S 8 SO 223/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 223/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 58/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 12/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 04.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2010 verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2009 als Zuschuss zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin in der Zeit vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2009 Leistungen der Sozialhilfe in Gestalt der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß §§ 9 Satz 1, 28 Abs. 1 Nr. 1a Sozialgesetz-buch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) in Verbindung mit §§ 8 Nr. 2, 19 Abs. 2, 41 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) als verlorenen Zuschuss zu gewähren.

Die Klägerin ist Inhaberin eines Erbbaurechts mit einer Restlaufzeit von 61 Jahren des im Grundbuch von N., Blatt-Nr. 0000, 0000, eingetragenen Grundstücks G.00 in N ... Das insgesamt 501 qm große Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut. Die Größe der Wohnfläche beträgt 119 qm. Die Klägerin vermietet einen etwa 35 qm großen, nicht sepa-rat abgegrenzten Teil der Wohnfläche an ihren Sohn. Den übrigen Teil des Hauses be-wohnt sie selbst.

Die Klägerin beantragte am 10.11.2008 bei der Beklagten die Gewährung von Grundsi-cherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Die Beklagte gewährte ihr da-raufhin mit Bescheiden vom 04.02.2009, 14.04.2010 und 12.05.2010 für den Zeitraum vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2010 Grundsicherungsleistungen als Darlehen nach § 91 SGB XII. Dabei berücksichtigte sie das Hausgrundstück der Klägerin gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII als verwertbares Vermögen. Zur Begründung führte sie an, dass gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII bei einem Ein-Personen-Haushalt höchstens eine Hausgröße von 90 qm angemessen sei. Daher stelle das Grundstück der Klägerin nicht geschütztes Vermö-gen dar. Anhaltspunkte für eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII lägen nicht vor. Da eine Verwertung des Grundvermögens jedoch nicht sofort möglich sei, sei die Grund-sicherung darlehensweise zu gewähren.

Die Klägerin erhob gegen diese Bescheide mit Schreiben vom 25.02.2009, 07.05.2010 und 15.06.2010 Widerspruch. Diese begründete sie damit, dass das Hausgrund Schon-vermögen darstelle. Es sei zu berücksichtigen, dass sie einen Teil der Wohnfläche unter-vermietet habe. Der von ihr bewohnte Teil sei daher in seiner Größe angemessen. Ein Verkauf der Immobilie und der damit verbundene notwendige Umzug sei ihr angesichts ihres Alters, wegen der erheblichen Wohndauer (seit 1975) und aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2010 wies die Beklagte die Widersprüche der Kläge-rin als zulässig, jedoch unbegründet zurück. Auch unter der Berücksichtigung, dass der Sohn der Klägerin mit dieser das Haus gemeinsam bewohne, sei das Hausgrundstück als ungeschütztes Vermögen anzusehen. Auch bei einem Zwei-Personen-Haushalt liege die Bezugsgröße für eine angemessene Wohnfläche bei 90 qm. Ob durch den Sohn tatsäch-lich ein Anteil von 35 qm eigenständig genutzt werde, führe bei der vermögensrechtlichen Bewertung zu keiner anderen Entscheidung. Hier sei nicht auf die verbleibende Nutzflä-che, sondern auf die tatsächlich im Eigentum der Klägerin stehende Wohnfläche des Hau-ses abzustellen. Besondere Gründe, die bei der Klägerin ein Abweichen von der genann-ten Bezugsgröße rechtfertigten, seien nicht ersichtlich. Es liege auch unter der Berück-sichtigung des Alters oder der gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin keine Härte gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII vor.

Die Klägerin hat am 19.08.2010 Klage erhoben. Dabei bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Im Erörterungstermin am 08.02.2012 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass streitgegenständlicher Zeitraum dieser Klage allein die Zeit vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2009 sei. Sofern die angefochtenen Bescheide darüber hinausgehende Zeiträume beträfen, seien sie insoweit nicht streitgegenständlich.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2010 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2009 als verlorenen Zuschuss zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig. Hinsichtlich ihrer Rechts-auffassung verweist sie im Wesentlichen auf die Begründung im Widerspruchsbescheid vom 19.07.2010.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Dipl.-Ing. K.T., N., vom 20.03.2012 (Bl. 43 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Ge-richtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 04.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2010 gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Bescheide sind rechtswidrig. Der Klägerin steht gemäß §§ 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit §§ 41 ff. SGB XII gegen die Beklagte ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII in Gestalt der Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2009 als Zuschuss zu.

Nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe nicht, wer sich durch Einsatz seines Einkom-mens und Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den besonderen Voraussetzungen des Vierten Kapitels des SGB XII Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbeson-dere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können.

Diese Voraussetzungen liegen hier für die Zeit vom 17.12.2008 bis zum 30.04.2009 vor. Die Klägerin konnte sich in dieser Zeit im Sinne der §§ 2 Abs. 1, 19 Abs. 2 SGB XII durch Einsatz ihres Vermögens nicht selbst helfen. Ihr stand unter Berücksichtigung dieser Vor-schriften kein verwertbares Vermögen in einem ihrer Bedürftigkeit ausschließendem Maße zur Verfügung. Das Hausgrundstück G. 00 24 in N. gehört zum so genannten Schonver-mögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII.

Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht wer-den vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den §§ 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII ge-nannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 SGB XII bestimmt sich die Angemessenheit nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (z.B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grund-stücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes so-wie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII dient - ebenso wie die Vorgängervorschrift § 88 Abs. 2 Nr. 7 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - dem Schutz von Familienheimen und Wohnungen. Dem Hilfesuchenden oder einer anderen in § 19 Abs. 2 SGB XII genannten Person soll das Dach über dem Kopf erhalten bleiben. Das Hausgrundstück soll aber gerade im Hinblick auf die ausdrücklich genannten Angemessenheitskriterien nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu den Bedürfnissen und der Lebenshaltung des Hilfesuchenden und seiner Familie stehen (SG Münster, Urteil vom 27.04.2009, Az.: S 8 (16) SO 102/07).

Das Hausgrundstück G. 00 ist ein angemessenes Grundstück in diesem Sinne. Insbeson-dere folgt die Kammer nicht der Auffassung der Beklagten, es handele sich hier um eine unangemessene Wohnfläche. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass nach der Recht-sprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11.05.2009, Az.: B 8 SO 7/08 R) eine angemessene Wohnfläche für einen Vier-Personen-Haushalt bei 130 qm liegt und pro Person weniger ein Abschlag von 20 qm zu machen ist. Allerdings gilt diese Regelung le-diglich für den Durchschnittsfall und bedarf je nach den Umständen des Einzelfalles einer Anpassung nach oben (vgl. nur Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 4. Auflage, 2012, § 90, Rn. 55). Angesichts der übrigen Faktoren des Hausgrundstü-ckes (Wohnfläche, Verkehrswert und bauliche Ausstattung), die – wohl auch nach Auffas-sung der Beklagten – dem Angemessenheitsbegriff des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII unter-fallen, geht die Kammer davon aus, dass die geringe Überschreitung der angemessenen Wohnfläche hier unbeachtlich ist. Aus diesem Grund kann allein dadurch nicht von einem unangemessenen Hausgrundstück im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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