L 12 AS 236/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 4337/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 236/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit ab 10. Oktober 2007.

Die 1948 geborene Klägerin bewohnt ein Eigenheim mit einer Wohnfläche von 121 qm, welches ihr und ihrem Ehemann E W (E.W.) je zur Hälfte gehört. Im Haus wohnen ebenfalls die 1926 geborene Mutter der Klägerin, die eine Rente von rund 1.100 EUR und Pflegegeld von 430 EUR erhält, sowie ein Sohn der Klägerin. E.W. erlitt im Jahr 2004 einen Schlaganfall. Er bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 1.241,24 EUR (ab 1. Juli 2007) und ist in einem Pflegeheim untergebracht. Zusätzlich zu den Leistungen der Pflegekasse erhält er Leistungen der Hilfe zur Pflege vom Sozialhilfeträger hinsichtlich der ungedeckten Heimkosten. Hierfür ist ein Kostenbeitrag zu leisten, der ab Januar 2007 bei 570 EUR monatlich lag. Die Klägerin erhält monatlich 600 EUR als Unterhaltszahlung von ihrem Ehemann.

Am 10. Oktober 2007 beantragte die Klägerin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 31. Oktober 2007 mit der Begründung ab, dass die Klägerin nicht hilfebedürftig sei. Sie erhalte von ihrem Ehemann eine monatliche Unterhaltszahlung von 600 EUR, welche die Regelleistung bei weitem übersteige. Für die Unterkunftskosten bestehe die Zuständigkeit des Rhein-Neckar-Kreises.

Mit ihrem Widerspruch vom 5. November 2007 machte die Klägerin geltend, dass die Unterhaltszahlung aus der Erwerbsminderungsrente erfolge. Hiervon müssten die Fixkosten und Zinsen für das Haus beglichen werden. Nach Abzug aller Verbindlichkeiten blieben höchstens 60 EUR zum Leben.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2007 zurück und verwies erneut darauf, dass die Unterhaltszahlung den Bedarf übersteige. Kosten für das Eigenheim könnten von der Beklagten nicht beansprucht werden, hierfür sei der kommunale Träger zuständig.

Am 21. Dezember 2007 hat die Klägerin zum Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass die Ehegatten trotz der vollstationären Pflege des E.W. nicht getrennt lebten, weil eine Trennungsabsicht nicht vorliege. Aufgrund einer mit der Betreuerin des E.W. abgeschlossenen Vereinbarung erhalte die Klägerin monatlich 600 EUR. Hiermit müsse sie ihren Lebensunterhalt und zugleich die Kosten für das nicht schuldenfreie Eigenheim, Strom, Wasser und Heizung finanzieren. Außerdem stehe der Klägerin ein Mehrbedarf wegen Behinderung zu.

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Dezember 2008 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin nicht hilfebedürftig sei. Vorliegend habe die Klägerin ausdrücklich bestätigt, weiterhin monatlich 600 EUR zu erhalten. § 11 SGB II sehe vor, dass alle Leistungen an Geld oder Geldeswert anzurechnen seien. Insoweit finde die Privatautonomie, der Zuwendung einen bestimmten Zweck zugrunde zu legen, eine Grenze, denn sonst hätten es hilfebedürftige Personen in der Hand, über eine bestimmte Zweckvereinbarung die Anrechnung des Einkommens auszuhebeln. Die Unterkunftskosten seien im Rahmen des § 22 SGB II zu berücksichtigen, hierfür sei jedoch nicht die Zuständigkeit der Beklagten gegeben. Trotz des gerichtlichen Hinweises, dass Hilfebedürftigkeit nicht angenommen werden könne, solange die Klägerin die Zahlung von 600 EUR erhalte, sei die Zahlung nicht eingestellt worden, so dass die Klägerin nicht hilfebedürftig und die Klage nicht begründet sei.

Gegen das ihrer Bevollmächtigten am 16. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Januar 2009 eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung wird geltend gemacht, das SG unterstelle fehlerhaft, dass die 600 EUR aus der Rente der Klägerin zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Es handele sich um Beiträge zum Familienunterhalt, so dass noch Versicherungen des Ehemannes und Kosten für das Familienheim in Abzug zu bringen seien. Weiter sei in Abzug zu bringen der Anteil des Ehemannes am Regelbedarf der Bedarfsgemeinschaft. Nur ein verbleibender Rest, der sich rechnerisch nicht ergebe, wäre der Klägerin zuzurechnen. Im Übrigen stehe der Klägerin ein Mehrbedarf wegen Behinderung zu, sie sei mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. eingestuft.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 31. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2007 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 10. Oktober 2007 nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin habe offenbar seit Oktober 2007 bis heute ihren Unterhalt ohne Erhalt von Regelleistungen bestreiten können. Nach eigenem Bekunden erhalte sie definitiv monatlich 600 EUR. Im Übrigen dürfte der Heimbeitrag Unterkunft und Verpflegungskosten sowie notwendige pflegerische Aufwendungen umfassen, so dass dieser Betrag nicht als reiner Anteil für Kosten der Unterkunft bei E.W. angesehen werden könne.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und damit zulässig, da laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit stehen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung. Insoweit handelt es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einerseits und den Kosten der Unterkunft andererseits um voneinander abtrennbare Verfügungssätze und verschiedene Streitgegenstände (vgl. Bundessozialgericht (BSG), SozR 4-4200 § 22 Nr. 1 = BSGE 97, 217). Angesichts der hier vorliegenden getrennten Trägerschaft ist die Beklagte für die Erbringung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nicht zuständig (§§ 6 Abs. 1 Satz 1, 36 Sätze 1 und 2 SGB II). Da sich die Klägerin gegen einen Bescheid wehrt, mit dem die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt worden ist, ist Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens damit - nach dem zeitlich unbefristeten Klageantrag - zulässigerweise die gesamte bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verstrichene Zeit (vgl. BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 1; BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 4 = BSGE 98, 243) und zwar unter Berücksichtigung aller tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen, ohne dass es hierfür eines neuen Bescheides bedürfte (vgl. BSG SozR 4-3500 § 21 Nr. 1). Einen neuen Leistungsantrag mit der Folge, dass sich der angefochtene Bescheid für die von dem neuen Bescheid erfasste Zeit erledigt hätte (vgl. BSG SozR 4-3500 § 21 Nr. 1), hat die Klägerin zwischenzeitlich nicht gestellt.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nicht, denn sie ist nicht hilfebedürftig. Die Hilfebedürftigkeit bemisst sich nach § 9 Abs. 1 SGB II. Danach ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die Klägerin selbst verfügt über monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von 600 EUR. Dabei handelt es sich um Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, denn nach dieser Vorschrift sind als Einkommen zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und ähnlicher, im Einzelnen genannter Renten oder Beihilfen, die hier nicht einschlägig sind. Schon aufgrund dieser Zahlung von monatlich 600 EUR ist die Klägerin nicht hilfebedürftig, ohne dass es noch auf die Frage der Einkommensanrechnung des Ehemannes ankäme, denn die Regelleistung von damals 312 EUR, jetzt 323 EUR wird mit dem Betrag von 600 EUR auch unter Abzug der Versicherungspauschale weit überschritten. Ein Mehrbedarf wegen Behinderung ist zu Gunsten der Klägerin nicht zu berücksichtigen, denn nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhalten einen Mehrbedarf von 35 v.H. der nach § 20 maßgebenden Regelleistung nur erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 des Zwölften Buches erbracht werden. Derartige Leistungen zur Teilhabe oder Eingliederungshilfen erhält die Klägerin indes nicht. Allein die Feststellung einer Behinderung durch die Versorgungsverwaltung begründet vorliegend keinen Anspruch auf Mehrbedarf wegen Behinderung; die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II betrifft nur nichterwerbsfähige Personen. Im Übrigen ergäbe sich auch bei Zuerkennung des Mehrbedarfs wegen des übersteigenden Einkommens kein Leistungsanspruch.

Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht dadurch, dass die Klägerin bei anderer Gestaltung der Unterhaltszahlung einen Leistungsanspruch geltend machen könnte. Würde keine regelmäßige Unterhaltszahlung von 600 EUR monatlich erbracht, müsste bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II das Einkommen des E.W. angerechnet werden. Dieser ist als nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte als Partner der Klägerin i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II anzusehen. Zwar lebt er mit der Klägerin aufgrund der Unterbringung im Pflegeheim nicht mehr in häuslicher Gemeinschaft, gleichwohl leben sie nicht getrennt, da kein Trennungswille vorhanden ist (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Januar 1989 - IVb ZR 34/88 - FamRZ 89, 479; BSG SozR 4-5868 § 1 Nr. 7). Bei der Bedarfsberechnung bei gemischten Bedarfsgemeinschaften ist nach den Grundsätzen, die das BSG mit Urteil vom 15. April 2008 aufgestellt hat (SozR 4-4200 § 9 Nr. 5), von dem Einkommen des nicht leistungsberechtigten Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft (hier E.W.) dessen eigener Bedarf nach dem SGB II abzuziehen. Die Leistungen der Pflegekasse und des Sozialhilfeträgers sind nach § 11 Abs. 3 SGB II nicht als Einkommen anzurechnen, sie dienen nur dem Zweck, die Pflege mitzufinanzieren. Konkret verbliebe danach von der Rente in Höhe von 1.241,24 EUR netto nach Abzug der Versicherungspauschale (30 EUR), der Regelleistung (312 EUR), des Mehrbedarfs nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II (53 EUR) und des Heimbeitrags (570 EUR) noch ein der Klägerin anzurechnender Betrag von 276,24 EUR. Damit ließe sich der Bedarf nicht decken.

Allerdings ist dem Senat verwehrt, eine fiktive Betrachtung vorzunehmen unter Außerachtlassung der tatsächlichen Unterhaltszahlung. Die Klägerin wurde bereits vom SG mehrfach darauf hingewiesen, dass sich bei Einstellung der Unterhaltszahlung ein Leistungsanspruch ergeben könnte. Insbesondere im Erörterungstermin vor dem SG am 30. Oktober 2008 wurden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt. Da die Klägerin jedoch nach wie vor die Unterhaltszahlungen erhält, kann der Senat nur die tatsächliche Situation beurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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