008 zu ihren Eltern zurückgezogen sein wolle, könnten ihre Angaben im Antrag vom 17.06.2008, in dem sie mitgeteilt habe, bereits wieder bei ihren Eltern zu leben, nicht widerlegen.

Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 01.04.2010 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 30.04.2010 Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, das SG habe eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage zu Unrecht verneint. Das SG habe die Prüfung der Hauptsache vorweggenommen und sich nicht auf die Prüfung einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage beschränkt. Eine bereits vorweggenommene Prüfung der Hauptsache sei im Prozesskostenhilfeverfahren aber nicht zulässig. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sie bereits ab Juli 2008 bei ihren Eltern gelebt haben solle, obwohl sie ausweislich der Ummeldebescheinigung erst ab September 2008 wieder bei ihren Eltern gewohnt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats und des SG sowie die Akten des Beklagten Bezuge genommen.

II.

Die gemäß den §§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das SG hat die Bewilligung von PKH zu Unrecht abgelehnt. Die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht wird hier vom Senat bejaht.

Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Außerdem wird dem Beteiligten auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist in tatsächlicher Hinsicht in eng begrenztem Umfang auch eine vorweggenommene Beweiswürdigung (Beweisantizipation) zulässig (BVerfG NJW 1997, 2745, 2746). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist aber anzunehmen, wenn eine Beweisaufnahme durchzuführen ist, weil die Entscheidung in der Hauptsache von der Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen abhängt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG NJW 2003, 2976, 2977; BSG SozR 3-1750 § 62 Nr. 19).

PKH kann grundsätzlich auch rückwirkend zuerkannt werden, sogar noch nach Abschluss der Instanz, jedoch frühestens ab Antragstellung (BGH 30.09.1981 NJW 1982). Eine rückwirkende Bewilligung von PKH kommt in Betracht, wenn das Gericht noch nicht zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife, sondern erst später über den PKH-Antrag entscheidet. Entscheidungsreife liegt vor, wenn der Antrag auf PKH wirksam gestellt worden ist und der Antragsteller alle für die Bewilligung von PKH erforderlichen Unterlagen vorgelegt hat. Musste zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Bewilligungsgesuchs die Erfolgsaussicht bejaht werden, muss das Gericht selbst dann rückwirkend PKH zusprechen, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Bewilligungsgesuch eine Erfolgsaussicht nicht mehr gegeben ist (Hennig SGG § 73a RdNr. 53).

Die Klägerin hat ab 02.11.2009 Anspruch auf PKH. Zu diesem Zeitpunkt war der von ihr gestellte Antrag auf Bewilligung von PKH entscheidungsreif, weil alle für die Bewilligung von PKH erforderlichen Unterlagen, insbesondere auch die - Bedürftigkeit der Klägerin belegende - Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 13.08.2009 nebst Lohnabrechnung und Kontoauszügen, vorlagen. Zum für die Beurteilung der Erfolgsaussicht maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife bestand auch eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage. Hierfür genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 73a Rdnr. 7). Eine solche war hier jedenfalls für die von der Aufhebung der Bewilligung ebenfalls betroffene Zeit vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 zu bejahen, weil die von der Klägerin vorgelegte Anmeldebestätigung zunächst einmal dafür spricht, dass sie erst seit 13.09.2008 wieder bei ihren Eltern gewohnt hat und damit die Aufhebungsentscheidung der Beklagten, die die Beweislast dafür trägt, dass deren tatsächliche Voraussetzungen vorliegen, im Hinblick auf § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGB III insoweit nicht rechtmäßig ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, muss der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten bleiben, wobei - neben der Anmeldebestätigung - die Angaben der Klägerin in ihrem Weiterbewilligungsantrag vom 17.06.2008 und ggf. auch das Ergebnis einer weiteren Beweiserhebung zu würdigen sind. Im Rahmen dieser umfassenden Beweiswürdigung wird auch zu klären sein, warum im Weiterbewilligungsantrag angegeben wurde, während der Ausbildung nicht außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils zu wohnen, wenn nach dem Klagevorbringen sich der Aufenthalt bei den Eltern vor September 2008 auf einen Tag beschränkt haben soll. Eine Beweiswürdigung im Prozesskostenhilfeverfahren - wie hier im angefochtenen Beschluss erfolgt - würde die im Hauptsacheverfahren erforderliche Beweiswürdigung bei dem dargelegten Aufklärungsbedarf vorwegnehmen. Eine Vorverlagerung der Beweiswürdigung in das Prozesskostenhilfeverfahren ist aber mit dem Sinn und Zweck dieses Verfahrens nicht vereinbar. Dieses ist dem eigentlichen Rechtsstreit in der Regel vorgeschaltet und dient nur dazu, eine von vornherein nicht aussichtsreiche Prozessführung auf Staatskosten auszuschließen. Die Verneinung einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit hält der Senat daher hier nicht für gerechtfertigt.

Die Vertretung der Klägerin durch einen Rechtsanwalt erscheint ebenfalls erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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