Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 23 SB 2313/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 682/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 7. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte dem Kläger den Nachteilsausgleich (Merkzeichen) "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) zu Recht entzogen hat.
Bei dem am 1943 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt S. mit Bescheid vom 04.10.2004 wegen Lungentuberkulose und chronischer Bronchitis (Teil-GdB 50), Alkoholkrankheit (Teil-GdB 30) sowie organischer Einengung der Speiseröhre, Teilverlust des Dickdarms, chronischer Magenschleimhautentzündung und Leberschaden (Teil-GdB 10) den GdB mit 60 sowie das Merkzeichen "G" fest. Der Entscheidung lagen der ärztliche Befundschein von Dr. O. vom 08.06.2004 und der Befundbericht der Klinik S. G. vom 11.04.2003 sowie die gutachtliche versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. La. vom 01.08.2004 und Dr. Schu. vom 13.09.2004 zu Grunde.
Im Juni 2007 leitete das zwischenzeitlich zuständige Landratsamt B. - Versorgungsamt in S. - (VA) ein Nachprüfungsverfahren ein. Das VA holte den Befundbericht von Dr. O. vom 08.04.2008 ein und nahm weitere ärztliche Befundunterlagen zu den Akten (Befundberichte Dr. M. vom 07.01.2008 und 22.06.2007, Dr. M.-B. vom 19.04.2007, Dr. He. vom 25.09.2007 und 23.02.2005, Dr. Ma. vom 20.03.2007, 02.10.2007 und 17.06.2008, Dr. Ta. vom 17.10.2005 sowie Dr. Li. vom 22.04.2008), die versorgungsärztlich ausgewertet wurden (gutachtliche Stellungnahme Dr. F. vom 10.05.2008). Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsschreiben vom 21.05.2008) stellte das VA entsprechend der gutachtlichen versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. La. vom 09.07.2008 mit Bescheid vom 16.07.2008 unter Aufhebung des Bescheides vom 04.10.2004 wegen einer Lungenfunktionseinschränkung, chronischer Bronchitis (Teil-GdB 30), Alkoholkrankheit (Teil-GdB 20), Herzleistungsminderung, Bluthochdruck (Teil-GdB 20) und organischer Einengung der Speiseröhre, Teilverlust des Dickdarms, chronischer Magenschleimhautentzündung und Leberschaden (Teil-GdB 10) den GdB nur noch mit 40 ab 20.07.2008 fest, sowie, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht mehr vorlägen.
Gegen den Bescheid vom 16.07.2008 legte der Kläger am 14.08.2008 Widerspruch ein, mit dem er die Feststellung des GdB von mindestens 50 sowie der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" geltend machte. Er trug zur Begründung vor, die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft und die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung des Gehvermögens im Straßenverkehr seien gerechtfertigt. Seine pulmologischen Erkrankungen sowie seine Alkoholkrankheit seien nicht leidensgerecht gewürdigt worden. Das VA nahm daraufhin den Befundbericht des Dr. M. vom 28.11.2005 zu den Akten. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 04.02.2009 stellte das VA entsprechend der gutachtlichen versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. May. vom 23.01.2009 unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Polyneuropathie (Teil-GdB 20) und einer Funktionsbehinderung des Kniegelenks (Teil-GdB 10) den GdB mit 50 seit 20.07.2008 fest; die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" lägen weiterhin nicht mehr vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2009 wurde der Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide vom 16.07.2008 und 04.02.2009 vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 02.04.2009 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG), zunächst mit dem Antrag, den Bescheid vom 16.07.2008/Widerspruchsbescheid vom 05.03.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit mindestens 60 festzustellen. Mit Schriftsatz vom 09.07.2009 teilte der Kläger durch seinen vormaligen Prozessbevollmächtigten mit, Klageziel sei, das Merkzeichen "G" festzustellen. Er machte unter Bezug auf die vorliegenden ärztlichen Befundberichte und sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren geltend, aufgrund seiner kardiologischen, pulmologischen, neurologischen und orthopädischen Leiden in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich eingeschränkt zu sein. Seinen Anträgen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, sei der Beklagte nicht nachgegangen.
Das SG hörte die Neurologin und Psychiaterin Li. , den Internisten Dr. Ma. , den Orthopäden Dr. We. und den Kardiologen Dr. M. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Die Nervenärztin Li. teilte in ihrer Stellungnahme vom 29.07.2009 die Befunde sowie die Diagnose (sensibel betonte Polyneuropathie) mit. Die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei hierdurch nicht erheblich beeinträchtigt. Dr. Ma. teilte in seiner Stellungnahme vom 22.07.2009 die Befunde sowie Diagnosen (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Abhängigkeitssyndrom beim Gebrauch von Tabak und Tuberkulom rechts) mit. Die Anerkennung des Merkzeichens "G" sei aufgrund der erhobenen Befunde mit einer nur leichten Lungenfunktionseinschränkung nicht gerechtfertigt. Dr. We. teilte in seiner Stellungnahme vom 29.07.2009 mit, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" seien auf orthopädischem Gebiet als nicht erfüllt anzusehen. Dr. M. teilte in seiner Stellungnahme vom 21.09.2009 unter Vorlage von Befundberichten die Diagnosen mit. Er stimmte der Beurteilung des GdB (insbesondere Herz-Kreislauf-Sektor GdB 20) durch den Beklagten zu.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.01.2010 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung - gestützt auf die eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen - aus, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich so wesentlich gebessert, dass seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht mehr eingeschränkt sei. Die Entziehung des Merkzeichens "G" sei folglich rechtmäßig.
Gegen den dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Kläger am 12.01.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger (durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten) am 10.02.2010 Berufung eingelegt. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, eine wesentliche Änderung im Vergleich zum Bescheid vom 04.10.2004 sei nicht eingetreten. Aufgrund der sich wechselseitig verstärkenden Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere aufgrund der kardiologischen, pulmologischen, neurologischen und orthopädischen Leiden, sei er nicht mehr in der Lage, eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zurückzulegen. Bei ihm liege eine dauernde Einschränkung seiner Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades vor. Die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen Herzleistungsminderung, Bluthochdruck, Polyneuropathie, die Funktionsbehinderung des Kniegelenks und vor allem die Atembehinderung mit einer dauernden Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades und die chronische Bronchitis setzten, auch im Hinblick auf ihre wechselseitigen Beziehungen, die Bewegungsfähigkeit ebenso weit herab, wie die in den AHP und den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen beispielhaft genannten Fälle. Der Kläger hat die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten beantragt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 7. Januar 2010 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 4. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2009 aufzuheben, soweit ihm das Merkzeichen "G" für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen entzogen wurde.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Das Begehren des Klägers sei durch den objektiven medizinischen Sachverhalt nicht bestätigt worden. Die Neurologin Li. , Dr. We. sowie Dr. Ma. hätten das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr verneint.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist alleine, ob der Beklagte dem Kläger das Merkzeichen "G" für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen zu Recht aberkannt (entzogen) hat. Nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist, ob der Beklagte beim Kläger den GdB mit 50 zutreffend festgestellt hat. Seine auch hiergegen gerichtete Klage (GdB mindestens 60) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 09.06.2009 nicht mehr weiterverfolgt, indem er erklärt hat, Ziel der Klage sei die Feststellung des Merkzeichens "G". Dem entspricht auch sein in diesem Schriftsatz gestellter Klageantrag. Der Senat hat dem entsprechend den Berufungsantrag des Klägers nach seinem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.
Insoweit ist die Klage auch zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Die Klageerhebung am 02.04.2009 beinhaltete mit dem Aufhebungsantrag die rechtlich zulässige und gebotene Anfechtungsklage gegen den Entzug des Merkzeichens.
Die streitgegenständlichen Bescheide sind nicht formell rechtswidrig. Der Kläger ist vor Erlass des das Merkzeichen "G" entziehenden Bescheids vom 16.07.2008 mit Schreiben vom 21.05.2008 ordnungsgemäß angehört worden. Insoweit hat der Kläger auch keine Einwendungen erhoben.
Rechtsgrundlage für den Entzug des Merkzeichens "G" ist § 48 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Danach ist festzustellen, ob sich hinsichtlich der beim Kläger vorliegenden Behinderungen eine Besserung gegenüber den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 04.10.2004 zugrunde lagen, ergeben hat, die den Entzug des Merkzeichens "G" rechtfertigte. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung des Beklagten ist bei der hier vorliegenden reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG) die Sach- und Rechtslage bei Erlass der (letzten) Verwaltungsentscheidung (hier der Erlass des Widerspruchsbescheids am 05.03.2009). Auf spätere Veränderungen des Gesundheitszustandes bzw. des Gehvermögens kommt es nicht an.
Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG in SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2) gelten als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten.
Hiervon ausgehend ist beim Kläger eine den Entzug des Merkzeichens "G" rechtfertigenden Besserung des Gehvermögens eingetreten.
Allerdings kann sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht auf die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) berufen. Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage VG zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Ver-ordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten jedoch weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Merkzeichen G sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, beide veröffentlicht in www.juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Die Zuerkennung des Merkzeichens "G" mit Bescheid vom 04.10.2004 beruhte darauf, dass der Beklagte wegen der Lungenerkrankung des Klägers (Lungentuberkulose und chronische Bronchitis) entsprechend den Angaben von Dr. O. im Befundschein vom 08.06.2004 von einer mittelgradigen Einschränkung der Lungenfunktion ausgegangen ist, die nach den zur Zeit des Ergehens des Bescheides vom 04.10.2004 anzuwendenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004 (AHP) einen GdB von 50 bis 70 bedingte und nach Nr. 30 Abs. 3 der AHP (Atembehinderung mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grads gemäß Nr. 26.8 der AHP) die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr rechtfertigte.
Nach den im Nachprüfungsverfahren zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen und dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Ermittlungen liegt eine solche mittelgradige Einschränkung der Lungenfunktion zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt beim Kläger nicht mehr vor. Der abweichenden Ansicht des Klägers kann nicht gefolgt werden. Nach dem Befundbericht von Dr. Ma. vom 20.03.2007 besteht beim Kläger nur noch eine leichte respiratorische Partialinsuffizienz sowie eine leichte obstruktive Ventilationsstörung und Belastungsdyspnoe (Befundbericht vom 17.06.2008). Nach dem weiteren Befundbericht von Dr. Ma. vom 02.10.2007 waren beim Kläger bronchitische Beschwerden abklingend. Der Lungenrundherd hat sich deutlich verkleinert. Nach dem Befundbericht von Dr. Ta. vom 17.10.2005 ist die Lungentuberkulose inaktiv. Dem entsprechen auch die von Dr. Ma. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 28.07.2009 mitgeteilten Befunde einer nur leichten Lungenfunktionseinschränkung, die nach Ansicht von Dr. Ma. die Anerkennung des Merkzeichens "G" beim Kläger nicht rechtfertigt. Soweit Dr. O. im Befundbericht vom 08.04.2008 - weiterhin - von einer mittel- bis hochgradigen Funktionsstörung der Lunge ausgeht, lässt sich diese Einschätzung mit den sonst vorliegenden Befundberichten und den Angaben von Dr. Ma. nicht vereinbaren. Dr. O. nennt auch keine Lungenfunktionswerte, die eine mittelgradige bis hochgradige Funktionsstörung nachvollziehbar machen, weshalb seiner Einschätzung nicht gefolgt werden kann.
Auch auf kardiologischem, neurologischem und orthopädischem Gebiet bestehen beim Kläger keine Gesundheitsstörungen mit Funktionseinschränkungen, die eine weiterhin bestehende erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr begründen. Dies haben die Nervenärztin Li. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 29.07.2009 und Dr. We. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 29.07.2009 bestätigt. Danach besteht auf neurologischem Fachgebiet beim Kläger eine Polyneuropathie, die die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt. Auf orthopädischem Fachgebiet besteht beim Kläger nach den Angaben von Dr. We. eine leicht- bis mittelgradige Metatarsalgie bei Spreizfuß. Nach dem Befundbericht von Dr. M.-B. vom 19.04.2007 sind die Kniegelenke des Klägers beidseits reizlos und ohne Bewegungsschmerzen frei beweglich. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. vom 21.09.2009 besteht beim Kläger weiter eine arterielle Hypertonie mit beginnender Schädigung der linken Herzkammer. Dr. M. teilte jedoch die Einschätzung des Beklagten hinsichtlich des Teil-GdB von 20 wegen einer Herzleistungsminderung und Bluthochdruck. Nach seinen Mitteilungen war der Kläger (im Jahr 2007) bis 2 Minuten mit 100 Watt belastbar, wobei nach dem beigelegten Befundbericht vom 22.06.2007 die Belastung wegen peripherer Erschöpfung vom Kläger abgebrochen wurde. Aufgrund dieser Befunde kann beim Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass er aufgrund einer Herzleistungsminderung (und Bluthochdruck) nicht in der Lage ist, Wegstrecken von 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten zurückzulegen. Die VG Teil B Nr. 9.1.1 gehen bei einer Einschränkung der Herzleistung u.a. davon aus, dass das Auftreten pathologischer Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) einer Leistungsbeeinträchtigung beim Spazierengehen von nur 3 bis 4 km/h gleichsteht. Hieraus kann gefolgert werden, dass in einem solchen Fall das Zurücklegen einer Wegstrecke zu Fuß von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten nicht mehr möglich ist. Eine solche Einschränkung der Herzleistung des Klägers besteht nicht.
Danach ist beim Kläger davon auszugehen, dass bei ihm auf internistischem (kardiologischem und pulmologischem), neurologischem und orthopädischem Gebiet keine Funktionseinschränkungen bestehen, die für sich oder in ihrem Zusammenwirken die Annahme rechtfertigen, der Kläger sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Im Hinblick auf das Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme und den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen steht für den Senat vielmehr fest, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich gebessert hat, dass seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht mehr erheblich eingeschränkt ist, weshalb die Entziehung des Merkzeichens "G" nicht zu beanstanden ist.
Anlass zu weiteren Ermittlungen durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten besteht nicht. Vielmehr hält der Senat den Sachverhalt durch die vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten Befundunterlagen für geklärt. Gesichtspunkte, die Anlass zu weiteren Ermittlungen geben, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargetan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte dem Kläger den Nachteilsausgleich (Merkzeichen) "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) zu Recht entzogen hat.
Bei dem am 1943 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt S. mit Bescheid vom 04.10.2004 wegen Lungentuberkulose und chronischer Bronchitis (Teil-GdB 50), Alkoholkrankheit (Teil-GdB 30) sowie organischer Einengung der Speiseröhre, Teilverlust des Dickdarms, chronischer Magenschleimhautentzündung und Leberschaden (Teil-GdB 10) den GdB mit 60 sowie das Merkzeichen "G" fest. Der Entscheidung lagen der ärztliche Befundschein von Dr. O. vom 08.06.2004 und der Befundbericht der Klinik S. G. vom 11.04.2003 sowie die gutachtliche versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. La. vom 01.08.2004 und Dr. Schu. vom 13.09.2004 zu Grunde.
Im Juni 2007 leitete das zwischenzeitlich zuständige Landratsamt B. - Versorgungsamt in S. - (VA) ein Nachprüfungsverfahren ein. Das VA holte den Befundbericht von Dr. O. vom 08.04.2008 ein und nahm weitere ärztliche Befundunterlagen zu den Akten (Befundberichte Dr. M. vom 07.01.2008 und 22.06.2007, Dr. M.-B. vom 19.04.2007, Dr. He. vom 25.09.2007 und 23.02.2005, Dr. Ma. vom 20.03.2007, 02.10.2007 und 17.06.2008, Dr. Ta. vom 17.10.2005 sowie Dr. Li. vom 22.04.2008), die versorgungsärztlich ausgewertet wurden (gutachtliche Stellungnahme Dr. F. vom 10.05.2008). Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsschreiben vom 21.05.2008) stellte das VA entsprechend der gutachtlichen versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. La. vom 09.07.2008 mit Bescheid vom 16.07.2008 unter Aufhebung des Bescheides vom 04.10.2004 wegen einer Lungenfunktionseinschränkung, chronischer Bronchitis (Teil-GdB 30), Alkoholkrankheit (Teil-GdB 20), Herzleistungsminderung, Bluthochdruck (Teil-GdB 20) und organischer Einengung der Speiseröhre, Teilverlust des Dickdarms, chronischer Magenschleimhautentzündung und Leberschaden (Teil-GdB 10) den GdB nur noch mit 40 ab 20.07.2008 fest, sowie, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht mehr vorlägen.
Gegen den Bescheid vom 16.07.2008 legte der Kläger am 14.08.2008 Widerspruch ein, mit dem er die Feststellung des GdB von mindestens 50 sowie der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" geltend machte. Er trug zur Begründung vor, die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft und die Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung des Gehvermögens im Straßenverkehr seien gerechtfertigt. Seine pulmologischen Erkrankungen sowie seine Alkoholkrankheit seien nicht leidensgerecht gewürdigt worden. Das VA nahm daraufhin den Befundbericht des Dr. M. vom 28.11.2005 zu den Akten. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 04.02.2009 stellte das VA entsprechend der gutachtlichen versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. May. vom 23.01.2009 unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Polyneuropathie (Teil-GdB 20) und einer Funktionsbehinderung des Kniegelenks (Teil-GdB 10) den GdB mit 50 seit 20.07.2008 fest; die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" lägen weiterhin nicht mehr vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2009 wurde der Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide vom 16.07.2008 und 04.02.2009 vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 02.04.2009 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG), zunächst mit dem Antrag, den Bescheid vom 16.07.2008/Widerspruchsbescheid vom 05.03.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit mindestens 60 festzustellen. Mit Schriftsatz vom 09.07.2009 teilte der Kläger durch seinen vormaligen Prozessbevollmächtigten mit, Klageziel sei, das Merkzeichen "G" festzustellen. Er machte unter Bezug auf die vorliegenden ärztlichen Befundberichte und sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren geltend, aufgrund seiner kardiologischen, pulmologischen, neurologischen und orthopädischen Leiden in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich eingeschränkt zu sein. Seinen Anträgen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, sei der Beklagte nicht nachgegangen.
Das SG hörte die Neurologin und Psychiaterin Li. , den Internisten Dr. Ma. , den Orthopäden Dr. We. und den Kardiologen Dr. M. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Die Nervenärztin Li. teilte in ihrer Stellungnahme vom 29.07.2009 die Befunde sowie die Diagnose (sensibel betonte Polyneuropathie) mit. Die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr sei hierdurch nicht erheblich beeinträchtigt. Dr. Ma. teilte in seiner Stellungnahme vom 22.07.2009 die Befunde sowie Diagnosen (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Abhängigkeitssyndrom beim Gebrauch von Tabak und Tuberkulom rechts) mit. Die Anerkennung des Merkzeichens "G" sei aufgrund der erhobenen Befunde mit einer nur leichten Lungenfunktionseinschränkung nicht gerechtfertigt. Dr. We. teilte in seiner Stellungnahme vom 29.07.2009 mit, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" seien auf orthopädischem Gebiet als nicht erfüllt anzusehen. Dr. M. teilte in seiner Stellungnahme vom 21.09.2009 unter Vorlage von Befundberichten die Diagnosen mit. Er stimmte der Beurteilung des GdB (insbesondere Herz-Kreislauf-Sektor GdB 20) durch den Beklagten zu.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.01.2010 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung - gestützt auf die eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen - aus, der Gesundheitszustand des Klägers habe sich so wesentlich gebessert, dass seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht mehr eingeschränkt sei. Die Entziehung des Merkzeichens "G" sei folglich rechtmäßig.
Gegen den dem vormaligen Prozessbevollmächtigten des Kläger am 12.01.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger (durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten) am 10.02.2010 Berufung eingelegt. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, eine wesentliche Änderung im Vergleich zum Bescheid vom 04.10.2004 sei nicht eingetreten. Aufgrund der sich wechselseitig verstärkenden Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere aufgrund der kardiologischen, pulmologischen, neurologischen und orthopädischen Leiden, sei er nicht mehr in der Lage, eine Wegstrecke von 2 km in einer halben Stunde zurückzulegen. Bei ihm liege eine dauernde Einschränkung seiner Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades vor. Die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen Herzleistungsminderung, Bluthochdruck, Polyneuropathie, die Funktionsbehinderung des Kniegelenks und vor allem die Atembehinderung mit einer dauernden Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grades und die chronische Bronchitis setzten, auch im Hinblick auf ihre wechselseitigen Beziehungen, die Bewegungsfähigkeit ebenso weit herab, wie die in den AHP und den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen beispielhaft genannten Fälle. Der Kläger hat die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten beantragt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 7. Januar 2010 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2008 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 4. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2009 aufzuheben, soweit ihm das Merkzeichen "G" für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen entzogen wurde.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Das Begehren des Klägers sei durch den objektiven medizinischen Sachverhalt nicht bestätigt worden. Die Neurologin Li. , Dr. We. sowie Dr. Ma. hätten das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr verneint.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie ein Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch insgesamt zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist alleine, ob der Beklagte dem Kläger das Merkzeichen "G" für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen zu Recht aberkannt (entzogen) hat. Nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist, ob der Beklagte beim Kläger den GdB mit 50 zutreffend festgestellt hat. Seine auch hiergegen gerichtete Klage (GdB mindestens 60) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 09.06.2009 nicht mehr weiterverfolgt, indem er erklärt hat, Ziel der Klage sei die Feststellung des Merkzeichens "G". Dem entspricht auch sein in diesem Schriftsatz gestellter Klageantrag. Der Senat hat dem entsprechend den Berufungsantrag des Klägers nach seinem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.
Insoweit ist die Klage auch zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Die Klageerhebung am 02.04.2009 beinhaltete mit dem Aufhebungsantrag die rechtlich zulässige und gebotene Anfechtungsklage gegen den Entzug des Merkzeichens.
Die streitgegenständlichen Bescheide sind nicht formell rechtswidrig. Der Kläger ist vor Erlass des das Merkzeichen "G" entziehenden Bescheids vom 16.07.2008 mit Schreiben vom 21.05.2008 ordnungsgemäß angehört worden. Insoweit hat der Kläger auch keine Einwendungen erhoben.
Rechtsgrundlage für den Entzug des Merkzeichens "G" ist § 48 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Danach ist festzustellen, ob sich hinsichtlich der beim Kläger vorliegenden Behinderungen eine Besserung gegenüber den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 04.10.2004 zugrunde lagen, ergeben hat, die den Entzug des Merkzeichens "G" rechtfertigte. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung des Beklagten ist bei der hier vorliegenden reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG) die Sach- und Rechtslage bei Erlass der (letzten) Verwaltungsentscheidung (hier der Erlass des Widerspruchsbescheids am 05.03.2009). Auf spätere Veränderungen des Gesundheitszustandes bzw. des Gehvermögens kommt es nicht an.
Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG in SozR 3870 § 60 SchwbG Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVS 1/96 = SozR 3 - 3870 § 60 Nr. 2) gelten als Wegstrecken, welche im Ortsverkehr - ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall - üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden, solche von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten.
Hiervon ausgehend ist beim Kläger eine den Entzug des Merkzeichens "G" rechtfertigenden Besserung des Gehvermögens eingetreten.
Allerdings kann sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht auf die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) berufen. Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten AHP die Anlage VG zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Ver-ordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthalten jedoch weder § 30 Abs. 17 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht in SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche ist auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Merkzeichen G sind damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, beide veröffentlicht in www.juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Rechtsgrundlage sind daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung zulässig anzuwendenden Verwaltungsvorschriften.
Die Zuerkennung des Merkzeichens "G" mit Bescheid vom 04.10.2004 beruhte darauf, dass der Beklagte wegen der Lungenerkrankung des Klägers (Lungentuberkulose und chronische Bronchitis) entsprechend den Angaben von Dr. O. im Befundschein vom 08.06.2004 von einer mittelgradigen Einschränkung der Lungenfunktion ausgegangen ist, die nach den zur Zeit des Ergehens des Bescheides vom 04.10.2004 anzuwendenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004 (AHP) einen GdB von 50 bis 70 bedingte und nach Nr. 30 Abs. 3 der AHP (Atembehinderung mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion mittleren Grads gemäß Nr. 26.8 der AHP) die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr rechtfertigte.
Nach den im Nachprüfungsverfahren zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen und dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Ermittlungen liegt eine solche mittelgradige Einschränkung der Lungenfunktion zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt beim Kläger nicht mehr vor. Der abweichenden Ansicht des Klägers kann nicht gefolgt werden. Nach dem Befundbericht von Dr. Ma. vom 20.03.2007 besteht beim Kläger nur noch eine leichte respiratorische Partialinsuffizienz sowie eine leichte obstruktive Ventilationsstörung und Belastungsdyspnoe (Befundbericht vom 17.06.2008). Nach dem weiteren Befundbericht von Dr. Ma. vom 02.10.2007 waren beim Kläger bronchitische Beschwerden abklingend. Der Lungenrundherd hat sich deutlich verkleinert. Nach dem Befundbericht von Dr. Ta. vom 17.10.2005 ist die Lungentuberkulose inaktiv. Dem entsprechen auch die von Dr. Ma. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 28.07.2009 mitgeteilten Befunde einer nur leichten Lungenfunktionseinschränkung, die nach Ansicht von Dr. Ma. die Anerkennung des Merkzeichens "G" beim Kläger nicht rechtfertigt. Soweit Dr. O. im Befundbericht vom 08.04.2008 - weiterhin - von einer mittel- bis hochgradigen Funktionsstörung der Lunge ausgeht, lässt sich diese Einschätzung mit den sonst vorliegenden Befundberichten und den Angaben von Dr. Ma. nicht vereinbaren. Dr. O. nennt auch keine Lungenfunktionswerte, die eine mittelgradige bis hochgradige Funktionsstörung nachvollziehbar machen, weshalb seiner Einschätzung nicht gefolgt werden kann.
Auch auf kardiologischem, neurologischem und orthopädischem Gebiet bestehen beim Kläger keine Gesundheitsstörungen mit Funktionseinschränkungen, die eine weiterhin bestehende erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr begründen. Dies haben die Nervenärztin Li. in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 29.07.2009 und Dr. We. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 29.07.2009 bestätigt. Danach besteht auf neurologischem Fachgebiet beim Kläger eine Polyneuropathie, die die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt. Auf orthopädischem Fachgebiet besteht beim Kläger nach den Angaben von Dr. We. eine leicht- bis mittelgradige Metatarsalgie bei Spreizfuß. Nach dem Befundbericht von Dr. M.-B. vom 19.04.2007 sind die Kniegelenke des Klägers beidseits reizlos und ohne Bewegungsschmerzen frei beweglich. Nach der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. M. vom 21.09.2009 besteht beim Kläger weiter eine arterielle Hypertonie mit beginnender Schädigung der linken Herzkammer. Dr. M. teilte jedoch die Einschätzung des Beklagten hinsichtlich des Teil-GdB von 20 wegen einer Herzleistungsminderung und Bluthochdruck. Nach seinen Mitteilungen war der Kläger (im Jahr 2007) bis 2 Minuten mit 100 Watt belastbar, wobei nach dem beigelegten Befundbericht vom 22.06.2007 die Belastung wegen peripherer Erschöpfung vom Kläger abgebrochen wurde. Aufgrund dieser Befunde kann beim Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass er aufgrund einer Herzleistungsminderung (und Bluthochdruck) nicht in der Lage ist, Wegstrecken von 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten zurückzulegen. Die VG Teil B Nr. 9.1.1 gehen bei einer Einschränkung der Herzleistung u.a. davon aus, dass das Auftreten pathologischer Messdaten bei einer Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten) einer Leistungsbeeinträchtigung beim Spazierengehen von nur 3 bis 4 km/h gleichsteht. Hieraus kann gefolgert werden, dass in einem solchen Fall das Zurücklegen einer Wegstrecke zu Fuß von maximal 2 km bei einer Gehdauer von etwa 30 Minuten nicht mehr möglich ist. Eine solche Einschränkung der Herzleistung des Klägers besteht nicht.
Danach ist beim Kläger davon auszugehen, dass bei ihm auf internistischem (kardiologischem und pulmologischem), neurologischem und orthopädischem Gebiet keine Funktionseinschränkungen bestehen, die für sich oder in ihrem Zusammenwirken die Annahme rechtfertigen, der Kläger sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Im Hinblick auf das Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme und den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen steht für den Senat vielmehr fest, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich gebessert hat, dass seine Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht mehr erheblich eingeschränkt ist, weshalb die Entziehung des Merkzeichens "G" nicht zu beanstanden ist.
Anlass zu weiteren Ermittlungen durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten besteht nicht. Vielmehr hält der Senat den Sachverhalt durch die vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten Befundunterlagen für geklärt. Gesichtspunkte, die Anlass zu weiteren Ermittlungen geben, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht substantiiert dargetan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved