L 4 R 3083/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 9716/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3083/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. April 2008 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. August 2005 bis 31. Juli 2010.

Der am 1962 geborene Kläger zog am 17. September 1989 aus Slowenien in die Bundesrepublik Deutschland zu. Seinen Angaben nach schloss er in Slowenien eine Lehre als Karosseriebauer ab. Er war hier vom 19. September 1989 bis 30. September 2004 als Arbeiter im Karosseriebau bei der Firma R. K. Sonderfahrzeugbau - unterbrochen durch Zeiten des Bezugs von Sozialleistungen - versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 04. Oktober 2004 bis 28. Februar 2005 befand sich der Kläger in einer versicherungspflichtigen abgebrochenen Umschulung. Anschließend bezog er vom 01. bis 28. März 2005 Krankengeld und vom 29. März bis 01. September 2005 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Ab 22. Juli 2005 war der Kläger erneut arbeitsunfähig und bezog ab 02. September 2005 wieder Krankengeld. Vom 24. November bis 15. Dezember 2005 bezog der Kläger Übergangsgeld, vom 16. Dezember 2005 bis 07. Dezember 2006 wieder Krankengeld sowie vom 08. Dezember 2006 bis 06. Dezember 2007 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Seit 07. Dezember 2007 bezieht er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger befand sich vom 17. bis 22. Juni 2005 und vom 29. Juli bis 11. August 2005 in stationärer Behandlung wegen einer hydropisch dekompensierten Leberzirrhose Child B äthyltoxischer Genese (Berichte des Prof. Dr. A., Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin des Krankenhauses B. C., vom 22. Juni und 11. August 2005). Er beantragte am 09. September 2005 zunächst die Gewährung medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen durch die Beklagte, die dies ablehnte. Dr. H., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK), führte in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 17. Oktober 2005 aus, der Kläger leide unter Schwäche und starker Gewichtsabnahme bei äthyltoxischer Leberzirrhose, Ende Juli 2005 hydropisch dekompensiert. Bei starkem Abbau sei nicht absehbar, wann der Kläger auch nur für leichte Tätigkeiten Leistung erbringen könne. Auf Widerspruch des Klägers hin untersuchte ihn Internistin und Sozialmedizinerin Dr. H.-Z. vom Service im Zentrum (Sozialmedizin Stuttgart) der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg am 26. Oktober 2005 und erstattete das Gutachten vom 27. Oktober 2005. Sie diagnostizierte eine alkoholtoxische Leberzirrhose mit portaler Hypertension und hydropischer Dekompensation im Juni und Juli 2005 sowie posttraumatische Sprunggelenksarthrose links nach trimalleolärer Fraktur im April 2003. Eine endgültige Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit gab sie nicht ab. Sie sah die Erwerbsfähigkeit indes erheblich gefährdet.

Diese Feststellung führte zur Bewilligung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme durch die Beklagte, an der der Kläger vom 24. November bis 15. Dezember 2005 in der Rehaklinik O. d. T. in B. M. teilnahm. Im dortigen Entlassungsbericht vom 28. Dezember 2005 bestätigte Prof. Dr. R.-B. eine äthyltoxische Leberzirrhose Child B und nannte weiter eine erosive Antrumgastritis und eine Arthrose des linken Sprunggelenks. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger nur für leichte Tätigkeiten vollschichtig einsetzbar. Bei verlangsamter Reaktionsfähigkeit sollten keine Tätigkeiten mit Verantwortung und erforderlicher erhöhter Konzentration zugeteilt werden, außerdem keine Tätigkeiten auf Gerüsten oder Leitern sowie mit erhöhter Unfallgefahr. Tätigkeiten in Zwangshaltung, vornüber geneigt oder im Hocken seien nicht zumutbar.

Am 28. Dezember 2005 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07. April 2006 ab. Nach ärztlicher Feststellung könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag (fünf Tage in der Woche) unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Am 18. April 2006 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Er leide unter einer lebensbedrohlichen und transplantationspflichtigen Lebererkrankung und könne daher auch keine leichten Arbeiten ausüben. Hierzu berief sich der Kläger auch auf eine gutachtliche Einschätzung von Dr. N. vom MDK vom 06. März 2006, der ausführte, die Diagnose einer transplantationspflichtigen Leberzirrhose im Stadium Child C begründe eine Arbeitsunfähigkeit auf Zeit. Die Erwerbsfähigkeit sei als gemindert anzusehen. Ohne eine erfolgreiche Lebertransplantation sei nicht mit einem Wiedereintreten von Arbeitsfähigkeit zu rechnen.

Die Beklagte holte den Befundbericht vom 23. August 2006 beim Hausarzt des Klägers, Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D., ein. Dieser führte aus, der Kläger leide unter einer massiven Leberzirrhose, wegen deren Progresses er eine Heilbehandlung für dringlich indiziert halte. Seinem Befundbericht fügte Dr. D. verschiedene Arztberichte zu der am 21. April 2003 operierten Sprunggelenksfraktur und auch betreffend die Lebererkrankung bei.

Ein Gutachten über den Kläger erstattete im Auftrag der Beklagten deren Internist Dr. S. von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (Sozialmedizin im Zentrum) aufgrund Untersuchung vom 02. November 2006. In dem Gutachten vom 06. November 2006 formulierte Dr. S. folgende Diagnosen: Alkoholabhängigkeitssyndrom, derzeitige Abstinenz; äthyltoxische Leberzirrhose mit portaler Hypertension und hydropischer Dekompensation im Vorjahr, zurzeit weitgehend rekompensiert; posttraumatische Sprunggelenksarthrose links nach trimalleolärer Fraktur April 2003 sowie depressives Syndrom. Der Kläger könne aber leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04. Dezember 2006 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Gestützt auf das Gutachten des Dr. S. war sie der Auffassung, der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Am 20. Dezember 2006 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) unter Vorlage der bereits bei der Beklagten eingereichten Gutachten des MDK und erneutem Hinweis auf seine lebensbedrohliche Lebererkrankung. Weiter legte er ein Verzeichnis der IKK Baden-Württemberg und Hessen über seine Arbeitsunfähigkeitszeiten und deren Gründe sowie zuletzt noch den Befundbericht des Internisten und Gastroenterologen Dr. M. vom 30. November 2007 (Untersuchung am 26. Oktober 2007: Stabile Situation hinsichtlich der Leberzirrhose Child A; klinisch im Vordergrund stehe die hepatische Enzephalopathie) vor.

Die Beklagte trat der Klage entgegen unter Berufung auf drei Stellungnahmen nach Aktenlage seitens ihres Chirurgen und Internisten Dr. Sc. vom 27. September und 11. Dezember 2007 sowie 19. März 2008. Dieser betonte, aus einem nach den medizinischen Feststellungen im Klageverfahren gebesserten Gesundheitszustand (gebesserter Leberbefund) könne keine Verschlechterung des beruflichen Leistungsvermögens abgeleitet werden. Die Leberzirrhose befinde sich nurmehr im Stadium Child A.

Das SG befragte den Allgemeinmediziner Dr. D. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser betonte unter dem 25. Mai 2007 die massive Medikation und enorme Herzkreislaufbelastung als Folgen der alkoholbedingten Leberzirrhose. Daher sei der Kläger "derzeit" nicht in der Lage, auch nur leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Insgesamt sei der Kläger durch Primär- und Sekundärfolgen der Alkoholkrankheit und der Leberzirrhose schwerst geschädigt. Seiner Auskunft fügte er den Befundbericht des Prof. Dr. A. vom 11. August 2005 bei.

Das SG beauftragte Dr. F., Chefarzt der Inneren Klinik I (Gastroenterologie, Infektiologie) am K.-O.-Krankenhaus in S., mit der Erstattung eines Gutachtens über den Kläger. Aufgrund Untersuchung am 09. August 2007 erstattete Dr. F. am 23. August 2007 sein Gutachten. Der Kläger sei in der Lage, leichten bis mittelschweren körperlichen Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter verschiedenen qualitativen Einschränkungen wegen der bestehenden Leberzirrhose (Child A) mit portaler Hypertonie und der posttraumatischen Sprunggelenksarthrose zwischen drei und sechs Stunden täglich nachzugehen. Die die Erwerbsfähigkeit einschränkenden Befunde seien voraussichtlich dauerhaft. Von einer kompletten Rückbildung der zirrhotischen Leberumbauvorgänge mit dadurch bedingter portaler Hypertension sei trotz Alkoholabstinenz aktuell nicht auszugehen. Selbst nach erfolgreicher Lebertransplantation werde der Kläger aufgrund einer notwendigen immunsuppressiven Therapie sowie der weiter bestehenden posttraumatischen Sprunggelenksarthrose keine normale Erwerbsfähigkeit erreichen. Auch sei der Kläger nicht in der Lage, viermal täglich Wegstrecken mit mehr als 500 Metern Länge innerhalb einer Zeitspanne von jeweils etwa 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen und Gutachten habe sich das Leistungsvermögen bzw. der Gesundheitszustand bezüglich der Lebererkrankung seit Beginn des aktenkundigen Zeitraums (2005) etwas gebessert. Die Leberzirrhose sei unter Alkoholabstinenz von Child C auf Child A zurückgebildet, ferner seien keine Ösophagus- oder Fundusvarizen mehr nachweisbar. Eine wesentliche Abweichung in Befunderhebung und/oder Beurteilung zum zuletzt erhobenen Gutachten (November 2006) bestehe nicht. Bei klinischer Progredienz einer hepatischen Enzephalopathie sei jedoch mit zunehmender geistiger Verlangsamung und somit auch Anpassungsschwierigkeiten eine neue Situationen zu rechnen. In der ergänzenden Stellungnahme vom 26. Oktober 2007 hielt Dr. F. auf Anfrage des SG an seiner Beurteilung fest und begründete diese weiter. Die Leistungsbeurteilung beruhe auf der Zusammenschau sämtlicher Befunde, insbesondere auf dem persönlichen Eindruck und auf den durchgeführten körperlichen und apparativen Untersuchungen.

Das SG hob mit Urteil vom 30. April 2008 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom gleichen Tage den Bescheid der Beklagten vom 07. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. Dezember 2006 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 01. August 2005 bis 31. Juli 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung stützte sich das SG auf das Gutachten von Dr. F. sowie den eigenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung. Allerdings wäre, so das SG in den Gründen seines Urteils, richtigerweise die Zeitrente erst ab 01. Januar 2006 (Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Leistungsminderung im Juni 2005) zu gewähren gewesen.

Gegen das ihr am 04. Juni 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. Juni 2008 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zu deren Begründung hat sie drei Stellungnahmen ihres Internisten und Chirurgen Dr. Sc. vom 11. Juni 2008, 04. Februar und 24. August 2009 vorgelegt. Hiernach seien die behaupteten Folgeschäden der Leberzirrhose (Encephalopathie) nicht ausreichend objektiviert. Funktional ergäben sich aus den von den behandelnden Ärzten mitgeteilten Befunden keine wesentlichen zusätzlichen Einschränkungen. Das durch das LSG eingeholte internistische Gutachten bestätige ihren Standpunkt.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. April 2008 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte habe nichts wesentlich Neues vorgetragen, was geeignet sei, das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis in Frage zu stellen. Notwendig seien die Einholung eines orthopädischen und auch eines aktuellen internistischen Gutachtens. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Arztberichte vorgelegt hat der Kläger wie folgt: Vorläufiger Entlassbrief der Ärztin Do. vom 11. September 2009 (stationäre Behandlung im Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie W. an diesem Tag) sowie Bericht des Dr. K., Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin der R.-M.-Klinik Wa., vom 11. September 2009 (stationäre Behandlung vom 10. bis 11. September 2009), beide nach einer Tablettenintoxikation des Klägers; Bericht des Dr. Sch. vom 18. September 2009 über eine Computertomographie des Abdomens und Beckens vom 17. September 2009, Arztbrief des Dr. M. vom 18. September 2009, Arztbrief des Internisten und Nephrologen Dr. Ha. vom 11. November 2009 (Untersuchung 09. November 2009), Bericht des Psychiaters Dr. Berghoff vom 24. November 2009 über Vorstellung des Klägers vom 19. November 2009 sowie Berichte des Dr. Sa. (Klinikum S./Innere Medizin) vom 22. Januar 2010 über stationäre Behandlungen seit 18. Januar 2010 und vom 26. Mai 2010 über stationäre Behandlung vom 03. bis 05. Mai 2010 wegen einer dekompensierten Leberzirrhose mit ausgeprägten Unterschenkelödemen bzw. mit ausgeprägter Gewichtszunahme und Anstieg der Leberwerte. Der Kläger hat am 27. Juli 2010 einen "Weitergewährungsantrag" gestellt.

Der Senat hat behandelnde Ärzte des Klägers wie folgt als sachverständige Zeugen schriftlich befragt: Allgemeinmediziner Dr. D. hat unter dem 05. Dezember 2008 im Wesentlichen an die mitbehandelnden Fachärzte verwiesen. Orthopäde Dr. Ab. hat unter dem 15. Dezember 2008 über chronische Beschwerden des Klägers im Bereich von Schulter, Sprunggelenk und Halswirbelsäule berichtet, weshalb rein gehende und stehende Tätigkeiten vermieden werden sollten. Internist und Gastroenterologe Dr. M. hat unter dem 02. Januar 2009 berichtet, dass sich in der laufenden Behandlung seit 2007 keine Änderung ergeben habe. Chirurgin Dr. P. hat unter dem 21. Januar 2009 über eine allmähliche Zunahme der Varikose beidseits berichtet.

Mit der Erstattung eines Gutachtens hat der Senat den Internisten Prof. Dr. A. beauftragt. Unter Berücksichtigung einer radiologischen Untersuchung durch den dortigen Radiologen Prof. Dr. Walter und seiner Untersuchung vom 08. und 09. Juni 2009 hat Prof. Dr. A. sein Gutachten (ohne Datum) erstattet, das er auf entsprechende Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 05. August 2009 ergänzt und erläutert hat. Prof. Dr. A. hat im Vordergrund stehend eine äthyltoxisch bedingte Leberzirrhose Child A mit sonographischen Anzeichen des beginnenden zirrhotischen Leberumbaus sowie Hypokaliämie unter hochdosierter Diuretikaeinnahme diagnostiziert. Aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse sei die Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leicht eingeschränkt, da der Kläger über schnelle Ermüdbarkeit und chronische Erschöpfung klage. Zudem könne er aufgrund seiner Sprunggelenksarthrose längere Gehstrecken nicht schmerzfrei bewältigen. Er sei jedoch in der Lage, leichten bis mittelschweren Arbeiten nachzugehen und zwar auch mehr als sechs Stunden täglich. Die vorbekannte Leberzirrhose habe sich deutlich gebessert. Aktuell bestünden hierdurch keine Leistungseinschränkungen. Allerdings solle der Kläger aufgrund der Ösophagusvarizen Grad I schwere Lasten nicht heben. Aufgrund der langen Vorerkrankung sollten auch unregelmäßige Arbeitszeiten, Nachtschichten oder häufige Ortswechsel vermieden werden. Wegen der Sprunggelenksarthrose sowie der Schmerzen im Bereich des rechten Schultergelenks sollten längere Überkopfarbeiten, Steigen auf Leitern und häufiges Treppensteigen sowie Arbeiten auf Gerüsten vermieden werden. Ebenfalls seien Akkord- und Fließbandarbeiten ungeeignet. Der Zeitpunkt der Verbesserung des Gesundheitszustands sei evtl. zwischen Juni 2005 und das Jahr 2006 zu legen. Grundsätzlich bestehe aber wohl vollschichtiges Leistungsvermögen seit 2005.

In einem Erörterungstermin am 13. Oktober 2009 hat der vorige Berichterstatter des Senats das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert. Nachdem der Kläger hier über seine Beeinträchtigungen durch Schmerzen auch im Bereich der Psyche berichtet hatte, hat der Senat eine schriftliche sachverständige Zeugenauskunft bei Psychiater Dr. Berghoff eingeholt. Dieser hat unter dem 23. Januar 2010 erklärt, eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert zu haben. Nach drei Behandlungsterminen fühle er sich aber nicht in der Lage, die weiteren Beweisfragen zu beantworten.

Ein psychiatrisches Sachverständigengutachten hat der Senat bei Prof. Dr. T. in Auftrag gegeben. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18. März 2010 aufgrund Untersuchung am 08. März 2010 ausgeführt, auf seinem Fachgebiet bestünden keine schwerwiegenden Gesundheitsstörungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und begründet. Auf die Berufung der Beklagten hin war das Urteil des SG aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. August 2005 bis 31. Juli 2010.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur die Frage des Anspruchs des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. August 2005 bis 31. Juli 2010. Nur für diesen Zeitraum hat das SG dem Kläger mit Urteil vom 30. April 2008 Rente zugesprochen. Hiergegen wendet sich allein die Beklagte mit der Berufung. Der Kläger begehrt, die Berufung zurückzuweisen und damit den Rentenanspruch wie vom SG entschieden zu bestätigen. Berufung gegen das Urteil des SG mit dem Ziel einer Rentengewährung über den 31. Juli 2010 hinaus - insoweit hat das SG die Klage abgewiesen, ohne dies allerdings im Tenor auszusprechen - hat der Kläger nicht eingelegt. Etwaige Rentenansprüche des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Juli 2010 hinaus sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, sondern eines Verwaltungsverfahrens aufgrund des "Weitergewährungsantrags" des Klägers vom 27. Juli 2010.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Dem Kläger steht hiernach kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. August 2005 bis 31. Juli 2010 zu, denn der Senat stellt fest, dass der Kläger in diesem Zeitraum gesundheitlich in der Lage war, jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Ganz im Vordergrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers stehen die Folgen eines früheren Alkoholabusus in Gestalt einer Leberzirrhose und weiterer primärer und sekundärer Folgen. Diesbezüglich hat sich der Gesundheitszustand jedoch seit der Erstdiagnose im Jahr 2005 deutlich gebessert. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. A. im Juni 2009 zeigte sich laborchemisch eine gute Syntheseleistung der Leber mit normalen Gerinnungs- und Leberwerten sowie Albuminwerten. Sonographisch ließ sich kein Aszites nachweisen, gastroskopisch waren die Ösophagusvarizen mit Grad I stabil. Eine hepatische Enzephalopathie war bei Prof. Dr. A. nicht (mehr) nachweisbar. Somit war eine Leistungseinschränkung durch die Leberzirrhose bis auf das Heben schwerer Lasten wegen der Ösophagusvarizen Grad I jedenfalls im streitigen Zeitraum nicht gegeben. Diese Einschätzung von Prof. Dr. A. macht sich der Senat zu eigen. Sie ist nachvollziehbar und schlüssig begründet.

Insbesondere führte die Leberzirrhose aber auch nicht zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden täglich für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Diese Einschätzung von Prof. Dr. A. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05. August 2009 wird bestätigt durch die in den Akten enthaltenen zahlreichen Gutachten und ärztlichen Berichte über die Lebererkrankung des Klägers aus der Zeit seit Mitte 2005. Nach hydropischer Dekompensation im Juli 2005 war die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gefährdet, was zur Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme führte. Bereits im dortigen Entlassungsbericht des Prof. Dr. R.-B. vom 28. Dezember 2005 wurde ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten angegeben. Anhaltspunkte für eine überdauernd und damit rentenrelevant geminderte Erwerbsfähigkeit sind den Akten auch in der Folgezeit nicht zu entnehmen. Insbesondere ist die Einschätzung des Dr. N. vom MDK vom 06. März 2006, nur mit einer Lebertransplantation sei ein Wiedereintreten von Arbeitsfähigkeit zu erreichen, durch den weiteren Verlauf widerlegt. Die Gutachten des Dr. S. (für die Beklagte, im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten) und des Dr. F. (für das SG) bestätigen die eingetretene Besserung. Dabei ist die Leistungsbeurteilung des Dr. F. (zwischen drei und sechs Stunden täglich) nicht aus seinen Feststellungen nachvollziehbar abzuleiten. Dr. F. hat die Rückbildung der Leberzirrhose auf Child A, also ein vergleichsweise weniger schwerwiegendes Stadium, bestätigt. Ösophagus- oder Fundusvarizen waren bei ihm nicht nachweisbar. Bei klinischer Progredienz einer hepatischen Encephalopathie rechnete er lediglich für die Zukunft mit zunehmender geistiger Verlangsamung und Anpassungsschwierigkeiten an neue Situationen. Befunde, die eine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens bereits zum Zeitpunkt seiner Untersuchung rechtfertigen könnten, teilt Dr. F. nicht mit. Diese sind auch nicht dem Befundbericht des Internisten und Gastroenterologen Dr. M. vom 30. November 2007 zu entnehmen. Dr. M. hat auch unter dem 02. Januar 2009 nochmals ausdrücklich bestätigt, es habe sich unter laufender Behandlung seit 2007 keine Änderung ergeben.

Vielmehr führt die Lebererkrankung des Klägers zusammen mit der Sprunggelenksarthrose zu qualitativen Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens. Neben der Vermeidung des Hebens schwerer Lasten sollten auch unregelmäßige Arbeitszeiten, Nachtschichten oder häufiger Ortswechsel ebenso wie längere Überkopfarbeiten, Steigen auf Leitern und häufiges Treppensteigen sowie Arbeiten auf Gerüsten vermieden werden. Ebenfalls sind Akkord- und Fließbandarbeiten für den Kläger ungeeignet. Mit diesen qualitativen Einschränkungen werden auch die Schmerzen des Klägers im Bereich des rechten Schultergelenks ausreichend berücksichtigt.

Von Seiten des orthopädischen Fachgebiets wird diese Einschätzung bestätigt von dem befragten Orthopäden des Klägers (Auskunft des Dr. Ab. vom 15. Dezember 2008). Aus den orthopädischen Erkrankungen ergeben sich auch für frühere Zeitpunkte innerhalb des streitigen Zeitraums keine weitergehenden Leistungseinschränkungen. Die Sprunggelenksfraktur hatte der Kläger bereits im April 2003 erlitten, sodass die Phase akuter Beeinträchtigung hierdurch bereits lange vor Beginn des hier streitigen Zeitraums beendet war.

Weitergehende Leistungseinschränkungen ergeben sich für den Kläger auch nicht auf neurologischem Fachgebiet. Die von Dr. F. prognostizierte Progredienz einer hepatischen Encephalopathie ist nicht nur nach der gutachtlichen Einschätzung von Prof. Dr. A., sondern auch nach der sachverständigen Zeugenauskunft von Dr. M. und den weiteren aktenkundigen medizinischen Berichten nicht eingetreten.

Auf psychiatrischem Fachgebiet schließlich besteht ausweislich des Gutachtens von Prof. Dr. T. keine schwerwiegende, für die berufliche Leistungsfähigkeit bedeutsame Leistungseinschränkung. Die Berichte vom 11. September 2009 belegen eine akute Belastungsreaktion, nicht jedoch eine überdauernde Leistungsbeeinträchtigung.

Die im Mai 2010 aufgetretene Dekompensation der Leberzirrhose (Bericht des Dr. Sa. vom 26. Mai 2010) kann sich auf den Rentenanspruch des Klägers für den hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr auswirken. Dr. Sa. spricht in dem Bericht ausdrücklich davon, die aktuelle Leberwerterhöhung werde am ehesten als akut entzündlicher Schub der Leberzirrhose interpretiert. Zwar ist bereits im Januar 2010 (Bericht des Dr. Sa. vom 22. Januar 2010) ebenfalls eine Dekompensation der Leberzirrhose beschrieben worden. Insgesamt würde aber selbst bei Unterstellung, dass bereits im Januar 2010 eine nachhaltige und nicht nur vorübergehende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers eingetreten wäre, angesichts von § 101 Abs. 1 SGB VI dies erst zu einem Rentenbeginn ab 01. August 2010 führen können. Anhaltspunkte dafür, dass bereits im Januar 2010 eine Verschlechterung dahingehend eingetreten sein könnte, dass ein unter dreistündiges Leistungsvermögen täglich auf Dauer bestünde und es unwahrscheinlich wäre, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könnte, bestehen nach den medizinischen Befunden nicht. Nur in diesem Fall wäre gemäß § 102 Abs. 3 Satz 5 i. V. mit § 99 Abs. 1 SGB VI abweichend von § 101 Abs. 1 SGB VI noch ein etwaiger Rentenbeginn vor Ende des hier streitgegenständlichen Zeitraums festzustellen.

Zusammenfassend ist nochmals festzustellen, dass den gesamten aktenkundigen medizinischen Unterlagen, insbesondere auch den Auskünften der behandelnden Ärzte des Klägers, eine gravierende Veränderung seines Gesundheitszustands seit dem Ende der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme Ende 2005 bis heute nicht zu entnehmen ist. Es ist lediglich zu einer leichten Verbesserung des Gesundheitszustands gekommen, sodass eine Minderung des beruflichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden täglich für den gesamten Zeitraum nicht festgestellt werden kann.

Auf die Berufung der Beklagten hin war daher das Urteil des SG abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved