Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 R 429/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2751/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.4.2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1966 geborene Klägerin, 1981 aus der ehemaligen Sowjetunion zugezogen, gelernte Bürokauffrau, war bis März 2009 als Bürokraft (halbtags) versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem bezieht sie Krankengeld. Seit Oktober 2006 ist ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 40, seit September 2008 ein Grad der Behinderung von 50 insbesondere wegen Taubheit auf dem linken und Tinnitus auf dem rechten Ohr sowie wegen funktioneller Organbeschwerden und depressiver Verstimmung zuerkannt.
Vom 15.5. bis 5.6.2007 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung im Fachkrankenhaus Nordfriesland, B ... Im Entlassungsbericht vom 28.6.2007 sind die Diagnosen multiple Chemikalienunverträglichkeit, Nahrungsmittelintoleranzen, Histaminintoleranz, allergische Diathese auf Nickelsulfat, Benzokain und Kaliumdichromat, Binge-Eating, Reaktion auf schwere Belastung sowie Gehörlosigkeit links (seit Geburt) festgehalten. Zur Anamnese ist u.a. ausgeführt, die Klägerin habe vor einigen Jahren einen Autounfall mit Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades und Jochbeinfraktur (diesbezüglich Rekonstruktionsoperation) erlitten. Die Klägerin solle Tätigkeiten mit einem erhöhten Anforderungsprofil an das Hörvermögen oder mit Exposition gegenüber volatilen Chemikalien wie Duftstoffen oder Reinigungsmittel meiden. Als Verwaltungsangestellte (zuletzt bei einem Landratsamt) könne sie mindestens sechs Stunden täglich und mehr arbeiten und auch mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Um eine Exposition gegenüber Duftstoffen weitestgehend zu vermeiden, werde ein Heimarbeitsplatz empfohlen.
Am 30.8.2007 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 13.9.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung des dagegen am 2.10.2007 eingelegten Widerspruchs beschrieb die Klägerin ihre Reaktionen auf Duftstoffe und andere Luftbelastungen.
Die Beklagte erhob die Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. G. vom 8.11.2007 und des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 14.11.2007. Dr. G. führte aus, am Arbeitsplatz der Klägerin (im 6. OG mit entsprechender Entfernung von Autoabgasen) habe man Drucker und PC außerhalb des Büros, in dem kein Publikumsverkehr stattfinde und nicht geraucht werde, aufgestellt; dadurch sei eine Expositionsminderung erreicht worden. Dr. G. diagnostizierte multiple Chemikalienunverträglichkeit. Objektivierbar sei eine Allergie auf Nickelsulfat, Benzocain und Kaliumdichromat. Das angegebene Asthma bronchiale sei bei völlig normaler Bodyplethysmographie nicht nachvollziehbar. Durchgeführte Lymphozyten-Transformationstests zeigten laut Befund eine schwache Sensibilisierung der T-Lymphozyten gegen polychlorierte Biphenole bzw. Formaldehyd, die sich Kontakt mit diesen Allergenen kaum bemerkbar machen dürfte. Ein Gluthation-S-Transferase-Mangel finde sich bei vielen Mitteleuropäern und sei pathognomonisch nicht verwertbar. Die Klägerin könne als Bürokauffrau sechs Stunden täglich und mehr arbeiten und auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Dr. H. legte dar, die Klägerin sei nicht depressiv und zum Scherzen aufgelegt. In ihren Schilderungen bestehe Aggravation, die Beschwerden würden dramatisierend dargestellt, das Verhalten sei theatralisch. Der Gutachter diagnostizierte eine Somatisierung. Die Klägerin habe sich im Landratsamt, wo sie halbtags beschäftigt sei, den Arbeitsplatz ohne Publikumsverkehr mit zwei Zimmern eingerichtet; im September habe sie zwei Wochen Urlaub in Sri Lanka gemacht und sei mit dem Auto zur Kur gefahren. Sie gehe auf Flohmärkte und halte eine Katze; zu Hause habe sie einen PC. Morgens treibe sie Sport, dann zwei Stunden Arbeit, eine Stunde Mittagspause, nochmals zwei Stunden Arbeit, sodann Aktivitäten in der MCS-Gruppe (am Vortag der Untersuchung Tupperparty), Meditation vor dem Schlafengehen, Klägerin von athletischem Habitus, gebräunt. Dr. H. schloss sich der Leistungseinschätzung des Dr. G. an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 14.1.2008 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhob. Wegen anhaltender Erschöpfungszustände mit ständiger Müdigkeit, Stressintoleranz, Antriebsminderung, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Benommenheit sei sie erwerbsgemindert. Der Einschätzung der Dres. G. und H. sei nicht zu folgen; diese hätten ihre Beschwerden nicht hinreichend gewürdigt. Ihre Halbtagsbeschäftigung könne sie nur auf Grund des verhältnismäßig günstigen Arbeitsumfelds ausüben.
Das Sozialgericht befragte zunächst behandelnde Ärzte. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. L., bei der sich die Klägerin zweimal vorgestellt hatte, schloss sich der Leistungseinschätzung der Dres. G. und H. an; eine wesentliche Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit bestehe nicht (Bericht vom 31.3.2008). Der Allgemeinmediziner Dr. Schill gab an, die Klägerin könne leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich verrichten unter Berücksichtigung des MCS-Syndroms. Als Bürokraft könne sie auf Grund ihrer Angaben eher nur vier Stunden täglich arbeiten (Bericht vom 8.4.2008). Der Psychotherapeut Kn. führte aus, die Essstörung bestehe nicht mehr, die depressive Symptomatik habe sich deutlich gebessert; wegen dieser Symptomatik sei die Arbeitsfähigkeit nie eingeschränkt gewesen und auch derzeit nicht eingeschränkt. Die Klägerin beschreibe eine erhebliche Leistungseinschränkung wegen MCS (Bericht vom 10.4.2008). Der Nervenarzt Dr. B. teilte mit, die Klägerin habe ihn am 22.9.2006 und am 21.8.2007 konsultiert. Die Befunde stimmten mit den Befunden der Dres. G. und H. überein. Eine Leistungseinschätzung konnte Dr. B. nicht abgeben (Bericht vom 16.4.2008). Der Facharzt für Augenheilkunde Dr. S. hat keine die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin einschränkenden Gesundheitsstörungen festgestellt. Die Augenärzte Dres. R. und H. S. gaben an, die Klägerin sei vollschichtig einsetzbar (Bericht vom 12.9.2008).
Das Sozialgericht erhob sodann das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. R. vom 1.4.2009. Die Gutachterin untersuchte die Klägerin und diagnostizierte eine Somatisierungsstörung sowie eine spezifische (isolierte) Phobie und ein MCS-Syndrom. Der affektive Schwingungsbogen sei umfassend und nicht eingeschränkt. Die Leistungsfähigkeit der Kläger sei (nur) qualitativ eingeschränkt (etwa: bei Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, keine Nachtschicht, Hitze, Kälte, Zugluft, kein Lärm, kein besonderer Verantwortung und besondere geistiger Beanspruchung). Sie könne aber leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Bei der fast 5 1/2–stündigen, anstrengenden Begutachtung hätten sich keine Ermüdungserscheinungen oder kognitiven Leistungseinbrüche gezeigt. Bei einer anzuratenden (erstmaligen) psychoanalytischen Behandlung sei eine Besserung des (bisher nicht behandelten) psychosomatischen Krankheitsbildes zu erwarten.
Nach dem die Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten der Dr. R. erhoben hatte, holte das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. G. vom 24.8.2009 (mit psychologischem Zusatzgutachten des Diplompsychologen Ge. vom 19.8.2009) ein. Dr. G. eruierte den Tagesablauf der Klägerin (9.00 Uhr Aufstehen, Morgenpflege, Katzen versorgen, Geschirr waschen, Staubsaugen, Fußmassage, Gymnastik mit Pausen, am Mittag Essen vorbreiten (keine Fertigprodukte), Haushalt und Erledigungen, je nach Kräftezustand, am Nachmittag Spaziergang je nach Kräftezustand (etwa eine Stunde reines Spazierengehen), ab 17.00 Uhr Abendessen, Fußmassage, Gymnastik, Abendpflege, Katzen versorgen, gegen 21.00 Uhr zu Bett, Schlafstörungen fast jede Nacht). Die Gutachterin nahm eine aktuell mittelschwere Depression mit starker Tendenz zur Ausbildung psychovegetativer und psychosomatischer Symptome, eine deutliche Neigung zu hypochondrischer Selbstbeobachtung sowie ein mittelschweres bis schweres Angstsyndrom mit speziell auf Duftstoffe und Ausdünstungen ausgerichteten Phobie an. Die Klägerin könne irgendeine Leistung von wirtschaftlichem Wert im allgemeinen Arbeitsleben nicht mehr erbringen; es sei von aufgehobenem Leistungsvermögen für jegliche Tätigkeit auszugehen. Die Klägerin sei nur noch weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig. Eine Besserung sei völlig unwahrscheinlich. Die Leistungseinschränkung bestehe sicher seit Antragstellung im Rentenverfahren, wahrscheinlich schon länger.
Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme der Allgemein- und Sozialmedizinerin Dr. Kl. vom 20.10.2009 vor. Darin ist u.a. ausgeführt, in den Gutachten seien z.T. seitenweise Passagen wortgleich übernommen und in der zusammenfassenden Beurteilung subjektive Angaben der Klägerin über mehrere Seiten aufgeführt worden. Auffällig sei bspw. auch, dass sich angegebene Körperschmerzen meistens freitags abends zum Wochenende einstellten. Eine berufliche Tätigkeit könne sich durchaus positiv auf die Klägerin auswirken und sei auch zumutbar, zumal, wenn ihr nach eigenen Angaben gehäufte Spaziergänge und der Aufenthalt im (eigenen) Gartengrundstück möglich seien. Das Gutachten der Dr. G. wirke insgesamt inhomogen und kaum nachvollziehbar. Außerdem finde eine kontinuierliche und effektive Therapie offensichtlich nicht statt; eine Behandlung sei aber zumutbar und könne sich positiv auswirken. Es bleibe bei dem in den übrigen Gutachten schlüssig und nachvollziehbar belegten positiven Leistungsbild.
Nachdem die Klägerin abschließend geltend gemacht hatte, wegen der Folgen eines am 17.11.2001 erlittenen Verkehrsunfalls seien weitere Gutachten zu erheben, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 12.4.2010 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert und könne deshalb Erwerbsminderungsrente gem. § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht beanspruchen. Nach den Berichten der Dres. L., Schill und B. und den Gutachten der Dres. R. und G. stünden Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet im Vordergrund, die jedoch nur qualitative, jedoch keine quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkungen verursachten. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Das ergebe sich aus der überzeugenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung der Dr. R ... Bei der Untersuchung durch die Gutachterin habe sich die Klägerin als affektiv schwingungsfähig und ausgeglichen erwiesen und während der fast fünfeinhalbstündigen Exploration weder Konzentrations- noch Aufmerksamkeitsstörungen gezeigt; Antriebs- oder Denkstörungen seien nicht ersichtlich gewesen. Unter Berücksichtigung des Tagesablaufs der Klägerin (ohne Verlust der Alltagskompetenz) bedingten die Somatisierungsstörung und die Phobie vor Geruchsstoffen allein qualitative, nicht rentenberechtigende Leistungseinschränkungen. Erschöpfung am Ende eines (Arbeits-)Tages begründe keinen Rentenanspruch. Notwendige Arbeitspausen seien auch im Hinblick auf die persönliche Verteilzeit möglich. Die Auffassung der Dr. R. werde durch die Einschätzungen der Dres. G. und H. gestützt. Auch die Neurologin und Psychiaterin Dr. L. habe im Bericht vom 31.3.2008 quantitative Leistungseinschränkungen nicht angenommen. Demgegenüber könne die Ansicht der Dr. G. (bzw. des Diplompsychologen Ge.) nicht überzeugen. Deren Befunde rechtfertigten die Annahme eines vollständig aufgehobenen Leistungsvermögens nicht, zumal Dr. G. und Dr. R. (im Kern übereinstimmend) ein unterdurchschnittliches Arbeitstempo bei überdurchschnittlicher Arbeitsgenauigkeit gefunden hätten und auch die Ergebnisse des Freiburger Persönlichkeitsinventar-Tests kaum differierten. Nicht nachvollziehbar sei, warum Dr. G. davon ausgehe, dass eine Exposition zu Duftstoffen und Feinstäuben, die bei der Klägerin körperliche Symptome erzeugten und ihre Leistungsfähigkeit (so die Gutachterin) "dramatisch" herabsetzten, in "jedem Arbeitsfeld" drohen sollten, wenn andererseits in den Untersuchungsräumen der Dr. R. keine Exposition zu Duftstoffen und Feinstäuben stattgefunden habe. Ebenso sei die Annahme einer "völlig unwahrscheinlichen" Besserung der geklagten Beschwerden bei Behandlung nicht nachzuvollziehen. Wegen der Allergien gegen Nickelsulfat, Benzocain und Kaliumdichromat sowie der Lebensmittelunverträglichkeiten und der Reaktionen auf Formaldehyd, Weichmacher und polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin nach Ansicht des (behandelnden Arztes) Dr. Schill und der Gutachter nicht in rentenberechtigendem Maße eingeschränkt; das gelte auch für die Erkrankungen auf augenärztlichem Fachgebiet. Das erstmals mit Schreiben vom 31.3.2010 vorgebrachte posttraumatische Belastungssyndroms wegen eines Verkehrsunfalls im Jahr 2001 hätten die Gutachter nicht festgestellt, wegen einer ebenfalls auf den Verkehrsunfall zurückgeführten (nicht substantiiert dargelegten) Kopfgelenksinstabilität finde eine fachorthopädische Behandlung, offensichtlich mangels entsprechenden Leidensdrucks, nicht statt; weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht seien entbehrlich. Die Klägerin könne als Bürokauffrau jedenfalls in einem Einzelzimmer arbeiten, in dem sich kein Drucker und Kopierer, kein durch Aktenlagerung beförderter Feinstaub und keine Teppichböden befänden, dessen Einrichtung also letztendlich der Einrichtung der Wohnung der Klägerin oder des Untersuchungszimmers der Dr. R. gleiche. Eine schwere spezifische Leistungseinschränkung liege ebenso wenig vor wie eine rentenrechtlich beachtliche Einschränkung der Wegefähigkeit. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme nicht in Betracht, da die Klägerin nach dem 2.1.1961 geboren sei.
Auf das ihr am 20.5.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.6.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung bekräftigt sie ihr bisheriges Vorbringen und legt eine Bescheinigung des Dr. B. vom 2.6.2010 vor; für dessen Inhalt wird auf Senatsakte S. 20, 21 Bezug genommen. Ergänzend macht die Klägerin geltend, das Gutachten der Dr. R. sei im Gegensatz zum Gutachten der Dr. G. (Diplompsychologe Ge.) nicht überzeugend. Es sei nicht möglich, am Arbeitsplatz dauerhaft eine Atemmaske zu tragen. Sie reagiere mit Gesundheitsstörungen auch auf (u.a.) Duftstoffe in Körperpflegeprodukten und Haushaltsreinigern, Abgasen, Zigarettenrauch und Formaldehyd. Bei Dr. L. habe sie (bei den nur zwei Vorstellungsterminen) über ihre Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in Kindheit und Jugend nicht berichtet, weshalb die Leistungseinschätzung dieser Ärztin ebenfalls nicht überzeugen könne. Dr. R. habe ihre traumatischen Erlebnisse in Kindheit und Jugend nicht hinreichend berücksichtigt. Die Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas durch den Verkehrsunfall 2001 seien ebenfalls nicht ausreichend gewürdigt worden; insoweit werde auf die Bescheinigung des Dr. B. verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.4.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2007 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. Kl. vom 10.9.2010 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, die Einwendungen gegen das Gutachten der Dr. R. seien nicht berechtigt; diese habe das Beschwerdebild sehr differenziert und eingehend betrachtet. Außerdem seien die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Über etwa zwischenzeitlich eingeleitete Therapiemaßnahmen sei nichts bekannt. Die zusätzlichen Tests des Diplompsychologen Ge. hälfen wenig weiter, brächten keinen Erkenntnisgewinn und seien für die Frage des Leistungsbilds nicht validiert. Gegen ein herabgesetztes Leistungsvermögen spreche auch, dass die Klägerin zu einer Begutachtung (Dr. G.) im eigenen Auto gefahren sei, im Gasthaus übernachtet habe und sich an drei aufeinander folgenden Tagen der Untersuchung habe unterziehen können. Im Hinblick auf die Folgen des Verkehrsunfalls 2001 sei bei der Begutachtung im Verwaltungsverfahren ein auf das Jahr 2003 datierter Unfall bzw. eine Jochbeinfraktur nach Unfall ohne Datum angegeben worden. Ein Schädel-Hirn-Trauma werde nicht aufgeführt. Im Entlassungsbericht des Fachkrankenhaus Nordfriesland, B., vom 28.6.2007 werde ein Autounfall vor einigen Jahren mit Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades erwähnt, also nur eine Gehirnerschütterung. In der Bescheinigung des Dr. B. vom 2.6.2010 werde i. W. dessen bereits geäußerte Auffassung zur MCS bekräftigt. Es bleibe beim positiven Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die Klägerin hat u.a. noch eingewandt, sie sei mit dem eigenen Auto zur Begutachtung gefahren, weil sie in öffentlichen Verkehrsmitteln hätte eine Atemmaske tragen müssen und aus der Fähigkeit zum Autofahren und außer Haus zu übernachten könne nicht auf Erwerbsfähigkeit geschlossen werden. Die Beklagte hat abschließend die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. Kl. vom 26.11.2010 vorgelegt. Darin heißt es u.a. der Verkehrsunfall 2001 habe lediglich zu einer Gehirnerschütterung geführt und keine dauerhafte Gesundheitsschädigung verursacht.
Die Beteiligten habe sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren; sie hat darauf keinen Anspruch.
Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die im Berufungsverfahren vorgelegten Arztunterlagen anzumerken:
Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass die Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, was die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ausschließt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht namentlich aus den Gutachten der Dres. R., G. und H. überzeugend hervor. Die abweichende Auffassung der auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG mit der Begutachtung beauftragten Dr. G. (Diplompsychologe Ge.) kann demgegenüber nicht überzeugen. Das Sozialgericht hat dies in seinem Urteil zutreffend näher dargelegt, der Senat schließt sich dem an.
Die im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheinigung des Dr. B. vom 2.6.2010 rechtfertigt – wie Dr. Kl. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.9.2010 schlüssig dargelegt hat - keine andere Sicht der Dinge. Substantiierte Einwendungen gegen die überzeugend begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung der Dres G. und H. und namentlich der Dr. R. sind dieser sich i. W. in allgemeinen Darlegungen erschöpfenden Bescheinigung nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für das Berufungsvorbingen der Klägerin, die letztendlich die ihr ungünstige Auffassung der Dr. R. nicht akzeptieren will. Deren Leistungsbeurteilung wird indessen nicht stichhaltig in Zweifel gezogen. Dr. Kl. hat das in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.9.2010 zutreffend dargelegt und betont, dass die Einwendungen gegen das Gutachten der Dr. R. nicht berechtigt sind, nachdem die Gutachterin das Beschwerdebild sehr differenziert und eingehend betrachtet hatte. Ergänzend hat Dr. Kl. im Hinblick auf das gem. § 109 SGG erhobene Gutachten der Dr. G. (Diplompsychologe Ge.) mit Recht moniert, dass einzelne psychologische Tests für die sozialmedizinische Fragestellung nach dem rentenrechtlich relevanten Leistungsvermögen nicht validiert und damit wenig aussagekräftig sind. Außerdem sind die Behandlungsmöglichkeiten ersichtlich nicht ausgeschöpft, was gegen einen entsprechenden (höhergradigen) Leidensdruck der Klägerin spricht.
Die im Kern vorgebrachten allergischen bzw. phobischen Reaktionen der Klägerin etwa auf Duftstoffe in Körperpflegeprodukten und Haushaltsreinigern, Abgase, Zigarettenrauch oder Formaldehyd haben die Rentengutachter gewürdigt und mit (allein) qualitativen Leistungseinschränkungen zutreffend berücksichtigt: rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkungen sind deswegen nicht begründet. Inwieweit die Klägerin etwa bei Dr. L. über ihre Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in Kindheit und Jugend berichtet hat, ist rentenrechtlich nicht maßgeblich. Für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilungen sind nicht Diagnosen oder Krankheiten als solche oder deren Ursachen, sondern Funktionseinschränkungen (Leistungseinschränkungen) maßgeblich; deswegen geht auch der Einwand der Klägerin fehl, Dr. R. habe ihre traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend nicht ausreichend berücksichtigt. Die (erstmals gegen Ende des sozialgerichtlichen Verfahrens geltend gemachten) Folgen des bei einem Jahre zurückliegenden Verkehrsunfall erlittenen Schädel-Hirn-Traumas haben rentenberechtigende Leistungsminderungen ersichtlich nicht hinterlassen, zumal sich die Klägerin auch nur eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Das geht (schon) aus dem Entlassungsbericht des Fachkrankenhauses Nordfriesland vom 28.6.2007 und den beratungsärztlichen Stellungnahmen der Dr. Kl. vom 10.9.2010 sowie vom 26.11.2010 hervor. Die Gutachter haben insoweit keine rentenrechtlich relevanten Folgeerscheinungen mehr gefunden.
Weitere Ermittlungen drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Arztunterlagen und Gutachten nicht auf.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1966 geborene Klägerin, 1981 aus der ehemaligen Sowjetunion zugezogen, gelernte Bürokauffrau, war bis März 2009 als Bürokraft (halbtags) versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem bezieht sie Krankengeld. Seit Oktober 2006 ist ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 40, seit September 2008 ein Grad der Behinderung von 50 insbesondere wegen Taubheit auf dem linken und Tinnitus auf dem rechten Ohr sowie wegen funktioneller Organbeschwerden und depressiver Verstimmung zuerkannt.
Vom 15.5. bis 5.6.2007 absolvierte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsbehandlung im Fachkrankenhaus Nordfriesland, B ... Im Entlassungsbericht vom 28.6.2007 sind die Diagnosen multiple Chemikalienunverträglichkeit, Nahrungsmittelintoleranzen, Histaminintoleranz, allergische Diathese auf Nickelsulfat, Benzokain und Kaliumdichromat, Binge-Eating, Reaktion auf schwere Belastung sowie Gehörlosigkeit links (seit Geburt) festgehalten. Zur Anamnese ist u.a. ausgeführt, die Klägerin habe vor einigen Jahren einen Autounfall mit Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades und Jochbeinfraktur (diesbezüglich Rekonstruktionsoperation) erlitten. Die Klägerin solle Tätigkeiten mit einem erhöhten Anforderungsprofil an das Hörvermögen oder mit Exposition gegenüber volatilen Chemikalien wie Duftstoffen oder Reinigungsmittel meiden. Als Verwaltungsangestellte (zuletzt bei einem Landratsamt) könne sie mindestens sechs Stunden täglich und mehr arbeiten und auch mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Um eine Exposition gegenüber Duftstoffen weitestgehend zu vermeiden, werde ein Heimarbeitsplatz empfohlen.
Am 30.8.2007 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 13.9.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zur Begründung des dagegen am 2.10.2007 eingelegten Widerspruchs beschrieb die Klägerin ihre Reaktionen auf Duftstoffe und andere Luftbelastungen.
Die Beklagte erhob die Gutachten des Internisten und Sozialmediziners Dr. G. vom 8.11.2007 und des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 14.11.2007. Dr. G. führte aus, am Arbeitsplatz der Klägerin (im 6. OG mit entsprechender Entfernung von Autoabgasen) habe man Drucker und PC außerhalb des Büros, in dem kein Publikumsverkehr stattfinde und nicht geraucht werde, aufgestellt; dadurch sei eine Expositionsminderung erreicht worden. Dr. G. diagnostizierte multiple Chemikalienunverträglichkeit. Objektivierbar sei eine Allergie auf Nickelsulfat, Benzocain und Kaliumdichromat. Das angegebene Asthma bronchiale sei bei völlig normaler Bodyplethysmographie nicht nachvollziehbar. Durchgeführte Lymphozyten-Transformationstests zeigten laut Befund eine schwache Sensibilisierung der T-Lymphozyten gegen polychlorierte Biphenole bzw. Formaldehyd, die sich Kontakt mit diesen Allergenen kaum bemerkbar machen dürfte. Ein Gluthation-S-Transferase-Mangel finde sich bei vielen Mitteleuropäern und sei pathognomonisch nicht verwertbar. Die Klägerin könne als Bürokauffrau sechs Stunden täglich und mehr arbeiten und auch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) ebenfalls sechs Stunden täglich und mehr verrichten. Dr. H. legte dar, die Klägerin sei nicht depressiv und zum Scherzen aufgelegt. In ihren Schilderungen bestehe Aggravation, die Beschwerden würden dramatisierend dargestellt, das Verhalten sei theatralisch. Der Gutachter diagnostizierte eine Somatisierung. Die Klägerin habe sich im Landratsamt, wo sie halbtags beschäftigt sei, den Arbeitsplatz ohne Publikumsverkehr mit zwei Zimmern eingerichtet; im September habe sie zwei Wochen Urlaub in Sri Lanka gemacht und sei mit dem Auto zur Kur gefahren. Sie gehe auf Flohmärkte und halte eine Katze; zu Hause habe sie einen PC. Morgens treibe sie Sport, dann zwei Stunden Arbeit, eine Stunde Mittagspause, nochmals zwei Stunden Arbeit, sodann Aktivitäten in der MCS-Gruppe (am Vortag der Untersuchung Tupperparty), Meditation vor dem Schlafengehen, Klägerin von athletischem Habitus, gebräunt. Dr. H. schloss sich der Leistungseinschätzung des Dr. G. an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 14.1.2008 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhob. Wegen anhaltender Erschöpfungszustände mit ständiger Müdigkeit, Stressintoleranz, Antriebsminderung, Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Benommenheit sei sie erwerbsgemindert. Der Einschätzung der Dres. G. und H. sei nicht zu folgen; diese hätten ihre Beschwerden nicht hinreichend gewürdigt. Ihre Halbtagsbeschäftigung könne sie nur auf Grund des verhältnismäßig günstigen Arbeitsumfelds ausüben.
Das Sozialgericht befragte zunächst behandelnde Ärzte. Die Neurologin und Psychiaterin Dr. L., bei der sich die Klägerin zweimal vorgestellt hatte, schloss sich der Leistungseinschätzung der Dres. G. und H. an; eine wesentliche Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit bestehe nicht (Bericht vom 31.3.2008). Der Allgemeinmediziner Dr. Schill gab an, die Klägerin könne leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich verrichten unter Berücksichtigung des MCS-Syndroms. Als Bürokraft könne sie auf Grund ihrer Angaben eher nur vier Stunden täglich arbeiten (Bericht vom 8.4.2008). Der Psychotherapeut Kn. führte aus, die Essstörung bestehe nicht mehr, die depressive Symptomatik habe sich deutlich gebessert; wegen dieser Symptomatik sei die Arbeitsfähigkeit nie eingeschränkt gewesen und auch derzeit nicht eingeschränkt. Die Klägerin beschreibe eine erhebliche Leistungseinschränkung wegen MCS (Bericht vom 10.4.2008). Der Nervenarzt Dr. B. teilte mit, die Klägerin habe ihn am 22.9.2006 und am 21.8.2007 konsultiert. Die Befunde stimmten mit den Befunden der Dres. G. und H. überein. Eine Leistungseinschätzung konnte Dr. B. nicht abgeben (Bericht vom 16.4.2008). Der Facharzt für Augenheilkunde Dr. S. hat keine die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin einschränkenden Gesundheitsstörungen festgestellt. Die Augenärzte Dres. R. und H. S. gaben an, die Klägerin sei vollschichtig einsetzbar (Bericht vom 12.9.2008).
Das Sozialgericht erhob sodann das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. R. vom 1.4.2009. Die Gutachterin untersuchte die Klägerin und diagnostizierte eine Somatisierungsstörung sowie eine spezifische (isolierte) Phobie und ein MCS-Syndrom. Der affektive Schwingungsbogen sei umfassend und nicht eingeschränkt. Die Leistungsfähigkeit der Kläger sei (nur) qualitativ eingeschränkt (etwa: bei Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, keine Nachtschicht, Hitze, Kälte, Zugluft, kein Lärm, kein besonderer Verantwortung und besondere geistiger Beanspruchung). Sie könne aber leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Bei der fast 5 1/2–stündigen, anstrengenden Begutachtung hätten sich keine Ermüdungserscheinungen oder kognitiven Leistungseinbrüche gezeigt. Bei einer anzuratenden (erstmaligen) psychoanalytischen Behandlung sei eine Besserung des (bisher nicht behandelten) psychosomatischen Krankheitsbildes zu erwarten.
Nach dem die Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten der Dr. R. erhoben hatte, holte das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. G. vom 24.8.2009 (mit psychologischem Zusatzgutachten des Diplompsychologen Ge. vom 19.8.2009) ein. Dr. G. eruierte den Tagesablauf der Klägerin (9.00 Uhr Aufstehen, Morgenpflege, Katzen versorgen, Geschirr waschen, Staubsaugen, Fußmassage, Gymnastik mit Pausen, am Mittag Essen vorbreiten (keine Fertigprodukte), Haushalt und Erledigungen, je nach Kräftezustand, am Nachmittag Spaziergang je nach Kräftezustand (etwa eine Stunde reines Spazierengehen), ab 17.00 Uhr Abendessen, Fußmassage, Gymnastik, Abendpflege, Katzen versorgen, gegen 21.00 Uhr zu Bett, Schlafstörungen fast jede Nacht). Die Gutachterin nahm eine aktuell mittelschwere Depression mit starker Tendenz zur Ausbildung psychovegetativer und psychosomatischer Symptome, eine deutliche Neigung zu hypochondrischer Selbstbeobachtung sowie ein mittelschweres bis schweres Angstsyndrom mit speziell auf Duftstoffe und Ausdünstungen ausgerichteten Phobie an. Die Klägerin könne irgendeine Leistung von wirtschaftlichem Wert im allgemeinen Arbeitsleben nicht mehr erbringen; es sei von aufgehobenem Leistungsvermögen für jegliche Tätigkeit auszugehen. Die Klägerin sei nur noch weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig. Eine Besserung sei völlig unwahrscheinlich. Die Leistungseinschränkung bestehe sicher seit Antragstellung im Rentenverfahren, wahrscheinlich schon länger.
Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme der Allgemein- und Sozialmedizinerin Dr. Kl. vom 20.10.2009 vor. Darin ist u.a. ausgeführt, in den Gutachten seien z.T. seitenweise Passagen wortgleich übernommen und in der zusammenfassenden Beurteilung subjektive Angaben der Klägerin über mehrere Seiten aufgeführt worden. Auffällig sei bspw. auch, dass sich angegebene Körperschmerzen meistens freitags abends zum Wochenende einstellten. Eine berufliche Tätigkeit könne sich durchaus positiv auf die Klägerin auswirken und sei auch zumutbar, zumal, wenn ihr nach eigenen Angaben gehäufte Spaziergänge und der Aufenthalt im (eigenen) Gartengrundstück möglich seien. Das Gutachten der Dr. G. wirke insgesamt inhomogen und kaum nachvollziehbar. Außerdem finde eine kontinuierliche und effektive Therapie offensichtlich nicht statt; eine Behandlung sei aber zumutbar und könne sich positiv auswirken. Es bleibe bei dem in den übrigen Gutachten schlüssig und nachvollziehbar belegten positiven Leistungsbild.
Nachdem die Klägerin abschließend geltend gemacht hatte, wegen der Folgen eines am 17.11.2001 erlittenen Verkehrsunfalls seien weitere Gutachten zu erheben, wies das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 12.4.2010 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert und könne deshalb Erwerbsminderungsrente gem. § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht beanspruchen. Nach den Berichten der Dres. L., Schill und B. und den Gutachten der Dres. R. und G. stünden Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet im Vordergrund, die jedoch nur qualitative, jedoch keine quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkungen verursachten. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Das ergebe sich aus der überzeugenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung der Dr. R ... Bei der Untersuchung durch die Gutachterin habe sich die Klägerin als affektiv schwingungsfähig und ausgeglichen erwiesen und während der fast fünfeinhalbstündigen Exploration weder Konzentrations- noch Aufmerksamkeitsstörungen gezeigt; Antriebs- oder Denkstörungen seien nicht ersichtlich gewesen. Unter Berücksichtigung des Tagesablaufs der Klägerin (ohne Verlust der Alltagskompetenz) bedingten die Somatisierungsstörung und die Phobie vor Geruchsstoffen allein qualitative, nicht rentenberechtigende Leistungseinschränkungen. Erschöpfung am Ende eines (Arbeits-)Tages begründe keinen Rentenanspruch. Notwendige Arbeitspausen seien auch im Hinblick auf die persönliche Verteilzeit möglich. Die Auffassung der Dr. R. werde durch die Einschätzungen der Dres. G. und H. gestützt. Auch die Neurologin und Psychiaterin Dr. L. habe im Bericht vom 31.3.2008 quantitative Leistungseinschränkungen nicht angenommen. Demgegenüber könne die Ansicht der Dr. G. (bzw. des Diplompsychologen Ge.) nicht überzeugen. Deren Befunde rechtfertigten die Annahme eines vollständig aufgehobenen Leistungsvermögens nicht, zumal Dr. G. und Dr. R. (im Kern übereinstimmend) ein unterdurchschnittliches Arbeitstempo bei überdurchschnittlicher Arbeitsgenauigkeit gefunden hätten und auch die Ergebnisse des Freiburger Persönlichkeitsinventar-Tests kaum differierten. Nicht nachvollziehbar sei, warum Dr. G. davon ausgehe, dass eine Exposition zu Duftstoffen und Feinstäuben, die bei der Klägerin körperliche Symptome erzeugten und ihre Leistungsfähigkeit (so die Gutachterin) "dramatisch" herabsetzten, in "jedem Arbeitsfeld" drohen sollten, wenn andererseits in den Untersuchungsräumen der Dr. R. keine Exposition zu Duftstoffen und Feinstäuben stattgefunden habe. Ebenso sei die Annahme einer "völlig unwahrscheinlichen" Besserung der geklagten Beschwerden bei Behandlung nicht nachzuvollziehen. Wegen der Allergien gegen Nickelsulfat, Benzocain und Kaliumdichromat sowie der Lebensmittelunverträglichkeiten und der Reaktionen auf Formaldehyd, Weichmacher und polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe sei die Leistungsfähigkeit der Klägerin nach Ansicht des (behandelnden Arztes) Dr. Schill und der Gutachter nicht in rentenberechtigendem Maße eingeschränkt; das gelte auch für die Erkrankungen auf augenärztlichem Fachgebiet. Das erstmals mit Schreiben vom 31.3.2010 vorgebrachte posttraumatische Belastungssyndroms wegen eines Verkehrsunfalls im Jahr 2001 hätten die Gutachter nicht festgestellt, wegen einer ebenfalls auf den Verkehrsunfall zurückgeführten (nicht substantiiert dargelegten) Kopfgelenksinstabilität finde eine fachorthopädische Behandlung, offensichtlich mangels entsprechenden Leidensdrucks, nicht statt; weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht seien entbehrlich. Die Klägerin könne als Bürokauffrau jedenfalls in einem Einzelzimmer arbeiten, in dem sich kein Drucker und Kopierer, kein durch Aktenlagerung beförderter Feinstaub und keine Teppichböden befänden, dessen Einrichtung also letztendlich der Einrichtung der Wohnung der Klägerin oder des Untersuchungszimmers der Dr. R. gleiche. Eine schwere spezifische Leistungseinschränkung liege ebenso wenig vor wie eine rentenrechtlich beachtliche Einschränkung der Wegefähigkeit. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) komme nicht in Betracht, da die Klägerin nach dem 2.1.1961 geboren sei.
Auf das ihr am 20.5.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.6.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung bekräftigt sie ihr bisheriges Vorbringen und legt eine Bescheinigung des Dr. B. vom 2.6.2010 vor; für dessen Inhalt wird auf Senatsakte S. 20, 21 Bezug genommen. Ergänzend macht die Klägerin geltend, das Gutachten der Dr. R. sei im Gegensatz zum Gutachten der Dr. G. (Diplompsychologe Ge.) nicht überzeugend. Es sei nicht möglich, am Arbeitsplatz dauerhaft eine Atemmaske zu tragen. Sie reagiere mit Gesundheitsstörungen auch auf (u.a.) Duftstoffe in Körperpflegeprodukten und Haushaltsreinigern, Abgasen, Zigarettenrauch und Formaldehyd. Bei Dr. L. habe sie (bei den nur zwei Vorstellungsterminen) über ihre Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in Kindheit und Jugend nicht berichtet, weshalb die Leistungseinschätzung dieser Ärztin ebenfalls nicht überzeugen könne. Dr. R. habe ihre traumatischen Erlebnisse in Kindheit und Jugend nicht hinreichend berücksichtigt. Die Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas durch den Verkehrsunfall 2001 seien ebenfalls nicht ausreichend gewürdigt worden; insoweit werde auf die Bescheinigung des Dr. B. verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.4.2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2007 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. Kl. vom 10.9.2010 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, die Einwendungen gegen das Gutachten der Dr. R. seien nicht berechtigt; diese habe das Beschwerdebild sehr differenziert und eingehend betrachtet. Außerdem seien die Behandlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Über etwa zwischenzeitlich eingeleitete Therapiemaßnahmen sei nichts bekannt. Die zusätzlichen Tests des Diplompsychologen Ge. hälfen wenig weiter, brächten keinen Erkenntnisgewinn und seien für die Frage des Leistungsbilds nicht validiert. Gegen ein herabgesetztes Leistungsvermögen spreche auch, dass die Klägerin zu einer Begutachtung (Dr. G.) im eigenen Auto gefahren sei, im Gasthaus übernachtet habe und sich an drei aufeinander folgenden Tagen der Untersuchung habe unterziehen können. Im Hinblick auf die Folgen des Verkehrsunfalls 2001 sei bei der Begutachtung im Verwaltungsverfahren ein auf das Jahr 2003 datierter Unfall bzw. eine Jochbeinfraktur nach Unfall ohne Datum angegeben worden. Ein Schädel-Hirn-Trauma werde nicht aufgeführt. Im Entlassungsbericht des Fachkrankenhaus Nordfriesland, B., vom 28.6.2007 werde ein Autounfall vor einigen Jahren mit Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades erwähnt, also nur eine Gehirnerschütterung. In der Bescheinigung des Dr. B. vom 2.6.2010 werde i. W. dessen bereits geäußerte Auffassung zur MCS bekräftigt. Es bleibe beim positiven Leistungsbild für den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die Klägerin hat u.a. noch eingewandt, sie sei mit dem eigenen Auto zur Begutachtung gefahren, weil sie in öffentlichen Verkehrsmitteln hätte eine Atemmaske tragen müssen und aus der Fähigkeit zum Autofahren und außer Haus zu übernachten könne nicht auf Erwerbsfähigkeit geschlossen werden. Die Beklagte hat abschließend die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. Kl. vom 26.11.2010 vorgelegt. Darin heißt es u.a. der Verkehrsunfall 2001 habe lediglich zu einer Gehirnerschütterung geführt und keine dauerhafte Gesundheitsschädigung verursacht.
Die Beteiligten habe sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren; sie hat darauf keinen Anspruch.
Das Sozialgericht hat in seinem Urteil zutreffend dargelegt, nach welchen Rechtsvorschriften (§§ 43, 240 SGB VI) das Rentenbegehren der Klägerin zu beurteilen ist, und weshalb ihr danach Rente nicht zusteht. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten und die im Berufungsverfahren vorgelegten Arztunterlagen anzumerken:
Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Sozialgerichts. Er ist ebenfalls der Auffassung, dass die Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, was die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ausschließt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das geht namentlich aus den Gutachten der Dres. R., G. und H. überzeugend hervor. Die abweichende Auffassung der auf Antrag der Klägerin gem. § 109 SGG mit der Begutachtung beauftragten Dr. G. (Diplompsychologe Ge.) kann demgegenüber nicht überzeugen. Das Sozialgericht hat dies in seinem Urteil zutreffend näher dargelegt, der Senat schließt sich dem an.
Die im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheinigung des Dr. B. vom 2.6.2010 rechtfertigt – wie Dr. Kl. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.9.2010 schlüssig dargelegt hat - keine andere Sicht der Dinge. Substantiierte Einwendungen gegen die überzeugend begründete sozialmedizinische Leistungseinschätzung der Dres G. und H. und namentlich der Dr. R. sind dieser sich i. W. in allgemeinen Darlegungen erschöpfenden Bescheinigung nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für das Berufungsvorbingen der Klägerin, die letztendlich die ihr ungünstige Auffassung der Dr. R. nicht akzeptieren will. Deren Leistungsbeurteilung wird indessen nicht stichhaltig in Zweifel gezogen. Dr. Kl. hat das in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.9.2010 zutreffend dargelegt und betont, dass die Einwendungen gegen das Gutachten der Dr. R. nicht berechtigt sind, nachdem die Gutachterin das Beschwerdebild sehr differenziert und eingehend betrachtet hatte. Ergänzend hat Dr. Kl. im Hinblick auf das gem. § 109 SGG erhobene Gutachten der Dr. G. (Diplompsychologe Ge.) mit Recht moniert, dass einzelne psychologische Tests für die sozialmedizinische Fragestellung nach dem rentenrechtlich relevanten Leistungsvermögen nicht validiert und damit wenig aussagekräftig sind. Außerdem sind die Behandlungsmöglichkeiten ersichtlich nicht ausgeschöpft, was gegen einen entsprechenden (höhergradigen) Leidensdruck der Klägerin spricht.
Die im Kern vorgebrachten allergischen bzw. phobischen Reaktionen der Klägerin etwa auf Duftstoffe in Körperpflegeprodukten und Haushaltsreinigern, Abgase, Zigarettenrauch oder Formaldehyd haben die Rentengutachter gewürdigt und mit (allein) qualitativen Leistungseinschränkungen zutreffend berücksichtigt: rentenberechtigende (zeitliche) Leistungseinschränkungen sind deswegen nicht begründet. Inwieweit die Klägerin etwa bei Dr. L. über ihre Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in Kindheit und Jugend berichtet hat, ist rentenrechtlich nicht maßgeblich. Für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilungen sind nicht Diagnosen oder Krankheiten als solche oder deren Ursachen, sondern Funktionseinschränkungen (Leistungseinschränkungen) maßgeblich; deswegen geht auch der Einwand der Klägerin fehl, Dr. R. habe ihre traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend nicht ausreichend berücksichtigt. Die (erstmals gegen Ende des sozialgerichtlichen Verfahrens geltend gemachten) Folgen des bei einem Jahre zurückliegenden Verkehrsunfall erlittenen Schädel-Hirn-Traumas haben rentenberechtigende Leistungsminderungen ersichtlich nicht hinterlassen, zumal sich die Klägerin auch nur eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Das geht (schon) aus dem Entlassungsbericht des Fachkrankenhauses Nordfriesland vom 28.6.2007 und den beratungsärztlichen Stellungnahmen der Dr. Kl. vom 10.9.2010 sowie vom 26.11.2010 hervor. Die Gutachter haben insoweit keine rentenrechtlich relevanten Folgeerscheinungen mehr gefunden.
Weitere Ermittlungen drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Arztunterlagen und Gutachten nicht auf.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben muss. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved