Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 3 EG 1536/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 EG 1875/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts U. vom 4. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines sogenannten Zugunstenverfahrens über einen Anspruch der Klägerin auf Bundeserziehungsgeld (BErzg) für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006, wobei der Wohnsitz bzw gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin während des genannten Zeitraums streitig ist.
Die 1977 geborene Klägerin wohnte zusammen mit ihrem Ehemann, mit dem sie seit dem 26. Juli 2003 verheiratet ist, bis 31. Dezember 2004 in R. am N. Zum 1. Januar 2005 bezogen sie eine Wohneinheit im Haus der Mutter der Klägerin in Sch G. Der Ehemann der Klägerin flog am 14. März 2005 in die USA, um ab dem 15. März 2005 dort eine Stelle als "Post-doctoral Associate" an der Universität von P. aufzunehmen (Arbeitsvertrag vom 10. Dezember 2004). Diese Stelle, die zunächst bis zum 14. März 2006 befristet war, wurde am 13. September 2005 bis zum 14. März 2007 verlängert (Arbeitsvertrag vom 13. September 2005). In den USA bewohnte sie zusammen mit ihrem Ehemann eine Wohnung in P.
Die Klägerin bezog bis zum 5. Juli 2004 Arbeitslosengeld und war vom 15. September 2004 bis zum 31. März 2007 an der Universität T. immatrikuliert, wobei sie ab dem 1. April 2005 (Sommersemester) beurlaubt war (Exmatrikulationsbescheinigung vom 30. März 2007). Sie flog am 5. Mai 2005 zu ihrem Ehemann in die USA und brachte dort am 2. Oktober 2005 ihren Sohn T. zur Welt. Nach ihren eigenen Angaben hielt sie sich sodann zusammen mit ihrem Sohn vom 14. Dezember 2005 bis zum 23. Januar 2006, vom 13. Juli bis 23. August 2006, vom 10. bis 29. Dezember 2006 und ab März 2007 (endgültige Rückkehr; jetzige Wohnadresse: in W.) in Deutschland auf. Hierbei wurde am 16. Dezember 2005 beim Bürgerbüro der Stadt Sch G. der Einzug in die Wohnung "B.str. " angemeldet. Als Tag des Einzugs gab sie "15.12.2005" und als bisherige Wohnung "USA" an (Anmeldebescheinigung vom 16. Dezember 2005).
Unter dem 12. Januar 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von BErzg für ihren am 2. Oktober 2005 geborenen Sohn. Hierbei gab sie als Anschrift "B.str. " an. Im Rahmen eines "Ergänzungsantrags" führte sie aus, während des ersten Lebensjahres ihres Sohnes werde das Familieneinkommen mehr als 20 % geringer sein als das Einkommen im Kalenderjahr vor der Geburt, da ihr Ehemann seit dem 15. März 2005 in den USA beschäftigt sei, wo er deutlich weniger verdiene als zuvor.
Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, Anspruch auf Erziehungsgeld habe nur, wer unter anderem einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Wer sich im Ausland aufhalte, behalte seinen Wohnsitz in Deutschland dann bei, wenn die Wohnung im Inland auch bei vorzeitiger Rückkehr sofort wieder genutzt werden könne und der Auslandsaufenthalt in der Regel ein Jahr nicht überschreite, was bei der Klägerin nicht der Fall sei.
Mit Schreiben vom 27. Juni 2006 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie mit ihrem Ehemann einen festen Wohnsitz in Deutschland habe. Für ihre Wohnung bei ihrer Mutter bestehe aber kein Mietvertrag und sie zahlten auch keine Miete. Sie legte in diesem Zusammenhang die Bestätigung ihrer Mutter, Frau U. L., vom 26. Juni 2006 vor, wonach die Klägerin und ihr Ehemann seit dem 1. Januar 2005 eine Wohneinheit in der B.str. bezogen und mit privaten Gegenständen und Möbeln eingerichtet hätten. Die Wohneinheit stehe seitdem zu ihrer Nutzung frei. Zudem legte die Klägerin die Anmeldebescheinigung vom 16. Dezember 2005 vor. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 26. Juli 2006 mitgeteilt hatte, bei ihrer Auffassung zu verbleiben, "bestätigte" die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin am 20. November 2006, dass gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. Mai 2006 bereits Widerspruch eingelegt worden sei, wobei sie vorsorglich beantragte, den benannten Bescheid gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 wies die Beklagte darauf hin, dass die nach Ablauf der Widerspruchsfrist am 10. Juli 2006 eingereichte Meldebestätigung der Klägerin zu keiner anderen Entscheidung führe. Die Klägerin entgegnete hierauf, sie habe ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten. Seit dem 1. Januar 2005 stünden ihr und ihrer Familie eine Wohnung in der B.str. zur Verfügung. Diese Wohnung sei tatsächlich bezogen und genutzt worden, so dass eine vollständige Rückkehr jederzeit möglich gewesen wäre. Zu keinem Zeitpunkt habe sie die Absicht gehabt, sich auf unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten. Der Forschungsaufenthalt des Ehemannes sei von vornherein auf ein Jahr befristet und später nochmal um ein Jahr verlängert worden. Schließlich wohne sie auch nicht mit ihrer Mutter in einer Wohnung zusammen. Diese sei vielmehr Eigentümerin des Hauses in der B.str ... Sie und ihre Familie bewohnten jedoch eine separate Wohneinheit in diesem Haus. Mit Bescheid vom 28. März 2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von BErzg mangels Inlandswohnsitzes bzw gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland ab. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X lägen nicht vor.
Hiergegen legte die Klägerin am 30. April 2007 Widerspruch ein und machte geltend, sie habe sich vom 14. Dezember 2005 bis 23. Januar 2006, vom 13. Juli bis 23. August 2006 und vom 10. bis 29. Dezember 2006 in Deutschland aufgehalten. Allein im Jahr 2006 habe sie daher beinahe zwei Monate in Deutschland gelebt und ihre Wohnung in dieser Zeit auch tatsächlich genutzt. Von einem kurzen Aufenthalt zu Besuchszwecken könne daher nicht gesprochen werden. Zu beachten sei schließlich, dass ihr Ehemann ein Visum für jeweils ein Jahr erhalten habe, ihr Auto während des gesamten Auslandsaufenthaltes durchgehend in Deutschland angemeldet gewesen sei, die Steuern während des Auslandsaufenthaltes in Deutschland abgeführt worden seien, sie ihre Semesterbeiträge an die Universität T. gezahlt und auch ihre Krankenversicherung beibehalten habe und Beiträge zur Versorgungskasse gezahlt worden seien. Zur weiteren Begründung legte die Klägerin ua den Arbeitsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und ihrem Ehemann vom 15. Februar 2007 sowie die Bescheinigung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. Sch. vom 30. Januar 2008 vor, wonach sich ihr Ehemann von März 2005 bis Ende Februar 2007 zu Forschungszwecken in den USA aufgehalten habe und seit dem 16. März 2007 als Arzt beim Institut für Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums U. angestellt sei. Diese Stelle habe er aufgrund des Vorstellungsgesprächs am 16. Februar 2005 erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ob ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt vorliege, sei im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. Das Merkmal "Innehaben einer Wohnung" in Deutschland liege nicht vor, da dies ein "regelmäßiges, sich üblicherweise in einer bestimmten Wohnung aufhalten" bedeute. Maßgeblich sei nicht der Wille des Betreffenden, an einen Ort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, sondern vielmehr - damit Manipulation begegnet werden könne - die tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Hierbei sei es auch unerheblich, wo jemand polizeilich gemeldet sei. Wer sich im Ausland aufhalte, behalte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Kindergeldrecht seinen Wohnsitz im Bundesgebiet nur dann, wenn die Wohnung auch bei vorzeitiger Rückkehr sofort wieder genutzt werden könne und der Auslandsaufenthalt ein Jahr nicht überschreite. Die Klägerin habe sich jedoch seit Mai 2005 überwiegend in den USA aufgehalten. Die generelle Rückkehrabsicht sage grundsätzlich nichts darüber aus, ob der Inlandswohnsitz beibehalten oder nach der Rückkehr neu begründet werde. Die Klägerin habe jedoch spätestens im September 2005 ihren Wohnsitz im Inland aufgegeben. Bereits zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes sei klar gewesen, dass der Auslandsaufenthalt länger als ein Jahr dauern würde. Auch der gewöhnliche Aufenthalt sei im Ausland gewesen, da sich die Klägerin länger als ein Jahr in den USA aufgehalten habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. April 2008 Klage beim Sozialgericht U. (SG) erhoben und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, dass sie ihre Studienbücher mit in die USA genommen habe, um sich im Selbststudium den Studienstoff anzueignen. Sie sei auch in Kontakt mit Kommilitonen gestanden, um den "Anschluss nicht zu verpassen". Schließlich habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) in seinem Urteil vom 21. Juni 2002 (L 1 KG 2338/99) entschieden, dass der gewöhnliche Aufenthalt nicht aufgegeben werde, wenn der Betroffene in der Bundesrepublik Deutschland einkommensteuerveranlagt worden sei.
Mit Urteil vom 4. Februar 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid vom 15. Mai 2006 sei rechtmäßig, so dass die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht vorlägen. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 BErzgG nicht, da sie zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes und bis zur Rückkehr nach Deutschland im März 2007 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe. Die Klägerin habe nicht gleichzeitig mehrere Wohnsitze und gewöhnliche Aufenthalte gehabt. Der gewöhnliche Aufenthalt und der Wohnsitz zwischen Mai 2005 und März 2007 sei P./USA gewesen. Die Anmeldung der Klägerin und ihres Ehemannes am 16. Dezember 2005 in Sch G. spreche weder für noch dagegen, dass ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland bestanden habe. Zwischen Frühjahr 2005 und der Geburt des Sohnes am 2. Oktober 2005 hätten sich in den tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin und ihrer Familie relevante Änderungen mit konkreter Auswirkung auf die Lebensplanung ergeben. Denn sie habe nach ihren eigenen Angaben ursprünglich geplant, im Frühjahr 2005 ihren in den USA lebenden und arbeitenden Ehemann zunächst zu besuchen und später das Studium in T. fortzuführen. Sie habe dann aber vorzeitige Wehen bekommen und sei in den USA geblieben, um dort zu entbinden. Später sei sie nur selten zurückgeflogen, weil die Familie es sich finanzell habe nicht leisten können, häufiger nach Deutschland zurückzukommen. Zudem sei die Stelle ihres Ehemannes im September 2005 vorzeitig bis März 2007 verlängert worden. Diese Änderungen in den tatsächlichen objektiven und subjektiven Umständen könne bei der vom BSG verlangten vorausschauenden Betrachtung nicht außeracht bleiben. Die Familie habe sich über einen Zeitraum von fast zwei Jahren nahezu durchgehend in den USA aufgehalten und dort gelebt. Die eheliche Wohnung in R., für die Miete zu entrichten gewesen sei, sei aufgegeben worden. Die Wohnung im Haus der Mutter habe zwar durchgehend zur Verfügung gestanden, habe aber nicht unterhalten oder angemietet werden müssen. Hätte die Familie eine Wohnung in Deutschland über einen Zeitraum von zwei Jahren mieten müssen, sei der Sachverhalt wohl anders zu beurteilen, denn dann wäre auch hier ein wirtschaftlicher Schwerpunkt der familiären Existenz gewesen. Der Gesamteindruck spreche dafür, dass die drei Aufenthalte in Deutschland nur einen Besuchscharakter gehabt hätten.
Hiergegen richtet sich die am 23. April 2009 beim LSG eingelegte Berufung, mit der die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausführt, es spiele keine Rolle, ob sie für die Wohnung bei ihrer Mutter Miete habe bezahlen müssen. Vielmehr komme es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Die Wohnung sei voll eingerichtet geblieben, so dass eine Rückkehr jederzeit möglich gewesen sei. Auch sei die Wohnung unterhalten worden, da ihre Mutter bzw ihr Bruder ab und zu "nach dem Rechten" gesehen habe. Schließlich habe das SG nicht berücksichtigt, dass ihr Ehemann seine Steuern in Deutschland abgeführt und seine Beiträge zur Versorgungskasse in Deutschland weiter gezahlt habe. Sie habe auch deshalb ihren Wohnsitz in Deutschland nicht aufgeben wollen, weil sie nach Beendigung des Auslandsaufenthaltes ihr Studium habe fortsetzen wollen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 4. Februar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 15. Mai 2006 aufzuheben und ihr Bundeserziehungsgeld für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend, weist jedoch darauf hin, dass es entgegen der Auffassung des SG nicht darauf ankomme, ob für die Wohnung bei der Mutter Miete entrichtet worden sei. Maßgeblich sei vielmehr, ob dort ein weiterer Schwerpunkt der Lebensverhältnisse bestanden habe. Nach der Rechtsprechung erfordere die Unterhaltung eines Wohnsitzes ein reales Verhalten im Bezug auf einen Lebensmittelpunkt. Der tatsächliche Besitz einer Wohnung reiche demnach nicht aus. Wohnsitz bedeute mithin nicht nur eine räumliche Bleibe, sondern den räumlichen Bereich, in dem jemand den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen habe. Dies sei unzweifelhaft für den Zeitraum Mai 2005 bis März 2007 die USA gewesen. Die Aufenthalte in Deutschland in diesem Zeitraum hätten lediglich Besuchscharakter gehabt (zB Weihnachten 2005 und 2006). Von einem weiteren Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Klägerin in Deutschland könne deshalb nicht ausgegangen werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid vom 28. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2008 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids der Beklagten vom 15. Mai 2006, da sie keinen Anspruch auf BErzg für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 hat.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 44 Abs 1 SGB X. Danach gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X liegen nicht vor, da die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 15. Mai 2006 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist. Denn der Klägerin steht für die hier streitgegenständliche Zeit kein Anspruch auf BErzg zu.
Der Anspruch der Klägerin auf BErzg beurteilt sich nach § 1 BErzgG, in der hier ab 1. Januar 2005 anzuwendenden Fassung, die in dem hier streitigen Zeitraum gegolten hat. Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 BErzgG hat demnach Anspruch auf Erziehungsgeld, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Die Anspruchsvoraussetzungen müssen bei Beginn des Leistungszeitraumes vorliegen (Satz 2).
Die genannten Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Zwar hatte die Klägerin im hier streitigen Zeitraum für ihren Sohn T., für dessen erstes Lebensjahr sie BErzg beantragt hat, die Personensorge, lebte mit ihm in einem Haushalt zusammen und erzog und betreute dieses Kind selbst. Auch eine Erwerbstätigkeit übte sie zu der Zeit nicht aus. Sie hatte aber im Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wie es § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG verlangt.
§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG knüpft mit seiner Formulierung an den in § 30 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) aufgestellten Territorialitätsgrundsatz an (vgl BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 - B 10 EG 6/08 R = SozR 4 - 7833 § 1 Nr 10 Rdnr 24). Nach dieser Vorschrift ist für den Geltungsbereich des SGB I ebenfalls der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt einer Person maßgeblich. Allerdings ist § 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG nicht in vollem Umfang entsprechend den zu § 30 SGB I entwickelten Auslegungsgrundsätzen zu interpretieren. Vielmehr sind insoweit gemäß § 37 Satz 1 iVm § 68 Nr 15 SGB I die Besonderheiten des BErzgG zu berücksichtigen (BSG, aaO). Dementsprechend ist der Begriff des Wohnsitzes bzw des gewöhnlichen Aufenthaltes hier nicht nur der sachliche Anknüpfungspunkt für den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschriften des Sozialgesetzbuchs bzw der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs. Es handelt sich vielmehr um ein materielles Tatbestandsmerkmal (vgl hierzu Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30 Rdnrn 15 und 25). Die Anknüpfung an den inländischen Lebensmittelpunkt dient insoweit der Missbrauchsabwehr, als Fälle ausgeschlossen werden sollten, dass jemand einen formalen Wohnsitz allein oder vorrangig angibt, um in den Genuss von Sozialleistungen zu gelangen (vgl BT-Drucks 7/3786, S 5 zu § 30), wobei auch solche Fälle erfasst werden, in denen es dem Betreffenden durch seinen Wohnsitz nicht in erster Linie um die "Erschleichung" von Sozialleistungen geht, er jedoch aufgrund seiner nur sporadischen Beziehung zum Inland nicht zu demjenigen Personenkreis gehört, den das SGB - bzw das BErzgG - mit seinen Leistungsansprüchen begünstigen will (vgl hierzu Schlegel, aaO Rdnr 24).
Nach § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Dabei ist entscheidend, ob ein an den objektiven Verhältnissen zu messender realisierbarer Wille vorhanden ist, an einem besT.mten Ort zu wohnen (vgl hierzu Irmen in Hambüchen, Kommentar zum Elterngeld, Elternzeit und Kindergeld, § 1 BEEG, Rdnr 24, Stand April 2007). Die polizeiliche Meldung allein reicht nicht aus (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1985 - 10 RKg 14/85 = SozR 5870 § 2 Nr 44). Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang auch zu Recht darauf hin, dass der zivilrechtliche Wohnsitzbegriff (§§ 7, 8 BGB) im Sozialrecht nicht maßgeblich ist. Denn die Wohnsitznahme wird dort in erster Linie rechtsgeschäftlich verstanden. Entscheidend ist nach dem BGB der rechtsgeschäftliche Wohnsitzwille, an einem besT.mten Ort einen Wohnsitz zu begründen; demgegenüber kommt es weniger auf die tatsächliche Wohnsitznahme an. Hiervon unterscheidet sich jedoch der sozialrechtliche Wohnsitzbegriff bzw Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl hierzu Schlegel, aaO, Rdnr 38 ff). Im Rahmen des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG sind daher allein die objektiven Verhältnisse maßgeblich, so dass objektive Umstände darauf schließen lassen müssen, dass jemand eine Wohnung tatsächlich beibehalten und benutzen wird.
Ein Doppelwohnsitz im In- und Ausland bzw ein Auseinanderfallen von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt soll nach der Rechtsprechung des BSG im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) möglich sein, erfordert jedoch hinreichend intensive Beziehungen zum Inland (vgl BSG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 8b RKg 6/79 = SozR 5870 § 1 Nr 7).
Ob die Voraussetzungen des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I vorliegen, ist im Wege der vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Denn die Rechtsprechung des BSG bezieht in die Beantwortung der Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen, auch ein prognostisches Element mit ein. Dies gilt auch für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltes, den jemand dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Die Bejahung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nach § 30 Abs 3 SGB I hängt daher auch von einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts einer Person in Deutschland ab (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 - B 10 EG 6/08 R = SozR 4 - 7833 § 1 Nr 10 Rdnr 26). Hierbei ist grundsätzlich zu beachten, dass die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Auf den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es nämlich nur an, wenn es an einem Inlandswohnsitz fehlt (zutreffend Schlegel, aaO, Rdnr 31).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe kann der Senat nicht feststellen, dass die Klägerin im Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 einen Inlandswohnsitz im Sinne des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG hatte. Dabei geht der Senat zwar mit der Klägerin davon aus, dass sie ab dem 1. Januar 2005 über eine Wohneinheit im Wohnhaus der Mutter (B.str. 81) verfügen konnte. Nach den insoweit auch glaubhaften Angaben der Klägerin hielt sie sich mit ihrem Sohn dort im Zeitraum vom 14. Dezember 2005 bis 23. Januar 2006, vom 13. Juli bis 23. August 2006 und vom 10. bis 29. Dezember 2006 auf. Hierbei geht der Senat mit der Beklagten und dem SG jedoch davon aus, dass es sich jeweils nur um vorübergehende, dh zeitlich befristete Aufenthalte zu Besuchszwecken gehandelt hat. Dies entnimmt der Senat zum einen dem Umstand, dass sowohl für den Besuch im Dezember 2005 als auch für den Besuch im Dezember 2006 die Weihnachtsfeiertage gewählt worden sind. Gegen die Beibehaltung eines bestehenden Wohnsitzes spricht zum anderen aber auch der Umstand, dass die Klägerin und ihr Ehemann die (frühere) gemeinsame eheliche Wohnung in R. zum 31. Dezember 2004 aufgegeben haben und nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im März 2007 nicht etwa die Wohneinheit in der B.str. als dauerhafte gemeinsame Wohnung genutzt haben, sondern nunmehr in W. wohnen. Allein diese objektiven Umstände sprechen bereits dafür, dass die Klägerin während des Aufenthaltes in den USA die Wohnung in der B.str. lediglich "vorrätig" hielt, um diese Wohnung für ihre Besuche in Deutschland zu nutzen. Wer aber lediglich eine Wohnung "vorrätig hält", ohne diese dauerhaft zu nutzen und zu bewohnen, begründet hierdurch keinen Wohnsitz am Ort der Wohnung (Schlegel, aaO, Rdnr 33). An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass die Mutter der Klägerin bzw ihr Bruder ab und zu "nach dem Rechten" gesehen haben.
Auch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann der Senat nicht feststellen. Auf diesen kommt es an, wenn der Betreffende - wie vorliegend - im Inland über keinen Wohnsitz verfügt. Der gewöhnliche Aufenthalt setzt einen (nicht notwendig den einzigen) faktisch dauerhaften Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Inland voraus. Entscheidend ist damit die über eine vorübergehende Verweildauer hinausgehende Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts an bestimmten Orten, die sich in bestimmten Umständen manifestieren müssen. Dauerhaftigkeit liegt bereits dann vor, wenn und solange der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, er also zukunftsoffen ist (so BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 - RJ 16/93 = SozR 3 - 2600 § 56 Nr 7 zur Anerkennung von Kinderziehungszeiten im Inland). Einen derartigen dauerhaften, dh zukunftsoffenen Aufenthalt der Klägerin in Deutschland kann der Senat für den hier streitigen Zeitraum nicht feststellen. Wie bereits dargelegt, hat sich die Klägerin nur vorübergehend und damit nicht zukunftsoffen in Deutschland aufgehalten. Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse war eindeutig P./USA. Denn im Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 hatten die Klägerin und ihre Familie dort ihre gemeinsame Wohnung und verbrachten auch die meiste Zeit - wenn auch aus finanziellen Gründen - ihre Zeit in den USA. Die ursprüngliche gemeinsame Wohnung in R. wurde hingegen wegen des Auslandsaufenthaltes der Familie aufgegeben und nach der Rückkehr nach Deutschland im März 2007 wurde - wie ebenfalls bereits dargelegt - nicht etwa die Wohnung in der B.str. die gemeinsame eheliche Wohnung, sondern vielmehr die Wohnung in W ... Dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in Deutschland weiterhin Steuern und Beiträge zur privaten Krankenversicherung und ihr Ehemann freiwillige Beiträge für die Versorgungskasse gezahlt haben, ändert hieran nichts. Denn bei einer Gesamtbewertung der Umstände treten diese Indizien (vgl hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2002 - L 1 KG 2338/99), die für einen Rückkehrwillen sprechen, in den Hintergrund. Bei einem mehr als einjährigen Auslandsaufenthalt bedarf es weiterer Umstände, die dafür sprechen, dass der Inlandswohnsitz bzw gewöhnliche Aufenthalt im Inland weiterhin ein Lebensmittelpunkt des Betreffenden ist. Hieran fehlt es aber, wenn die Wohnung bei einem mehrjährigen oder dauernden Auslandsaufenthalt nur noch zu Besuchszwecken - wie vorliegend - aufgesucht wird (vgl hierzu Schlegel, aaO, Rdnr 46).
Im Übrigen ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Bezug der Wohnung in der B.str. erst am 16. Dezember 2005 der Stadt Sch G. - mithin bei der ersten Gelegenheit nach der Geburt des Sohnes T. - angemeldet wurde und nicht bereits im Januar 2005. Schließlich wurde in der Anmeldung auch als bisherige Wohnung "USA" und als Tag des Einzugs 15. Dezember 2005 angegeben. Legt man die Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren zugrunde, so hätte sie jedoch als Tag des Einzugs den 1. Januar 2005 angeben müssen. Wie bereits dargelegt, kommt es aber auf die polizeiliche Meldung ohnehin nicht maßgeblich an.
Nachdem auch die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Nr 1 (keine vorübergehende Entsendung ins Ausland), Nr 2 (kein Erhalt von Versorgungsbezügen nach beamten- oder soldatenrechtlichen Vorschriften bzw Erhalt einer Versorgungsrente von einer Zusatzversorgungsanstalt für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes) und Nr 3 (keine Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 Entwicklungshelfergesetzes) BErzgG vorliegen, scheidet ein Anspruch auf BErzg für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines sogenannten Zugunstenverfahrens über einen Anspruch der Klägerin auf Bundeserziehungsgeld (BErzg) für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006, wobei der Wohnsitz bzw gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin während des genannten Zeitraums streitig ist.
Die 1977 geborene Klägerin wohnte zusammen mit ihrem Ehemann, mit dem sie seit dem 26. Juli 2003 verheiratet ist, bis 31. Dezember 2004 in R. am N. Zum 1. Januar 2005 bezogen sie eine Wohneinheit im Haus der Mutter der Klägerin in Sch G. Der Ehemann der Klägerin flog am 14. März 2005 in die USA, um ab dem 15. März 2005 dort eine Stelle als "Post-doctoral Associate" an der Universität von P. aufzunehmen (Arbeitsvertrag vom 10. Dezember 2004). Diese Stelle, die zunächst bis zum 14. März 2006 befristet war, wurde am 13. September 2005 bis zum 14. März 2007 verlängert (Arbeitsvertrag vom 13. September 2005). In den USA bewohnte sie zusammen mit ihrem Ehemann eine Wohnung in P.
Die Klägerin bezog bis zum 5. Juli 2004 Arbeitslosengeld und war vom 15. September 2004 bis zum 31. März 2007 an der Universität T. immatrikuliert, wobei sie ab dem 1. April 2005 (Sommersemester) beurlaubt war (Exmatrikulationsbescheinigung vom 30. März 2007). Sie flog am 5. Mai 2005 zu ihrem Ehemann in die USA und brachte dort am 2. Oktober 2005 ihren Sohn T. zur Welt. Nach ihren eigenen Angaben hielt sie sich sodann zusammen mit ihrem Sohn vom 14. Dezember 2005 bis zum 23. Januar 2006, vom 13. Juli bis 23. August 2006, vom 10. bis 29. Dezember 2006 und ab März 2007 (endgültige Rückkehr; jetzige Wohnadresse: in W.) in Deutschland auf. Hierbei wurde am 16. Dezember 2005 beim Bürgerbüro der Stadt Sch G. der Einzug in die Wohnung "B.str. " angemeldet. Als Tag des Einzugs gab sie "15.12.2005" und als bisherige Wohnung "USA" an (Anmeldebescheinigung vom 16. Dezember 2005).
Unter dem 12. Januar 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von BErzg für ihren am 2. Oktober 2005 geborenen Sohn. Hierbei gab sie als Anschrift "B.str. " an. Im Rahmen eines "Ergänzungsantrags" führte sie aus, während des ersten Lebensjahres ihres Sohnes werde das Familieneinkommen mehr als 20 % geringer sein als das Einkommen im Kalenderjahr vor der Geburt, da ihr Ehemann seit dem 15. März 2005 in den USA beschäftigt sei, wo er deutlich weniger verdiene als zuvor.
Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, Anspruch auf Erziehungsgeld habe nur, wer unter anderem einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Wer sich im Ausland aufhalte, behalte seinen Wohnsitz in Deutschland dann bei, wenn die Wohnung im Inland auch bei vorzeitiger Rückkehr sofort wieder genutzt werden könne und der Auslandsaufenthalt in der Regel ein Jahr nicht überschreite, was bei der Klägerin nicht der Fall sei.
Mit Schreiben vom 27. Juni 2006 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie mit ihrem Ehemann einen festen Wohnsitz in Deutschland habe. Für ihre Wohnung bei ihrer Mutter bestehe aber kein Mietvertrag und sie zahlten auch keine Miete. Sie legte in diesem Zusammenhang die Bestätigung ihrer Mutter, Frau U. L., vom 26. Juni 2006 vor, wonach die Klägerin und ihr Ehemann seit dem 1. Januar 2005 eine Wohneinheit in der B.str. bezogen und mit privaten Gegenständen und Möbeln eingerichtet hätten. Die Wohneinheit stehe seitdem zu ihrer Nutzung frei. Zudem legte die Klägerin die Anmeldebescheinigung vom 16. Dezember 2005 vor. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 26. Juli 2006 mitgeteilt hatte, bei ihrer Auffassung zu verbleiben, "bestätigte" die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin am 20. November 2006, dass gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. Mai 2006 bereits Widerspruch eingelegt worden sei, wobei sie vorsorglich beantragte, den benannten Bescheid gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 wies die Beklagte darauf hin, dass die nach Ablauf der Widerspruchsfrist am 10. Juli 2006 eingereichte Meldebestätigung der Klägerin zu keiner anderen Entscheidung führe. Die Klägerin entgegnete hierauf, sie habe ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten. Seit dem 1. Januar 2005 stünden ihr und ihrer Familie eine Wohnung in der B.str. zur Verfügung. Diese Wohnung sei tatsächlich bezogen und genutzt worden, so dass eine vollständige Rückkehr jederzeit möglich gewesen wäre. Zu keinem Zeitpunkt habe sie die Absicht gehabt, sich auf unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten. Der Forschungsaufenthalt des Ehemannes sei von vornherein auf ein Jahr befristet und später nochmal um ein Jahr verlängert worden. Schließlich wohne sie auch nicht mit ihrer Mutter in einer Wohnung zusammen. Diese sei vielmehr Eigentümerin des Hauses in der B.str ... Sie und ihre Familie bewohnten jedoch eine separate Wohneinheit in diesem Haus. Mit Bescheid vom 28. März 2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von BErzg mangels Inlandswohnsitzes bzw gewöhnlichen Aufenthaltes in Deutschland ab. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X lägen nicht vor.
Hiergegen legte die Klägerin am 30. April 2007 Widerspruch ein und machte geltend, sie habe sich vom 14. Dezember 2005 bis 23. Januar 2006, vom 13. Juli bis 23. August 2006 und vom 10. bis 29. Dezember 2006 in Deutschland aufgehalten. Allein im Jahr 2006 habe sie daher beinahe zwei Monate in Deutschland gelebt und ihre Wohnung in dieser Zeit auch tatsächlich genutzt. Von einem kurzen Aufenthalt zu Besuchszwecken könne daher nicht gesprochen werden. Zu beachten sei schließlich, dass ihr Ehemann ein Visum für jeweils ein Jahr erhalten habe, ihr Auto während des gesamten Auslandsaufenthaltes durchgehend in Deutschland angemeldet gewesen sei, die Steuern während des Auslandsaufenthaltes in Deutschland abgeführt worden seien, sie ihre Semesterbeiträge an die Universität T. gezahlt und auch ihre Krankenversicherung beibehalten habe und Beiträge zur Versorgungskasse gezahlt worden seien. Zur weiteren Begründung legte die Klägerin ua den Arbeitsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und ihrem Ehemann vom 15. Februar 2007 sowie die Bescheinigung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. Sch. vom 30. Januar 2008 vor, wonach sich ihr Ehemann von März 2005 bis Ende Februar 2007 zu Forschungszwecken in den USA aufgehalten habe und seit dem 16. März 2007 als Arzt beim Institut für Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums U. angestellt sei. Diese Stelle habe er aufgrund des Vorstellungsgesprächs am 16. Februar 2005 erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ob ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt vorliege, sei im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. Das Merkmal "Innehaben einer Wohnung" in Deutschland liege nicht vor, da dies ein "regelmäßiges, sich üblicherweise in einer bestimmten Wohnung aufhalten" bedeute. Maßgeblich sei nicht der Wille des Betreffenden, an einen Ort einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, sondern vielmehr - damit Manipulation begegnet werden könne - die tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Hierbei sei es auch unerheblich, wo jemand polizeilich gemeldet sei. Wer sich im Ausland aufhalte, behalte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Kindergeldrecht seinen Wohnsitz im Bundesgebiet nur dann, wenn die Wohnung auch bei vorzeitiger Rückkehr sofort wieder genutzt werden könne und der Auslandsaufenthalt ein Jahr nicht überschreite. Die Klägerin habe sich jedoch seit Mai 2005 überwiegend in den USA aufgehalten. Die generelle Rückkehrabsicht sage grundsätzlich nichts darüber aus, ob der Inlandswohnsitz beibehalten oder nach der Rückkehr neu begründet werde. Die Klägerin habe jedoch spätestens im September 2005 ihren Wohnsitz im Inland aufgegeben. Bereits zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes sei klar gewesen, dass der Auslandsaufenthalt länger als ein Jahr dauern würde. Auch der gewöhnliche Aufenthalt sei im Ausland gewesen, da sich die Klägerin länger als ein Jahr in den USA aufgehalten habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. April 2008 Klage beim Sozialgericht U. (SG) erhoben und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, dass sie ihre Studienbücher mit in die USA genommen habe, um sich im Selbststudium den Studienstoff anzueignen. Sie sei auch in Kontakt mit Kommilitonen gestanden, um den "Anschluss nicht zu verpassen". Schließlich habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) in seinem Urteil vom 21. Juni 2002 (L 1 KG 2338/99) entschieden, dass der gewöhnliche Aufenthalt nicht aufgegeben werde, wenn der Betroffene in der Bundesrepublik Deutschland einkommensteuerveranlagt worden sei.
Mit Urteil vom 4. Februar 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Bescheid vom 15. Mai 2006 sei rechtmäßig, so dass die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht vorlägen. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 BErzgG nicht, da sie zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes und bis zur Rückkehr nach Deutschland im März 2007 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe. Die Klägerin habe nicht gleichzeitig mehrere Wohnsitze und gewöhnliche Aufenthalte gehabt. Der gewöhnliche Aufenthalt und der Wohnsitz zwischen Mai 2005 und März 2007 sei P./USA gewesen. Die Anmeldung der Klägerin und ihres Ehemannes am 16. Dezember 2005 in Sch G. spreche weder für noch dagegen, dass ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland bestanden habe. Zwischen Frühjahr 2005 und der Geburt des Sohnes am 2. Oktober 2005 hätten sich in den tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin und ihrer Familie relevante Änderungen mit konkreter Auswirkung auf die Lebensplanung ergeben. Denn sie habe nach ihren eigenen Angaben ursprünglich geplant, im Frühjahr 2005 ihren in den USA lebenden und arbeitenden Ehemann zunächst zu besuchen und später das Studium in T. fortzuführen. Sie habe dann aber vorzeitige Wehen bekommen und sei in den USA geblieben, um dort zu entbinden. Später sei sie nur selten zurückgeflogen, weil die Familie es sich finanzell habe nicht leisten können, häufiger nach Deutschland zurückzukommen. Zudem sei die Stelle ihres Ehemannes im September 2005 vorzeitig bis März 2007 verlängert worden. Diese Änderungen in den tatsächlichen objektiven und subjektiven Umständen könne bei der vom BSG verlangten vorausschauenden Betrachtung nicht außeracht bleiben. Die Familie habe sich über einen Zeitraum von fast zwei Jahren nahezu durchgehend in den USA aufgehalten und dort gelebt. Die eheliche Wohnung in R., für die Miete zu entrichten gewesen sei, sei aufgegeben worden. Die Wohnung im Haus der Mutter habe zwar durchgehend zur Verfügung gestanden, habe aber nicht unterhalten oder angemietet werden müssen. Hätte die Familie eine Wohnung in Deutschland über einen Zeitraum von zwei Jahren mieten müssen, sei der Sachverhalt wohl anders zu beurteilen, denn dann wäre auch hier ein wirtschaftlicher Schwerpunkt der familiären Existenz gewesen. Der Gesamteindruck spreche dafür, dass die drei Aufenthalte in Deutschland nur einen Besuchscharakter gehabt hätten.
Hiergegen richtet sich die am 23. April 2009 beim LSG eingelegte Berufung, mit der die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausführt, es spiele keine Rolle, ob sie für die Wohnung bei ihrer Mutter Miete habe bezahlen müssen. Vielmehr komme es auf die tatsächlichen Verhältnisse an. Die Wohnung sei voll eingerichtet geblieben, so dass eine Rückkehr jederzeit möglich gewesen sei. Auch sei die Wohnung unterhalten worden, da ihre Mutter bzw ihr Bruder ab und zu "nach dem Rechten" gesehen habe. Schließlich habe das SG nicht berücksichtigt, dass ihr Ehemann seine Steuern in Deutschland abgeführt und seine Beiträge zur Versorgungskasse in Deutschland weiter gezahlt habe. Sie habe auch deshalb ihren Wohnsitz in Deutschland nicht aufgeben wollen, weil sie nach Beendigung des Auslandsaufenthaltes ihr Studium habe fortsetzen wollen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 4. Februar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 15. Mai 2006 aufzuheben und ihr Bundeserziehungsgeld für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend, weist jedoch darauf hin, dass es entgegen der Auffassung des SG nicht darauf ankomme, ob für die Wohnung bei der Mutter Miete entrichtet worden sei. Maßgeblich sei vielmehr, ob dort ein weiterer Schwerpunkt der Lebensverhältnisse bestanden habe. Nach der Rechtsprechung erfordere die Unterhaltung eines Wohnsitzes ein reales Verhalten im Bezug auf einen Lebensmittelpunkt. Der tatsächliche Besitz einer Wohnung reiche demnach nicht aus. Wohnsitz bedeute mithin nicht nur eine räumliche Bleibe, sondern den räumlichen Bereich, in dem jemand den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen habe. Dies sei unzweifelhaft für den Zeitraum Mai 2005 bis März 2007 die USA gewesen. Die Aufenthalte in Deutschland in diesem Zeitraum hätten lediglich Besuchscharakter gehabt (zB Weihnachten 2005 und 2006). Von einem weiteren Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Klägerin in Deutschland könne deshalb nicht ausgegangen werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid vom 28. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2008 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheids der Beklagten vom 15. Mai 2006, da sie keinen Anspruch auf BErzg für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 hat.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 44 Abs 1 SGB X. Danach gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X liegen nicht vor, da die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 15. Mai 2006 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist. Denn der Klägerin steht für die hier streitgegenständliche Zeit kein Anspruch auf BErzg zu.
Der Anspruch der Klägerin auf BErzg beurteilt sich nach § 1 BErzgG, in der hier ab 1. Januar 2005 anzuwendenden Fassung, die in dem hier streitigen Zeitraum gegolten hat. Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 BErzgG hat demnach Anspruch auf Erziehungsgeld, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Die Anspruchsvoraussetzungen müssen bei Beginn des Leistungszeitraumes vorliegen (Satz 2).
Die genannten Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Zwar hatte die Klägerin im hier streitigen Zeitraum für ihren Sohn T., für dessen erstes Lebensjahr sie BErzg beantragt hat, die Personensorge, lebte mit ihm in einem Haushalt zusammen und erzog und betreute dieses Kind selbst. Auch eine Erwerbstätigkeit übte sie zu der Zeit nicht aus. Sie hatte aber im Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wie es § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG verlangt.
§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG knüpft mit seiner Formulierung an den in § 30 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) aufgestellten Territorialitätsgrundsatz an (vgl BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 - B 10 EG 6/08 R = SozR 4 - 7833 § 1 Nr 10 Rdnr 24). Nach dieser Vorschrift ist für den Geltungsbereich des SGB I ebenfalls der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt einer Person maßgeblich. Allerdings ist § 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG nicht in vollem Umfang entsprechend den zu § 30 SGB I entwickelten Auslegungsgrundsätzen zu interpretieren. Vielmehr sind insoweit gemäß § 37 Satz 1 iVm § 68 Nr 15 SGB I die Besonderheiten des BErzgG zu berücksichtigen (BSG, aaO). Dementsprechend ist der Begriff des Wohnsitzes bzw des gewöhnlichen Aufenthaltes hier nicht nur der sachliche Anknüpfungspunkt für den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschriften des Sozialgesetzbuchs bzw der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs. Es handelt sich vielmehr um ein materielles Tatbestandsmerkmal (vgl hierzu Schlegel in jurisPK-SGB I, § 30 Rdnrn 15 und 25). Die Anknüpfung an den inländischen Lebensmittelpunkt dient insoweit der Missbrauchsabwehr, als Fälle ausgeschlossen werden sollten, dass jemand einen formalen Wohnsitz allein oder vorrangig angibt, um in den Genuss von Sozialleistungen zu gelangen (vgl BT-Drucks 7/3786, S 5 zu § 30), wobei auch solche Fälle erfasst werden, in denen es dem Betreffenden durch seinen Wohnsitz nicht in erster Linie um die "Erschleichung" von Sozialleistungen geht, er jedoch aufgrund seiner nur sporadischen Beziehung zum Inland nicht zu demjenigen Personenkreis gehört, den das SGB - bzw das BErzgG - mit seinen Leistungsansprüchen begünstigen will (vgl hierzu Schlegel, aaO Rdnr 24).
Nach § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Dabei ist entscheidend, ob ein an den objektiven Verhältnissen zu messender realisierbarer Wille vorhanden ist, an einem besT.mten Ort zu wohnen (vgl hierzu Irmen in Hambüchen, Kommentar zum Elterngeld, Elternzeit und Kindergeld, § 1 BEEG, Rdnr 24, Stand April 2007). Die polizeiliche Meldung allein reicht nicht aus (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1985 - 10 RKg 14/85 = SozR 5870 § 2 Nr 44). Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang auch zu Recht darauf hin, dass der zivilrechtliche Wohnsitzbegriff (§§ 7, 8 BGB) im Sozialrecht nicht maßgeblich ist. Denn die Wohnsitznahme wird dort in erster Linie rechtsgeschäftlich verstanden. Entscheidend ist nach dem BGB der rechtsgeschäftliche Wohnsitzwille, an einem besT.mten Ort einen Wohnsitz zu begründen; demgegenüber kommt es weniger auf die tatsächliche Wohnsitznahme an. Hiervon unterscheidet sich jedoch der sozialrechtliche Wohnsitzbegriff bzw Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl hierzu Schlegel, aaO, Rdnr 38 ff). Im Rahmen des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG sind daher allein die objektiven Verhältnisse maßgeblich, so dass objektive Umstände darauf schließen lassen müssen, dass jemand eine Wohnung tatsächlich beibehalten und benutzen wird.
Ein Doppelwohnsitz im In- und Ausland bzw ein Auseinanderfallen von Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt soll nach der Rechtsprechung des BSG im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) möglich sein, erfordert jedoch hinreichend intensive Beziehungen zum Inland (vgl BSG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 8b RKg 6/79 = SozR 5870 § 1 Nr 7).
Ob die Voraussetzungen des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I vorliegen, ist im Wege der vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Denn die Rechtsprechung des BSG bezieht in die Beantwortung der Frage, wann diese Voraussetzungen vorliegen, auch ein prognostisches Element mit ein. Dies gilt auch für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthaltes, den jemand dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs 3 Satz 2 SGB I). Die Bejahung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nach § 30 Abs 3 SGB I hängt daher auch von einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts einer Person in Deutschland ab (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 - B 10 EG 6/08 R = SozR 4 - 7833 § 1 Nr 10 Rdnr 26). Hierbei ist grundsätzlich zu beachten, dass die Begriffe Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Auf den gewöhnlichen Aufenthalt kommt es nämlich nur an, wenn es an einem Inlandswohnsitz fehlt (zutreffend Schlegel, aaO, Rdnr 31).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe kann der Senat nicht feststellen, dass die Klägerin im Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 einen Inlandswohnsitz im Sinne des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BErzgG hatte. Dabei geht der Senat zwar mit der Klägerin davon aus, dass sie ab dem 1. Januar 2005 über eine Wohneinheit im Wohnhaus der Mutter (B.str. 81) verfügen konnte. Nach den insoweit auch glaubhaften Angaben der Klägerin hielt sie sich mit ihrem Sohn dort im Zeitraum vom 14. Dezember 2005 bis 23. Januar 2006, vom 13. Juli bis 23. August 2006 und vom 10. bis 29. Dezember 2006 auf. Hierbei geht der Senat mit der Beklagten und dem SG jedoch davon aus, dass es sich jeweils nur um vorübergehende, dh zeitlich befristete Aufenthalte zu Besuchszwecken gehandelt hat. Dies entnimmt der Senat zum einen dem Umstand, dass sowohl für den Besuch im Dezember 2005 als auch für den Besuch im Dezember 2006 die Weihnachtsfeiertage gewählt worden sind. Gegen die Beibehaltung eines bestehenden Wohnsitzes spricht zum anderen aber auch der Umstand, dass die Klägerin und ihr Ehemann die (frühere) gemeinsame eheliche Wohnung in R. zum 31. Dezember 2004 aufgegeben haben und nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im März 2007 nicht etwa die Wohneinheit in der B.str. als dauerhafte gemeinsame Wohnung genutzt haben, sondern nunmehr in W. wohnen. Allein diese objektiven Umstände sprechen bereits dafür, dass die Klägerin während des Aufenthaltes in den USA die Wohnung in der B.str. lediglich "vorrätig" hielt, um diese Wohnung für ihre Besuche in Deutschland zu nutzen. Wer aber lediglich eine Wohnung "vorrätig hält", ohne diese dauerhaft zu nutzen und zu bewohnen, begründet hierdurch keinen Wohnsitz am Ort der Wohnung (Schlegel, aaO, Rdnr 33). An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass die Mutter der Klägerin bzw ihr Bruder ab und zu "nach dem Rechten" gesehen haben.
Auch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann der Senat nicht feststellen. Auf diesen kommt es an, wenn der Betreffende - wie vorliegend - im Inland über keinen Wohnsitz verfügt. Der gewöhnliche Aufenthalt setzt einen (nicht notwendig den einzigen) faktisch dauerhaften Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Inland voraus. Entscheidend ist damit die über eine vorübergehende Verweildauer hinausgehende Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts an bestimmten Orten, die sich in bestimmten Umständen manifestieren müssen. Dauerhaftigkeit liegt bereits dann vor, wenn und solange der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, er also zukunftsoffen ist (so BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 - RJ 16/93 = SozR 3 - 2600 § 56 Nr 7 zur Anerkennung von Kinderziehungszeiten im Inland). Einen derartigen dauerhaften, dh zukunftsoffenen Aufenthalt der Klägerin in Deutschland kann der Senat für den hier streitigen Zeitraum nicht feststellen. Wie bereits dargelegt, hat sich die Klägerin nur vorübergehend und damit nicht zukunftsoffen in Deutschland aufgehalten. Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse war eindeutig P./USA. Denn im Zeitraum vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 hatten die Klägerin und ihre Familie dort ihre gemeinsame Wohnung und verbrachten auch die meiste Zeit - wenn auch aus finanziellen Gründen - ihre Zeit in den USA. Die ursprüngliche gemeinsame Wohnung in R. wurde hingegen wegen des Auslandsaufenthaltes der Familie aufgegeben und nach der Rückkehr nach Deutschland im März 2007 wurde - wie ebenfalls bereits dargelegt - nicht etwa die Wohnung in der B.str. die gemeinsame eheliche Wohnung, sondern vielmehr die Wohnung in W ... Dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in Deutschland weiterhin Steuern und Beiträge zur privaten Krankenversicherung und ihr Ehemann freiwillige Beiträge für die Versorgungskasse gezahlt haben, ändert hieran nichts. Denn bei einer Gesamtbewertung der Umstände treten diese Indizien (vgl hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2002 - L 1 KG 2338/99), die für einen Rückkehrwillen sprechen, in den Hintergrund. Bei einem mehr als einjährigen Auslandsaufenthalt bedarf es weiterer Umstände, die dafür sprechen, dass der Inlandswohnsitz bzw gewöhnliche Aufenthalt im Inland weiterhin ein Lebensmittelpunkt des Betreffenden ist. Hieran fehlt es aber, wenn die Wohnung bei einem mehrjährigen oder dauernden Auslandsaufenthalt nur noch zu Besuchszwecken - wie vorliegend - aufgesucht wird (vgl hierzu Schlegel, aaO, Rdnr 46).
Im Übrigen ist es für den Senat nicht nachvollziehbar, dass der Bezug der Wohnung in der B.str. erst am 16. Dezember 2005 der Stadt Sch G. - mithin bei der ersten Gelegenheit nach der Geburt des Sohnes T. - angemeldet wurde und nicht bereits im Januar 2005. Schließlich wurde in der Anmeldung auch als bisherige Wohnung "USA" und als Tag des Einzugs 15. Dezember 2005 angegeben. Legt man die Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren zugrunde, so hätte sie jedoch als Tag des Einzugs den 1. Januar 2005 angeben müssen. Wie bereits dargelegt, kommt es aber auf die polizeiliche Meldung ohnehin nicht maßgeblich an.
Nachdem auch die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Nr 1 (keine vorübergehende Entsendung ins Ausland), Nr 2 (kein Erhalt von Versorgungsbezügen nach beamten- oder soldatenrechtlichen Vorschriften bzw Erhalt einer Versorgungsrente von einer Zusatzversorgungsanstalt für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes) und Nr 3 (keine Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 Entwicklungshelfergesetzes) BErzgG vorliegen, scheidet ein Anspruch auf BErzg für die Zeit vom 2. Oktober 2005 bis 1. Oktober 2006 aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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