L 4 KR 873/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 5799/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 873/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf Versorgung mit einer Wadenersatzprothese.

Die am 1987 geborene Klägerin, bei der Beklagten krankenversichert, erlitt im Kleinkindalter einen Verkehrsunfall, der eine Reamputation des linken Unterschenkels erforderlich machte. Nach einer Reimplantation besteht ein Zustand nach Amputationsverletzung mit einer knienahen Weichteilatrophie des linken Beines.

Die Klägerin stellte sich am 14. Dezember 2006 in der orthopädischen und unfallchirurgischen Ambulanz des O.-hospitals S. vor. Ärztlicher Direktor Prof. Dr. W. stellte unter diesem Datum die Verordnung eines kosmetischen Wadenersatzes aus. Im Arztbrief vom 20. Dezember 2006 sind als Diagnosen genannt: "Zustand nach Amputationsverletzung linkes Bein im Alter von eineinhalb Jahren nach Verkehrsunfall, Zustand nach neurogener Klumpfußdeformität links, Zustand nach Epiphyseodese, Genu Valgum links sowie Beinlängendifferenz zuungunsten von rechts von 1,5 cm." Es träten Schmerzen im oberen Sprunggelenk auf, eine Unterschenkelorthese werde nicht mehr getragen. Die hypotrophe Wade werde störend empfunden, insbesondere könnten höhere Stiefel nicht getragen werden und auch ein Tragen von Röcken sei nicht möglich. Die Verordnung werde ausgestellt, da die Klägerin unter der Wadenkontur sehr leide, sodass dies sowohl zur Erleichterung des Tragens von hohem Schuhwerk als auch zur Verbesserung der Kosmetik für erforderlich gehalten werde. Bezüglich des Sprunggelenks werde eine Orthesenversorgung erneut erforderlich, sollte es zur Zunahme der Schmerzsymptomatik oder zu Instabilitäten kommen. Gegenwärtig werde dies aber nicht gewünscht. Die Klägerin legte der Beklagten am 13. März 2007 eine mehrseitige Fotodokumentation sowie den Kostenvoranschlag des Orthopädie-Schuhmachermeisters Ulmer, Sindelfingen, vom 09. März 2007 vor, der einschließlich Mehrwertsteuer eine Summe von EUR 8.158,16 nannte.

Durch Bescheid vom 21. März 2007 lehnte die Beklagte nach gutachterlicher Stellungnahme des Dr. St., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg, vom selben Tag eine Kostenübernahme ab. Es handle sich nicht um ein Hilfsmittel, das eine Behinderung ausgleiche, sondern der Wadenersatz diene zu rein kosmetischen Zwecken und könne aus medizinischer Sicht nicht bezuschusst werden.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie halte die Versorgung im Sinne von § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für erforderlich. Sie verfüge nicht über einen Fußheber, weshalb sie eine Stütze benötige, die Stabilität verleihe. Dies könne mit der Orthesen- (gemeint: Prothesen-) versorgung geschehen. Auch könne sie den linken Fuß mangels hinreichender Stabilität nicht zielgenau absetzen, sodass die Gefahr des Stolperns, Umknickens oder Stürzens bestehe. Ein etwaiger Bänderriss wäre nicht reparabel. Auch wegen Durchblutungsstörungen sei die Sensibilität im Fuß gestört, sodass sie den Fuß kaum noch als Bestandteil ihres Körpers empfinde. Die begehrte Versorgung hätte demgemäß auch die Funktion eines Wärmespeichers und sei daher medizinisch angezeigt. Allein Krankengymnastik habe seit längerem zu keiner wesentlichen Besserung der Situation geführt.

Die Beklagte holte das sozialmedizinische Gutachten nach Aktenlage des Dr. S. vom MDK Baden-Württemberg in Stuttgart vom 25. April 2007 ein. Mit der beantragten Silikon-Prothese werde eine reine Angleichung der Beinkontur links an normale Verhältnisse verfolgt. Die im Widerspruchsschreiben beschriebenen funktionellen Vorteile ließen sich jedoch konstruktiv und materialbedingt nicht bestätigen. Ein medizinisches Erfordernis bestehe nicht, insbesondere werde der Achsverlauf des linken Beines nicht verbessert. Die Fehlbelastung des oberen Sprunggelenks und hieraus resultierende Gelenkveränderungen erführen keine therapeutische Beeinflussung. Auch die Durchblutung bleibe von der Prothese unberührt, diese könne bei warmen Temperaturen eher als unangenehm und schweißbildend empfunden werden. Schließlich vermöge sich die Prothese Bewegungen des Kniegelenks nur begrenzt anzupassen. Nach alledem seien die Voraussetzungen des § 33 SGB V nicht zu bestätigen.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten bezog sich zur Begründung des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2007 auf das Gutachten Dr. S. und verblieb dabei, Hilfsmittel, die aus kosmetischen Erwägungen zum Einsatz gelangen sollten, könnten keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellen.

Mit der am 26. Juli 2007 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage nahm die Klägerin auf die Begründung des Widerspruchs Bezug und machte ergänzend geltend, die Motivation zur Versorgung dürfe nicht ausschließlich im psychosozialen Bereich angesiedelt werden. Das Fehlen eines Hilfsmittels im Hilfsmittelverzeichnis dürfe im Fall der Erforderlichkeit der Leistung nicht entgegenstehen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und wandte ein, die Versorgung mit einem Wadenersatz sei hier nicht erforderlich. Dies habe Dr. S. im Gutachten vom 25. April 2007 eingehend dargelegt. Funktionelle Vorteile ließen sich nicht bestätigen. Im Übrigen sei die Klägerin bereits mit einer Unterschenkelorthese versorgt gewesen, die sie nach ihren Angaben vom 20. Dezember 2006 nicht mehr getragen habe. Im Vordergrund stehe jetzt offenbar der Wunsch nach optischer Veränderung und optischer Hilfe. Die Beklagte legte das weitere sozialmedizinische Gutachten des Dr. S. vom MDK vom 27. September 2007 vor, in welchem er seine früheren Darlegungen im wesentlichen wiederholte.

Das SG holte die schriftliche Zeugenaussage mit gutachterlicher Äußerung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. W. vom 27. August 2007 ein. Er gab die seit 1992 durchgeführten Behandlungen an und legte dar, die Klägerin leide unter der optischen Veränderung der bestehenden ausgeprägten Wadenhypotrophie, sodass sie keine Röcke tragen und keine Stiefel anziehen wolle. Deshalb habe er eine Verordnung für gerechtfertigt gehalten. Auch wenn die Klägerin jetzt ohne Orthesen auskomme, bleibe eine Instabilität im Knie- und Sprunggelenk bestehen, sodass zukünftig wieder auf Orthesen zurückgegriffen werden müsste. Der Silikon-Wadenersatz verbessere zwar nicht die Funktion, jedoch die Kosmetik und damit die Akzeptanz des schwer veränderten Beines im täglichen Leben. Es sei ein sehr wichtiges Element im Alltag. Ein wesentlich sicherer Auftritt in der Öffentlichkeit werde ermöglicht und damit auch das Selbstbewusstsein der Klägerin gesteigert.

Durch Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2009 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, das begehrte Hilfsmittel bringe keinen funktionellen Vorteil am Funktionssystem "linkes Bein". Die Mobilität der Klägerin werde durch die künstliche Wade nicht verbessert. Dies hätten sowohl Dr. S. vom MDK als auch Prof. Dr. W. in dessen Aussage vom 27. August 2007 so dargelegt. Die von Prof. Dr. W. in den Vordergrund gerückten kosmetischen Gesichtspunkte unterfielen nicht dem Versorgungsanspruch, da das entsprechende Bedürfnis kein elementares Grundbedürfnis des täglichen Lebens darstelle.

Gegen den am 26. Januar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. Februar 2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, Prof. Dr. W. habe die Einschätzung in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 27. August 2007 offenbar nicht aus eigener Anschauung abgegeben. Beim ersten Kontakt am 28. September 2008 habe Prof. Dr. W. eine gegensätzliche Einschätzung abgegeben und nunmehr in der (vorgelegten) Verordnung vom 29. September 2008 eine psychisch beeinträchtigende schwere narbige Entstellung angegeben. Auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei hinzuweisen, dass ein totaler Haarverlust bei einer Frau eine Behinderung darstelle. Auch Krankheiten und Verletzungen mit entstellender Wirkung seien einer körperlichen Funktionsbeeinträchtigung gleichzustellen. Der hier streitige Zustand mache es unmöglich, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen. Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sei dadurch beeinträchtigt. Die Verletzung wirke entstellend, insbesondere wenn in den Sommermonaten das Tragen von Röcken und kurzen Hosen unmöglich gemacht werde.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Januar 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2007 zu verurteilen, sie mit einer Wadenersatzprothese zu versorgen, hilfsweise ein Gutachten nach § 106 Sozialgerichtsgesetz einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, die Kompensation einer bestehenden Behinderung sei durch die begehrte Leistung nicht möglich. Ein funktioneller Vorteil sei nicht nachgewiesen. Es sei dabei zu verbleiben, dass die ganz im Vordergrund stehenden kosmetischen Gesichtspunkte nicht dem Versorgungsanspruch unterfielen.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin kann in der Sache keinen Erfolg haben. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 20. Januar 2009 ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid vom 21. März 2007 (Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2007) die Versorgung der Klägerin mit einer Wadenersatzprothese zu Recht abgelehnt.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG -) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V (Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen) ausgeschlossen sind. Vorliegend kommt allein in Betracht, dass die Klägerin Anspruch auf Ausgleich einer bestehenden Behinderung geltend macht.

Für den Begriff der Behinderung im Sinne von § 33 Abs.1 Satz 1 SGB V kann die allgemein geltende Definition des Begriffs der Behinderung in § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) übernommen werden (vgl. etwa BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 45). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (Satz 1). Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (Satz 2).

Der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl. jetzt auch § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) eines von der gesetzlichen Krankenversicherung zu leistenden Hilfsmittels hat zweierlei Bedeutung: Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen (so genannter mittelbarer Behinderungsausgleich). In diesem Rahmen ist die GKV allerdings nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung eintrittspflichtig. Es geht dabei nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R - in juris).

Die begehrte Wadenersatzprothese dient nicht dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, weil eine körperliche Funktion der Klägerin von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Klägerin deswegen in der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Dies steht fest aufgrund der im Verfahren getätigten Ermittlungen. Bereits Dr. S. vom MDK hat im Gutachten vom 25. April 2007 schlüssig dargelegt, mit der beantragten Wadenersatzprothese werde schlicht eine - optische - Angleichung der Beinkontur an normale Verhältnisse verfolgt. Funktionelle Vorteile dahingehend, dass die Gefahr des Stolperns, Umknickens oder Stürzens merklich verringert würde, ließen sich konstruktiv und materialbedingt nicht bestätigen. Ebenso wenig wird hiernach der Achsverlauf des Beines verbessert. Auf die Fehlbelastung des oberen Sprunggelenks und hieraus drohende Gelenkveränderungen hat die Wadenersatzprothese keine therapeutische Beeinflussung. Ebenso wenig wird die Durchblutung merklich verbessert. Hiervon ist Dr. S. auch im weiteren Gutachten vom 27. September 2007 nicht abgewichen.

Ärztlicher Direktor Prof. Dr. W. vom O.-hospital S. ist in der vom SG eingeholten schriftlichen Zeugenaussage vom 27. August 2007 hiervon nicht abgewichen. Er räumt ein, dass die Wadenersatzprothese die Funktion nicht verbessere, jedoch die Kosmetik und damit die Akzeptanz des Beines im täglichen Leben. In der weiteren im Berufungsverfahren vorgelegten Verordnung vom 29. September 2008 weist Prof. Dr. W. nochmals auf eine - möglicherweise - psychisch beeinträchtigende schwere narbige Entstellung durch die Verletzung des linken Beines hin. Damit ist erneut bestätigt, dass eine mechanisch-funktionale Verbesserung der Situation durch das begehrte Hilfsmittel nicht nachweislich erreichbar werden kann.

Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (vgl. BSG a.a.O.). Die Klägerin vermag ihren Anspruch deshalb nicht aus den von ihr und den gehörten Ärzten - wie dargelegt - beschriebenen und in den Vordergrund gerückten optischen Entstellungen zu begründen. Der Vergleich mit einer bei totalem Haarverlust zuzubilligenden Perücke (vgl. nochmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 45 mit Hinweis auf ältere Rechtsprechung) kann nicht durchgreifen. Die günstigere Entscheidung dieser Fälle wird davon geleitet, dass es einer Frau erschwert oder unmöglich gemacht wird, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen, da eine kahlköpfige Frau naturgemäß ständig alle Blicke auf sich ziehe und zum Objekt der Neugier werde. Dies habe in aller Regel zur Folge, dass sich die Betroffene aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehe und zu vereinsamen drohe; die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sei damit beeinträchtigt.

Mit diesen massiven Beeinträchtigungen kann der bei der Klägerin - auch durch die in den Kassenakten vorhandenen Fotografien - nicht verglichen werden. Dies würde bedeuten, dass die Krankenkasse jedenfalls bei jüngeren Frauen zu optimaler Leistung verpflichtet wäre, um Narben oder sonstige Verunstaltungen an sichtbaren Körperstellen zu beseitigen. Auf eine Optimalversorgung besteht jedoch kein Anspruch (z.B. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 3 KR 5/09 R - in juris). Dies ist, wie die Beklagte unter Hinweis auf die ärztlichen Darlegungen zu Recht einwendet, ein rein kosmetischer Gesichtspunkt. Die Klägerin vermag allein geltend zu machen, sie könne in der warmen Jahreszeit schwerlich kurze Röcke oder Hosen tragen, ohne dass die Verunstaltung an Knie und Bein sichtbar werde. Dies ist nicht wie im Fall der Kahlköpfigkeit ein Schaden, der "alle Blicke auf sich zieht" und die Betroffene zum Objekt der Neugier machen würde. Rückzug aus dem Leben in der Gemeinschaft und Vereinsamung drohen nicht ernstlich; die optische Beeinträchtigung kann hier sogar durch das Tragen geeigneter Kleidung unsichtbar gemacht werden. Letzteres ist nicht unzumutbar. Die Krankenkasse braucht nach den dargelegten Grundsätzen nicht dafür einzustehen, narbige Entstellungen an Körperstellen, die zwanglos mit Kleidung bedeckt werden können, unsichtbar zu machen. Auch Krankenbehandlung wegen Entstellung können Versicherte nur beanspruchen, wenn sie objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leiden, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 14).

Schließlich rechtfertigt eine psychische Belastung des Klägerin wegen der optischen Situation des linken Beins das begehrte Hilfsmittel nicht. Denn die Krankenkassen sind weder nach dem SGB V noch von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Bei einer psychischen Erkrankungen können zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung die entsprechenden Behandlungen mit Mitteln der Psychiatrie beansprucht werden (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 14).

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund anderer Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Anspruch auf die begehrte Versorgung mit einer Wadenersatzprothese hat, gibt es nicht. Zu denken wäre allenfalls an Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 5 Nr. 4 SGB IX). Zuständig für die Gewährung dieser Leistungen sind unabhängig davon, ob die Beklagte dies hätte prüfen müssen, weil sie den Antrag nicht weitergeleitet hat (§ 14 SGB IX) - nach § 6 Nrn. 3, 5, 6 und 7 SGB IX nur die Rehabilitationsträger der gesetzlichen Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge, der öffentlichen Jugendhilfe und der Sozialhilfe. Diese können für die begehrte Versorgung mit einer Wadenersatzprothese nicht zuständig sein, da die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht dieser Träger nicht gegeben sind, weil es an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für Leistungen aus diesen Bereichen der sozialen Sicherung erfüllt.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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