L 7 SO 6090/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 1332/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 6090/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Kosten für eine Montessori-Therapie können als Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung i.S.v. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 EinglVO zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören.

2. Die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Montessori-Therapie ist nicht bereits deshalb durch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe im Hinblick auf eine Zuständigkeit der Schule ausgeschlossen, weil die Montessori-Therapie auch pädagogische Elemente enthält. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Maßnahme dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer im Sinne des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule zuzuordnen ist; auch unter Berücksichtigung der Änderung der schulrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit einer zunehmenden integrativen Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher kann daneben ein ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Oktober 2008 wie folgt abgeändert und teilweise neugefasst:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2006 verurteilt, der Klägerin Kosten für die bereits durchgeführte Montessori-Therapie in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 in Höhe von 1.181,50 Euro zu erstatten.

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten einer Montessori-Therapie in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2006 im Wege der Eingliederungshilfe.

Die am 1998 in Vietnam geborene Klägerin kam im Alter von drei Monaten als Adoptivkind nach Deutschland. Sie besuchte zunächst den Regelkindergarten und erhielt wegen ihrer sprachlichen Schwierigkeiten seit Juni 2001 Logopädie und zusätzlich ambulante Sprachtherapie im Sprachheilzentrum Ravensburg. In der Zeit vom 14. Juli 2003 bis zum Ende der Kindergartenzeit gewährte der Beklagte der Klägerin Eingliederungshilfe für eine Stunde Montessori-Einzeltherapie pro Woche.

Mit Schreiben vom 14. Juli 2005 beantragten die Eltern der Klägerin die Fortführung der Therapie auch über den Eintritt in die Grundschule in Vogt, einer Regelschule, zum Schuljahr 2005/2006 hinaus bei erhöhter wöchentlicher Stundenzahl sowie durch Begleitung der Klägerin durch die Montessori-Therapeutin im Unterricht. In diesem Zusammenhang wurden dem Beklagten mehrere Unterlagen vorgelegt: Nach einem Bericht der Fachschulrätin F. vom Sprachheilzentrum Ravensburg vom 29. September 2004 besteht bei der Klägerin eine Sprachentwicklungsverzögerung, wobei die semantische, phonetisch-phonologische Ebene und der Bereich der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung besonders betroffen seien. Auch im Bereich der Konzentrationsfähigkeit, Anstrengungsbereitschaft und des Durchhaltevermögens seien Auffälligkeiten vorhanden. Die kognitiven Leistungen lägen gerade noch im Normbereich. Die Klägerin benötige für einen erfolgreichen Schulanfang eine Umgebung, die auf Sprechen und Hören ausgerichtet sei; zudem sei auch eine intensive Lernbegleitung notwendig. In dem Bericht von Prof. Dr. Jo. und Dipl.-Psych. Hä. von der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie) in Ulm vom 25. Mai 2005 wurde bei der Klägerin eine ausgeprägte Sprachentwicklungsverzögerung, rezeptiv und expressiv, sowie eine auditive Gedächtnisschwäche diagnostiziert. Die Klägerin sei nach dortiger Sicht ein Kind für die Sprachheilschule; eine Regeleinschulung könne nur unter der Maßgabe befürwortet werden, dass dort (durch eine zusätzliche Lehrkraft/Integrationskraft, durch Inselunterricht und Binnendifferenzierung) für sie eine intensive, auf ihre spezifischen Förderbedürfnisse abgestimmte Lernumgebung geschaffen werden könne. Diese solle nicht nur sonderpädagogische, sondern auch spezifisch sprachfördernde Aspekte enthalten und das Lernen auf möglichst vielen Wahrnehmungskanälen ermöglichen. Nach dem Abschlussbericht der Dipl. Montessori-Therapeutin Au. vom 4. August 2005 liegen die Schwierigkeiten bei der Klägerin im auditiven Bereich. Sie könne ihre auditive Aufmerksamkeit schwer lenken bzw. über einen angemessenen Zeitraum aufrechterhalten. Infolge einer stark eingeschränkten Hörmerkspanne verstehe sie nur kurze Arbeitsaufträge im konkreten Handlungsrahmen. Dies bedeute, dass sie zur Aufnahme und Verarbeitung von Inhalten Unterstützung durch konkretes Material und Visualisierungsangebote benötige und die anderen Sinne und auch Bewegung zur Unterstützung und Kompensation ihrer auditiven Probleme einsetzen können müsse. Die systematische Arbeitsweise nach Montessori-Prinzipien und das strukturierte Montessori-Material seien für sie eine wichtige Hilfe im Lernprozess. In dem zugleich erstellten "Förderplan" wird eine weitere systematische Förderung nach Montessori-Prinzipien empfohlen. Das Angebot der Montessori-Therapie werde gezielt auf den Aufbau der auditiven Wahrnehmungsleistung abgestimmt. Die Fähigkeit zur auditiven Figur-Grund-Unterscheidung solle gefördert und die Fähigkeit zum auditiven Speichern und zur auditiven Analyse und Synthese ausgebaut werden. Die Selbstbildung durch Eigenaktivität mit intrinsischer Motivation werde ihr Vertrauen in ihre Stärken weiter fördern und ebenso ihre Bereitschaft, mit Schwierigkeiten und Fehlern gelassener umzugehen. Gezielte Übungen und Tätigkeiten in ganzheitlichen Arbeitsfeldern sollten ihre rezeptiven und expressiven sprachlichen Fähigkeiten (differenzierte Wahrnehmung, Grammatik, Wortwahl, Formulierung) verbessern und sie bei den schulischen Lerninhalten unterstützen. Gleichzeitig sei darauf zu achten, dass genügend Unterstützung angeboten werde, damit sekundär neurotischen Symptomen vorgebeugt werde. Somit werde es auch Aufgabe der Fördermaßnahme sein, die Klägerin mit Übungen aus dem Bereich von Entspannungstechniken, Atemtherapie und Visualisierungsübungen emotional zu stabilisieren, ihr Selbstwertgefühl weiter zu stärken, Versagensängsten vorzubeugen und ihr Techniken zum Abbau und zur Widerstandsfähigkeit gegen Stress beizubringen.

Nach der ärztlichen Beurteilung von Obermedizinalrat Dr. M. vom Gesundheitsamt des Beklagten vom 30. August 2005 liegt bei der Klägerin vor diesem Hintergrund eine nicht nur vorübergehende wesentliche (Sprach-)Behinderung i.S.d. § 53 Abs. 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. eine drohende wesentliche Behinderung i.S.d. § 53 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB XII vor. Aus medizinischer Sicht könnten keine Aussagen über den geeigneten Förderort gemacht werden; dies sei Aufgabe des Schulamtes. Sicher sei, dass die Klägerin eine entsprechende Förderung brauche, wie sie z.B. in einer Sprachheilschule gewährleistet sei. Mit entsprechenden Zusatzförderungen könne vermutlich auch eine Einschulung in eine Regelschule stattfinden.

Mit Bescheid vom 30. September 2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin weitere Leistungen der Eingliederungshilfe für die Zeit vom 19. September bis maximal 31. Dezember 2005 in Form der Übernahme der Kosten für eine Stunde Montessori-Einzeltherapie pro Woche. Generell handle es sich bei der Montessori-Therapie um eine pädagogische Maßnahme, die für Schulkinder nicht gewährt werden könne, weil der pädagogische Bereich durch die Schule abgedeckt werde. Aufgrund der speziellen Situation der Klägerin habe man sich aber entschieden, die Kosten für einen begrenzten Zeitraum weiter zu übernehmen, um ihr den Übergang in die Schule zu erleichtern. Eine Teilnahme der Montessori-Therapeutin am Unterricht sei nach Auskunft des Schulamtes nicht möglich.

Hiergegen legten die Eltern der Klägerin am 12. Oktober 2005 Widerspruch ein, soweit die Übernahme der Kosten für die Montessori-Therapie über den 31. Dezember 2005 hinaus abgelehnt wurde. Es werde akzeptiert, dass es nicht möglich sei, eine begleitende Hilfe durch die Montessori-Therapeutin im Schulunterricht zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2006 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für Schüler nur für begleitende Hilfen in Betracht komme. Pädagogische Maßnahmen im Sinne des Bildungsauftrags fielen in den Verantwortungsbereich der Schule.

Hiergegen hat die Klägerin am 15. Mai 2006 beim Sozialgericht Konstanz (SG) mit der Begründung Klage erhoben, dass die Montessori-Therapie weit über eine pädagogische Maßnahme hinausgehe und geeignet und erforderlich sei, die Folgen ihrer Behinderung zumindest zu mildern. In der ersten Jahreshälfte 2006 hätten 29 Sitzungen mit Gesamtkosten in Höhe von 1.181,50 Euro stattgefunden.

Seit dem 18. September 2006 besucht die Klägerin die in privater Trägerschaft stehende "Freie Schule Allgäu", bei der es sich ebenfalls um eine Regelschule handelt. Seit Februar 2007 erhält sie keine Montessori-Therapie mehr.

Das SG hat durch Einholung des Sachverständigengutachtens des Diplom-Psychologen Josef Br. vom Sozialpädiatrischen Zentrum der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Ulm Beweis erhoben. In seinem Gutachten vom 16. Juli 2008 hat er bei der Klägerin eine Störung der sprachbezogenen Funktionen festgestellt, wobei vor allem das Sprachverständnis, die auditive Merkfähigkeit, die auditiv-sequenzielle Verarbeitung, die phonologische Bewusstheit und das Leseverständnis betroffen seien. Trotz insgesamt unterdurchschnittlicher Leistungen bei der Kaufman-Assessment-Battery for Children sei seines Erachtens von einer normalen Intelligenz auszugehen, weil die Leistungen im Bereich des logischen Denkens im unteren Durchschnittsbereich lägen und sich Schwächen vor allem in den sprachbezogenen Aspekten (Sprachverständnis, sequenzielle Verarbeitung) zeigten. Beim Sprachverständnis seien Defizite sowohl hinsichtlich der sprachbezogenen Intelligenz als auch beim Textverständnis festzustellen. Die phonologische Bewusstheit, also die Fähigkeit zur Erfassung der Lautstruktur der Sprache, sei wiederum wesentliche Voraussetzung für den Erwerb des Lesens und Schreibens. Bei der auditiven Merkfähigkeit seien sowohl kurzfristige als auch längerfristige Gedächtnisleistungen erschwert. Schwächen zeigten sich auch im Bereich der expressiven Sprache mit Formulierungsschwierigkeiten und Wortfindungsproblemen sowie beim Satzbau. Aufgrund dieser Behinderungen sei davon auszugehen, dass sich Schwierigkeiten beim Erwerb des Lesens und Rechtschreibens zeigten, das längerfristige Speichern von auditiv wahrgenommenen Inhalten erschwert und insgesamt die sprachliche Kommunikation beeinträchtigt sei. Dadurch verlangsame sich auch das Lerntempo und es bedürfe gezielter Unterstützung, um diese Defizite im Hinblick auf das schulische Lernen auszugleichen. Vom Klassenlehrer der Freien Schule Allgäu sei berichtet worden, dass bei der Klägerin anfangs auditive Gedächtnisprobleme vorhanden gewesen und Leistungsprobleme in Deutsch und Mathematik aufgetreten seien; sie habe in beiden Fächern jedoch erhebliche Fortschritte gemacht und die Lücken geschlossen, so dass sie jetzt in allen Bereichen auf dem geforderten Stand sei. Sie benötige spezifische Formen des Lernens, um ihre Defizite kompensieren zu können. Der Sachverständige Br. führt die genannten Fortschritte darauf zurück, dass spezifische Fördermaßnahmen stattfänden, die Schule eine entsprechende Umgebung (fehlender Notendruck, Arbeiten mit Montessori-Material und nach Montessori-Prinzipien) biete, die Klägerin die zweite Klasse wiederhole und eine enge Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule stattfinde. Nach dem Eindruck ihrer Klassenlehrerin in der ersten Klasse sei die Montessori-Therapie ein wichtiger Baustein bei der Überwindung der Schwierigkeiten gewesen, die sich aus ihren erheblichen Problemen bei der rezeptiven und expressiven Sprache, bei der auditiven Wahrnehmung und beim auditiven Gedächtnis ergeben hätten. Durch die erschwerte verbale Kommunikation hätten sich auch immer wieder Frustrations- und Misserfolgserlebnisse mit der Gefahr des sozialen Rückzugs bzw. von Verhaltensauffälligkeiten ergeben. Der Klägerin sei es damals schwer gefallen, sich in den Klassenverband zu integrieren und sie habe auch der Unterstützung beim Aufbau eines angemessenen Lern- und Arbeitsverhaltens bedurft. Durch die Montessori-Therapie habe sie selbständig Bewältigungsstrategien für Problemsituationen im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe erworben. Zwischen der Schule und der Montessori-Therapeutin sei eine enge Kooperation erfolgt. Der Sachverständige Br. gelangt vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass ein Vergleich der Situation zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung mit der Zeit der ersten Klasse der Grundschule zeige, dass die Klägerin mittlerweile eine ausdauernde Arbeitshaltung, eine gute Konzentration und großes Durchhaltevermögen bei schwierigen Anforderungen zeige. Somit sei davon auszugehen, dass die Montessori-Therapie eine geeignete und erforderliche Maßnahme zu ihrer Unterstützung gewesen sei. Die Montessori-Therapie habe sich aus der Montessori-Pädagogik entwickelt und unterscheide sich von dieser z.B. darin, dass das Material angepasst, die Lernsituation stärker strukturiert und durch den Therapeuten gesteuert werde, um Veränderungsprozesse gezielt anzuregen. Ein weiteres wichtiges Element sei die Einbeziehung der Eltern in die Therapie sowie die gezielte Auswahl von Materialien, so dass ein Transfer in den Alltag erfolgen könne. Die Montessori-Therapie baue somit auf die Prinzipien der Montessori-Pädagogik auf, beziehe jedoch medizinische, psychologische und physiologische Aspekte mit ein, die im Zusammenhang mit Behinderung und Entwicklungsverzögerung von Bedeutung seien. Diese Differenzierung schlage sich auch in der Ausbildung nieder. Die Ausbildung zur Montessori-Therapeutin baue auf der Ausbildung zur Montessori-Pädagogin in einer zweijährigen berufsbegleitenden Fortbildung auf. Bei der Montessori-Therapie handle es sich um eine begleitende, nicht um eine pädagogische Hilfe.

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 21. Oktober 2008 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 Eingliederungshilfe für die durchgeführte Montessori-Therapie in Höhe von 590,75 Euro zu gewähren, die Klage im Übrigen abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Montessori-Therapie sei nicht als rein therapeutisch zu qualifizieren, weil sie in wesentlichem Umfang auch pädagogische Hilfe bei Leistungsproblemen erfasse. Allerdings gehe die Therapie auch weit über eine (sonder-)pädagogische Maßnahme hinaus, indem sie unter Einbeziehung medizinischer, psychologischer und physiologischer Aspekte der Behandlung der aus der Behinderung in Verbindung mit den schulischen Leistungsproblemen resultierenden psychischen Probleme der Klägerin im neuen Schulumfeld diene. Da keine der Komponenten der Maßnahmen einen vernachlässigbaren Umfang habe, werde der der Eingliederungshilfe unterfallende Anteil der Maßnahme in freier richterlicher Würdigung aller Umstände, wie es dem Verfahren des § 287 der Zivilprozessordnung entspreche, festgelegt und auf 50 Prozent geschätzt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. Dezember und dem Beklagten am 8. Dezember 2008 zugestellt.

Hiergegen haben der Beklagte am 30. Dezember 2008 und die Klägerin am 5. Januar 2009 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Die Klägerin hat zur Begründung angeführt, dass die Montessori-Therapie in Anbetracht ihrer hochgradigen Entwicklungsstörung mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen im Lernen und im Verhalten unerlässlich gewesen sei. Ohne die krankheitsbedingten Störungen im Lernen und im Verhalten hätten pädagogische Maßnahmen der Schulen ausgereicht; die krankheitsbedingten Störungen seien vielmehr ausschlaggebend für die Erforderlichkeit der Montessori-Therapie gewesen. Vor diesem Hintergrund könne es nicht rechtens sein, den Kostenaufwand in zwei Teile aufzuspalten. Für die vom SG vorgenommene Schätzung des Anteils der begleitenden und der pädagogischen Hilfe an der Montessori-Therapie fehlten gesicherte Anhaltspunkte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Kosten der im hier streitigen Zeitraum durchgeführten Montessori-Therapie von ihren Eltern beglichen worden sind.

Der Beklagte hat zur Begründung seiner Berufung eine Stellungnahme des Arztes für Öffentliches Gesundheitswesen/Sozialmedizin Dr. M. seines Gesundheitsamts vorgelegt, wonach der Einschätzung des Sachverständigen Br. nicht gefolgt werden könne. Die Begriffe der begleitenden und der pädagogischen Therapie fänden zur Differenzierung von integrativen Hilfen für Kinder mit Behinderung Anwendung, die Regelkindergärten oder Regelschulen besuchten. In diesem Zusammenhang bedeute begleitende Hilfe die Übernahme einfacher Assistenztätigkeiten durch Begleitpersonal, z.B. beim Toilettengang, beim An- und Ausziehen, bei Mahlzeiten oder auf dem Schulweg. Eine begleitende Hilfe könne nur in der Schule oder auf dem Schulweg stattfinden. Demgegenüber dienten pädagogische Maßnahmen dazu, dem Kind eine altersgemäße und zunehmend selbständige Teilnahme am Gruppengeschehen bzw. am Schulunterricht zu ermöglichen. Dieser Begriff sei deutlich weiter und erfasse nicht nur "Nachhilfeunterricht", sondern auch sämtliche Maßnahmen, die dem Kind helfen würden, am Gruppengeschehen bzw. am Schulunterricht teilzunehmen. Maßnahmen, die über diese (sonder-)pädagogischen Maßnahmen hinausgingen, z.B. psychotherapeutische oder verhaltenstherapeutische Maßnahmen, seien wiederum Maßnahmen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V); Kostenträger dieser Maßnahmen seien die Krankenkassen. Nach dieser Definition könne es sich bei der Montessori-Therapie nicht um eine begleitende Therapie bei integrativer Beschulung handeln, weil die Tätigkeit weder in der Schule noch auf dem Schulweg stattfinde und es sich nicht um eine Begleitung im engeren Sinne handle. Vielmehr liege eine (sonder-)pädagogische Maßnahme vor. Im Übrigen gebe es keinen fassbaren Unterschied zwischen Montessori-Pädagogik und Montessori-Therapie. Der Begriff "Therapie" sei nicht geschützt, sondern bedeute im weitesten Sinne Arbeiten mit Personen. Montessori-Pädagogik oder -Therapie sei ein Ansatz zur Förderung von Kindern mit oder ohne Behinderung, aber kein medizinisch-therapeutischer Ansatz. Soweit das SG unter pädagogischer Hilfe lediglich das Erlernen der schulischen Fähigkeiten subsumiere, sei dies unzureichend. Sonderpädagogische Maßnahmen seien deutlich umfassender. Gerade das individuelle Eingehen auf die Kinder mit ihren Stärken und Schwächen sei Ziel der sonderpädagogischen Maßnahmen. Auch die Bearbeitung von Problemen, die z.B. durch Überforderung oder Misserfolge in der Schule resultierten, gehörten zu einer sonderpädagogischen Förderung. Es sei nicht überzeugend, wenn der Sachverständige ausführe, dass sich die Montessori-Therapie durch die Übertragung der Ansätze der Montessori-Pädagogik auf behinderte und entwicklungsverzögerte Kinder auszeichne, weil Maria Montessori ihre Pädagogik gerade bei behinderten Kindern entwickelt habe. Montessori-Therapie sei kein anerkanntes Heilmittel im Sinne des SGB V, sondern eine pädagogische Methodik und Systematik, die auf alle Bereiche der Pädagogik Einfluss genommen habe. Im Übrigen müsse nach § 15 des Schulgesetzes in Verbindung mit der Verwaltungsvorschrift "Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf und Behinderung" die Schule die Klärung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und sonstiger sonderpädagogischer Hilfen über das Schulamt anfordern. Vom Schulamt werde mittels Gutachten dann der Hilfe- und Förderbedarf ermittelt und abgestimmt. Dies sei hier allerdings nicht erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Oktober 2008 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2006 zu verurteilen, ihr weitere Kosten für die bereits durchgeführte Montessori-Therapie in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2006 in Höhe von 590,75 Euro zu erstatten sowie die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Oktober 2008 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Br. zu der Frage eingeholt, ob die vorliegende Montessori-Therapie als (sonder-)pädagogische oder als begleitende therapeutische Hilfe einzustufen ist. In seiner Stellungnahme vom 25. April 2009 erläutert der Sachverständige, dass Maria Montessori zwar 1897 mit sogenannten "schwachsinnigen" Kindern an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Rom gearbeitet und aufgrund dieser Erfahrung ihre Pädagogik entwickelt habe. Man müsse jedoch davon ausgehen, dass diese Kinder unter extremen Deprivationsbedingungen gelebt hätten und somit Behinderung im damaligen Kontext nicht mit dem vergleichbar sei, was heute unter Behinderung verstanden werde. Im Übrigen sei dies nur der Anlass für die Entwicklung ihrer Pädagogik gewesen; ihr Ansatz habe sich danach im Bereich der Pädagogik des gesunden Kindes verbreitet. Die Entwicklung der Montessori-Therapie durch Prof. Dr. Hellbrügge und Prof. Dr. von Voss vom Kinderzentrum in München sei eine Weiterentwicklung der Methode von Maria Montessori; es habe sich gezeigt, dass ihr Konzept nicht einfach auf entwicklungsverzögerte und behinderte Kinder übertragbar sei. Deren Besonderheiten (etwa dauerhafte Einschränkungen in der Kommunikation oder andere Verhaltensweisen) müsse die Therapie Rechnung tragen, um etwas bewirken zu können. So werde z.B. die vorbereitete Umgebung ihren Möglichkeiten angepasst, indem die Materialien verändert würden. Das Kommunikationsverhalten der Therapeutin müsse sich an die Situation eines sprachbehinderten Kindes anpassen. Die therapeutische Situation müsse stärker strukturiert und das Kind müsse mehr gelenkt werden. Auch müsse die Therapeutin die Eltern im angemessenem Umgang mit dem Kind unterstützen. Es handle sich daher weder um eine pädagogische noch um eine sonderpädagogische, sondern um eine begleitende therapeutische Hilfe.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten selbständigen Berufungen der Klägerin und des Beklagten sind zulässig und auch im Übrigen kraft Gesetzes statthaft (§ 143 SGG), nachdem das SG die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen hat. An die Zulassung der Berufung ist das LSG gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist dahingehend abzuändern und neuzufassen, dass der Beklagte unter Abänderung seines Bescheides vom 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2006 zu verurteilen ist, der Klägerin die Kosten für die bereits durchgeführte Montessori-Therapie in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 in Höhe von 1.181,50 Euro zu erstatten. Die Berufung des Beklagten ist dagegen unbegründet. Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006, die aufgrund der zeitlichen Begrenzung im Verfahren vor dem SG allein Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, steht der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Montessori-Therapie zu. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten.

Nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Von einer Behinderung bedroht sind gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB II Personen, bei denen der Eintritt einer Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 53 Abs. 1 SGB XII setzt dabei keine förmliche Feststellung der Behinderteneigenschaft voraus, wobei aber einen Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen nur diejenigen behinderten Menschen haben, bei denen die Fähigkeit zur Teilhabe wesentlich beeinträchtigt ist. Bei Personen mit anderen Behinderungen liegt die Leistungsgewährung gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB XII im Ermessen des Sozialhilfeträgers (Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-3500 § 54 Nr. 1). Die Klägerin gehört nach den zwischen den Beteiligten unstrittigen Feststellungen des Gesundheitsamts des Beklagten vom 30. August 2005 aufgrund der bei ihr diagnostizierten ausgeprägten Sprachentwicklungsverzögerung, rezeptiv und expressiv (ICD 10 F 80.9) mit auditiver Gedächtnisschwäche zum Kreis der nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII leistungsberechtigten Personen. Diese Feststellung steht insoweit auch im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen Br., der in seinem Gutachten vom 16. Juli 2008 trotz Annahme einer normalen Intelligenz wegen der Störung der sprachbezogenen Funktionen von einer Behinderung ausgegangen ist, durch die die schulische Leistungsfähigkeit der Klägerin und ihre Teilnahme am Leben der Gemeinschaft jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt beeinträchtigt gewesen seien.

Welche Leistungen im Wege der Eingliederungshilfe zu erbringen sind, ist in § 54 SGB XII geregelt. Da es der Klägerin vorliegend nicht um eine Bewilligung als medizinische Maßnahme geht, kommt eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX nicht in Betracht; im Vordergrund steht hier auch kein unmittelbarer Krankheitsbezug, sondern die Verbesserung schulischer Fähigkeiten und die soziale Eingliederung (vgl. zur Abgrenzung zwischen medizinischen und nicht-medizinischen Maßnahmen etwa BSG SozR 4-2500 § 18 Nr. 1). Im Übrigen wäre dabei auch die Vorschrift des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu berücksichtigen, wonach die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen entsprechen; die Montessori-Therapie ist aber kein anerkanntes und verordnungsfähiges Heilmittel i.S.v. § 32 SGB V. Da sie nicht von ärztlichen Fachkräften erbracht wird, käme eine Verordnung als neues Heilmittel gemäß § 138 SGB V nur in Betracht, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt hätte. Das ist aber nicht der Fall. Eine Beiladung der Krankenkasse war damit nicht angezeigt. Schließlich würde eine Klassifizierung als Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge, dass eine Leistungserbringung als Heilmittel wegen § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch nicht im Rahmen der medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX) möglich ist, indes nicht bedeuten, dass eine Leistungserbringung nicht unter einer anderen Zielsetzung möglich ist. Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Rehabilitation erfolgt nämlich nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen; entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck. Leistungszwecke des SGB V bzw. der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation können sich überschneiden; insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII mit der Erleichterung des Schulbesuchs über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Ziele (BSG, FEVS 61, 433 Rdnr. 20 f. zur Petö-Therapie).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe für die durchgeführte Montessori-Therapie nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben dabei unberührt. Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne dieser Vorschrift umfasst nach § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglVO)) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl. I S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022, 3059) auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Der Begriff der heilpädagogischen und sonstigen Maßnahmen ist dabei weder im Gesetz noch in der EinglVO definiert. Nach dem vom Berufs- und Fachverband Heilpädagogik e.V. erarbeiteten Berufsbild der Heilpädagogin/des Heilpädagogen (www.heilpaedagogik.de/bhponline.de/html/ 1120-berufsbild.php) versteht sich Heilpädagogik inzwischen unzweifelhaft als integraler Teil der Pädagogik. Das Wort "Heil" ist in diesem Zusammenhang im Sinne von "ganzheitlich" zu verstehen, um das heilpädagogische Menschenbild und seine umfassende Sichtweise auf den Menschen mit Behinderungen zu verdeutlichen. Heilpädagogisches Handeln findet danach in Einzel- und Gruppenarbeit statt. Zu den methodischen Elementen heilpädagogischen Handelns gehören u.a. die Wahrnehmungsförderung (und sensorisch-integrative Förderung), basalpädagogische Aktivierung/Förderpflege, Spielförderung/heilpädagogische Spieltherapie, heilpädagogische Übungsbehandlung, Verhaltensmodifikation, Psychomotorik, Rhythmik, Werken, Gestalten, Musizieren, heilpädagogisches Reiten und Voltigieren, Sprach- und Kommunikationsförderung und andere Methoden, für die z.T. zusätzliche Qualifikationen erforderlich sind. Als "sonstige Maßnahmen" kommen nach der Rechtsprechung im Übrigen alle Maßnahmen in Betracht, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG SozR 4-3500 § 54 Nr. 1 zur Übernahme von Kosten für die Einnahme eines gemeinsamen Mittagessens als gemeinschaftsfördernde erzieherische Maßnahme in einer Schule für Sprachbehinderte; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 8 zu der Übernahme notwendiger Beförderungskosten (Taxikosten) zum Besuch einer Sonderschule; BVerwG, Beschluss vom 2. September 2003 - 5 B 259/02 - zur Kostenübernahme für einen schulbegleitenden Integrationshelfer; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG), SAR 2004, 98 zur Autismustherapie; Niedersächsisches OVG, NDV-RD 2003, 81 und Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden Württemberg, FEVS 41, 119 jeweils zur Betreuung in einer Internatsschule im Ausland). Bei der Beurteilung der Eignung der heilpädagogischen Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 12 Nr. 1 EinglVO besteht dabei keine Bindung an den Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis (BVerwG, NVwZ-RR 2003, 43 zur Petö-Methode; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 54 Rdnr. 43; Bieritz-Harder in LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 54 Rdnr. 51; U. Mayer in Oestreicher, SGB II/SGB XII, 59. Ergänzungslieferung, § 54 Rdnr. 103). An diesem individuellen Prüfungsmaßstab hat sich auch mit den Neuregelungen des Rehabilitations- und Teilhaberechts nach dem Inkrafttreten des SGB IX nichts geändert; nach wie vor knüpft die Möglichkeit einer Förderung auch an die (individuell zu bestimmende) "Aussicht" auf Erfolg an (BSG, FEVS 61, 433 Rdnr. 22 zur Petö-Therapie).

Nach diesen Maßgaben war die von der Klägerin durchgeführte Montessori-Therapie zur Überzeugung des Senats als heilpädagogische oder sonstige Maßnahme geeignet und erforderlich, ihr den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. So hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Einschulung nach den im Gutachten des Sachverständigen Br. wiedergegebenen Äußerungen ihrer damaligen Klassenlehrerin immer noch erhebliche Probleme bei der rezeptiven und expressiven Sprache, bei der auditiven Wahrnehmung und beim auditiven Gedächtnis. Es sei ihr schwer gefallen, sich in den Klassenverband zu integrieren und sie habe auch der Unterstützung beim Aufbau eines angemessenen Lern- und Arbeitsverhaltens bedurft. Nach dem Abschlussbericht und dem "Förderplan" der damaligen Montessori-Therapeutin vom 4. August 2005 benötigte die Klägerin zur Aufnahme und Verarbeitung von Inhalten aufgrund ihrer stark eingeschränkten Hörmerkspanne Unterstützung durch konkretes Material und Visualisierungsangebote. Die systematische Arbeitsweise nach Montessori-Prinzipien und das strukturierte Montessori-Material seien für sie eine wichtige Hilfe im Lernprozess. Die Selbstbildung durch Eigenaktivität mit intrinsischer Motivation fördere ihr Vertrauen in ihre Stärken und ebenso ihre Bereitschaft, mit Schwierigkeiten und Fehlern gelassener umzugehen. Gezielte Übungen und Tätigkeiten in ganzheitlichen Arbeitsfeldern sollten ihre rezeptiven und expressiven sprachlichen Fähigkeiten verbessern und sie bei den schulischen Lerninhalten unterstützen. Nach den weiteren Feststellungen des Sachverständigen Br. hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens bereits eine ausdauernde Arbeitshaltung, eine gute Konzentration und großes Durchhaltevermögen bei schwierigen Anforderungen gezeigt. Die Montessori-Therapie war dabei nach Einschätzung ihrer damaligen Klassenlehrerin ein wichtiger Baustein zur Überwindung dieser Schwierigkeiten gewesen. Vor diesem Hintergrund gelangt der Sachverständige Br. nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Montessori-Therapie geeignet und erforderlich war, um der Klägerin einen erfolgreichen Besuch der Regelschule zu ermöglichen. Letztlich hat auch der Beklagte, der der Klägerin bis zum 31. Dezember 2005 noch Leistungen für die Durchführung der Montessori-Therapie bewilligt hat, zum Ausdruck gebracht, dass er diese zur Erleichterung des Schulbeginns für sinnvoll erachtet, obwohl er grundsätzlich von einer Zuständigkeit der Schule ausgeht.

Der Erstattung der Kosten für die Montessori-Therapie steht vorliegend auch nicht der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII entgegen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Dies gilt auch für die Hilfe zur angemessenen Schulbildung (VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; Bayerischer VGH, FEVS 53, 361; LSG Niedersachsen-Bremen, NVwZ-RR 2007, 538; Schleswig-Holsteinisches LSG, FEVS 60, 567). Zwar ist die pädagogische Förderung der Schüler in erster Linie Aufgabe der Schule; damit sind jedoch ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe nicht vollständig ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Gemäß § 1 Abs. 2 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (SchulG) hat die Schule den in der Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen. Die Grundschule ist dabei die gemeinsame Grundstufe des Schulwesens (§ 5 Abs. 1 SchulG), die alle schulpflichtigen Kinder zu besuchen verpflichtet sind (§ 73 Abs. 1 SchulG). Hiervon abweichend dient die Sonderschule der Erziehung und Ausbildung von Kindern, die schulfähig sind, aber infolge körperlicher, geistiger oder seelischer Besonderheiten in den allgemeinen Schulen (wie der Grundschule) nicht die ihnen zukommende Erziehung und Ausbildung erfahren können; sie gliedert sich in Schulen oder Klassen, die der besonderen Förderungsbedürftigkeit des Schülers entsprechen und nach sonderpädagogischen Grundsätzen arbeiten (§ 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 Halbsatz 1 SchulG). Eine Sonderschule hat demgemäß nach ihrer persönlichen und sachlichen Ausstattung und nach ihrer pädagogischen Ausrichtung der Eigenart ihrer jeweiligen Schüler Rechnung zu tragen. Nach dem mit Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1997 (GBl. S. 535) eingefügten § 15 Abs. 4 SchulG ist die Förderung behinderter Schüler auch Aufgabe in den anderen Schularten (Satz 1). Behinderte Schüler werden in allgemeinen Schulen unterrichtet, wenn sie aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können (a.a.O. Satz 2). Die allgemeinen Schulen werden hierbei von den Sonderschulen unterstützt (a.a.O. Satz 3). In der Verwaltungsvorschrift "Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf" vom 8. März 1999 (K.u.U. 1999, 45) in der hier maßgeblichen Fassung ist ausgeführt, dass es Aufgabe der allgemeinen Schule ist, auf individuelle Lernerfahrungen und Lernvoraussetzungen der Schüler mit differenzierten Lernangeboten einzugehen; hierzu gehört auch die Förderung behinderter Schüler (Nr. 2 Abs. 1 Satz 1). Für Kinder, die Anhaltspunkte für einen besonderen Förderbedarf aufweisen, ist danach ein gestuftes pädagogisches Verfahren notwendig, das mit der Erstellung eines Profils des individuellen Förderbedarfs beginnt. Soweit sich Maßnahmen als notwendig erweisen, die von der einzelnen Schule nicht leistbar sind, werden im Zusammenwirken von Schule und Eltern weitere schulische und außerschulische Einrichtungen, insbesondere der Schulträger, der zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe oder das Staatliche Schulamt bzw. Oberschulamt einbezogen (Nr. 2 Abs. 3). Ähnliche Regelungen enthält die Verwaltungsvorschrift auch in der Fassung vom 22. August 2008 (K.u.U. 2008, 149, ber. 179). Die pädagogische Arbeit im Zusammenhang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule wird dabei durch das Lehrpersonal gesichert, das - zumindest an öffentlichen Schulen - im Dienst des Landes Baden-Württemberg steht (vgl. § 38 Abs. 1 SchulG).

Vor diesem Hintergrund können Gegenstand der Eingliederungshilfe wegen des Nachrangs der Sozialhilfe solche Maßnahmen nicht sein, die Aufgabe der Schule und der in ihr tätigen Lehrer sind. Eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Übernahme von Kosten ist daher für Maßnahmen ausgeschlossen, die zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit des Lehrers gehören. Denn es kann grundsätzlich nicht Sache des Sozialhilfeträgers sein, das für die sonderpädagogische Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche fachlich qualifizierte Personal zu stellen bzw. die Kosten hierfür zu tragen (VGH Baden-Württemberg, FEVS 48, 228 bezüglich der Kosten für eine zur Unterstützung eines behinderten Kindes im Unterricht engagierte Kraft, deren Aufgabe im Wesentlichen in der Hilfestellung beim Aufgabenlösen, der Aufmunterung zum Weiterarbeiten und der Überwachung der Aufgabenlösung bestand). Für Hilfen außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit kann dagegen - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ergibt - ein ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen; Leistungen der Eingliederungshilfe sind insoweit nach der Rechtsprechung des Senats nicht vollständig ausgeschlossen (Urteil vom 19. Dezember 2006, NVwZ-RR 2008, 38; Beschluss vom 9. Januar 2007, FEVS 58, 285). Dies gilt etwa für die Fälle so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen und einer ständigen Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbstgefährdung und der Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen bedürfen (vgl. z.B. BVerwG, FEVS 36, 1; OVG Rheinland-Pfalz, ZfSH/SGB 2003, 614; U. Mayer, a.a.O. Rdnr. 100). Daran hat sich auch durch die oben dargestellten Änderungen des Schulrechts im Zusammenhang mit der zunehmenden integrativen Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher nichts geändert. So geht auch die Verwaltungsvorschrift "Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf" von einem eventuellen Bedarf an Maßnahmen durch außerschulische Leistungs- und Kostenträger aus.

Die Erstattung der Kosten für die hier streitige Montessori-Therapie ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht bereits deshalb durch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe ausgeschlossen, weil diese auch pädagogische Elemente enthält. Dies ergibt sich daraus, dass § 12 Nr. 1 EinglVO ausdrücklich auch heilpädagogische Maßnahmen als Form der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung i.S.v. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII aufführt, die schon begrifflich (s.o.) dem Bereich der Pädagogik zuzurechnen sind. Maßgebend ist nach den oben dargelegten Grundsätzen vielmehr, dass die Montessori-Therapie vorliegend nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit des Lehrers im Sinne des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule zuzuordnen ist, sondern sich in der Gesamtschau als flankierende Maßnahme darstellt. Nach den vorliegenden Informationen des Montessori-Berufsverbands ist Aufgabe der Montessori-Therapie die Förderung der Gesamtentwicklung durch Anregung von sensomotorischen, kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklungsprozessen. Durch den ganzheitlichen Förderansatz soll der Vernetzung von motorischem, sensorischem, sozial-emotionalem und kognitivem Lernen Rechnung getragen werden. Im vorliegenden Fall wurde die Montessori-Therapie nach dem "Förderplan" der Montessori-Therapeutin Au. gezielt auf den Aufbau der auditiven Wahrnehmungsleistung abgestimmt. Die Fähigkeit zur auditiven Figur-Grund-Unterscheidung solle gefördert und die Fähigkeiten zum auditiven Speichern und zur auditiven Analyse und Synthese ausgebaut werden. Das Lernen finde über den Einsatz von Bewegung und allen Sinnen statt. Die Selbstbildung durch Eigenaktivität mit intrinsischer Motivation werde das Vertrauen der Klägerin in ihre Stärken weiter fördern und ebenso ihre Bereitschaft, mit Schwierigkeiten und Fehlern gelassener umzugehen. Gezielte Übungen und Tätigkeiten in ganzheitlichen Arbeitsfeldern sollten ihre rezeptiven und expressiven sprachlichen Fähigkeiten (differenzierte Wahrnehmung, Grammatik, Wortwahl, Formulierung) verbessern und sie bei den schulischen Lerninhalten unterstützen. Unmittelbares Ziel der Montessori-Therapie ist damit nicht die konkrete Vermittlung von Wissen und bestimmter Fähigkeiten im Sinne des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule gewesen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer zuzuordnen ist, sondern die Förderung der Gesamtentwicklung mit dem Ziel, die Klägerin an ein selbständiges Lernen heranzuführen. Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der Einschätzung des Sachverständigen Br., dass es sich bei der Montessori-Therapie um eine begleitende und nicht um eine (sonder-)pädagogische Maßnahme handelt (so auch Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil vom 16. März 2007 - B 5 K 06.69 - (juris)).

Der Beklagte kann dem auch nicht entgegenhalten, dass die Klägerin eine andere Art von (Sonder-)Schule - hier z.B. eine Sprachheilschule - besuchen könne, um so die Gewährung von Eingliederungshilfe überflüssig zu machen. Die Entscheidung darüber, ob ein schulpflichtiges Kind eine Sonderschule (und gegebenenfalls welche Art von Sonderschule) besucht (besuchen muss), obliegt der Schulaufsichtsbehörde (vgl. § 82 Abs. 2 SchulG). Solange die zuständige Schulbehörde der Meinung ist, ein schulpflichtiger Hilfesuchender sei geeignet, eine bestimmte Art von Schule zu besuchen, muss dies der Träger der Sozialhilfe hinnehmen (vgl. hierzu grundlegend zum insoweit inhaltsgleichen früheren Recht des Bundessozialhilfegesetzes BVerwG, FEVS 36, 1; VGH Baden-Württemberg, FEVS 48, 228; Niedersächsisches OVG, FEVS 38, 459; OVG Nordrhein-Westfalen, FEVS 47, 153; Sächsisches LSG, Beschluss vom 3. Juni 2010 - L 7 SO 19/09 B ER - (juris)). Dies gilt auch dann, wenn der Besuch einer integrativ unterrichtenden Grundschule durch die zuständige Schulbehörde lediglich als eine mögliche Form der Beschulung eröffnet worden ist (BVerwGE 130, 1). Der Beklagte hat daher seinen Hilfeumfang an dem Besuch einer (Regel-)Grundschule zu orientieren.

Der Gewährung von Eingliederungshilfe für die hier von den Eltern bereits bezahlten Kosten der Montessori-Therapie steht schließlich nicht entgegen, dass für die Eingliederungshilfe - wie für jede Sozialhilfe - gilt, dass sie nach Wesen, Sinn und Zweck Hilfe in gegenwärtiger Not darstellt und nach Wegfall der Notlage grundsätzlich ausgeschlossen ist; im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes ist davon allerdings eine Ausnahme zu machen, wenn - wie hier - Angehörige den Bedarf während der Verweigerung von Sozialhilfe tatsächlich gedeckt haben (vgl. BVerwGE 96, 152; Bayerisches LSG, FEVS 53, 361). Auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern kommt es bei der Hilfe zur angemessenen Schulbildung wegen § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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