L 10 U 2085/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 419/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2085/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13.12.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für Familienheimfahrten.

Der am 1976 geborene Kläger war Profi-Fußballspieler und zunächst von September 1997 bis Juli 1998 beim SC F. tätig. Er wohnte damals wenige Kilometer entfernt in 79199 K. in einer rund 50 m² großen Wohnung. Im Juli 1998 wechselte der Kläger zum SV W. , M. und wohnte im wenige Kilometer entfernten 67071 L. in einer vergleichbar großen Wohnung. Seinen Hauptwohnsitz hatte der Kläger melderechtlich seit Juli 1998 bei seinen Eltern in 9. D.-K./T., wo ihm eine rund 45 m² große Etage zur Verfügung stand. L. hatte er als Nebenwohnsitz angegeben.

Nach einer Verletzung während eines Fußballspieles am 01.09.1998 konnte der Kläger seine Tätigkeit als Fußballspieler nicht mehr aufnehmen. Verblieben sind Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Kniegelenkes, die zu einer - zwischenzeitlich abgefundenen - Rente nach einer MdE um 20 v.H. führten (vgl. den Bescheid vom 28.05.2001).

Im Oktober 2001 begann der Kläger ein dreijähriges Studium der Betriebswirtschaft, Studienschwerpunkt Sportmanagement an der Fachhochschule H. , wofür die Beklagte mit Bescheid vom 17.10.2001 im Rahmen der Berufshilfe die Kosten übernahm, einschließlich Fahrtkosten. Für das Studium zog der Kläger von L. nach Sch. , in der Nähe von H ... Für die Dauer eines Praktikums (Mai bis Oktober 2003) zog er vorübergehend nach B. , behielt die Wohnung in Sch. aber bei. Zwischenzeitlich lebt er in 55543 Bad K ... Im September 2004 beantragte der Kläger u.a. Fahrtkosten für zwei monatliche Familienheimfahrten zu seinen Eltern (Sch. - K. , 295 km), was die Beklagte mit Bescheid vom 08.09.2004 und Widerspruchsbescheid vom 16.12.2004 sowie der Begründung ablehnte, der Lebensmittelpunkt des Klägers befinde sich schon seit vielen Jahren in Baden-Württemberg. Auch nach dem Ende der beruflichen Karriere als Fußballspieler habe er sich zur weiteren Planung des Berufslebens nicht an den ersten Wohnsitz zurückbegeben, sondern sei weiterhin im bisherigen Umfeld verblieben.

Hiergegen hat der Kläger am 29.12.2004 beim Sozialgericht Mannheim Klage erhoben (S 3 U 3986/04) und - teilweise durch Bezugnahme auf die Widerspruchsbegründung - vorgetragen, der Lebensmittelpunkt seiner Familie befinde sich entsprechend dem gemeldeten Hauptwohnsitz in K. , in B.-W. habe er nur einen Zweitwohnsitz. Auf Grund seiner Tätigkeit als Berufsfußballspieler habe er diverse Ortswechsel vornehmen müssen, wodurch sich wegen der jeweils kurzfristigen Aufenthaltszeiten ein Mittelpunkt der Lebensverhältnisse gar nicht habe ergeben können.

Das Sozialgericht hat - nach Verbindung des Rechtsstreits mit einer anderen, zwischenzeitlich durch Vergleich erledigten Sache - die Klage mit Urteil vom 13.12.2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei volljährig, alleinstehend und habe eine eigene Wohnung. Der relevante gewöhnliche Aufenthalt und Wohnsitz des Klägers befinde sich (§ 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) nicht in K. , auch wenn der Kläger dort polizeirechtlich seinen Hauptwohnsitz gemeldet habe. Maßgebend seien nach der genannten Bestimmung die objektiven tatsächlichen Verhältnisse, wie sie die Beklagte zutreffend gewürdigt habe. Auch nach der Ausbildung wohne der Kläger nicht in K. und halte sich dort auch nicht gewöhnlich auf. Nicht entscheidend sei, dass der Kläger gelegentlich seine Eltern besuche und nach K. fahre.

Gegen das am 04.04.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.04.2007 Berufung eingelegt. Er hält § 30 SGB I nicht für anwendbar und trägt vor, Familienheimfahren seien Fahrten zum Wohnort der Familie, also zu dem Ort, an dem die Familie des Leistungsempfängers ihren Lebensmittelpunkt unterhalte. Dies sei K ... Der Umstand, dass er sich zu seiner Zeit als Berufsfußballspieler auf Grund der Vertragssituation vorübergehend in der Nähe des jeweiligen Vereines eine Zweitwohnung gesucht habe, sei kein Beleg dafür, dass er auch den Lebensmittelpunkt in die Nähe des Vereines gelegt habe; gerade bei Berufsfußballspielern mit kurzfristigen Verträgen über ein bis zwei Jahre sei das Gegenteil der Fall. In solch kurzer Zeit könnten keine sozialen Kontakte aufgebaut werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13.12.2006 und den Bescheid vom 08.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Reisekosten für zwei Familienheimfahrten je Monat zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es könne angesichts des wöchentlichen Trainings und der Spiele am Wochenende nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger an seinen früheren Beschäftigungsorten nur übernachtet und sich sein soziales Leben nur am Wohnort seiner Eltern abgespielt habe.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für Familienheimfahrten.

Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 43 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach werden die im Zusammenhang mit der Ausführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Reisekosten nach § 53 des Neunten Buches (SGB IX) und damit - § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB IX - auch für im Regelfall zwei Familienheimfahrten im Monat übernommen.

Hier steht auf Grund des Bescheides der Beklagten vom 17.10.2001 über die Gewährung von Berufshilfeleistungen fest, dass der Kläger Anspruch auf Übernahme der notwendigen Fahrtkosten hat. Dementsprechend erstattete die Beklagte auch die vom Kläger ansonsten geltend gemachten Fahrtkosten, u. a. zur Bildungsstätte.

Einen Anspruch auf Familienheimfahrten hat der Kläger dagegen nicht.

Soweit der Kläger die Auffassung vertreten sollte, er habe einen pauschalen Anspruch auf Fahrtkosten für zwei Familienheimfahrten monatlich, trifft dies nicht zu. § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gibt nur einen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten, was entsprechend zu erstattende tatsächliche Aufwendungen voraussetzt. Der Kläger hat insoweit aber noch nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, tatsächlich zweimal monatlich zu seinen Eltern gefahren zu sein. Schlussendlich kommt es hierauf nicht an. Denn die Beklagte müsste Fahrtkosten für tatsächlich während der Ausbildung unternommene Fahrten nach K. nicht erstatten.

Soweit der Kläger die Auffassung vertreten sollte, ein Anspruch nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB IX setze lediglich voraus, dass eine Fahrt zu Familienmitgliedern erfolge, träfe auch dies nicht zu. Erfasst wird von der Regelung nur jene Familie, in der der Versicherte tatsächlich lebt, die ihm also das "Heim" bietet. Hiervon kann beim Kläger - selbst gelegentliche Besuche bei seinen Eltern unterstellt - nicht ausgegangen werden. Durch die Verwendung des Begriffs der Familienheimfahrt wird - unabhängig von § 30 Abs. 3 SGB I - klargestellt, dass der Versicherte am Zielort der "Heimfahrt" einen persönlichen Bezugspunkt haben muss, er also an einen Ort zurückkehrt, an dem er sich außerhalb der Maßnahmen üblicherweise aufhält (BSG, Urteil vom 27.08.2008, B 11 AL 12/07 R in SozR 4-4300 § 67 Nr. 1 zur insoweit identischen Regelung des § 67 Abs. 1 Nr. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Erforderlich wäre, dass der Kläger seine "reguläre" Wohnung bei den Eltern hatte, diese Wohnung also trotz der Ausbildung in H. weiterhin sein wichtigster Anknüpfungspunkt geblieben war, verbunden mit dem Willen, den Wohnort der Eltern als ständigen Schwerpunkt seines Lebens beizubehalten (BSG, a. a. O.). Ein lediger Versicherter - wie der Kläger - behält seine Familienwohnung bei den Eltern, wenn er seine Freizeit regelmäßig bei ihnen verlebt, die Bindung zu den Eltern nicht gelockert ist und der Versicherte an dem Beschäftigungsort - hier also in F. /K. , M. /L. und während der Ausbildung in H. /Sch. - keinen neuen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen findet (BSG, Urteil vom 31.01.1974, 2 RU 48/73). Insoweit kommt es auf eine Gesamtwertung der Indizien an (BSG, Urteil vom 10.10.2002, B 2 U 16/02 R in SozR 3-2200 § 550 Nr. 22), wobei bei der Bewertung der subjektiven Angaben objektive Kriterien mit einzubeziehen sind, in denen dann die subjektiven Angaben ihre Bestätigung finden.

Hier hat der Kläger lediglich pauschal behauptet, seinen Lebensmittelpunkt auch während der Zeit als Berufsfußballer und während seiner Ausbildung bei den Eltern gehabt zu haben. Gestützt wird sein Vorbringen allein durch die dort verfügbare Wohnung und die dort erfolgte Meldung des Hauptwohnsitzes. Sämtliche anderen Umstände sprechen hingegen nicht für die Beibehaltung des Lebensmittelpunktes bei den Eltern.

Entgegen der Auffassung des Klägers genügt insbesondere die Begründung des ersten Wohnsitzes am Wohnort der Eltern nicht zum Nachweis eines dortigen Lebensmittelpunktes. Denn aus einer polizeilichen Anmeldung von Wohnsitzen lässt sich in der Regel noch kein verlässlicher Rückschluss auf die tatsächliche Wohnsituation ziehen (BSG, Urteil vom 10.10.2002, B 2 U 16/02 R in SozR 3-2200 § 550 Nr. 22). Hinzu kommt, dass der Kläger seinen Hauptwohnsitz bei den Eltern erst am 20.07.1998 anmeldete, jedoch bereits seit September 1997 beim SC F. tätig und dort in der Nähe wohnhaft war.

Wie die Beklagte und das Sozialgericht geht auch der Senat davon aus, dass sich der Kläger bereits auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit als Fußballspieler vom Elternhaus "abgenabelt" hatte, also sein eigenes Leben an anderen Orten, nämlich den Orten seiner Beschäftigung, führte. Zutreffend hat die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Kläger angesichts der Trainingszeiten unter der Woche und der Spielzeiten am Wochenende nicht in der Lage war, regelmäßig zu seinen Eltern zurückzukehren und dort seine Freizeit zu verbringen. Gegen eine derartige Annahme spricht insbesondere auch die Entfernung der Beschäftigungsorte vom Elternhaus. Während der Tätigkeit beim SC F. wohnte der Kläger in 79199 K. und somit rund 480 km von den Eltern entfernt. Während der Zugehörigkeit zur Mannschaft des SV W. wohnte der Kläger in L. , rund 300 km von den Eltern entfernt. Für Besuche zwischen den Trainings- und Spielzeiten blieb somit kaum Zeit, schon gar nicht für eine regelmäßige Freizeitgestaltung am Wohnort der Eltern. Soweit der Kläger behauptet, er habe sämtliche Möglichkeiten, die ihm durch die trainingsfreie Zeit eingeräumt worden seien, genutzt, um nach T. zu fahren, stellt dies ein lediglich unsubstanziiertes Bestreiten des Vortrages der Beklagten dar und belegt keine gegenteiligen tatsächlichen Umstände. Im Grunde spricht diese Einlassung für die Annahme, dass der Kläger gerade nicht regelmäßig zu seinen Eltern fuhr und dort seine Freizeit verbrachte.

Der Senat folgt dem Kläger auch insoweit nicht, als dieser pauschal behauptet, wegen der Vertragslaufzeiten sei die Bildung eines Lebensmittelpunktes am Ort der Beschäftigung nicht möglich gewesen. Insoweit bleibt der Kläger jegliche Erläuterung schuldig, wo und wie er seine Freizeit verbracht haben will, welche sozialen Kontakte er somit damals hatte, zumal ihm - wie dargelegt - regelmäßige Fahrten zu seinen Eltern berufsbedingt gar nicht möglich waren.

Dass sich durch die Aufnahme des Studiums an diesen Umständen, also insbesondere was die Gestaltung seines Lebens im Hinblick auf seine Eigenständigkeit, seine Freizeit und seine sozialen Verhältnisse etwas änderte, hat der Kläger selbst nicht behauptet. Schließlich und nicht zuletzt spricht gegen die Tatsache, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt während der Ausbildung bei den Eltern hatte, auch der Umstand, dass er nach dem Ende der Ausbildung nicht zu seinen Eltern zurückkehrte, sondern nach Bad K. , rund 270 km von K. entfernt, umzog.

Der Senat gelangt somit zu dem Ergebnis, dass der Kläger seit September 1997 an anderen Orten, weit entfernt vom Elternhaus, lebte und gerade nicht regelmäßig an den Wohnort der Eltern zurückkehrte, um dort regelmäßig seine Freizeit zu verbringen. Dem entsprechend stellte K. auch während der Ausbildung nicht den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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