L 1 U 4676/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 3525/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 4676/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. September 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit des Veranlagungsbescheids zum Gefahrtarif der Beklagten 1995.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung und ist seit 1. November 1990 im Unternehmerverzeichnis der Beklagten eingetragen.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 1995 veranlagte die Beklagte die Klägerin zum Gefahrtarif (GT) 1995. Dabei wurden in die Gefahrtarifstelle 23 die Unternehmensart Arbeitnehmerüberlassung, Kaufm. Verwaltung, im Büro und der Gefahrklasse 1,60 veranlagt, in Gefahrtarifstelle 24 die Arbeitnehmerüberlassung, soweit nicht in der Gefahrtarifstelle 23, mit der Gefahrklasse 12,80 für das Jahr 1995 und 15,80 für das Jahr 1996 sowie 18,80 für die Jahre 1997 bis 1999.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 1997 zurückwies. Zulässig sei der Gefahrtarif nach Gewerbezweigen gegliedert worden, ohne dass es auf die im Einzelnen von den Mitarbeitern verrichteten Tätigkeiten ankommen würde. Dies habe das Bundessozialgericht (BSG) auch bereits in seinem Urteil vom 21. August 1991 bestätigt (Az.: 2 RU 54/90). Auch werde die Entwicklung der Gefahrklassen ständig beobachtet und überprüft. Dem Gefahrtarif liege der Beobachtungszeitraum 1989 bis 1993 (richtig wohl 1994) zugrunde. Die Berechnung der Gefahrklasse im konkreten Fall wurde weiter dargestellt. Die Gefahrklasse für die Tarifstelle 24 habe rein rechnerisch schon ab 1995 18,8 betragen; doch habe die Vertreterversammlung beschlossen, die Gefahrklasse nur schrittweise nach oben anzupassen. Da jeder Gewerbezweig zudem gesondert betrachtet werde, könne es zu keiner unangemessenen Höhe eines einzelnen Gewerbezweigs an dem Gesamtbeitragsvolumen der Beklagten kommen.

Mit Beitragsbescheid vom 26. April 1996 setzte die Beklagte den Gesamtbeitrag für 1995 in Höhe von 13.530,19 DM fest. Der Beitragsbescheid vom 25. April 1997 für das Jahr 1996 wies einen Beitrag in Höhe von 37.922,68 DM aus. Auch dagegen erhob die Klägerin Widerspruch.

Mit Beitragsbescheid vom 27. April 1998 für das Jahr 1997 forderte die Beklagte einen Gesamtbeitrag in Höhe von 14.172,47 DM, wogegen ebenfalls Widerspruch erhoben worden und mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2004 zurückgewiesen worden ist. Die Beklagte verwies auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Februar 2004 (B 2 U 31/03 R), die sich mit den gegen die Beitragsbescheide erhobenen Vorwürfe bereits befasst habe. Darüber hinaus habe das BSG mit seiner Entscheidung vom 22. Juni 2004 die Rechtmäßigkeit des ab 1. Januar 1995 geltenden Gefahrtarifs festgestellt (Az.: B 2 U 2/03 R).

Gegen den Veranlagungsbescheid vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 1997 hat die Klägerin am 21. August 1997 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben (Az.: S 9 U 1971/97) und zugleich das Ruhen des Verfahrens zur Durchführung von anderen "Musterverfahren" beantragt. Das Ruhen wurde durch Beschluss vom 7. Oktober 1997 angeordnet. Das Verfahren wurde zunächst am 21. November 2000 wieder angerufen (Az: S 9 U 2777/00) und mit Beschluss vom 6. September 2001 wieder zum Ruhen gebracht. Mit Schriftsatz vom 13. November 2001 wandte sich der Klägerbevollmächtigte mit einem Antrag auf Wiederaufnahme erneut an das SG und beantragte zugleich die Erweiterung der Klage auf die die Prüfung der Beitragsbescheide vom 25. April 1997 und 27. April 1998, die auf Grundlage des Veranlagungsbescheides vom 27. Oktober 1995 ergangen seien und forderte die Rückerstattung zu viel gezahlter Beiträge in Höhe von 35.597,60 DM für 1996 und 26.259,58 DM für 1997. Mit Beschluss vom 13. Februar 2002 wurde auch dieses Verfahren erneut zum Ruhen gebracht.

Am 8. Oktober 2009 hat der Bevollmächtigte der Klägerin das Verfahren wieder angerufen. Der Bevollmächtigte hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe 1995 600 Mio. DM Überschuss eingenommen, von dem ein Großteil aus überhöhten Beiträgen der Zeitarbeitsunternehmen herrühre, diese weder an die Mitgliedsunternehmen zurückbezahlt noch ordnungsgemäß verbucht. Vielmehr seien die Gelder größtenteils an einen neu gegründeten Pensionsfonds umgeleitet worden. Darüber hinaus habe es umfangreiche Geldgeschäfte mit der Commerzbank gegeben. Dies habe sich auch auf die Erstellung des Gefahrtarifs ausgewirkt. Auch wenn dies unmittelbar nur die Wirtschaftsjahre 1994 und 1995 betreffe, seien davon auch die Folgejahre berührt, da sie auf den Bilanzen der Vorjahre aufbauten. Dass der DGUV und das Bundesversicherungsamt die jeweiligen Rechnungsabschlüsse geprüft und genehmigt hätten, rechtfertige keine andere Beurteilung, da man die Mehreinnahmen gerade verschleiert und den Gerichten gefälschte Unterlagen vorgelegt habe. Ein Dr. J., der damals bei der Beklagten gearbeitet habe, habe ihm dies mitgeteilt. Dr. J., Herr E. und Dr. K. stünden als Zeugen zur Verfügung. Auch habe es bei der Aufstellung des Gefahrtarifs 1998 erhebliche Probleme mit der Datenverarbeitung bei der Beklagten gegeben, was dazu geführt habe, dass die Gefahrklassen nicht hätten korrekt berechnet werden können. Dazu hat er ein Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 10. Juni 2009 (Az.: S 1 U 139/08), betreffend den GT 1995 und die Klage abweisend, seinen Schriftsatz vom 20. Juli 2009 an das LSG Rheinland-Pfalz (Az.: L 2 U 260/08) sowie das gegen ihn vorgelegte Unterlassungsurteil des LG Hamburg vom 13. Februar 2009 (Geschäfts-Nr. 324 O 601/08), den Berufungsschriftsatz an das OLG Hamburg vom 25. Mai 2009 sowie die Erwiderung der Beklagten vom 2. Juli 2009 vorgelegt, ebenso sein Beschwerdeschreiben an das Bundesversicherungsamt und dessen Antwortschreiben vom 23. November 2009. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat weiter mitgeteilt, dass er am 3. Februar 2010 bei der Staatsanwaltschaft B. "Strafanzeige gegen Verantwortliche der Verwaltungsberufsgenossenschaft" wegen "Verdacht auf Prozessbetrug, Urkundenfälschung, uneidliche Falschaussage etc." sowie "dubioser Immobiliengeschäfte" gestellt habe und das entsprechende Schreiben vorgelegt. In dieser Anzeige hat er die bereits im Rahmen der Klagebegründung vorgetragenen Vorwürfe wiederholt.

Die Beklagte hat sich u.a. auf das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 2009 (Az.: l 2 U 260/08), in dem die gleichen Vorwürfe, allerdings bezogen auf die Veranlagung ab 2007, erhoben worden sind, gestützt und sich gegen das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten gewandt.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. September 2010 hat das SG die Klage abgewiesen, darin nicht nur die Veranlagung der Klägerin zum Gefahrtarif 1995, sondern auch die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide für die Veranlagungsjahre 1995 und 1996 geprüft. Die von der Klägerin vorgebrachten Behauptungen bezüglich einer Überdeckung in Höhe von 600 Mio. DM seien für den Veranlagungsbescheid bereits nicht erheblich. Im Übrigen verpflichte auch der Amtsermittlungsgrundsatz nicht, Behauptungen ins Blaue hinein nachzugehen; darum handle es sich bei den erhobenen Vorwürfen jedoch. Hinsichtlich der Beitragsbescheide könne offen bleiben, ob überhaupt ein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt worden sei, da die Klage jedenfalls insoweit unbegründet sei. Soweit es sich nicht ohnehin nur um Behauptungen ins Blaue hinein handle, habe die Klägerin keine Einwände vorgebracht, die sich auf die Beitragsbescheide auswirken könnten.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 10. September 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser für die Klägerin am 4. Oktober 2010 Berufung eingelegt.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. September 2010, den Veranlagungsbescheid vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 1997 sowie die Beitragsbescheide vom 24. April 1996, 25. April 1997 und 27. April 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin geleistete Beiträge in Höhe von 12.179,74 DM für 1995, 35.597,60 DM für 1996 und 26.259,58 DM nebst 4% Zinsen seit dem 15. Mai 1996 zu erstatten, hilfsweise die Beweise gemäß Anträgen im Schriftsatz vom 01.10.2010 zu erheben.

Für den Fall, dass diesen Anträgen nicht gefolgt wird, rüge er bereits jetzt die Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Grundsatzes der Amtsermittlung.

Zur Begründung wiederholt der Bevollmächtigte der Klägerin im Wesentlichen das bisherige Vorbringen und führt ergänzend aus, dass an den vor der Wiederanrufung erhobenen Einwänden gegen den Gefahrtarif nicht mehr festgehalten wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Enscheidungen und hat ergänzend ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaften D. und B. zwei Ermittlungsverfahren eingestellt hätten. Die Einstellungsbeschlüsse (Staatsanwaltschaft D. [Az.: 741 Js 139/10] und B. [Az.: 37 Js 67/10]) sind vorgelegt worden. Weiter hat die Beklagte ausgeführt, dass die im Übrigen erhobenen Vorwürfe unbeachtlich seien, denn das BSG habe bereits in seiner Entscheidung vom 24. Februar 2003 (B 2 U 31/03 R) deutlich gemacht, dass Einwände gegen Beitragsbescheide nicht auf das Ausgabeverhalten der Beklagten gestützt werden könnten, denn bei einem Erfolg der Klage hätte diese keine unmittelbaren Auswirkungen auf die betreffenden Ausgaben. Nicht zuletzt weist die Beklagte darauf hin, dass in zahlreichen Entscheidungen weder Sozial- noch Landessozialgerichte den vom Beklagtenvertreter erhobenen Vorwürfen gefolgt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind - abweichend von der vom SG vertretenen Rechtsauffassung - lediglich der Veranlagungsbescheid vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 1997. Über die Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide hätte das SG nicht befinden dürfen, weil insoweit die Voraussetzungen des § 96 SGG nicht erfüllt sind (st. Rspr. BSG, vgl. Urteil vom 5. Juli 2005 = SozR 4-2700 § 157 Nr. 2; zuletzt BSG vom 8. Mai 2007 - SozR 4-2700 § 153 Nr. 2). Die Klage gegen die Beitragsbescheide ist deshalb unzulässig. Denn die Beitragsbescheide haben den Veranlagungsbescheid weder geändert noch ersetzt. Auch eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG, die nach der Rechtsprechung geboten ist, wenn der Versicherungsträger im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses für Folgezeiträume weitere gleichartige Verwaltungsakte erlässt, kommt nicht in Betracht. Veranlagungs- und Beitragsbescheid bauen zwar aufeinander auf, treffen aber unterschiedliche Regelungen mit der Folge, dass durch eine Einbeziehung des Beitragsbescheides neuer Streitstoff in das Verfahren eingeführt werden könnte und das Ziel der Prozessökonomie in Frage gestellt würde. Das BSG hat in der genannten Entscheidung deshalb an seiner Rechtsprechung festgehalten, wonach für eine gesetzliche Klageerweiterung analog § 96 Abs. 1 SGG im Verhältnis Veranlagungs- und Beitragsbescheid kein Raum ist (siehe bereits Urteil vom 24. Juni 2003 - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr. 1, jeweils RdNr 8; Urteil vom 9. Dezember 2003 - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr. 1, jeweils RdNr 5; Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 2/03 R -). Darüber hinaus ist der Bescheid vom 27. April 1998, betreffend die Beitragsfestsetzung für das Jahr 1998, Gegenstand des Verfahrens L 1 U 4675/10, so dass die Klage hiergegen bereits infolge anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig ist. Die fehlerhafte Einbeziehung der Beitragsbescheide in den Prozess durch das SG ist nicht durch rügelose Einlassung der Beteiligten "geheilt" worden. Ob neben dem Ausgangsbescheid weitere nach Klageerhebung ergangene Verwaltungsakte gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind, ist von Amts wegen zu prüfen, weil es dabei um das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen geht, die in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein müssen und nicht zur Disposition der Beteiligten stehen (BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr. 1, jeweils RdNr 6; Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 2/03 R -). Die Beitragsbescheide sind auch nicht durch (gewillkürte) Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Denn die Einbeziehung von Beitragsbescheiden in das Verfahren gegen einen Veranlagungsbescheid ist nicht sachdienlich im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG. Eine Klageänderung wäre nur sachdienlich, wenn sie dazu führen würde, dass der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt und endgültig bereinigt werden kann, so dass ein neuer Prozess vermieden wird (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 99 SGG Rn. 10 mwN). Angesichts der zahlreichen Verfahren allein vor dem erkennenden Senat, die vom Klägerbevollmächtigten betrieben werden und in denen ohne Rücksicht auf den eigentlichen Streitgegenstand vorgetragen wird, könnte mit der Einbeziehung weiterer Bescheide in das bereits anhängige Verfahren kein weiterer Streit vermieden werden. Der Veranlagungsbescheid vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 1997 unterliegen keinen Rechtmäßigkeitszweifeln. Die Rechtmäßigkeit der im Streit befindlichen Bescheide beurteilen sich noch nach den bis zum 1. Januar 1997 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Gemäß Art. 36 des Unfallversicherungs- Einordnungsgesetzes (UVEG) vom 7. August 1996 (BGBl I, 1254) in Verbindung mit den §§ 212 ff Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) geltend einschließlich der Bescheide für das Haushaltsjahr 1996 noch die Vorschriften der RVO und erst danach diejenigen des SGB VII. Dies bedeutet, dass für die Veranlagung zum Gefahrtarif 1995 die §§ 723 ff RVO relevant sind. Durch das SGB VII ist jedoch keine grundlegende inhaltliche Neuregelung erfolgt (BSG, Urteil vom 6. Mai 2003 - B 2 U 7/02 R = SozR 4-2700 § 162 Nr.1). Das BSG hat bereits in seiner Entscheidung vom 22. Juni 2004 (Az.: B 2 U 2/03 R) die Rechtmäßigkeit des GT 1995 und die auf dieser Grundlage durchgeführte Veranlagung eines Unternehmens der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung nach der Gefahrtarifstelle 23 und 24 festgestellt. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 19.7.2007 - 1 BvR 2521/04). Die von den Unternehmen allein zu zahlenden Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der jeweiligen Berufsgenossenschaft, den Arbeitsentgelten der Versicherten in dem jeweiligen Unternehmen und dem in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommenden Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen (§§ 723 Abs. 1, 725 Abs. 1, 730 RVO). Grundlage der Beitragserhebung ist der Gefahrtarif, in dem entsprechend den Unfallgefahren bzw. den Gefährdungsrisiken Gefahrtarifstellen zu bilden sind und den die jeweilige Berufsgenossenschaft als autonomes Recht erlässt (§§ 730, 734 Abs. 1 RVO). Dieser Gefahrtarif war nach § 731 Abs. 1 RVO alle fünf Jahre nachzuprüfen. Nach dem als Satzung anzusehenden Gefahrtarif sind die Unternehmen für die Tarifzeit zu den Gefahrklassen zu veranlagen (§ 734 Abs.1 RVO). Entsprechend dieser Kriterien hat die Beklagte die Klägerin zum Gefahrtarif 1995 veranlagt. Die vom Klägerbevollmächtigten nunmehr gegen den Veranlagungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vorgebrachten Einwände vermögen eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat schon nicht dargetan, wie sich die behaupteten Mehreinnahmen der Beklagten in den Wirtschaftsjahren 1994/1995 auf die Gefahrklassenberechnung auswirken sollen. Diese berechnen sich aus dem Verhältnis der Entschädigungslasten zu den gezahlten Entgelten einer Tarifstelle während eines bestimmten Zeitraums. Die sich daraus ergebende Belastungsziffer ergibt die Gefahrklasse. Keiner dieser Faktoren ist jedoch von den behaupteten Mehreinnahmen auch nur annähernd betroffen. Darauf ist auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 29. Juni 2010 (Az.: L 3 U 261/08) auf Seiten 16 und 17 der Entscheidungsgründe sehr ausführlich eingegangen, worauf ergänzend verwiesen wird. Mit diesem Gesichtspunkt und der zugrunde liegenden rechtlichen Problematik hat sich der Klägerbevollmächtigte auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht auseinander gesetzt. Dem hilfsweise gestellten Antrag auf Vernehmung der Zeugen Dr. J. und Anderer war deshalb mangels rechtlicher und tatsächlicher Bedeutung für das vorliegende Verfahren nicht nachzugehen. Nur ergänzend weist der Senat deshalb darauf hin, dass bereits das Landgericht Hamburg in seinem Urteil vom 13. Februar 2009 zutreffend ausgeführt hat, dass schon der Vortrag von behaupteten Mehreinnahmen in Höhe von 600 Mio. DM auch vor dem Hintergrund des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes nicht hinreichend konkret ist. Soweit der Klägerbevollmächtigte im Berufungsverfahren vorträgt, der Umstand, dass das Oberlandesgericht Hamburg noch immer nicht über seine Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg entschieden habe, spreche für eine Sachentscheidung zu seinen Gunsten, handelt es sich um reine Spekulation, der nachzugehen der Senat keine Veranlassung hat. Auch das Vorbringen des Klägerbevollmächtigten gegenüber dem Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde war ohne Erfolg, wie dessen Schreiben vom 23. November 2009 belegt. So hat das Bundesversicherungsamt ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich im Zuge der aufsichtsrechtlichen Prüfung keinerlei Hinweise auf Tatsachen ergeben hätten, die ein rechtsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten bei der Aufstellung der Gefahrtarife begründet hätten. Anhaltspunkte, die belegen könnten, dass sich die Beklagte die Genehmigungen u.a. des Bundesversicherungsamtes "erschlichen" hat, hat offenbar auch das Bundesversicherungsamt dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten nicht entnehmen können. Soweit dafür Beweis angeboten worden ist, dass das Bundesversicherungsamt von "verschleierten Mehreinnahmen in Höhe von 600 Mio. DM" nichts gewusst hat bzw. den Gefahrtarif nicht genehmigt hätte, wären diesen Mehreinnahmen bekannt gewesen, sind diese Behandlungen unerheblich.

Unsubstantiiert ist auch der Vortrag, Nacherhebungen der Beklagten seien unter anderem deshalb unzutreffend erfolgt, weil der Beklagten nur ungenügendes Datenmaterial vorgelegen habe. Zur Umstellung, die zum Gefahrtarif 1995 vorgenommen worden ist, hat das BSG in seiner Entscheidung vom 24. Juni 2003 (B 2 U 21/02 R) unter Verweis auf die zugrunde liegende Entscheidung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein (Urteil vom 6. Februar 2002 - L 8 U 50/012 R) Stellung genommen und im Ergebnis Rechtsfehler im Gefahrtarif 1995 nicht feststellen können. Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein hatte in seiner Entscheidung sehr ausführlich Bezug genommen auf das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. März 2001 (L 2 U 151/99), das auf die vom Klägerbevollmächtigten nunmehr wiederholten Einwände nach einer ausführlichen Zeugenbefragung bereits eingegangen ist. Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat auch für das vorliegende Verfahren an.

Nicht nachvollziehbar ist der Vortrag, wie sich angebliche Fehler in der Datenverarbeitung für den Gefahrtarif 1998 - so der weitere Vortrag des Bevollmächtigten - bereits bei der Aufstellung des Gefahrtarifs 1995 ausgewirkt haben sollten. Beweis darüber war deswegen ebenfalls nicht zu erheben. Im Übrigen hat der Klägerbevollmächtigte seinen diesbezüglichen Vortrag im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz im Verfahren L 3 U 261/08 ausdrücklich aus bloße Vermutung gekennzeichnet (vgl. S. 21 der Entscheidung), so dass auf dieser Basis Beweiserhebungen ins Blaue hinein nicht vorzunehmen waren.

Soweit der Klägerbevollmächtigte zuletzt vorgetragen hat, dass er im März 2010 Strafanzeige gegen "Verantwortliche der Verwaltungsberufsgenossenschaft" u.a. wegen Verdacht auf Prozessbetrug, Urkundenfälschung, uneidliche Falschaussage etc. gestellt und diese auch vorgelegt hat, ist das Verfahren von der Staatsanwaltschaft D. mit Beschluss vom 10. August 2010 wegen Verjährung der zugrunde liegenden Vorwürfe eingestellt worden. Soweit dort noch ein weiteres staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, handelt es sich hierbei um Ermittlungen wegen "diverser Immobiliengeschäfte", die bereits aus diesem Grund nicht mit der Erstellung des Gefahrtarifs 1995 der Beklagten in Zusammenhang stehen. Die Staatsanwaltschaft B. hat mit Beschluss vom 8. September 2010 ein dort anhängiges Ermittlungsverfahren wegen der erhobenen Betrugsvorwürfe gegen einen Mitarbeiter der Beklagten, die der Klägerbevollmächtigte auf das selbe Vorbringen wie im vorliegenden Verfahren gestützt hat, ebenfalls eingestellt, da eine Täuschungshandlung nicht habe festgestellt werden können. Eines Eingehens des Gerichts auf den Aussetzungsbeschluss des Berichterstatters im 3. Senat des Hessischen Landessozialgerichts im Verfahren L 3 U 203/08 vom 29. Juli 2010 bedarf es deshalb nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das vorliegende Verfahren ist, auch wenn weder Klägerin noch Beklagte zu den in § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personen gehören, nicht nach § 197a SGG gerichtskostenpflichtig, da die Klage gegen angefochtenen Bescheide bereits am 21. August 1997 und damit vor Inkrafttreten des § 197a SGG zum 1. Januar 2002 erhoben worden ist.

Das Kostenrecht des sozialgerichtlichen Verfahrens ist mit Wirkung vom 2. Januar 2002 (Art 19 Satz 3 6. SGGÄndG) grundlegend umgestaltet worden. In den in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG umschriebenen Verfahren entfällt die Gerichtskostenfreiheit. Gerichtskosten werden nunmehr nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Für die Frage, wer im Verhältnis der Beteiligten zueinander die im Rechtsstreit entstandenen Kosten zu tragen hat, ordnet das Gesetz die entsprechende Anwendung der §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) an (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG).

Nach der Übergangsvorschrift des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des 6. SGGÄndG vom 17. August 2001 gelten für einen Rechtszug, für den am Tag vor dem Inkrafttreten diese Gesetzes die Gebühr fällig geworden ist oder Kosten gemäß § 192 SGG auferlegt worden sind, die §§ 184 bis 187 und 192 des SGG und die Rechtsverordnung nach § 184 Abs. 2 SGG in der bisherigen Fassung weiter. Für Verfahren nach § 197 a SGG gilt nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 SGG, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes rechtshängig waren, § 183 des SGG in der bisherigen Fassung weiter. Die Aufhebung der Gerichtskostenfreiheit erfasst deshalb nach der Übergangsregelung des Art 17 Abs. 1 Satz 2 6. SGGÄndG solche Verfahren nicht, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes rechtshängig waren.

Das Bundessozialgericht hat in mehreren grundlegenden Entscheidungen zur Streitfrage, ob in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 6. SGGÄndG wie in Satz 1 auf den jeweiligen Rechtszug abzustellen ist oder auf die Rechtshängigkeit der Streitsache an sich, ausgeführt, dass abweichend von Satz 1 die Rechtshängigkeit maßgeblich ist und nicht der Rechtszug (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 12/01 R = SozR 3-2500 § 116 Nr. 24; Beschluss vom 27. November 2003 - B 6 KA 79/02 B; Beschluss vom 5. Mai 2003 - B 13 SF 5/02 S = SozR 4-1500 § 183 Nr. 1; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Mai 2002 - L 13 AL 283/02 - auch in Satz 2 sei auf den Rechtszug abzustellen).

Das Verfahren ist mit der Klageerhebung vor dem SG am 21. August 1997 rechtshängig geworden und damit vor dem Inkrafttreten des § 197a in der Fassung des 6. SGGÄndG vom 17. August 2001. Das Ruhen des Verfahrens bis zur Wiederanrufung am 8. September 2009 lässt die Rechtshängigkeit unberührt (BSG SozR Nr. 4 zu § 185 SGG; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 94 Rn. 4a mwN).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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