L 10 U 1024/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 1426/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1024/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 01.12.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Witwenrente streitig.

Die am 1936 geborene Klägerin ist die Witwe des am 1930 geborenen und am 1989 verstorbenen W. P. (Versicherter). Dieser war im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR in der früheren S/S W. beschäftigt, in der viele Beschäftigte durch ionisierende Strahlung belastet waren. Im Hinblick auf den Beschäftigungszeitraum legte die Klägerin die "Auflistung von Zeiträumen für fehlende Aufrechnungsbescheinigungen der BfA und LVA" vom 20.01.1980 vor, in der für den Zeitraum vom 16.04.1947 bis 30.04.1952 eine Tätigkeit bei der W ... AG aufgeführt ist. In der Spalte "Vorhandene Original-Belege" wird insoweit das Arbeitsbuch der DDR Nr. 1401/87323, Seite 8 genannt. Das von der Klägerin vorgelegte Arbeitsbuch des Versicherten enthält als Eintragung auf Seite 8 eine Tätigkeit bei der W ... AG von April 1947 bis April 1952.

Im Jahr 1954 verzog der Versicherte in die Bundesrepublik Deutschland. Anfang 1988 wurde bei ihm ein Zungenkarzinom diagnostiziert und im Herbst 1988 darüber hinaus ein Adeno-Karzinom in der Lunge. Am 04.06.1989 verstarb er an den Folgen des Zungenkarzinoms.

Im Hinblick auf Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren, die Steuerung der nachgehenden arbeitsmedizinischen Betreuung ehemals exponierter Beschäftigter und wissenschaftliche Forschung wurde im Rahmen eines Forschungsvorhabens für die gesamte Produktionszeit der W ... eine Job-Exposure-Matrix erarbeitet, nach der für jede erfasste Tätigkeit eine wirklichkeitsnahe Zuordnung der Exposition in Abhängigkeit von der Art des Betriebes und der Tätigkeit vorgenommen werden kann. Nachdem erste Strahlenschutzmessungen in der W ... erst ab 1955 erfolgten, wurden für die davor liegende Zeit anhand der vorhandenen Messdaten und durch Nachstellung der Abbaubedingungen der früheren Jahre zusätzliche neue Messwerte gewonnen und unter Berücksichtigung historischer Messdaten und Daten des tschechischen Erzbergbaus Modelle entwickelt, die Rückschlüsse auf die zurückliegenden Expositionen zuließen ("Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR", Abschlussbericht zu einem Forschungsvorhaben; herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften [HVBG] und der Bergbau-Berufsgenossenschaft [BBG] im Dezember 1998 - im Folgenden als Abschlussbericht bezeichnet).

Im Juni 1992 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente. Auf die Anfrage der Beklagten wurden seitens des Zentralarchivs der W ... GmbH, Sanierungsbetrieb Aue, folgende Beschäftigungszeiten des Versicherten mitgeteilt:

15.09.1948 bis 03.01.1949 Grubenarbeiter unter Tage (Objekt 13 Schacht 28/116), 11.10.1949 bis 14.04.1952 Hauer unter Tage (bis 08/1950 Objekt 01 Schacht 231 09/1950 bis 04/1951 Objekt 01 Schacht N3 05 bis 12/1951 Objekt 12 ab 01/1952 Objekt 08 Schacht 235)

Auf Veranlassung der Beklagten ermittelte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der BBG sodann eine kumulative Strahlenbelastung infolge Inhalation von Radonzerfallsprodukten von 284 Working Level Month (WLM) und gelangte im Hinblick auf das beim Kläger aufgetretene Bronchialkarzinom unter Heranziehung des sog. Jacobi-I-Gutachtens zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 63%. Dieses Gutachten basiert auf der einhelligen Überzeugung in der medizinischen Wissenschaft, dass Radon einschließlich seiner Zerfallsprodukte (ionisierende Strahlung) hochgradig Lungenkrebs erzeugend ist. Ausgehend hiervon wurde zur Ermittlung der Verursachungswahrscheinlichkeit von Lungenkrebs bei Uranbergarbeitern ein dosismetrisches Modell entwickelt, das die Frage beantworten soll, ob angesichts der Höhe einer bestimmten Dosis ein relevanter Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung als abgesichert angesehen werden kann. Dabei wird eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 50%, die einem relevanten Risiko von 2 % entspricht, als Schwellenwert betrachtet, ab dem ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Strahlenbelastung und der Krebserkrankung als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden kann und eine individuelle Kausalitätsprüfung angezeigt erscheinen lässt.

Im Rahmen ihrer weiteren Sachaufklärung gelangte die Beklagte nach Beiziehung medizinischer Unterlagen auf der Grundlage der von ihr eingeholten gutachterlichen Stellungnahme des Prof. Dr. R. , Institut für Arbeitsmedizin an der Ruhruniversität Bochum, und des pathologischen Gutachtens des Prof. Dr. M. , Berufsgenossenschaftliche Krankenanstalten Bergmannsheil, zu der Einschätzung, dass der Versicherte nicht an den Folgen eines Bronchialkarzinom, sondern an den Folgen des metastasierenden Zungenkarzinoms verstorben ist. Prof. Dr. M. führte das Bronchialkarzinom mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die in Rede stehende berufliche Tätigkeit des Versicherten zurück.

Im Hinblick auf die seinerzeitige Feststellung, dass Beschäftigte der S/S W. in gewissem Umfang auch an extrapulmonalen Krebserkrankungen erkrankten, wurde eine weitere Studie (sog. Jacobi-II-Gutachten) initiiert, deren Gegenstand das Risiko und die Verursachungswahrscheinlichkeit von extrapulmonalen Krebserkrankungen durch die berufliche Strahlenexposition von dort Beschäftigten war, wobei ebenfalls ein dosismetrisches Modell entwickelt wurde. Dieses stützte sich auf epidemiologische Erkenntnisse aus der langjährigen Beobachtung der Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki und übertrug die hierdurch gewonnen Erkenntnisse auf die anders gelagerte Exposition bei der ehemaligen S/S W ...

Auf Veranlassung der Beklagten ermittelte der TAD der BBG unter Zugrundelegung des Jacobi-II-Gutachtens nunmehr die Verursachungswahrscheinlichkeit zwischen der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit des Versicherten und dem zum Tod führenden Zungenkarzinom. Dabei gelangte er unter Zugrundelegung der vom Zentralarchiv der W ... GmbH mitgeteilten Beschäftigungszeiten (Grubenarbeiter vom September bis Dezember 1948 und Hauer von Oktober 1949 bis April 1952) zu einer kumulativen Organdosis von 17,91 Sievert (Sv) und einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 47,2 % und in zwei Berechnungen unter Zugrundelegung einer Tätigkeit als Grubenarbeiter bereits ab 16.04.1947 (Tätigkeitsbeginn in W ... AG laut Arbeitsbuch) einerseits zu einer kumulativen Äquivalenzdosis von 19,7 Sv und einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 49,6 % sowie andererseits zu einer kumulativen Äquivalenzdosis von 20,9 Sv und einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 51,1 %.

Da angesichts der erfolgten Auswertung epidemiologischer Untersuchungen zwischenzeitlich Bedenken laut geworden waren, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen extrapulmonalen Krebserkrankungen (mit Ausnahme der Leukämie) und einer beruflichen Strahlenexposition gerade nicht wahrscheinlich machen lasse, nahm die Beklagte Abstand von der Anwendung des Jacobi-II-Gutachtens. Sie folgte deshalb nicht mehr der Empfehlung der hinzugezogenen Gewerbeärztin Dr. N. , die im Rahmen ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 27.10.1997 angesichts der ermittelten Verursachungswahrscheinlichkeit von 51,1 % an einem Zungenkarzinom zu erkranken, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dessen Tätigkeit im Uranbergbau und seiner entsprechenden Erkrankung annahm und die Anerkennung dieser Erkrankung als BK empfahl.

Statt dessen lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 10.09.1998 ab. Zur Begründung führte sie aus, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Strahlenexposition des Versicherten und seiner zum Tod führenden Zungenerkrankung lasse sich nach Auswertung aller vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen und der zur Zeit verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht hinreichend wahrscheinlich machen. Der dagegen eingelegte Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 09.03.1999).

In dem sich anschließenden Klageverfahren S 6 U 754/99 vor dem Sozialgericht Ulm (SG) holte das SG Stellungnahmen des S. L. für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ein. Danach wurde das arbeitsbedingte Risiko der Uranerzbergleute an einem Kehlkopfkarzinom oder an Leukämie zu erkranken seinerzeit untersucht, wobei sich diese Untersuchungen jedoch nicht auf die Erkrankungsart "Zungenkarzinom" bezogen. Zwar könne diskutiert werden, ob das Ergebnis der durchgeführten Untersuchung auch auf das Zungenkarzinom übertragbar sei, jedoch sei die generelle hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit für jede Erkrankungsart neu zu bestimmen. Das SG holte darüber hinaus das Gutachten des Prof. Dr. M. , Leiter der HNO-Abteilung im Bundeswehrkrankenhaus U. , vom 13.05.2002 ein. Dieser führte aus, die Äthiopathogenese der Plattenepithelkarzinome des oberen Atmungs- und Verdauungstraktes stelle ein multifaktorielles Geschehen dar, wobei im Vordergrund als Hauptrisikofaktoren der chronische Alkohol- und Tabakkonsum stehe. Man gehe heute davon aus, dass ca. 80 % aller Plattenepithelkarzinome im Bereich des oberen Verdauungstraktes hierdurch verursacht seien. Als weitere Faktoren spielten eine genetische Prädisposition, eine Mangelernährung, Viruserkrankungen sowie berufliche Schadstoffbelastungen eine Rolle, wobei man davon ausgehe, dass 10 % der Krebserkrankungen im Kopf-/Halsbereich durch berufliche Schadstoffeinwirkungen wesentlich mitverursacht würden. Allerdings fänden sich in der gesamten Weltliteratur keine Hinweise dafür, dass eine berufliche Strahlenexposition das Zungenkrebsrisiko erhöhe. Ebenso wenig existierten Hinweise darauf, dass speziell bei Wismut-Arbeitern im Vergleich zu nicht exponierten Bevölkerungsgruppen häufiger Zungenkrebse aufgetreten seien, weshalb die Anwendung eines dosismetrischen Lösungsansatzes für die Entschädigung von Mundhöhlenkrebserkrankungen bei Wismut-Arbeitern nicht empfehlenswert sei. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass angesichts der dokumentierten Erkrankungen des Versicherten von einem erheblichen Alkohol- und Tabakkonsum auszugehen sei, sah es der Sachverständige nicht als ausreichend wahrscheinlich an, dass dessen Zungenkarzinom durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde. Mit Urteil vom 18.03.2003 wies das SG die Klage gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. M. ab. Im Rahmen des sich anschließende Berufungsverfahren L 10 U 1528/03 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) schlossen die Beteiligten einen Vergleich, mit dem sie das Berufungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärten und die Beklagte sich verpflichtete, auf der Basis der Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.08.2004 einen rechtsmittelfähigen Bescheid über den Rentenantrag der Klägerin vom 09.06.1992 zu erlassen.

Die Beklagte zog die weitere Berechnung des TAD der BBG vom 09.09.2004 bei, nach der sich aufgrund des Jacobi-II-Gutachtens und unter Zugrundelegung einer Tätigkeit des Versicherten als Grubenarbeiter bereits ab 16.04.1947 eine kumulative Äquivalenzdosis von 17,56 Sv und eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 47 % ergab. Im Hinblick auf die Abweichung zu früheren Berechnungen teilte die BBG mit, dass diese Berechnung nach der Korrektur eines früheren Programmierfehlers nunmehr das zutreffende Ergebnis enthalte.

Mit Bescheid vom 06.12.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen daraufhin erneut ab und führte zur Begründung aus, die beruflich festgestellte Strahleneinwirkung reiche nach Art und Dosis mit einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 47 % nicht aus, um die Zungenkrebserkrankung des Versicherten wesentlich zu verursachen, zumal darüber hinaus erhebliche konkurrierende Noxen für die Entstehung des Zungenkarzinoms vorgelegen hätten, so dass eine berufliche Verursachung der Zungenerkrankung nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Der dagegen eingelegte Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2005 zurückgewiesen.

Am 19.05.2005 hat die Klägerin dagegen beim SG Klage erhoben und geltend gemacht, eine hinreichende Verursachungswahrscheinlichkeit liege im Hinblick auf die errechneten und über 50 % liegenden Werte (zwischen 63 % und 47 %) vor. Die Beklagte gehe im Hinblick auf die aktenkundig dokumentierten Beschäftigungszeiten im Übrigen zu Unrecht von weniger als 60 Beschäftigungsmonaten bei der W ... AG aus. Die vorgelegten Berechnungen seien weder hinsichtlich der zu Grunde gelegten Ausgangsdaten noch in Bezug auf die Ergebnisse, die jeweils andere Werte ergäben, nachvollziehbar. Schließlich seien in dem Zeitraum, in dem der Versicherte die schädigende Tätigkeit ausgeübt habe, auch keinerlei Messungen durchgeführt worden. Sie hat das an die Bundesknappschaft gerichtete Schreiben des Beauftragten für Sozialfragen der früheren S. W. vom 06.04.1982 vorgelegt, in dem Beschäftigungszeiten vom 15.09.1948 bis 03.01.1949 als Untertagearbeiter und vom 11.10.1949 bis 14.04.1952 als Hauer unter Tage bestätigt werden.

Die Beklagte hat die weitere Berechnung der BBG vom 13.06.2006 vorgelegt, nach der sich auf der Grundlage der bestätigten Beschäftigungszeit vom 15.09.1948 bis 03.01.1949 und 11.10.1949 bis 13.04.1952 eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 44 % ergibt. Sie hat sodann noch die Berechnung der BBG vom 22.10.2007 vorgelegt (Verursachungswahrscheinlichkeit von 40 %), bei der Berücksichtigung gefunden hat, dass die auf die Einwendungen der Klägerin erfolgte nochmalige Überprüfung der Lohnunterlagen durch die W. GmbH nach deren Ausführungen vom 05.10.2007 ergeben hatte, dass der Versicherte entgegen der ursprünglichen Berechnung vom 11.10.1949 bis 30.04.1951 nicht in Objekt 01, sondern in Objekt 04 (11.10.1949 bis 31.08.1950) bzw. in Objekt 07 (01.09.1950 bis 30.04.1951) tätig war.

Das SG hat von der W. GmbH Kopien der dort archivierten Personal- und Lohnunterlagen beigezogen. Mit Urteil vom 01.12.2008 hat es die Klage im Hinblick auf die ermittelte Verursachungswahrscheinlichkeit von 44 % und die beim Versicherten vorhanden gewesenen Risikofaktoren gestützt auf die Gutachten des Prof. Dr. R. , des Prof. Dr. M. und des Prof. Dr. M. abgewiesen, weil die Zungenkrebserkrankung des Versicherten nicht hinreichend wahrscheinlich wesentlich durch seine versicherte Tätigkeit bei der ehemaligen S/S W. verursacht worden sei.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 20.02.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.02.2009 beim SG Berufung eingelegt und im Wesentlichen die Fehlerhaftigkeit der der Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit zugrunde gelegten Strahlenbelastungen in den jeweiligen Objekten, in denen der Versicherte beschäftigt war, geltend gemacht. Der Versicherte habe in der vorliegend in Rede stehenden Zeit unter katastrophalen Bedingungen gearbeitet. Die seitens der Beklagten zu Grunde gelegten Strahlenbelastungen in den Objekten 04, 07, 08, 12 und 13 stünden auch in Widerspruch zu den Werten, wie sie der Veröffentlichung des Landesinstituts für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin des Freistaates Sachsen "Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlen in Sachsen 1994 bis 2002" (Mitteilung Nr.5/2003) zu entnehmen seien. Die dortige Zuordnung der Objekte zu Belastungsgruppen mache deutlich, dass die Beklagte ihrer Berechnung zu geringe Strahlenexpositionen zu Grunde gelegt habe. So sei bspw. das Objekt 04, das ebenso wie das Objekt 07 der höchsten Belastungsgruppe 6 zugeordnet werde, mit 70 WLM gegenüber 130 WLM bei Objekt 07 zu niedrig bewertet und die Belastung bei Objekt 12 und 13 (Belastungsgruppe 4) mit 30 bzw. 25 WLM sei gegenüber der Belastung von Objekt 08 (Belastungsgruppe 2) mit 55 WLM zu niedrig.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 01.12.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 06.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2005 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und verweist hinsichtlich der der Berechnung zu Grunde gelegten Strahlenexpositionen, deren Grundlagen auf dem Abschlussbericht beruhten, auf ihre ausführlichen Darlegungen im Klageverfahren.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht als Witwe des an den Folgen eines Zungenkarzinoms verstorbenen Versicherten Hinterbliebenenrente nicht zu.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens nicht § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Eine derartige Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes - hier des Bescheides vom 10.09.1998 - ist nicht eingetreten.

Zwar wurde dieser Bescheid mit Bekanntgabe an die Klägerin wirksam (vgl. § 39 Abs. 1 SGB X) und weder auf den Widerspruch der Klägerin noch durch das SG im anschließenden Klageverfahren oder im nachfolgenden Berufungsverfahren aufgehoben. Indessen kann sich ein Verwaltungsakt gemäß § 39 Abs. 2 SGB X auch auf andere Weise erledigen. Hier schlossen die Beteiligten im Berufungsverfahren L 10 U 1528/03 einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, über den Rentenantrag der Klägerin von 1992 neu zu entscheiden. Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin dadurch auf Ansprüche verzichten wollte, selbst wenn es zu einer für sie günstigen Entscheidung der Beklagten gekommen wäre. Gerade dies wäre aber der Fall, wollte man dem Vergleich die Wirkung des Eintritt von Bestandskraft der früheren Ablehnung eines Witwenrentenanspruchs beimessen. Denn nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Damit wäre die Klägerin - den Eintritt von Bestandskraft des Bescheides vom 10.09.1998 sowie einen tatsächlich bestehenden Rentenanspruch nach dem Tod ihres Ehemannes unterstellt - jahrelanger Rentenzahlung verlustig gegangen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum sich die Klägerin hierauf hätte einlassen sollen oder gar wollen und auch aus Sicht der Beklagten gab es keinerlei Anlass, erst Bestandskraft des Bescheides vom 10.09.1998 eintreten zu lassen, um dann diese Bestandskraft durch die versprochene neue Entscheidung sofort wieder zu beseitigen. Darüber hinaus fand § 44 SGB X im Vergleichstext auch keine Erwähnung. Im Ergebnis gelangt somit der Senat - wie das SG - zu der Überzeugung, dass sich der Bescheid vom 10.09.1998 auf Grund des Vergleiches vom 07.09.2004 erledigt und die Beklagte somit über den Rentenantrag der Klägerin originär zu entscheiden hatte.

Da die Klägerin mit ihrem Rentenantrag von 1992 Leistungsansprüche für Zeiten vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 geltend macht, richtet sich ein möglicher Hinterbliebenenrentenanspruch nach dem Recht der bis zum 31.12.1996 geltenden Reichsversicherungsordnung -RVO- (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2003, B 2 U 9/03 R m.w.N.), mithin nach §§ 589, 590 RVO. Danach ist beim Tod durch Arbeitsunfall an die Witwe u.a. vom Todestage an Witwenrente zu gewähren, wobei dem Tod durch Arbeitsunfall der Tod eines Versicherten gleichsteht, dessen Erwerbsfähigkeit durch die Folgen einer Berufskrankheit um 50 oder mehr vom Hundert (v.H.) gemindert war, sofern nicht offenkundig ist, dass der Tod mit der Berufskrankheit nicht in ursächlichem Zusammenhang steht.

Zwischen den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass der Tod des Versicherten nicht durch das bei ihm aufgetretene Bronchialkarzinom, sondern als Folge des Zungenkarzinom eingetreten ist. Damit wäre die Gewährung der begehrten Hinterbliebenenrente nur dann in Betracht gekommen, wenn sich diese Zungenkrebserkrankung, die beim Versicherten zum Tod geführt hat, als Berufskrankheit darstellen würde. Dies ist indes nicht der Fall.

Die Beurteilung der Frage, ob es sich bei der Zungenkrebserkrankung des Versicherten um eine Berufskrankheit handelt, richtet sich - entgegen der vom SG vertretenen Auffassung - nicht nach dem Recht der ehemaligen DDR. Das SG hat sich insoweit auf die Regelung des § 1150 Abs. 2 RVO gestützt, wonach Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches Versicherungsfälle gelten. Diese Vorschrift fingiert aus Gründen des Vertrauensschutzes Versicherungsfälle aus dem Beitrittsgebiet als Versicherungsfälle nach dem Dritten Buch der RVO. Eine solche Fallgestaltung liegt dem vorliegenden Verfahren nicht zu Grunde. Denn zwischen den Beteiligten ist kein Versicherungsfall aus dem Beitrittsgebiet streitig. Der Versicherte übte im Beitrittsgebiet zwar die gefährdende Tätigkeit aus, siedelte jedoch bereits im Jahr 1954 ins Bundesgebiet über, wo dann rund 24 Jahre später im Jahr 1988 die in Rede stehende Erkrankung auftrat und ein Jahr später zum Tode führte. Damit ist im Beitrittsgebiet weder die als Berufskrankheit geltend gemachte Erkrankung aufgetreten, noch der vorliegend zu beurteilende Versicherungsfall, nämlich der Tod des Versicherten eingetreten. Die Versicherungsfälle, aus denen die Klägerin den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Hinterbliebenenrente ableitet, sind vielmehr im Geltungsbereich der RVO eingetreten und damit - ohne dass es auf die Sonderregelung des § 1150 RVO ankommt - nach dessen Vorschriften zu beurteilen.

Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO), der in der Anlage 1 eine Liste der entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten angefügt ist. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKVO Erkrankungen durch ionisierende Strahlen.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Danach ist nicht festzustellen, dass es sich bei dem beim Versicherten aufgetretenen Zungenkarzinom um eine Berufskrankheit gehandelt hat. Denn dass dieses Zungenkarzinom mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die beim Versicherten beruflich vorhanden gewesenen Strahleneinwirkung (mit)verursacht wurde, lässt sich nicht feststellen.

Der TAD der BBG hat die Strahlenbelastung, denen der Versicherte im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bei der früheren S/S W. ausgesetzt war, unter Zugrundelegung der vorhandenen Erkenntnisse zum Ausmaß der Strahlenbelastungen in den jeweiligen Objekten des Betriebes ermittelt und ausgehend hiervon unter Anwendung der Berechnungsmethode nach dem Jacobi-II-Gutachten eine konkrete auf den Versicherten bezogene individuelle Verursachungswahrscheinlichkeit ermittelt. Der Senat legt seiner Beurteilung die Berechnung vom 22.10.2007 zugrunde, mit der der TAD der BBG eine Verursachungswahrscheinlichkeit für eine Zungenkrebserkrankung von 40 % ermittelt hat.

Dieser Berechnung liegen Beschäftigungszeiten des Versicherten als Grubenarbeiter vom 15.09.1948 bis 03.01.1949 und als Hauer unter Tage vom 11.10.1949 bis 29.04.1952 zugrunde, und zwar vom 15.09.1948 bis 03.01.1949 in Objekt 13, vom 11.10.1949 bis 31.08.1950 in Objekt 04, vom 01.09.1950 bis 30.04.1951 in Objekt 07, vom 01.05.1951 bis 24.10.1951 in Objekt 12 und vom 12.01.1952 bis 29.04.1952 in Objekt 08. Diese Beschäftigungszeiten einschließlich ihrer Zuordnung zu den jeweiligen Objekten, in denen der Versicherte seinerzeit tätig war, beruhen auf den Angaben der W ... GmbH gegenüber der BBG in ihrem Schreiben vom 05.10.2007. Danach waren die Archivunterlagen im Anschluss an eine nochmalige Rückfrage des TAD der BBG nochmals überprüft worden, wobei festgestellt worden war, dass der Versicherte im Zeitraum vom 11.10.1949 bis 30.04.1951 statt im Objekt 01 in den Objekten 04 bzw. 07 tätig gewesen ist. Der Senat hat keine Veranlassung an der Richtigkeit dieser korrigierten Angaben zu zweifeln. Auch die Klägerin hat diesbezüglich keine Einwände erhoben. Soweit die zuletzt mitgeteilten Daten hinsichtlich der Dauer der Beschäftigung in den einzelnen Objekten Abweichungen zu den Daten enthalten, die zuvor den Berechnungen zu Grunde gelegten haben (Objekt 12 nicht nur vom 01.05.1951 bis 24.10.1951, sondern vom 01.05.1951 bis 31.12.1951; Objekt 08 nicht vom 12.01.1952 bis 29.04.1952, sondern vom 01.01.1952 bis 13.04.1952) gilt Entsprechendes. Ohnehin handelt es sich hierbei auch lediglich um geringfügige Abweichungen, die sich nicht maßgeblich auf die Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit auswirken.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit kein längerer als der aufgeführte Zeitraum zu Grunde zu legen. Insbesondere ist eine schädigende Tätigkeit vor dem 15.09.1948 und zwar seit dem 16.04.1947 nicht nachgewiesen. Zwar deuten die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen, namentlich die vorgelegte "Auflistung " vom 20.01.1980 sowie die entsprechende Eintragung im Arbeitsbuch des Versicherten, auf eine Tätigkeit bei der S/S W. auch in diesem Zeitraum hin. Jedoch finden sich in den heute noch vorhandenen Lohn- und Beschäftigungsunterlagen der Rechtsnachfolgerin, der W ... GmbH, wie von dortiger Seite gegenüber der BBG und der Beklagten mehrmals mitgeteilt, keine Anhaltspunkte für eine Beschäftigung in dem davor liegenden Zeitraum. Auch in dem von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten, wesentlich zeitnäher verfassten Schreiben des Beauftragten für Sozialfragen der S. W ... vom 06.04.1982 an die damalige Bundesknappschaft wird eine Beschäftigung bei der S/S W. erst für die Zeit ab 15.09.1948 bestätigt. Von der Richtigkeit eines Beschäftigungsbeginns erst im September 1948 ist der Senat jedoch insbesondere deshalb überzeugt, weil dieser Zeitpunkt mit eigenen, früher bereits vom Versicherten selbst gemachten Angaben übereinstimmt. Denn wie dem im Personalarchiv der W. GmbH noch vorhandenen und dem SG zusammenmit mit den Lohnunterlagen übersandten Fragebogen zu entnehmen ist, den der Versicherte unter dem 09.01.1952, also zeitnah, ausfüllte, gab er sowohl bei der Auflistung seiner bisher ausgeübten Arbeiten als auch im Rahmen eines handschriftlich gefertigten Lebenslaufs an, seit 01.09.1948 bei der W. AG tätig zu sein.

Der Senat hat auch keine Bedenken, den vom TAD der BBG zu Grunde gelegten Expositionswerten zu folgen, wie er sie unter Berücksichtigung der Strahlenbelastung, der der Versicherte bei seiner Tätigkeit in den jeweiligen Objekten ausgesetzt war, seiner Berechnung zu Grunde gelegt hat. Diese Ansätze beruhen auf dem Abschlussbericht, in dem das Ausmaß der Strahlenbelastung jeweils nach einzelnen Objekten und nach Expositionsjahren auf Grund des durchgeführten langjährigen Forschungsprojektes dokumentiert sind. Nachdem seitens der S/S W. erst ab dem Jahr 1955 Strahlenmessungen durchgeführt wurden, mithin überhaupt keine Daten für die vorliegend in Rede stehende Beschäftigungszeit des Versicherten existieren, sind für den Senat keine Erkenntnisquellen ersichtlich, die die seinerzeitige Strahlenbelastung des Versicherten realitätsnäher darstellen würden, als die im Rahmen dieses Forschungsprojektes entwickelten Modelle aufgrund der vorhandenen späteren Messdaten, der Nachstellung der Abbaubedingungen der früheren Jahre unter weiterer Berücksichtigung historischer Messdaten sowie der Daten des tschechischen Erzbergbaus.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren geltend macht, die vom TAD der BBG zu Grunde gelegten Belastungswerte stünden in Widerspruch zu den Werten, wie sie der Veröffentlichung des Freistaates S. "Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlen in Sachsen 1994 bis 2002" zu entnehmen sind, sieht der Senat auch im Hinblick auf die von der Klägerin insoweit aufgezeigten Widersprüche keinen Grund, für die Annahme, dass sich die im Abschlussbericht aufgeführten und der Berechnung des TAD zu Grunde gelegten Expositionswerte als fehlerhaft erweisen und daher der Berechnung zu Unrecht zu Grunde gelegt worden sind. Vielmehr sind die von der Klägerin in Bezug genommenen Daten schon vom Ansatz her nicht mit jenen vergleichbar, wie sie im Abschlussbericht dokumentiert sind. So ist im Hinblick auf die Einteilung der verschiedenen Objekte in Belastungsgruppen von 1 (= niedrig) bis 6 (= hoch) schon nicht erkennbar, auf welcher konkreten Grundlage diese Einteilung erfolgte, welche konkreten Daten dieser Einteilung zugrunde gelegen haben und insbesondere auf welchen konkreten Zeitraum sich die Einteilung bezieht und ob damit daher überhaupt der vorliegend relevante Zeitraum von September 1948 bis April 1942 abgebildet wird.

Letztlich hat der Senat auch keine Bedenken, der Berechnungsgrundlage des TAD der BBG insoweit zu folgen, als er anhand des Jacobi-II-Gutachtens angesichts von Art und Dosis der Strahlenbelastung des Versicherten die Verursachungswahrscheinlichkeit für das Auftreten der Zungenkrebserkrankung bestimmt hat. Denn das Jacobi-II-Gutachten, das der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Einvernehmen mit der BBG und dem Institut für Strahlenschutz zur Erarbeitung verbindlicher Maßstäbe in Auftrag gegeben hat, hat in der Praxis anwendbare standardisierte Modelle für die Verwaltungen entwickelt, die auf der Grundlage der bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse erstellt worden sind. Es ist vom BSG in mehreren Entscheidungen als eine verlässliche Grundlage für individuelle Feststellungen der Verursachungswahrscheinlichkeit extrapulmonaler Krebserkrankungen angesehen worden (BSG, Urteile vom 18.08.2004, B 8 KN 2/03 UR in SozR 4-8840 Nr. 92 Nr. 1 und B 8 KN 1/03 UR in SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1).

Soweit der TAD der BBG im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Werte zur Verursachungswahrscheinlichkeit ermittelt hat, ist dies neben der Korrektur eines Programmierfehlers zum einen darauf zurückzuführen, dass er seinen Berechnungen unterschiedliche Beschäftigungszeiträume zu Grunde gelegt - einerseits die von der W. GmbH bestätigten Zeiten ab September 1948 und andererseits die von der Klägerin geltend gemachten Zeiten ab April 1947 - hat und zum anderen auf den Umstand, dass anhand der betrieblichen Unterlagen zuletzt festgestellt wurde, dass die Tätigkeit des Versicherten zuvor einem unzutreffenden Objekt zugeordnet worden war und daher Korrekturen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Exposition notwendig wurden. Mit keiner der vorgelegten und den zutreffenden Beschäftigungszeitraum berücksichtigenden Berechnungen wurde jedoch eine Verursachungswahrscheinlichkeit von zumindest 50 % ermittelt, um nach herrschender Lehrmeinung überhaupt von einem relevanten individuellen Ursachenzusammenhang ausgehen zu können. Soweit der der TAD eine annähernd diesen Wert erreichende bzw. sogar überschreitende Verursachungswahrscheinlichkeit von 49,6 bzw. 51,1 % ermittelte, beruhte dies auf der unzutreffenden Annahme, dass der Kläger bereits ab April 1947 der strahlenbelastenden Tätigkeit nachgegangen ist, was - wie oben ausgeführt - jedoch nicht nachgewiesen ist. Die vom TAD der BBG errechnete Verursachungswahrscheinlichkeit von 63 % wurde unter Anwendung des Jacobi-I-Gutachtens ermittelt und betraf das beim Versicherten ebenfalls aufgetretene, vorliegend jedoch nicht relevante Bronchialkarzinom.

Vor dem Hintergrund der vom Senat für zutreffend erachteten und seiner Beurteilung zu Grunde gelegten Verursachungswahrscheinlichkeit von 40 % (Berechnung vom 22.10.2007) vermag der Senat ebenso wenig wie das SG festzustellen, dass die berufliche Belastung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Zungenkarzinom wesentlich mit verursacht hat. Denn mit diesem Wert wird der Schwellenwert von 50%, der einem relativen Risiko von 2 % entspricht, ab dem ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Strahlenbelastung und einer extrapulmonalen Krebserkrankung als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden kann (Auskunft der Gewerbeärztin Dr. N. vom 21.03.2000 gegenüber dem SG), deutlich verfehlt.

Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass das Jacobi-II-Gutachten eine generelle Eignung ionisierender Strahlen zur Hervorrufung extrapulmonaler Karzinome unterstellt, ohne zwischen den einzelnen Krebsarten zu unterscheiden. Diesbezüglich wies vor allem Prof. Dr. M. in seinem für das SG erstatteten wissenschaftlichen Gutachten darauf hin, dass gerade für die Zunge eine geringere Strahlensensibilität anzunehmen ist. Dr. N. bestätigte dies in ihrer Stellungnahme vom 21.03.2000, wenn sie ausführt, für die Zunge sei eine niedrigere Strahlendosis anzunehmen als vom TAD nach dem Jacobi-II-Gutachten zu Grunde gelegt, sodass eine Verursachungswahrscheinlichkeit unter 50 % resultieren würde; sie hielt damit ihre frühere Empfehlung zur Anerkennung einer BK ausdrücklich nicht aufrecht. Zwar wies Prof. Dr. M. darauf hin, dass die geringere Strahlensensibilität insbesondere auf die Absorptionswirkung der die Zunge überziehenden Schleimschicht zurückzuführen ist, dass diese Wirkung jedoch durch die besonderen Arbeitsbedingungen eines Hauers (verstärkte Mundatmung mit Austrocknung und ggf. nachfolgender mechanischer Schädigung der Schleimhaut) wieder relativiert werden könnte. Wie er aber selbst einräumt, ergibt dies lediglich eine rein theoretische Möglichkeit einer verstärkten Gefährdung von Hauern. Wenn Prof. Dr. M. dann darüber hinaus darauf hinwies, dass es in der gesamten Weltliteratur keine Hinweise für Zungenkrebs durch Strahlung gibt und dass die Inzidenz für Kehlkopfkrebs in Regionen mit Uranabbau niedriger ist als in der gesamten DDR, ergeben sich bereits Zweifel an einer generellen Eignung ionisierender Strahlung für die Entstehung von Zungenkrebs. Jedenfalls ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. M. , die Anwendung eines dosismetrischen Ansatzes, wie ihn das Jacobi-II-Gutachten vorsieht, sei aus diesen Gründen nicht empfehlenswert, nicht von der Hand zu weisen. Im Ergebnis kann dies aber, weil selbst nach den Grundsätzen des Jacobi-II-Gutachtens kein ursächlicher Zusammenhang angenommen werden kann, dahingestellt bleiben.

Berücksichtigt man darüber hinaus die Ausführungen des Prof. Dr. M. in seinem für das SG erstatteten Gutachten, wonach die Äthiopathogenese der Plattenepithelkarzinome des oberen Atmungs- und Verdauungstraktes ein multifaktorielles Geschehen darstellt bei dem im Vordergrund als Hauptrisikofaktoren allerdings der chronische Alkohol- und Tabakkonsum stehen, weshalb man heute davon ausgeht, dass ca. 80 % aller Plattenepithelkarzinome im Bereich des oberen Verdauungstraktes hierdurch verursacht werden, jedoch nur 10 % der Krebserkrankungen im Kopf-/Halsbereich durch berufliche Schadstoffeinwirkungen wesentlich mit verursacht werden, und beim Versicherten im Hinblick auf die dokumentierten Erkrankungen von einem erheblichen Alkohol- und Tabakkonsum ausgegangen werden muss, lässt sich insgesamt nicht feststellen, dass das beim Versicherten aufgetretene Zungenkarzinom mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich durch seine berufliche Tätigkeit bei der S/S W. mit verursacht wurde und sich demnach als Berufskrankheit im Sinne der Nr. 2402 der Anlage 1 zur BKVO darstellt.

Da nach alledem nicht festzustellen ist, dass der Versicherte an den Folgen einer Berufskrankheit verstorben ist, hat die Klägerin als dessen Witwe keinen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung. Ihre Berufung kann damit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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