Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 P 2815/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2367/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II statt I.
Die am 1955 geborene Klägerin, mit Ehemann zusammenlebend, leidet seit langem an insulinpflichtigem Diabetes mellitus, der zu Spätfolgen wie insbesondere einer Fußzehenamputation rechts im Herbst 2002 geführt hat. Ferner bestehen seit langem Depressionen mit zunehmender Antriebseinschränkung, ein starkes Übergewicht, unkontrolliertes Essverhalten und Probleme bei der Einhaltung der Diabetiker-Diät. Nachdem bereits seit Februar 1997 Pflegegeld nach Pflegestufe I bezogen worden war, erstattete auf den Antrag auf Höherstufung vom 24. Juli 2003 Pflegefachkraft Frau K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in Karlsruhe das Gutachten vom 19. September 2003. Sie errechnete einen täglichen Zeitbedarf für die Körperpflege von 18 Minuten, Ernährung 25 Minuten und Mobilität vier Minuten, zusammen 47 Minuten. Hilfebedarf bestehe beim Waschen der Füße und des Rückens, beim Anziehen der Schuhe und Strümpfe sowie beim Transfer in die Badewanne. Der auf dieser Grundlage eine Höherstufung ablehnende Bescheid vom 22. September 2003 wurde von der Klägerin nicht angegriffen.
Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist der neue Antrag vom 05. November 2007. Die Klägerin hatte im August 2007 einen Schlaganfall erlitten, von welchem eine Resthalbseitenlähmung rechts zurückgeblieben war. Im März 2007 waren weitere zwei Zehen amputiert worden, ferner hatte sich eine diabetische Nephropathie entwickelt und es bestanden Depressionen, medikamentös behandelt bei Verdacht auf Zyklothymie. Die Klägerin benutzt einen Rollator.
Pflegefachkraft K. erstattete das Gutachten vom 14. Januar 2008. Sie errechnete nunmehr einen täglichen Zeitaufwand für die Grundpflege von 52 Minuten, hiervon für Körperpflege 35, Ernährung fünf und Mobilität zwölf Minuten. Obwohl die Klägerin in der Lage sei, den vorderen Oberkörper selbstständig zu waschen, werde die gesamte Körperpflege übernommen. Die Reinigung nach den Ausscheidungen sei aufgrund des Übergewichts selbstständig nicht ausreichend. Abends sei deshalb eine zusätzliche Intimhygiene erforderlich. Die Klägerin benötige Hilfestellung beim Wechseln der Vorlagen. Am Hinterkopf müsse nachgekämmt werden. Mahlzeiten würden mundgerecht zubereitet, obwohl dies selbstständig durchführbar wäre. Nachvollziehbar sei Hilfestellung beim Zerkleinern von festen Mahlzeiten. Wegen des Diabetes würden zusätzliche Mahlzeiten benötigt. Die unteren Körperregionen würden umgezogen. Beim Umkleiden über Kopf sei Hilfe erforderlich. Innerhalb der Wohnung sei die Klägerin selbstständig mobil. Durch Bescheid vom 27. Februar 2008 lehnte die Beklagte es ab, höheres Pflegegeld zu zahlen.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe inzwischen einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Merkzeichen "G" inne. Sie sei stark depressiv, bettlägerig und könne sich nur noch mittels des Gehwagens fortbewegen. Pflegefachkraft G. vom MDK erstattete das Gutachten vom 18. April 2008. Der Antrieb sei erheblich gemindert. Vor allem bei der Körperpflege sei die Klägerin sehr unkooperativ, weshalb das Waschen und Umkleiden vollständig übernommen werde. Zum Erheben von der Sitz- in die Standposition werde sie unterstützt. Freies Stehen sei nicht möglich. Das Gangbild sei je nach Tagesform unsicher. Die Feinmotorik der Hände sei eingeschränkt. Mahlzeiten würden mundgerecht zubereitet und bereitgestellt sowie Getränke eingeschenkt. Nach Stuhlgang sei die eigene Intimhygiene sehr oberflächlich, weshalb eine zusätzliche Intimhygiene durchgeführt werde. Für die Körperpflege seien 57 Minuten täglich zu schätzen (insbesondere wegen erheblicher Antriebsminderung Ganzkörperwäsche 30 Minuten, Oberkörper drei und Unterkörper zwölf Minuten, Zahnpflege zehn und Kämmen zwei Minuten); die mundgerechte Zubereitung der Nahrung erfordere zehn Minuten und für die Mobilität seien 29 Minuten anzusetzen (Aufstehen/Zu-Bett-Gehen acht Minuten, Ankleiden zwölf, Entkleiden sechs Minuten, Gehen und Stehen zwei bzw. eine Minute). Zusammen ergäben sich mithin 96 Minuten pro Tag. Die Beklagte erließ den weiteren Ablehnungsbescheid vom 29. April 2008. Die Klägerin erhielt ihren Widerspruch aufrecht. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten verwies zur Begründung des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2008 auf die Ergebnisse des letzten Gutachtens.
Zur Begründung der am 01. Juli 2008 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage trug die Klägerin vor, sie leide an den zahlreichen bekannten Behinderungen, die zu einem Gesamt-GdB von 100 geführt hätten. Pflegestufe I sei bereits vor dem Schlaganfall vom August 2007 erfüllt gewesen. Inzwischen könne sie sich kaum mehr von einem Stuhl oder von der Toilette erheben. Als Rechtshänderin könne sie die Gebrauchshand kaum mehr benutzen. Sie sei bei jeder Mahlzeit auf umfangreiche Hilfe angewiesen. Auch die Körperpflege erfordere einen deutlich höheren Hilfebedarf als bisher angenommen. Im Bereich der Säuberung und Reinigung sei sie ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Mithin müssten 120 Minuten täglich für die Grundpflege ohne weiteres erreicht sein.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B. nannte in der schriftlichen Zeugenaussage vom 27. Januar 2009 die bekannten Gesundheitsstörungen; seit November 2007 sei keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands eingetreten und den erhobenen Gutachten vom 14. Januar und 18. April 2008 sei zuzustimmen. Beigefügt waren die Berichte der I. Medizinischen Klinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe über die stationären Behandlungen vom 21. Februar bis 05. März 2008 vorrangig wegen Niereninsuffizienz Stadium III bis IV bei Verdacht auf Nephrosklerose (Bericht Prof. Dr. K. vom 18. März 2008) und vom 14. bis 25. November 2008 vorrangig wegen aktuell aufgetretenen Zustands nach metabolischer Azidose und Hyperkaliämie bei Ibuprofenüberdosierung (vorläufiger Brief Assistenzarzt Wild vom 26. November 2008).
Durch Gerichtsbescheid vom 05. Mai 2009 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, der erforderliche Hilfebedarf von täglich 120 Minuten im Bereich der Grundpflege werde nach den schlüssigen Gutachten vom 14. Januar und 18. April 2008 nicht erreicht. Ferner habe der behandelnde Arzt Dr. B. eine wesentliche Verschlimmerung bezüglich der Schlaganfallfolgen verneint. Auf den GdB von 100 komme es nicht entscheidend an. Ebenso wenig seien vorrangig Art oder Schwere der Erkrankung, Diagnose oder Einbußen an Lebensqualität zu berücksichtigen, sondern allein der zeitliche Umfang des Hilfebedarfs im Bereich der abschließend definierten Verrichtungen.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25. Mai 2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie hat vorgebracht, aufgrund der Folgen des Schlaganfalls sei der tatsächliche Grundpflegebedarf wesentlich höher. Schon für die reine Pflege wie Waschen und Duschen seien mindestens drei Stunden täglich aufzubringen. Dies werde im beigefügten Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Be. vom 03. September 2009 mit einem Pflegeplan als Anlage bestätigt. Auch das Gutachten der Pflegesachverständigen Sc. vom 10. Juni 2010 (vgl. hierzu im Folgenden) könne nicht akzeptiert werden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27. Februar 2008 und 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2008 zu verurteilen, ihr ab 05. November 2007 Pflegegeld nach Pflegestufe II zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält aufgrund der Gutachtensergebnisse die angefochtenen Entscheidungen weiterhin für rechtmäßig.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten der Pflegesachverständigen Sc. vom 10. Juni 2010 (Hausbesuch am 29. Mai 2010 von 9.30 bis 11.30 Uhr) eingeholt. Zu bestätigen sei eine bipolare Störung mit typischem Morgentief und ausgeprägter Antriebslosigkeit. Die Klägerin sei gangunsicher, jedoch in der Lage, mit dem Rollator alle pflegerelevanten Räume selbstständig aufzusuchen. Lediglich bei nächtlichen Toilettengängen müsse sie unterstützt werden. Sie sei in der Lage, sich selbstständig mit Hilfe des Rollators zu setzen und wieder aufzustehen. Wegen des Schlaganfalls sei die Funktion des rechten Arms immer noch leicht eingeschränkt. Die Feinmotorik der rechten Hand sei mäßig gestört. Für Körperpflege seien täglich 83 Minuten anzusetzen (Ganzkörperwäsche 21, Oberkörper vier, Unterkörper sieben, Baden vier, Zahnpflege zehn, Kämmen zwei, Rasieren drei, Stuhlgang sechs, Wasserlassen 24 und Vorlagenwechsel zwei Minuten). Im Bereich der Ernährung erfordere das fünfmal täglich mundgerechte Zubereiten der Nahrung fünf Minuten. Für Mobilität seien täglich 24 Minuten aufzuwenden (Aufstehen/Zu-Bett-Gehen fünf, Ankleiden neun, Entkleiden fünf, Gehen vier und Transfer eine Minute). Mithin errechneten sich 113 Minuten. Zusätzlich benötige die Klägerin bei allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen Hilfe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, kann in der Sache keinen Erfolg haben. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 05. Mai 2009 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 27. Februar 2008 - wiederholt durch den gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen Bescheid vom 29. April 2008 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab 05. November 2007 oder einem späteren Zeitpunkt keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II.
Verfahrensrechtliche Anspruchsgrundlage für das Pflegegeld nach der Pflegestufe II (statt nach der Pflegestufe I) ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nach Satz 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (Bundessozialgericht (BSG) SozR 1300 § 48 Nr. 22). Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Als solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung war hier der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2003 über die unveränderte Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I anzusehen. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die diesem Bescheid zugrunde gelegen haben, ist nicht eingetreten. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege ab 05. November 2007 oder einem späteren Zeitpunkt mindestens 120 Minuten betragen hat.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.
Der mithin für einen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II vorausgesetzte Hilfebedarf der Grundpflege von täglich 120 Minuten ist bisher für die Klägerin zu keinem Zeitpunkt regelmäßig erreicht worden. Dies steht fest aufgrund des Gesamtergebnisses der im Verfahren getätigten Ermittlungen. Bei diesem wurde von Anfang an berücksichtigt, dass die Klägerin nach dem Schlaganfall vom August 2007 unter der Symptomatik einer Hemiparese (Halbseitenlähmung) rechts leidet. Der langjährige Diabetes hatte bereits zuvor zu Fußulcerationen beidseits (Geschwüren) und der Amputation mehrerer Zehen geführt. Hinzu kamen Depressionen mit einer ins Gewicht fallenden Antriebsstörung. In Kenntnis des Zusammenwirkens der organischen und psychischen Funktionseinschränkungen schätzten Pflegefachkräfte K. und G. den täglichen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege mit weniger als 120 Minuten ein. Die von Pflegefachkräften K. und G. getroffene Einschätzung wird durch das im Berufungsverfahren nach § 109 SGG eingeholte Gutachten der Sachverständigen Sc. vom 10. Juni 2010 bestätigt. Diese Gutachten sind aufgrund der angegebenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere haben Pflegefachkräfte K. und G. herausgestellt, dass die Klägerin an sich in der Lage ist, die Körperpflege in weiten Teilen selbstständig durchzuführen, wegen der bestehenden Antriebsminderung dies jedoch nicht selbstständig erfolgt. Es sind in keinem dieser Gutachten Befunde beschrieben, aus denen sich eine völlige Funktionsunfähigkeit der oberen Extremitäten ableiten ließe. Ein Hilfebedarf bei der Körperpflege (Waschen und Intimhygiene) und bei der Mobilität (An- und Entkleiden) ist wegen des Übergewichts nachvollziehbar, weil die Klägerin insoweit einzelne Körperregionen wie z.B. Füße und Rücken nicht erreichen kann. Die Klägerin ist auch in der Lage, sich selbstständig in der Wohnung zu bewegen, gerade auch wenn ihr berufstätiger Ehemann tagsüber nicht anwesend ist. Schon deshalb ist ein weiterer erheblicher Hilfebedarf im Bereich der Mobilität nicht feststellbar. Den von den Gutachterinnen K. und G. vernachlässigten Hilfebedarf bei den Toilettengängen sowie bei der Rasur wegen eines Damenbarts hat die Sachverständige Sc. ersichtlich nachvollziehbar bewertet.
Dieses Ergebnis ist durch die Angaben des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B. in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 27. Januar 2009 nicht widerlegt. Dies schließt ein, dass durch die stationären Behandlungen im Städtischen Klinikum Karlsruhe vom 21. Februar bis 05. März 2008 und vom 14. bis 25. November 2008 (Berichte Prof. Dr. K. vom 18. März 2008 bzw. Assistenzarzt Wild vom 26. November 2008) eine wesentliche Verschlimmerung des Zustandes und mithin eine Erhöhung des Pflegebedarfs gegenüber den der Gutachterin G. bekannten Umständen nicht eingetreten ist. Auch Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Be. hat im vorgelegten Attest vom 03. September 2009 zwar für "reine Pflege wie Waschen und Duschen" täglich mindestens drei Stunden behauptet, was jedoch dadurch widerlegt wird, dass er im beigefügten Pflegeplan für Waschen und Duschen lediglich 20 bis 30 Minuten genannt hat.
Die Sachverständige Sc. hat zwar gegenüber den Angaben der Gutachterin G. verschiedentlich knappere Zeitwerte angenommen, so für die Ernährung (mundgerechtes Zubereiten der Nahrung) nur fünf Minuten und für die Mobilität 24 Minuten geschätzt, wobei für Aufstehen/Zu-Bett-Gehen fünf Minuten (Gutachten G. acht Minuten), Ankleiden neun (zwölf), Entkleiden fünf (sechs), Gehen und Transfer fünf (gegenüber drei) angesetzt wurden. Insoweit ist es nicht zulässig, die jeweils maximalen Einzelangaben für einzelne Verrichtungen meistbegünstigend zu berücksichtigen, um so den geforderten Mindestaufwand zu erreichen. Der zeitliche Hilfebedarf beruht auf pflichtgemäßer Schätzung (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn. 9 und 10). Die Schwierigkeit und Problematik der Erhebung und Einschätzung des Hilfebedarfs liegt darin, dass jeder Gutachter darauf angewiesen ist, was der Pflegebedürftige oder dessen Pflegeperson zu den Fragen nach dem Hilfebedarf beiträgt. Alle Daten und Zeiten sind eine Mischung aus Einschätzung, allgemeiner Lebenserfahrung und Glauben an die Richtigkeit der Angaben (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 03.September 2009 - L 4 P 390/08). Wenn Gutachterin G. für einzelne Verrichtungen einen höheren Zeitbedarf angesetzt hat, kann dies - wie die deutlich niedrigeren Werte im Gutachten der Pflegefachkraft K. vom 14. Januar 2008 zeigen - an einer Großzügigkeit liegen, die im Gerichtsgutachten korrigiert werden darf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II statt I.
Die am 1955 geborene Klägerin, mit Ehemann zusammenlebend, leidet seit langem an insulinpflichtigem Diabetes mellitus, der zu Spätfolgen wie insbesondere einer Fußzehenamputation rechts im Herbst 2002 geführt hat. Ferner bestehen seit langem Depressionen mit zunehmender Antriebseinschränkung, ein starkes Übergewicht, unkontrolliertes Essverhalten und Probleme bei der Einhaltung der Diabetiker-Diät. Nachdem bereits seit Februar 1997 Pflegegeld nach Pflegestufe I bezogen worden war, erstattete auf den Antrag auf Höherstufung vom 24. Juli 2003 Pflegefachkraft Frau K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in Karlsruhe das Gutachten vom 19. September 2003. Sie errechnete einen täglichen Zeitbedarf für die Körperpflege von 18 Minuten, Ernährung 25 Minuten und Mobilität vier Minuten, zusammen 47 Minuten. Hilfebedarf bestehe beim Waschen der Füße und des Rückens, beim Anziehen der Schuhe und Strümpfe sowie beim Transfer in die Badewanne. Der auf dieser Grundlage eine Höherstufung ablehnende Bescheid vom 22. September 2003 wurde von der Klägerin nicht angegriffen.
Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist der neue Antrag vom 05. November 2007. Die Klägerin hatte im August 2007 einen Schlaganfall erlitten, von welchem eine Resthalbseitenlähmung rechts zurückgeblieben war. Im März 2007 waren weitere zwei Zehen amputiert worden, ferner hatte sich eine diabetische Nephropathie entwickelt und es bestanden Depressionen, medikamentös behandelt bei Verdacht auf Zyklothymie. Die Klägerin benutzt einen Rollator.
Pflegefachkraft K. erstattete das Gutachten vom 14. Januar 2008. Sie errechnete nunmehr einen täglichen Zeitaufwand für die Grundpflege von 52 Minuten, hiervon für Körperpflege 35, Ernährung fünf und Mobilität zwölf Minuten. Obwohl die Klägerin in der Lage sei, den vorderen Oberkörper selbstständig zu waschen, werde die gesamte Körperpflege übernommen. Die Reinigung nach den Ausscheidungen sei aufgrund des Übergewichts selbstständig nicht ausreichend. Abends sei deshalb eine zusätzliche Intimhygiene erforderlich. Die Klägerin benötige Hilfestellung beim Wechseln der Vorlagen. Am Hinterkopf müsse nachgekämmt werden. Mahlzeiten würden mundgerecht zubereitet, obwohl dies selbstständig durchführbar wäre. Nachvollziehbar sei Hilfestellung beim Zerkleinern von festen Mahlzeiten. Wegen des Diabetes würden zusätzliche Mahlzeiten benötigt. Die unteren Körperregionen würden umgezogen. Beim Umkleiden über Kopf sei Hilfe erforderlich. Innerhalb der Wohnung sei die Klägerin selbstständig mobil. Durch Bescheid vom 27. Februar 2008 lehnte die Beklagte es ab, höheres Pflegegeld zu zahlen.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe inzwischen einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Merkzeichen "G" inne. Sie sei stark depressiv, bettlägerig und könne sich nur noch mittels des Gehwagens fortbewegen. Pflegefachkraft G. vom MDK erstattete das Gutachten vom 18. April 2008. Der Antrieb sei erheblich gemindert. Vor allem bei der Körperpflege sei die Klägerin sehr unkooperativ, weshalb das Waschen und Umkleiden vollständig übernommen werde. Zum Erheben von der Sitz- in die Standposition werde sie unterstützt. Freies Stehen sei nicht möglich. Das Gangbild sei je nach Tagesform unsicher. Die Feinmotorik der Hände sei eingeschränkt. Mahlzeiten würden mundgerecht zubereitet und bereitgestellt sowie Getränke eingeschenkt. Nach Stuhlgang sei die eigene Intimhygiene sehr oberflächlich, weshalb eine zusätzliche Intimhygiene durchgeführt werde. Für die Körperpflege seien 57 Minuten täglich zu schätzen (insbesondere wegen erheblicher Antriebsminderung Ganzkörperwäsche 30 Minuten, Oberkörper drei und Unterkörper zwölf Minuten, Zahnpflege zehn und Kämmen zwei Minuten); die mundgerechte Zubereitung der Nahrung erfordere zehn Minuten und für die Mobilität seien 29 Minuten anzusetzen (Aufstehen/Zu-Bett-Gehen acht Minuten, Ankleiden zwölf, Entkleiden sechs Minuten, Gehen und Stehen zwei bzw. eine Minute). Zusammen ergäben sich mithin 96 Minuten pro Tag. Die Beklagte erließ den weiteren Ablehnungsbescheid vom 29. April 2008. Die Klägerin erhielt ihren Widerspruch aufrecht. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten verwies zur Begründung des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2008 auf die Ergebnisse des letzten Gutachtens.
Zur Begründung der am 01. Juli 2008 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage trug die Klägerin vor, sie leide an den zahlreichen bekannten Behinderungen, die zu einem Gesamt-GdB von 100 geführt hätten. Pflegestufe I sei bereits vor dem Schlaganfall vom August 2007 erfüllt gewesen. Inzwischen könne sie sich kaum mehr von einem Stuhl oder von der Toilette erheben. Als Rechtshänderin könne sie die Gebrauchshand kaum mehr benutzen. Sie sei bei jeder Mahlzeit auf umfangreiche Hilfe angewiesen. Auch die Körperpflege erfordere einen deutlich höheren Hilfebedarf als bisher angenommen. Im Bereich der Säuberung und Reinigung sei sie ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Mithin müssten 120 Minuten täglich für die Grundpflege ohne weiteres erreicht sein.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B. nannte in der schriftlichen Zeugenaussage vom 27. Januar 2009 die bekannten Gesundheitsstörungen; seit November 2007 sei keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands eingetreten und den erhobenen Gutachten vom 14. Januar und 18. April 2008 sei zuzustimmen. Beigefügt waren die Berichte der I. Medizinischen Klinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe über die stationären Behandlungen vom 21. Februar bis 05. März 2008 vorrangig wegen Niereninsuffizienz Stadium III bis IV bei Verdacht auf Nephrosklerose (Bericht Prof. Dr. K. vom 18. März 2008) und vom 14. bis 25. November 2008 vorrangig wegen aktuell aufgetretenen Zustands nach metabolischer Azidose und Hyperkaliämie bei Ibuprofenüberdosierung (vorläufiger Brief Assistenzarzt Wild vom 26. November 2008).
Durch Gerichtsbescheid vom 05. Mai 2009 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, der erforderliche Hilfebedarf von täglich 120 Minuten im Bereich der Grundpflege werde nach den schlüssigen Gutachten vom 14. Januar und 18. April 2008 nicht erreicht. Ferner habe der behandelnde Arzt Dr. B. eine wesentliche Verschlimmerung bezüglich der Schlaganfallfolgen verneint. Auf den GdB von 100 komme es nicht entscheidend an. Ebenso wenig seien vorrangig Art oder Schwere der Erkrankung, Diagnose oder Einbußen an Lebensqualität zu berücksichtigen, sondern allein der zeitliche Umfang des Hilfebedarfs im Bereich der abschließend definierten Verrichtungen.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25. Mai 2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie hat vorgebracht, aufgrund der Folgen des Schlaganfalls sei der tatsächliche Grundpflegebedarf wesentlich höher. Schon für die reine Pflege wie Waschen und Duschen seien mindestens drei Stunden täglich aufzubringen. Dies werde im beigefügten Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Be. vom 03. September 2009 mit einem Pflegeplan als Anlage bestätigt. Auch das Gutachten der Pflegesachverständigen Sc. vom 10. Juni 2010 (vgl. hierzu im Folgenden) könne nicht akzeptiert werden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27. Februar 2008 und 29. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2008 zu verurteilen, ihr ab 05. November 2007 Pflegegeld nach Pflegestufe II zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält aufgrund der Gutachtensergebnisse die angefochtenen Entscheidungen weiterhin für rechtmäßig.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten der Pflegesachverständigen Sc. vom 10. Juni 2010 (Hausbesuch am 29. Mai 2010 von 9.30 bis 11.30 Uhr) eingeholt. Zu bestätigen sei eine bipolare Störung mit typischem Morgentief und ausgeprägter Antriebslosigkeit. Die Klägerin sei gangunsicher, jedoch in der Lage, mit dem Rollator alle pflegerelevanten Räume selbstständig aufzusuchen. Lediglich bei nächtlichen Toilettengängen müsse sie unterstützt werden. Sie sei in der Lage, sich selbstständig mit Hilfe des Rollators zu setzen und wieder aufzustehen. Wegen des Schlaganfalls sei die Funktion des rechten Arms immer noch leicht eingeschränkt. Die Feinmotorik der rechten Hand sei mäßig gestört. Für Körperpflege seien täglich 83 Minuten anzusetzen (Ganzkörperwäsche 21, Oberkörper vier, Unterkörper sieben, Baden vier, Zahnpflege zehn, Kämmen zwei, Rasieren drei, Stuhlgang sechs, Wasserlassen 24 und Vorlagenwechsel zwei Minuten). Im Bereich der Ernährung erfordere das fünfmal täglich mundgerechte Zubereiten der Nahrung fünf Minuten. Für Mobilität seien täglich 24 Minuten aufzuwenden (Aufstehen/Zu-Bett-Gehen fünf, Ankleiden neun, Entkleiden fünf, Gehen vier und Transfer eine Minute). Mithin errechneten sich 113 Minuten. Zusätzlich benötige die Klägerin bei allen hauswirtschaftlichen Verrichtungen Hilfe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, kann in der Sache keinen Erfolg haben. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 05. Mai 2009 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 27. Februar 2008 - wiederholt durch den gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen Bescheid vom 29. April 2008 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat ab 05. November 2007 oder einem späteren Zeitpunkt keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II.
Verfahrensrechtliche Anspruchsgrundlage für das Pflegegeld nach der Pflegestufe II (statt nach der Pflegestufe I) ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nach Satz 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (Bundessozialgericht (BSG) SozR 1300 § 48 Nr. 22). Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG SozR 4-1300 § 48 Nr. 6). Als solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung war hier der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2003 über die unveränderte Bewilligung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I anzusehen. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die diesem Bescheid zugrunde gelegen haben, ist nicht eingetreten. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege ab 05. November 2007 oder einem späteren Zeitpunkt mindestens 120 Minuten betragen hat.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 3 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.
Der mithin für einen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II vorausgesetzte Hilfebedarf der Grundpflege von täglich 120 Minuten ist bisher für die Klägerin zu keinem Zeitpunkt regelmäßig erreicht worden. Dies steht fest aufgrund des Gesamtergebnisses der im Verfahren getätigten Ermittlungen. Bei diesem wurde von Anfang an berücksichtigt, dass die Klägerin nach dem Schlaganfall vom August 2007 unter der Symptomatik einer Hemiparese (Halbseitenlähmung) rechts leidet. Der langjährige Diabetes hatte bereits zuvor zu Fußulcerationen beidseits (Geschwüren) und der Amputation mehrerer Zehen geführt. Hinzu kamen Depressionen mit einer ins Gewicht fallenden Antriebsstörung. In Kenntnis des Zusammenwirkens der organischen und psychischen Funktionseinschränkungen schätzten Pflegefachkräfte K. und G. den täglichen Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege mit weniger als 120 Minuten ein. Die von Pflegefachkräften K. und G. getroffene Einschätzung wird durch das im Berufungsverfahren nach § 109 SGG eingeholte Gutachten der Sachverständigen Sc. vom 10. Juni 2010 bestätigt. Diese Gutachten sind aufgrund der angegebenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. Insbesondere haben Pflegefachkräfte K. und G. herausgestellt, dass die Klägerin an sich in der Lage ist, die Körperpflege in weiten Teilen selbstständig durchzuführen, wegen der bestehenden Antriebsminderung dies jedoch nicht selbstständig erfolgt. Es sind in keinem dieser Gutachten Befunde beschrieben, aus denen sich eine völlige Funktionsunfähigkeit der oberen Extremitäten ableiten ließe. Ein Hilfebedarf bei der Körperpflege (Waschen und Intimhygiene) und bei der Mobilität (An- und Entkleiden) ist wegen des Übergewichts nachvollziehbar, weil die Klägerin insoweit einzelne Körperregionen wie z.B. Füße und Rücken nicht erreichen kann. Die Klägerin ist auch in der Lage, sich selbstständig in der Wohnung zu bewegen, gerade auch wenn ihr berufstätiger Ehemann tagsüber nicht anwesend ist. Schon deshalb ist ein weiterer erheblicher Hilfebedarf im Bereich der Mobilität nicht feststellbar. Den von den Gutachterinnen K. und G. vernachlässigten Hilfebedarf bei den Toilettengängen sowie bei der Rasur wegen eines Damenbarts hat die Sachverständige Sc. ersichtlich nachvollziehbar bewertet.
Dieses Ergebnis ist durch die Angaben des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B. in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 27. Januar 2009 nicht widerlegt. Dies schließt ein, dass durch die stationären Behandlungen im Städtischen Klinikum Karlsruhe vom 21. Februar bis 05. März 2008 und vom 14. bis 25. November 2008 (Berichte Prof. Dr. K. vom 18. März 2008 bzw. Assistenzarzt Wild vom 26. November 2008) eine wesentliche Verschlimmerung des Zustandes und mithin eine Erhöhung des Pflegebedarfs gegenüber den der Gutachterin G. bekannten Umständen nicht eingetreten ist. Auch Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Be. hat im vorgelegten Attest vom 03. September 2009 zwar für "reine Pflege wie Waschen und Duschen" täglich mindestens drei Stunden behauptet, was jedoch dadurch widerlegt wird, dass er im beigefügten Pflegeplan für Waschen und Duschen lediglich 20 bis 30 Minuten genannt hat.
Die Sachverständige Sc. hat zwar gegenüber den Angaben der Gutachterin G. verschiedentlich knappere Zeitwerte angenommen, so für die Ernährung (mundgerechtes Zubereiten der Nahrung) nur fünf Minuten und für die Mobilität 24 Minuten geschätzt, wobei für Aufstehen/Zu-Bett-Gehen fünf Minuten (Gutachten G. acht Minuten), Ankleiden neun (zwölf), Entkleiden fünf (sechs), Gehen und Transfer fünf (gegenüber drei) angesetzt wurden. Insoweit ist es nicht zulässig, die jeweils maximalen Einzelangaben für einzelne Verrichtungen meistbegünstigend zu berücksichtigen, um so den geforderten Mindestaufwand zu erreichen. Der zeitliche Hilfebedarf beruht auf pflichtgemäßer Schätzung (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn. 9 und 10). Die Schwierigkeit und Problematik der Erhebung und Einschätzung des Hilfebedarfs liegt darin, dass jeder Gutachter darauf angewiesen ist, was der Pflegebedürftige oder dessen Pflegeperson zu den Fragen nach dem Hilfebedarf beiträgt. Alle Daten und Zeiten sind eine Mischung aus Einschätzung, allgemeiner Lebenserfahrung und Glauben an die Richtigkeit der Angaben (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 03.September 2009 - L 4 P 390/08). Wenn Gutachterin G. für einzelne Verrichtungen einen höheren Zeitbedarf angesetzt hat, kann dies - wie die deutlich niedrigeren Werte im Gutachten der Pflegefachkraft K. vom 14. Januar 2008 zeigen - an einer Großzügigkeit liegen, die im Gerichtsgutachten korrigiert werden darf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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