L 10 U 2213/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 9 U 853/06
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2213/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart hinsichtlich der als Arbeitsunfallfolge festgestellten Hörminderung und depressiven Reaktion aufgehoben. Soweit der Kläger eine Hörminderung zur Feststellung als Unfallfolge beantragt hat, wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger vier Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten im Klage- und Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Arbeitsunfalls nebst Unfallfolgen.

Der am 1952 geborene Kläger war seit Mitte der 80er Jahre bei der D. B. AG als Elektrotechniker in Hochspannungsanlagen beschäftigt. Er arbeitete dabei in der Nähe von 50 kV- und 110 kV-Druckluftschaltern, die oberhalb der noch zulässigen Arbeitshöhe von 2 m über dem Erdboden angeordnet sind (s. Stellungnahme des Herrn C. , Technischer Dienst der Beklagten - TAD - vom 01.07.2010). Beim Ein- und Ausschalten, also beim schalttechnischen Herstellen und Trennen der Leitungsverbindungen, wird durch den hierbei entstehenden Lichtbogen ein lautes Schaltgeräusch verursacht, sodass Lärmschutz erforderlich ist, der vom Kläger in Form von Lärmstöpseln getragen wurde. Dabei ist das Ausschaltgeräusch lauter als das Einschaltgeräusch, weil beim Trennen der Lichtbogen mit einem schlagartig freigesetzten Druckluftstrahl "aus- bzw. weggeblasen" wird (s. Erläuterungen des Herrn N. - TAD - vom 16.07.2008). Ab Anfang der 90er Jahre bemerkte der Kläger beim Trennen von 110 kV-Druckluftleistungsschaltern trotz Benutzung von Lärmstöpseln ein- bis zweimal in der Woche einen Tinnitus, der manchmal einseitig, manchmal beidseitig auftrat, minutenlang anhielt, dann aber wieder verschwand.

Am 09.06.2005 mähte der Kläger zusammen mit seinem Kollegen Sch. den Rasen im Umspannwerk A ... In kurzem zeitlichem Abstand kam es, verbunden mit lauten Knallgeräuschen, zu zwei Ausschaltvorgängen an 110-kV-Leistungsschaltern in räumlicher Nähe zum Kläger - beim ersten Mal in ca. zwei Meter, beim zweiten Mal in ca. drei bis vier Meter Abstand -, für die der TAD (Bericht des Dipl.-Ing. B. vom 01.09.2005) nach Messungen an baugleichen Schaltern bei einer Lärmwirkzeit von einer Sekunde einen Spitzenpegel beim Ausschalten von 106 dB(AI) in zwei Meter Entfernung und 101 dB(AI) in drei Metern Entfernung maß und hieraus - zunächst - einen maximalen Schalldruckpegel von 120 bis 130 dB ableitete. Der Kläger verspürte schon nach dem ersten Knall im rechten Ohr einen Schmerz, ein Dämpfungsgefühl sowie ein Ohrgeräusch, worüber er seinem Kollegen unmittelbar berichtete.

Noch am selben Tag stellte sich der Kläger bei der Internistin Dr. G. vor, die ihn an den HNO-Arzt Dr. T. überwies und in der ärztlichen Unfallmeldung von einem sehr starken Tinnitus bei einer mit Flüstersprache nicht feststellbaren Hörminderung berichtete (Bl. 8 Verw.-Akte). Dr. T., bei dem der Kläger ebenfalls noch am gleichen Tag vorsprach, diagnostizierte ein akutes Lärmtrauma mit Tinnitus rechts (ärztliche Unfallmeldung, Bl. 1 Verw.-Akte). Er bescheinigte dem Kläger Arbeitsunfähigkeit, die nachfolgend wiederholt verlängert wurde. Noch im Juni 2005 wurde wegen des Tinnitus eine - erfolglose - stationäre Infusionstherapie in der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten des K. S. durchgeführt. Im Entlassungsbericht stellte Dr. A. die Diagnosen eines Knalltraumas und eines Tinnitus aurium. Im hno-ärztlichen Befund zeigte sich das sonst intakte rechte Trommelfell im Bereich des Hammergriffs leicht gefäßinjiziert (Bl. 22 Verw.-Akte). In der Folgezeit entwickelte sich beim Kläger noch eine depressive Störung, wegen der der Kläger seit August 2004 beim Nervenarzt Dr. L. in Behandlung steht. Abgesehen von einem gescheiterten Arbeitsversuch am 06.09.2005 nahm der Kläger die Arbeit nicht wieder auf. Er bezieht zwischenzeitlich eine Erwerbsminderungsrente.

Nach verschiedenen telefonischen Rücksprachen zwischen der Beklagten und der Ehefrau des Klägers, die von einer gravierenden Persönlichkeitsveränderung des Ehegatten berichtete, kam es am 19.10.2005 zur Aufnahme in ein stationäres Heilverfahren in den Median-Kliniken Bad K ... Im Entlassungsbericht führte die HNO-Ärztin Dr. K. aus, der Kläger habe geäußert, früher nie Probleme im HNO-Bereich gehabt zu haben. Vor ca. 40 Jahren habe er eine Malaria tropica durchgemacht. Während des Heilverfahrens sei es im Anschluss an eine Klangübung zu einer trotz Erhöhung der Psychopharmakagabe schwer zu beeinflussenden Panikreaktion gekommen. Der Kläger sei in einem nicht wesentlich gebesserten Zustand entlassen worden.

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte sah der Facharzt für HNO-Heilkunde B. (Bl. 100 Verw.-Akte) keinen Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und dem Ereignis vom 09.06.2005. Die vom TAD bestimmten Werte reichten bei weitem nicht aus, eine Innenohrschädigung zu zeitigen. Selbst bei Unterstellung eines fehlenden Gehörschutzes liege kein Knalltrauma, kein akutes Lärmtrauma und auch kein akustischer Unfall vor. Hierfür wären der Kopfschmerz und der Schwindel auch untypische Beschwerden. Ferner fehle es an einem Innenohrschaden als Korrelat eines Ohrgeräusches. Darauf gestützt teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 04.11.2005 (Bl. 103 Verw.-Akte) mit, ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei nicht gegeben. Der ermittelte Schallpegel sei für die Verursachung eines Knalltraumas nicht geeignet. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er wies unter anderem darauf hin, aus der Gefäßinjizierung des rechten Trommelfells sei auf einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und seinen Gesundheitsstörungen zu schließen. Hierzu führte der Beratungsarzt B. ergänzend aus, die beschriebene Gefäßinjizierung sei völlig untypisch für eine Knalltraumatisierung. Eine Mittelohrschädigung sei lediglich bei einem Explosionstrauma zu erwarten, das keinesfalls vorgelegen habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 133 Verw.-Akte).

Deswegen hat der Kläger am 08.02.2006 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Das SG hat ein HNO-Gutachten bei Prof. Dr. Z. und ein psychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. W. in Auftrag gegeben. Prof. Dr. Z. hat ausgeführt, der Kläger habe berichtet, der Gehörgangsstöpsel sei, so glaube er, zum Zeitpunkt des ersten Knalls verrutscht gewesen. Sofort nach dem Knall habe er einen stechenden Ohrschmerz, ein Ohrgeräusch und Schwindelgefühl verspürt. Der Knall zehn Minuten später sei gleich laut wie der erste gewesen. Prof. Dr. Z. hat einen Hörverlust auf der rechten Seite um 25 % und einen rechtsseitigen Tinnitus aurium diagnostiziert. Beide Störungen seien unfallbedingt. Hierzu hat er auf eine glaubwürdige, für ein Schalltrauma hochtypische Anamnese und die erstellten Audiogramme verwiesen. Das Unfallereignis sei geeignet gewesen, eine Gehörschädigung hervorzurufen. Bei einem Schallpegel von 120 bis 130 dB, der eine Sekunde einwirke, seien lärmbedingte Gehörschäden sehr wohl möglich. Die Disposition, durch ein Lärmtrauma einen Hörschaden zu erleiden, sei individuell sehr unterschiedlich. Das Fortschreiten der rechtsseitigen Hörminderung sei durch eine progrediente neurale Degeneration als Folge des Schalltraumas möglich. Es sei äußerst unwahrscheinlich und nicht plausibel, dass der Kläger rein zufällig unmittelbar nach dem Schalltrauma einen rechtsseitigen Hörsturz erlitten habe. Prof. Dr. W. hat in ihrem Gutachten eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert und zudem das Krankheitsbild einer Verbitterungsstörung diskutiert. Ausgehend von dem ausführlich vom Kläger geschilderten Beschwerdebild hat sie eine aktuelle Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. angenommen. Diese sei jedoch im wesentlichen durch die Verbitterungsstörung bedingt. Unfallbedingt sei für sich genommen nur die Anpassungsstörung, die Prof. Dr. W. für das erste Jahr nach dem Unfall mit einer MdE um 40 v.H. für das zweite Jahr um 20 v.H. bewertet hat.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG zudem ein nervenfachärztliches Gutachten vom behandelnden Nervenarzt Dr. L. eingeholt. Dr. L. hat eine unfallbedingte schwere reaktive Depression mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten diagnostiziert und diese mit einer MdE um 60 v.H. bewertet.

Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Herrn N. zur Lärmbelastung vorgelegt (Bl. 61 ff SG-Akte): Eine 100 %-ige Genauigkeit bei der Beurteilung der Lärmbelastung könne im Nachhinein nicht erreicht werden. Bei der daher notwendigen Abschätzung der Größenordnung der Lärmbelastung könne aber selbst unter worst-case-Annahmen (kein Gehörschutzmittel) nur ein unbewerteter Schalldruckpegel von maximal 135 dB abgeleitet werden. Damit werde der Grenzwert von 140 dB eindeutig nicht erreicht. Im übrigen habe der Gehörschutz auf jeden Fall dämpfend gewirkt. Ferner hat die Beklagte die ergänzende Stellungnahme des HNO-Arztes B. eingereicht und nachfolgend ausgeführt, die in der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Auflage, S. 412 ff - 8. Auflage S. 323 ff) genannten Kriterien für eine (positive) Zusammenhangsbeurteilung seien nicht erfüllt. Der Schallpegel habe nicht mindestens 150 dB betragen, es sei keine sofortige völlige Vertäubung eingetreten, eine C5-Senke sei nicht belegt, der Kläger habe zwischenzeitlich angegeben, schon früher einen Tinnitus gehabt zu haben, Prof. Dr. Z. habe das aktuelle Hörvermögen nicht exakt bestimmen können, eine ototoxische Wirkung von Anti-Malaria-Medikamenten sei in Betracht zu ziehen. Ferner trete bei einem Knalltrauma keine Schädigung des Gleichgewichtsorgans ein.

Mit Urteil vom 13.03.2008 hat das SG - auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und der Hörminderung rechts, des Tinnitus rechts und der Anpassungsstörung, hilfsweise einer schweren depressiven Episode, als Unfallfolge sowie Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 60 v.H. - die angefochtenen Bescheide aufgehoben, einen Arbeitsunfall am 09.06.2005 sowie als dessen Folgen eine Hörminderung und einen Tinnitus am rechten Ohr sowie eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion festgestellt und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. für das erste Jahr nach dem Unfall und nach einer MdE um 20 v.H. ab dem zweiten Unfallfolgejahr zu gewähren. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Das SG hat sich bei dieser Entscheidung im Wesentlichen auf die Gutachten von Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. W. gestützt. Der TAD sei nicht darauf eingegangen, dass es sich um zwei kurz aufeinanderfolgende Knallereignisse gehandelt habe.

Gegen das ihr am 18.04.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.05.2008 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und dem erstinstanzlichen Verfahren und ergänzt, das SG habe in Frage kommende konkurrierende Ursachen, insbesondere einen Vorschaden hinsichtlich des Tinnitus bzw. Veränderungen im Gehör durch ototoxische Substanzen im Zusammenhang mit einer Medikation gegen Malaria, nicht geprüft. Sie hat eine weitere Stellungnahme von Herrn N. (Bl. 40 Gerichtsakte), eine beratungsärztliche Äußerung von Prof. Dr. M. (Facharzt für HNO-Heilkunde; Bl. 155 Gerichtsakte) und eine TAD-Stellungnahme von Herrn C. (Bl. 221 Gerichtsakte) vorgelegt. Prof. Dr. M. hat unter anderem ausgeführt, der Schaltvorgang sei ein vorhersehbares Ereignis gewesen. Eine Schallschädigung treffe immer beide Ohren. Das Fortschreiten der Hörstörung passe nicht zur behaupteten Lärmschädigung. Auch eine psychische Störung könne zu Hörgeräuschen führen. Herr C. hat angemerkt, der in der ersten TAD-Stellungnahme (Bl. 65 Verw.-Akte) dargestellte höchste Wert von 106 dB (AI) sei bezogen auf eine Messdauer von einer Sekunde bestimmt, der Impuls selbst liege im Millisekundenbereich und der Schalldruckpegel sei auf einen Spitzenpegel hochzurechnen, den er - wie zuletzt bereits Herr N. - mit maximal 116 dB bewerte. Gestützt auf diese Äußerungen sieht die Beklagte den Unfall allenfalls als Anlassgeschehen im zeitlichen Zusammenhang mit einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Der von Herrn C. dargestellte Spitzenpegel von 116 dB liege weit entfernt von den in der unfallmedizinischen Literatur geforderten 160 dB. Die Belastung habe nur im Millisekundenbereich vorgelegen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.03.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 16.04.2008 zugestellte Urteil am 14.05.2008 ebenfalls - bezogen auf einen Anspruch auf Verletztenrente - Berufung eingelegt. Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren und ergänzt, bei der Zusammenhangsbeurteilung sei seine individuelle Disposition zu berücksichtigen. Das Vorliegen eines unfallbedingten Knalltraumas sei durch das Gutachten von Prof. Dr. Z. belegt, auch die psychische Erkrankung sei als Unfallfolge zu sehen. Die Malaria sei seit vielen Jahren ausgeheilt und es erfolge keine Medikation mehr. Die Berechnungen des TAD seien nur vergleichsweise erfolgt. Der TAD versuche Zahlen zu kreieren, die letztlich nicht mehr nachvollziehbar seien. Die zu Grunde gelegten Abstände beruhten auf Schätzungen, bereits wenige Zentimeter weniger würden erhebliche Änderungen mit sich bringen. Zudem seien gleichzeitig zwei laute Rasenmäher gelaufen.

Das Gericht hat neben Dr. T. auch den Praxisnachfolger von Dr. G. , Dr. N. , schriftlich als sachverständige Zeugen befragt (weder psychische Störungen noch Ohrenbeschwerden vor dem 09.06.2005 seien bekannt) und Prof. Dr. Sch. mit der Erstellung eines HNO-Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, auf der rechten Seite eine mittelgradige Schwerhörigkeit (links bestehe eine C5-Senke ohne Einschränkung des Sprachverstehens), einen Tinnitus rechts und eine zentrale Gleichgewichtsstörung diagnostiziert. Nach neuen EG-Richtlinien sei bereits bei einem Spitzenschalldruck von 135 dB von einem Risiko zur Entstehung eines Knalltraumas auszugehen. Vom TAD werde eine Einwirkzeit von einer Sekunde angenommen. Für eine solche Einwirkzeit gebe es hinsichtlich des Gehörschädigungsrisikos keine Messwerte und keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ohrstöpsel würden in vielen Fällen nicht gut sitzen. Für das Vorliegen eines Knalltraumas würde insbesondere der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Entstehung des Tinnitus, der zudem im charakteristischen Frequenzbereich liege, sprechen. Der Tinnitus und das nach dem Unfall aufgetretene, vorübergehende Vertäubungsgefühl seien als Unfallfolge anzuerkennen, nicht jedoch die Schwerhörigkeit rechts. Dagegen spreche deren Verschlechterung und die Gleichgewichtsstörung, die nicht zum Bild eines Knalltraumas gehöre und beweise, dass eine andere Erkrankung im Spiel sein müsse.

Im Erörterungstermin vom 17.06.2010 haben sich die Beteiligten verfahrensrechtlich dahingehend geeinigt, dass die Beklagte nach rechtskräftiger Entscheidung durch rechtsmittelfähigen Bescheid über einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld und Verletztenrente entscheiden wird und der Kläger insoweit auf die Herleitung von Rechten aus dem Urteil des SG vom 13.03.2008 verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet. Dem gegenüber hat sich die Berufung des Klägers erledigt.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur (noch) die Feststellung des SG über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles und der im Tenor des angefochtenen Urteils aufgeführten Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen. Nicht (mehr) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist dagegen der vom Kläger ursprünglich geltend gemachte Anspruch auf Verletztenrente. Diesbezüglich haben die Beteiligten den Rechtsstreit durch den Verfahrensvergleich vom 17.06.2010 beendet. Der Senat hat somit über einen solchen Anspruch nicht zu befinden. Da die Berufung des Klägers allein diesen Anspruch auf Verletztenrente zum Gegenstand hatte, ist seine Berufung erledigt; er hat folgerichtig auch keinen diesbezüglichen Antrag mehr gestellt.

Hinsichtlich der vom SG als Unfallfolge festgestellten depressiven Reaktion ist der Berufung der Beklagten schon aus formalen Gründen stattzugeben. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Im Klageverfahren hat der Kläger ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung und den dort protokollierten Antrag die Feststellung einer - von Dr. W. allerdings diagnostizierten - depressiven Reaktion als Unfallfolgen nicht verlangt. Somit ist das SG mit der Feststellung einer depressiven Reaktion als Unfallfolge über den vom Kläger erhobenen Anspruch hinausgegangen. Dieser Verstoß gegen § 123 SGG führt auf die Berufung der Beklagten zwingend zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger ausweislich der Niederschrift eine "schwere depressive Episode" in seinen Antrag aufgenommen hat. Denn diese Gesundheitsstörung hat er lediglich "hilfsweise" zur Anerkennung beantragt. Da das SG insoweit dem Hauptantrag - Feststellung der Anpassungsstörung - stattgegeben hat, ist über den Hilfsantrag nicht zu befinden gewesen. Der Senat weist allerdings bereits an dieser Stelle darauf hin, dass sich hieraus für das von der Beklagten noch zu prüfende Leistungsbegehren - hier in Form von Verletztengeld und Verletztenrente - keine dem Kläger negative Folgen ergeben. Weder der Umstand, dass die Anpassungsstörung nach den Ausführungen von Dr. W. lediglich vorübergehender Natur sein soll noch die Tatsache, dass die depressiven Symptome des Klägers nicht als psychische Erkrankung festgestellt sind, haben auf die Prüfung des Leistungsbegehrens Einfluss. Denn für den Leistungsanspruch ist die förmliche Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge nicht Voraussetzung.

Darüber hinaus ist die Berufung der Beklagten begründet, soweit das SG die Hörminderung am rechten Ohr als Unfallfolge festgestellt hat. Denn diese Hörminderung steht nicht im ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 09.06.2005. Der Senat folgt hierzu den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sch ...

Im Übrigen - soweit das SG das Ereignis vom 09.06.2005 als Arbeitsunfall und den Tinnitus rechts sowie eine Anpassungsstörung als Unfallfolge festgestellt hat - ist die Berufung der Beklagten dagegen unbegründet. Das SG hat auf die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGG) zu Recht die diesen Feststellungen entgegenstehenden Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese Feststellungen antragsgemäß getroffen.

Wie das SG ist auch der Senat davon überzeugt, dass der Kläger am 09.06.2005 einen Arbeitsunfall, der zur Entstehung eines Tinnitus am rechten Ohr und mittelbar zu einer Anpassungsstörung führte, erlitt.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich (BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Kann dagegen das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele (conditio sine qua non), ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O. auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Der Kläger ging am 09.06.2005 seiner versicherten Beschäftigung bei der D. B.AG nach. In engem zeitlichen Zusammenhang wirkten Schallwellen auf Grund des unerwarteten Ausschaltens von zwei 110-kV-Leistungsschaltern bei gleichzeitigem Laufen von mindestens einem Rasenmäher auf ihn ein. Der Hergang dieses Ereignisses ist - beruhend auf den zeitnahen und späteren Schilderungen des Klägers und den schriftlichen Angaben seines Kollegen Sch. - im Wesentlichen zwischen den Beteiligten unumstritten. Über diesen groben Geschehensablauf hinaus ist der Senat von folgenden Einzelheiten überzeugt:

Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt des ersten Schaltvorgangs in einem Abstand von ca. 2 m zur Schallquelle. Diesen Abstand nannte der Kläger im Verwaltungsverfahren (Bl. 30 Verw.-Akte). Die Angabe wurde von seinem Kollegen Sch. , der sich beim ersten Knall in Richtung des Klägers drehte und diesen direkt unterhalb des aufgeständerten Schalters stehen sah, bestätigt. Damit wurde zutreffend vom TAD der Spitzenschallpegel anhand eines Abstands von 2 m ermittelt. Zum Zeitpunkt des zweiten Knalls war die Distanz größer. Der Senat geht auf Grundlage der Angabe des Klägers von ca. 3,5 m aus (Bl. 30 Verw.-Akte). Auch für diesen Abstand hat der TAD damit hinreichende Messungen durchgeführt.

Der Senat ist davon überzeugt, dass beide Knallereignisse durch Ausschaltvorgänge ausgelöst wurden. Aus der Unfallanzeige der Arbeitgeberin ergibt sich, dass die Schaltvorgänge an zwei verschiedenen Schaltern stattfanden (Bl. 9 Verw.-Akte). Der Arbeitskollege führte hierzu zeitnah aus, der zweite Schalter sei "ebenfalls" ausgeschaltet worden. Mithin sind die vom TAD für den Einschaltvorgang ermittelten generell geringeren Spitzenpegel nicht von Interesse. Aus der Unfallanzeige und den Angaben des Kollegen ergibt sich zudem, dass beide Schaltvorgänge ferngesteuert erfolgten. Es kam somit für den Kläger überraschend zu den beiden Knallereignissen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger selbst eingeräumt hat, in der Vergangenheit schon Ähnliches während der Arbeit erlebt zu haben. Natürlich wusste er, dass es zu solchen Vorfällen kommen kann, konkret vorhersehbar waren die Schaltvorgänge jedoch nicht. Der Senat vermag nicht anzunehmen, dass der Kläger beim ersten Knallereignis einen gut sitzenden Gehörschutz trug, beim zweiten Knallereignis trug der Kläger auf der rechten Seite gar keinen Gehörschutz. Der Kläger hat wiederholt angegeben, davon ausgegangen zu sein, dass der gebrauchte Gehörgangsstöpsel zum Zeitpunkt des ersten Knalls verrutscht war bzw. nicht gut saß. Dass dies oft der Fall ist, hat Prof. Dr. Sch. bestätigt. Zwar hat der Kläger erst ihr gegenüber detailliert ausgeführt, zum Zeitpunkt des zweiten Knallereignisses habe er gar keinen Stöpsel getragen, da er den aus seinem Dienstwagen geholten neuen Stöpsel noch nicht eingesetzt hatte. Der Senat hält diese Angabe jedoch für glaubhaft. Sie kann gut mit der zeitnahen Äußerungen des Kollegen Sch. in Einklang gebracht werden. Dieser berichtete sinngemäß von einer kurzen Arbeitsunterbrechung nach dem ersten Knall und ausdrücklich vom "Wechseln der Ohrsschutzstöpsel". Die den Berechnungen des TAD zu Grunde gelegte "worst-case-Betrachtung" stellt damit betreffend den Gehörschutz keinen aus der Luft gegriffenen, großzügigen Sicherheitsaufschlag zugunsten des Klägers dar.

Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem ersten Knallereignis ist es beim Kläger zur Entstehung, nach dem zweiten Knallereignis zur Verstärkung eines Pfeifgeräuschs im rechten Ohr gekommen. Die Angaben des Klägers werden in den schriftlichen Ausführungen des Herrn Sch. bestätigt. Dieses Pfeifgeräusch wurde von der Internistin Dr. G. und dem HNO-Arzt Dr. T. am Unfalltag als rechtsseitiger Tinnitus diagnostiziert. Am Vorliegen eines rechtsseitigen Tinnitus bestehen angesichts der zahlreichen audiometrischen Befunde, der durchgeführten Therapien und der ärztlichen Äußerungen für den Senat keine Zweifel. Der Senat stützt sich dabei auch auf das Gutachten von Prof. Dr. Sch. , die den vom Kläger angegebenen, störenden Tinnitus von wechselnder Frequenz nach den von ihr vorgenommenen Untersuchungen durch eine entsprechende Diagnosestellung: Tinnitus rechts, der sich bis zur Messgrenze von 100 dB weder mit Schmalband- noch mit Breitbandrauschen maskieren ließ, bestätigt hat. Auch die Beklagte stellt das Vorliegen dieser Gesundheitsstörung nicht ernsthaft in Abrede.

Dieser beim Kläger seit dem Ereignis vom 09.06.2005 vorhandene Tinnitus wurde durch das Ereignis vom 09.06.2005 verursacht. Der Senat schließt sich der Beurteilung von Prof. Dr. Z. und Prof. Dr. Sch. in vollem Umfang an. Für einen solchen Zusammenhang sprechen vor allem jene Indizien, die auf eine Schädigung des rechten Ohres in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den durch die Ausschaltvorgänge ausgelösten Knallereignissen hinweisen.

Auszuschließen ist dabei eine vorbestehende Hörstörung bzw. ein vorbestehender Tinnitus. Zwar ist auf Grund der Angaben des Klägers gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen und seinem Arbeitskollegen Sch. davon auszugehen, dass er schon vor dem 09.06.2005 nach ähnlichen Knallereignissen Ohrgeräusche hatte. Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass der Kläger wahrheitsgemäß angegeben hat, dass diese Geräusche nur vorübergehend waren. Den Vermerken der Beklagten über die Inhalte der Telefongespräche mit der Ehefrau ist ein aus Sicht des Senats echter und neu entstandener Leidensdruck durch den Tinnitus zu entnehmen. Dies gilt, obwohl es zu Abstimmungsproblemen hinsichtlich eines zeitlichen Zusammentreffens der Rehabilitationsmaßnahme in Bad K. mit einer Urlaubsreise kam und obwohl die Ehefrau auch den Gesichtspunkt einer finanziellen Entschädigung ansprach. Schließlich berichtete die Ehefrau gleichzeitig u.a. darüber, ihren Mann wie ein kleines Kind behandeln zu müssen und ihn so überhaupt nicht zu kennen (Aktenvermerk vom 18.08.2005, Bl. 56 Verw.-Akte). Angesichts dieser Reaktion des Klägers auf den Tinnitus und dem Umstand, dass er gegenüber der früher behandelnden Hausärztin Dr. G. und deren Praxisnachfolger Dr. N. vor dem in Rede stehenden Ereignis über keine Ohrprobleme berichtete, gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass frühere Ohrgeräusche nur vorübergehende Erscheinungen waren. So wird auch die im Entlassungsbericht der Median Kliniken Bad K. wiedergegebene Angabe des Klägers, in der Vergangenheit keine HNO-Probleme gehabt zu haben, angesichts der späteren Berichte über frühere Ohrgeräusche, verständlich. Denn vorübergehende Ohrgeräusche stellen aus Sicht des Senats keine - ernsthaften - HNO-Probleme dar. Die für den Kläger neue Dimension der Ohrgeräusche am 09.06.2005 wird durch die Ausführungen des Kollegen Sch. belegt. Er beschrieb den Kläger als "sehr verängstigt". Sinngemäß bestätigen seine Ausführungen auch das Vorbringen des Klägers zu früheren Ohrgeräuschen vorübergehender Natur. Ihm gegenüber äußerte der Kläger die Sorge, dass die nach dem zweiten Knall verstärkten Geräusch nun dauerhaft bleiben würden und er zum Arzt gehen werde, falls sich in den nächsten Stunden keine Besserung einstelle.

Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tinnitus und den Knallereignissen am 09.06.2005 sprechen nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Sch. insbesondere das in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erfolgte Auftreten von Symptomen, die für ein Knalltrauma charakteristisch sind. So verspürte der Kläger einen stechenden Schmerz, ein Vertäubungsgefühl und ein sofortiges Auftreten des Tinnitus im Bereich des rechten Ohres. Schon Prof. Dr. Z. hat in seinem für das SG erstatteten Gutachten darauf hingewiesen, dass als Alternativhypothese lediglich ein rein zufällig unmittelbar nach dem Knall auftretender Hörsturz mit Tinnitus in Betracht komme. Wie Prof. Dr. Z. hält auch der Senat dies für äußerst unwahrscheinlich und schlussendlich - weil sich der Schmerz im rechten Ohr damit nicht erklären lässt - für ausgeschlossen. Der Tinnitus wurde vom Kläger bei Dr. T. und bei Prof. Dr. Sch. mit einem vier bis sechs kHz-Ton verglichen und liegt damit - so die Sachverständige - in einem charakteristischen Frequenzbereich. Ebenfalls charakteristisch ist - so Prof. Dr. Sch. - die Besserung des Vertäubungsgefühls innerhalb von Wochen nach dem Unfallereignis. Auch der im Katharinenhospital im Juni 2006 erhobene Befund einer leichten Gefäßinjizierung des Trommelfells im Bereich des Hammergriffs spricht für ein Knalltrauma, weil es - wie Prof. Dr. Sch. dargelegt hat - durch die starke Auslenkung zu einer Reizung des Trommelfells kommt. Der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. - eine solche Gefäßinjizierung sei für ein Knalltrauma unüblich - folgt der Senat daher nicht. Ohnehin hat Dr. B. keine plausible Erklärung für diesen Befund gegeben, obwohl selbst nach seinen Ausführungen dieser Befund auf eine akute Schädigung hindeutet. Denn Dr. B. zieht zwischen diesem Befund, den er als Mittelohrschädigung bewertet, eine unmittelbare Verbindung zu einem Explosionstrauma, bei dem eine solche Schädigung zu erwarten sei. Da der Kläger keiner anderen Einwirkung als den Knallereignissen am 09.06.2005 ausgesetzt war, spricht die Gefäßinjizierung des rechten Trommelfells im Bereich des Hammergriffs somit für eine traumatische Schädigung.

Liegen aber derartige Hinweise für eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als das als Arbeitsunfall angeschuldigte Ereignis örtlich-zeitlich in Rede steht, wird ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzunehmen sein (ständige Rechtsprechung des Senats seit Urteil vom 12.11.2009, L 10 U 3951/08, veröffentlicht u.a. in juris).

Zu Unrecht stellt die Beklagte unter Bezugnahme auf unfallmedizinische Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Seite 323 ff.) den Aspekt der Eignung des Unfallereignisses in den Vordergrund der Beurteilung. Die Eignung des Unfallereignisses ist - wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat (Urteil vom 12.11.2009, L 10 U 3951/08 a.a.O.) - eine Frage nach dem naturwissenschaftlichen Zusammenhang. Denn wenn das Unfallereignis tatsächlich nicht geeignet war, die fragliche Schädigung hervorzurufen, kann es hinweggedacht werden und die Schädigung wäre trotzdem vorhanden. Dem entsprechend können Unfallereignisse regelmäßig nur dann als "nicht geeignet" bewertet werden, wenn der als geschädigt in Rede stehende Körperteil durch den Unfall überhaupt nicht betroffen war oder wenn fest steht, dass die Einwirkung unter keinen Umständen zu einer Schädigung führen konnte. Eine fehlende Einwirkung auf das rechte Ohr des Klägers behauptet die Beklagte nicht. Sie meint vielmehr, der Schallpegel, dem der Kläger ausgesetzt war, sei zu gering gewesen, um eine Schädigung des Ohres zu verursachen. Dem folgt der Senat nicht.

Die Beklagte übersieht in diesem Zusammenhang bereits die Tatsache, dass sich die aufgeführten Symptome (Schmerz, Vertäubung, sofortiger Tinnitus) und der klinische Befund (Gefäßinjizierung, charakteristischer Frequenzbereich des Tinnitus) ohne Annahme einer entsprechend schädigenden Lärmeinwirkung am 09.06.2005 nicht erklären lassen. Steht aber fest, dass es zu einer Schädigung durch ein Ereignis kam, war dieses Ereignis auch im naturwissenschaftlichen Sinn für eine solche Schädigung geeignet. Die Beklagte lässt jeden Erklärungsversuch vermissen, was sonst die aufgeführten Störungen verursacht haben soll.

Dem entsprechend bedarf es keiner abschließenden Beurteilung, welcher tatsächlichen Einwirkung der Kläger ausgesetzt war und ab welchem Schallpegel welches Risiko (also welche Wahrscheinlichkeit) einer Schädigung besteht. Jedenfalls ist der vom TAD gemessene tatsächliche Spitzenpegel beim Ausschalten eines 110 kV-Druckluftschalters von 106 dB(AI) der untere Bereich der anzunehmenden Einwirkung. Welche Zuschläge aus messtechnischen Gründen (so insbesondere Herr C. ) oder zur Berücksichtigung nicht abschätzbarer Umweltbedingungen im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, wie z.B. die Windrichtung (so Herr N. ) oder aus sonstigen Gründen zu machen sind, bleibt offen. Übereinstimmend gehen jedenfalls alle Vertreter des TAD davon aus, dass derartige Zuschläge vorgenommen werden müssen, wobei die Ergebnisse zwischen 116 dB und 135 dB schwanken. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vertreter ihres TAD liegen diese angenommenen Schalldruckpegel nicht unterhalb eines Grenzwertes, für den jegliche Schädigung als ausgeschlossen anzusehen wäre. Dies hat bereits Prof. Dr. Z. für den ursprünglich vom TAD angenommenen Schalldruckpegel von 120 bis 130 dB ausgeführt und Prof. Dr. Sch. hat zutreffend und von Prof. Dr. M. auch unwidersprochen darauf hingewiesen, dass es insoweit keine wissenschaftlichen Erkenntnisse bei Einwirkungszeiten von einer Sekunde, wie sie am 09.06.2005 vorlagen, gibt. Damit ist der Grenzwertdiskussion der Beklagten, die sich auf Einwirkungszeiten im Millisekundenbereich bezieht, der Boden entzogen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Kläger am 09.06.2005 einem Schalldruck von einer Sekunde ausgesetzt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats unmittelbar aus dem Protokoll über die vom TAD, Dipl.-Ing. B. , an baugleichen Schaltern vorgenommenen Messungen. In den Messprotokollen ist ebenso wie in der Auswertung eine Lärmwirkzeit von einer Sekunde angegeben. Die Ausführungen des Herrn C. , wonach die Messzeit eine Sekunde gedauert haben soll, der gemessene Schalldruck aber nur Millisekunden, sind deshalb unzutreffend. Denn dann hätte das Protokoll und die Auswertung des Dipl.-Ing. B. eine Messzeit von einer Sekunde und ggf. die gemessene Zeitdauer des Schalldrucks ausweisen müssen. Für eine die übliche Einwirkzeit bei Knalltraumen übersteigenden Dauer der Knallereignisse spricht letztlich auch die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. , der - wie bereits ausgeführt - den beim Kläger erhobenen Befund eines gefäßinjizierten Trommelfells als mögliche Folge eines Explosionstraumas angesehen hat. Ein Explosionstrauma unterscheidet sich von einem Knalltrauma nach der unfallmedizinischen Literatur aber gerade durch die längere Einwirkzeit von über drei Millisekunden (Schönberger/Mehrtens/Valentin; a.a.O, S. 324).

Auch wenn die Grenzwertdiskussion hier - wie eben ausgeführt - letztlich unergiebig ist, weist der Senat auf Bedenken hinsichtlich der von der Beklagten bzw. vom TAD z.T. unter Hinweis auf die unfallmedizinische Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin; a.a.O., S. 323) für die Eignung einer Lärmeinwirkung für eine Schädigung herangezogenen Grenzwerte von 140 dB bzw. 150 bis 160 dB hin. In Abweichung zu diesen Werten hat Prof. Dr. Sch. unter Bezugnahme auf eine EG-Richtlinie - die zwischenzeitlich in der Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen (LärmVibrationsArbSch vom 06.03.2007, BGBl.I, S. 261) umgesetzt wurde - als Anknüpfungspunkt in ihrem Gutachten einen Wert von 135 dB genannt. In der LärmVibrationsArbSchV wird Arbeitgebern bereits bei Überschreitung eines Spitzenschalldrucks von 135 dB ( "Unterer Auslösewert" gem. § 6 Nr. 2 LärmVibrationsArbSchV) aufgegeben, den Beschäftigten einen geeigneten persönlichen Hörschutz zur Verfügung zu stellen (§ 8 Abs. 1 LärmVibrationsArbSchV). Auch der TAD, von dessen Seite zuletzt nur noch am Rande auf die höheren Grenzwerte eingegangen wurde, akzeptiert zwischenzeitlich wohl diesen Wert.

Nicht überzeugend sind die Argumente, die Prof. Dr. M. gegen einen Unfallzusammenhang anführt. Bei der Behauptung, eine Schallschädigung treffe immer beide Ohren, verneint er in nicht nachzuvollziehender Weise eine günstige Wirkung des Gehörschutzes am linken Ohr. Im Übrigen kann ein Knalltrauma nach der unfallmedizinischen Literatur einseitig auftreten, allein schon der Schallschatten des Kopfes kann zu einem unterschiedlichen audiometrischen Bild führen (Schönberger/Mehrtens/Valentin; a.a.O. S. 323). Unzutreffend geht er auch davon aus, dass bei einem Knalltrauma stets eine C5-Senke auftreten müsse, was beim Kläger nicht der Fall war. Die C5-Senke wird in der unfallmedizinischen Literatur alternativ zum Steilabfall als typischer Befund nach einem Knalltrauma beschrieben (Schönberger/Mehrtens/Valentin; a.a.O, S. 324). Das Vorliegen eines Steilabfalls hat Prof. Dr. M. jedoch in seiner eigenen Stellungnahme anhand der ihm vorgelegten Unterlagen bestätigt. Soweit er bemängelt, Depressionen seien kein Kennzeichen eines Lärmtraumas ist dem nichts entgegen zu setzen. Seine weitergehende Behauptung, Ohrgeräusche, die in Verbindung mit Lärm auftreten, seien nicht mit psychischen Begleiterkrankungen verbunden, kann jedoch nicht nachvollzogen werden. Auch hier spricht die unfallmedizinische Literatur eine andere Sprache. Für den Tinnitus wird ausdrücklich auf die Möglichkeit einer zusätzlichen psychischen Befindungsstörung hingewiesen (Schönberger/Mehrtens/Valentin; a.a.O, S. 350).

Der Arbeitsunfall war für die Entstehung des Tinnitus auch die rechtlich wesentliche Ursache.

Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Dies ist schon deshalb zu bejahen, weil der Senat keine andere Ursache als das in Rede stehende Ereignis vom 09.06.2005 als Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn erkennen kann.

Die von der Beklagten aufgezeigte Möglichkeit, der Tinnitus könne durch die ototoxische Wirkung von Anti-Malaria-Medikamenten hervorgerufen worden sein, stellt eine Spekulation dar, der Prof. Dr. Sch. plausibel die Grundlage entzogen hat. Ein medikamentös-toxisch bedingter Tinnitus wäre nach ihren Ausführungen in einem Frequenzbereich von 8.000 Hz zu erwarten, der beim Kläger jedoch nicht betroffen ist. Im Übrigen ist die Malaria seit vielen Jahren ausgeheilt und der Kläger nahm schon lange keine entsprechenden Medikamente mehr ein.

Dem Hinweis der Beklagten, auf Grund der Angaben des Klägers von früheren Ohrgeräuschen, sei von einem Vorschaden auszugehen, ist entgegen zu halten, dass selbst wenn insoweit von einer besonderen individuellen Disposition auf Grund der früheren Ohrgeräusche - mit der der Kläger dann aber auch versichert gewesen wäre - auszugehen wäre, der hier streitgegenständliche Arbeitsunfall gleichwohl wesentlich wäre. Soweit Prof. Dr. M. im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall von einer Gelegenheitsursache und einem Bagatelltrauma spricht, verkennt er den vom Senat festgestellten Geschehensablauf.

In mittelbarer Folge ist es beim Kläger wegen des (dauerhaften) Tinnitus zu einer Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.21) gekommen. Dies hat Prof. Dr. W. überzeugend dargelegt. Der dauerhafte, ausgeprägte Tinnitus stellte eine psychische Belastung für den Kläger dar. Die Symptome der Störung sind bereits im Folgemonat nach dem Arbeitsunfall dokumentiert. Dr. T. führte in einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Juli 2005 die Diagnose "Depression" auf. Diese Diagnosestellung spricht nicht gegen das Vorliegen einer Anpassungsstörung, denn die Symptome der Anpassungsstörung können variieren und entsprechen den bei affektiven Störungen wie der Depression, aber auch bei den somatoformen Störungen auftretenden. Als depressive Symptome bestanden bei der Untersuchung durch Prof. Dr. W. eine spürbare Unruhe und Reizbarkeit. Ferner gehören zu diesen Symptomen die geschilderten Schlafstörungen und der soziale Rückzug. Auch die körperlichen Symptome (Schwindel, Zittern, Herzrasen, Kopfdruck) sind mit dem Vorliegen einer Anpassungsstörung vereinbar. Für diese Diagnose sprechen auch das Vorliegen eines eindeutigen Auslösers und die körperlichen Symptome. Prof. Dr. W. hat hier nicht das klassische Bild einer Depression gesehen, so dass trotz des Hinweises von Dr. L. , bei einer reaktiven Depression könne ebenso ein eindeutiger Auslöser vorliegen, die Diagnose einer Anpassungsstörung gleichwohl überzeugt.

Im Übrigen ist auf die Meinungsverschiedenheit zwischen Prof. Dr. W. und Dr. L. hinsichtlich der Diagnosestellung - insbesondere im Hinblick auf die langfristige Krankheitsentwicklung - nicht weiter einzugehen, da der Kläger - wie oben ausgeführt - durch die Antragstellung im Klageverfahren den Streitgegenstand inhaltlich auf die (vorrangige) Feststellung einer Anpassungsstörung eingegrenzt hat.

Im Ergebnis ist somit die Feststellung des SG über das Ereignis vom 09.06.2005 als Arbeitsunfall und des Tinnitus rechts sowie einer Anpassungsstörung als Unfallfolge zu bestätigen. Entsprechend der Regelung im Verfahrensvergleich wird die Beklagte nun über einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld und Verletztenrente entscheiden müssen. In diesem Zusammenhang weist der Senat noch einmal darauf hin, dass die Feststellung der Unfallfolgen nichts über die Dauer ihres Vorliegens aussagt und dass die getroffene Feststellung keine abschließende Entscheidung über Unfallfolgen beinhaltet. Dementsprechend ist die Beklagte bei ihrer Prüfung zwar daran gebunden, dass der Tinnitus rechts und die Anpassungsstörung Unfallfolge sind. Sie hat aber unabhängig von dieser Feststellung zu prüfen, wie lange und in welcher Ausprägung diese Gesundheitsstörungen vorlagen bzw. vorliegen, inwieweit sie mit weiteren Störungen vergesellschaftet sind / waren (s. das Gutachten von Prof. Dr. W.: ... mit längerer depressiver Reaktion) und ob sich gar weitere Unfallfolgen eingestellt haben bzw. die diagnostische Zuordnung sich geändert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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