L 3 SB 2855/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 445/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2855/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung weiterer gesundheitlicher Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, und zwar der Merkzeichen "B" (Freifahrt für eine Begleitperson wegen der Notwendigkeit ständiger Begleitung) und "RF" (Rundfunk-gebührenbefreiung und Sozialtarif für Telefonanschlüsse) streitig.

Mit Bescheid vom 07.11.2007 stellte der Beklagte bei der 1941 geborenen Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 ab dem 01.03.2007 sowie das Merkzeichen "G" fest. Hierbei legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom, Wirbelsäulenverformung, Teil-GdB 30

Teilverlust des Magens Teil-GdB 20

Depression, funktionelle Organbeschwerden, Kopfschmerzsyndrom Teil-GdB 40

Chronische Harnwegsentzündung Teil-GdB 10

Schwerhörigkeit beidseits Teil-GdB 20

Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Arthrose Teil-GdB 20

Diabetes mellitus Teil-GdB 10

Am 12.06.2008 stellte die Klägerin den Antrag auf Feststellung der Merkzeichen "B" und "RF". Der Beklagte holte Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ein, auf die Bezug genommen wird. Nach deren Auswertung lehnte er mit Bescheid vom 01.10.2008 den Antrag ab. Hiergegen legte die Klägerin am 14.10.2008 Widerspruch ein mit der Begründung, aufgrund ihrer Schwerhörigkeit sei sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf eine Begleitperson angewiesen und könne deshalb auch nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Der daraufhin gehörte HNO-Arzt Dr. H. teilte unter dem 10.12.2008 mit, bei der Klägerin bestehe eine Schallempfindungsstörung beidseits mit einem Hörverlust von 40 bis 50 Dezibel im Hochtonbereich bei 2 Kilohertz bis 6 Kilohertz mit Tinnitus aurium beidseits. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 12.02.2009 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. In der sachverständigen Zeugenaussage vom 11.05.2009 hat die Neurologin und Psychiaterin K. unter Angabe der von ihr festgestellten Diagnosen mitgeteilt, eine Begleitperson sei aufgrund der Behinderung aus ihrer Sicht nicht erforderlich. Der Orthopäde E. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 13.06.2009 angegeben, für die Klägerin sei eine ständige Begleitperson nicht notwendig, auch gehöre sie nicht zu dem Personenkreis, der an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen könne.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. G, Facharzt für Psychiatrie, mit der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 23.11.2009 hat dieser auf psychiatrischem Fachgebiet die Diagnosen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome sowie des Verdachts auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung gestellt. Auch unter Berücksichtigung der Funktionseinschränkungen auf anderen Fachgebieten, nämlich eines LWS-Syndroms mit Funktionsbeeinträchtigungen, Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, Hypertonie, Gonarthrose, Adipositas per magna sowie eines Diabetes mellitus ohne Komplikationen sei die Klägerin noch in der Lage, ihre Wege alleine zu finden und einigermaßen die Alltagsaktivität alleine zu bewältigen. Eine Begleitperson sei aufgrund der derzeitigen Behinderung zwar hilfreich, jedoch im Sinne des SGB IX nicht unbedingt erforderlich.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei wegen der Schwere ihres Leidens nicht dauernd gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Bei ihr liege die hierfür erforderliche, durch körperliche Behinderungen verursachte weitgehende Bindung an das Haus nicht vor. Auch seien keine Gründe ersichtlich, dass für ihre Umgebung ihre Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unzumutbar wäre. Aufgrund der eingeholten Befundberichte und dem Gutachten Dr. G stehe fest, dass die Klägerin grundsätzlich in der Lage sei, sich außerhalb ihrer Wohnung fortzubewegen und sich in zumutbarer Weise auch für gewisse Zeiten außerhalb ihres Hauses aufzuhalten. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "B" seien nicht erfüllt. Die Klägerin gehöre nicht zu den in Nr. 30 Abs. 4 und 5 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwer-behindertenrecht (AHP) 2008 genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gegeben sei. Dem Gutachten von Dr. G sowie den eingeholten Auskünften der behandelnden Ärzte könne entnommen werden, dass die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sei. Auch seien Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen nicht erforderlich.

Gegen den am 16.06.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 18.06.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, den Befundberichten von Dr. H. und Dr. F. könne entnommen werden, dass ihr das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ohne Hilfe durch eine Begleitperson nicht möglich sei. Auch habe Dr. G eine ständige Begleitung dringend empfohlen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 01. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 2009 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "B" und "RF" ab dem 12. Juni 2008 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen "B" und "RF". Wegen der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften und der danach erforderlichen Voraussetzungen nimmt der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Nach Auffassung des Senats ist die Berufung aus den vom SG ausführlich und zutreffend dargestellten Gründen als unbegründet zurückzuweisen. Insoweit nimmt der Senat auch auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Auch unter Zugrundelegung der als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) hat die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der Merkmale "B" und "RF". Hinsichtlich des Merkzeichens "RF" enthalten die VMG keine Regelung. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" sind in Teil D Nr. 2 VMG weitgehend gleichlautend mit Nr. 32 AHP 2008 geregelt. Nach Teil D Nr. 2b VMG ist die Berechtigung für eine ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "Gl" oder "H" vorliegen) gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind.

Soweit zur Berufungsbegründung vorgetragen worden ist, das SG habe die Befundberichte der Ärzte Dr. H. und Dr. F. nicht berücksichtigt, ist dem entgegenzuhalten, dass von Dr. F. Befundberichte oder sonstige medizinische Unterlagen für den streitigen Zeitraum nicht vorliegen. Das SG hat demgegenüber die sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Orthopäden E. zutreffend gewürdigt. Entgegen dem Vortrag in der Berufungsbegründung hat Dr. H. im Befundbericht vom 10.12.2008 nicht ausgeführt, der Klägerin sei infolge ihres Wirbelsäulenleidens und der Arthrose das Ein- und Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Hilfe durch eine Begleitperson nicht möglich. Er hat vielmehr lediglich angegeben, bei der Klägerin bestehe eine Hochtonschwerhörigkeit mit Tinnitus aurium beidseits. Zur Überzeugung des Senats ergeben sich hieraus keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, welche die Zuerkennung der Merkzeichen "B" oder "RF" rechtfertigen könnten. Schließlich hat der Sachverständige Dr. G - entgegen dem Berufungsvortrag - nicht eine ständige Begleitung dringend empfohlen, sondern lediglich ausgeführt, eine solche wäre zwar hilfreich, aber im Sinne des SGB IX nicht unbedingt erforderlich. Damit wird gerade das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "B" verneint. Dem schließt sich der Senat an.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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