L 10 U 5004/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 5280/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5004/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.08.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Hautleidens als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - nachfolgend: BK Nr. 5101).

Der im Jahr 1948 geborene Kläger war zuletzt bei der Fa. R.-B. GmbH als Arbeiter verischerungspflichtig beschäftigt. Lange war er in der Lackieranlage, die Ende der 90er Jahre geschlossen wurde (Bl. 140 Verwaltungsakte), eingesetzt. In dieser Zeit traten Hauterscheinungen an den Fingerkuppen beider Hände in wechselnden Schüben auf, ohne dass vom Kläger deswegen ein Hautarzt konsultiert wurde. Ferner arbeitete der Kläger - ebenfalls mit Hautproblemen - für zwei Monate in der Kistenwaschanlage. Nachdem der Kläger 18 Monate wegen einer schweren Herzerkrankung und Bronchitis arbeitsunfähig war, nahm er Anfang Februar 2003 die Arbeit wieder auf. Er wurde in der Montage von Konfektionsteilen (Zusammensetzung von Kunststoffteilen und Schläuchen aus Gummi) eingesetzt. Dabei kam es zum Kontakt mit Paraffinöl. Dem Kläger wurden seitens der Arbeitgeberin eine Hautschutzcreme und die Verwendung von Handschuhen angeboten. Schon Mitte März 2003 trat, ohne dass die Hauterkrankung dafür von Bedeutung gewesen wäre, erneut Arbeitsunfähigkeit ein, die zunächst bis Mitte August 2003 nachfolgend von Ende Oktober bis Anfang Dezember 2003 andauerte. Der letzte Arbeitstag des Klägers war am 13.01.2004. Nachfolgend war er zunächst arbeitsunfähig wegen Beschwerden an der Schulter. Zwischenzeitlich ist der Kläger berentet.

Im zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitsaufnahme im Februar 2003 stellte sich der Kläger beim Hautarzt Dr. E. vor, der ein subtoxisch kumulatives Ekzem beider Hände diagnostizierte und die Beklagte auf Anhaltspunkte für eine beruflich bedingte Hauterkrankung hinwies. Er ging davon aus, dass unter Beachtung von Hautschutzmaßnahmen eine Abheilung erreicht werden könne. Bereits Ende Februar 2003 berichtete er von einer Besserung des Lokalbefundes an beiden Händen. Aufgrund des weiteren, nicht eindeutig arbeitskongruenten Verlaufs vertrat Dr. E. im Mai 2004 die Auffassung, eine berufliche Verursachung der Hautveränderungen sei eher unwahrscheinlicher geworden. Dem trat der Facharzt für Hautkrankheiten Dr. K. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom Juli 2004 entgegen. Er ging von einem wahrscheinlich zumindest teilweise beruflich bedingten irritativen Ekzem und Fingerkuppenekzem aus. Die zögerliche Abheilung in der arbeitsfreien Zeit spreche nicht unbedingt gegen eine berufliche Verursachung.

Die Beklagte holte das Gutachten des Hautarztes Dr. W. ein. Dieser diagnostizierte nach Untersuchungen Anfang April 2006 unter anderem einen Zustand nach einem Handekzem. Die Hautveränderung sah er in einem wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Lackieranlage. Allerdings sei diese damals nicht schwer gewesen, da offenbar keine Behandlung erfolgt sei. Angesichts der nur kurzfristigen Arbeitseinsätze in der Montage sei ein beruflicher Zusammenhang zuletzt nicht mehr wahrscheinlich. Zudem könne weder von einer schweren noch von einer rückfälligen Hauterkrankung ausgegangen werden. Die staatliche Gewerbeärztin Dr. H. sah einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung für nicht wahrscheinlich gemacht an. Mit Bescheid vom 02.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK Nr. 5101 ab. Es bestünden keine Leistungsansprüche.

Deswegen hat der Kläger am 05.07.2007 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Der als sachverständige Zeuge befragte Dr. E. hat mitgeteilt, bei Vorstellungen im Oktober und November 2006 sowie Januar 2007 hätte das chronische Handekzem fast keinen Befund an den Händen mehr gezeigt. Einen Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Tätigkeit hielt er für möglich.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG das dermatologische/allergologische Gutachten des Dr. H. (Arzt für Dermatologie/ Allergologie im Zentrum für Hautkrankheiten des Krankenhauses Bad C. ) eingeholt. Auf der Grundlage mehrerer ambulanter Untersuchungen im Oktober 2008 hat Dr. H. ein initial-beruflich provoziertes und unterhaltenes, langfristig berufsunabhängig verselbstständigtes, persistierendes kumulativ subtoxisches Handekzem diagnostiziert. Eine BK liege nicht vor. Zwar bestehe eine Berufsdermatose, jedoch habe diese nicht zur Aufgabe der Berufstätigkeit gezwungen. Mit Urteil vom 20.08.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Das zunächst beruflich provozierte Handekzem habe sich langfristig berufsunabhängig verselbstständigt. Daher liege keine BK vor.

Gegen das ihm am 08.10.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.10.2009 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die gutachtlich beschriebene Verselbstständigung der Erkrankung ändere nichts an der Ursächlichkeit der beruflichen Tätigkeit. Der Kläger hat ein Attest seiner behandelnden Orthopäden und Unfallchirurgen sowie ein Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. , der die Hauterkrankung mitverantwortlich für das Auftreten einer agitierten Depression und dadurch bedingter Arbeitsunfähigkeit sah, vorgelegt.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20.08.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2007 aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Der Kläger begehrt im Wege der hier statthaften kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidung und deren gerichtliche Feststellung.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 02.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die Hauterkrankung des Klägers als BK Nr. 5101 anzuerkennen. Denn diese BK liegt beim Kläger nicht vor.

Das SG hat die für die Feststellung der streitgegenständlichen BK maßgeblichen Rechtsgrundlagen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII) und die Definition der BK Nr. 5101 nach der Anlage 1 zur BKV umfassend und zutreffend dargestellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Der Kläger leidet an einer Hauterkrankung im Sinne der BK Nr. 5101, die zumindest teilweise auf seine Berufstätigkeit zurückzuführen ist. Nachgewiesen ist bei ihm nämlich das Vorliegen eines Ekzems an den Händen. Soweit das SG diese Erkrankung wegen der von Dr. H. erwähnten Verselbstständigung nicht (mehr) als zumindest teilweise beruflich verursacht angesehen hat, wendet der Kläger aus Sicht des Senats zu Recht ein, dass die von Dr. H. beschriebene Verselbstständigung des Handekzems zunächst einmal nichts an einem beruflichen Zusammenhang ändert. Diesen hat Dr. H. , indem er ausdrücklich vom Vorliegen einer Berufsdermatose ausgegangen ist, gerade nicht verneint und sich insoweit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. und der gutachtlichen Bewertung von Dr. W. angeschlossen. Diese Ärzte gingen im Wesentlichen übereinstimmend davon aus, dass das Handekzem zumindest teilweise beruflich bedingt ist.

Doch auch wenn hier entgegen dem SG ein beruflicher Zusammenhang besteht, kommt die Feststellung einer BK nicht in Betracht, da die vorausgesetzte Qualität (schwer/rückfällig) der Erkrankung fraglich ist und jedenfalls kein Zwang zur Unterlassung aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können bestand.

Hinsichtlich dem erstmaligen Auftreten der Hauterkrankung während der Tätigkeit in der Lackiererei liegen nur anamnestische Angaben des Klägers vor. An der Richtigkeit dieser Angaben soll nicht gezweifelt werden. Gleichzeitig steht aufgrund dieser Angaben jedoch fest, dass der Kläger damals keinen Hautarzt aufsuchte. Eine spezifische Behandlung fand nicht statt. Überzeugend kommen daher die Gutachter Dr. W. und Dr. H. zu der Auffassung, dass das Auftreten einer schweren oder rückfälligen Hauterkrankung für diesen Zeitraum nicht nachgewiesen ist. Dementsprechend liegen auch keine Anhaltspunkte für eine gesundheitsbedingte Aufgabe der Tätigkeit in der Lackiererei vor. Die Beendigung des dortigen Arbeitseinsatzes stand vielmehr im Zusammenhang mit der Schließung dieser Abteilung. Ab dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Arbeit Anfang Februar 2003 in der Montageabteilung nahm der Kläger wegen der Hauterkrankung zwar eine fachärztliche Behandlung in Anspruch. Ob deswegen oder wegen des erneuten Auftretens der Erkrankung ab diesem Zeitpunkt vom Vorliegen einer schweren oder zumindest von einer wiederholt rückfälligen Hauterkrankung auszugehen ist, erscheint angesichts der Auffassung von Dr. Wezel, der das Vorliegen beider Kriterien verneinte, fraglich.

Letzteres kann dahingestellt bleiben, da der Kläger wegen der Hauterkrankung jedenfalls nicht gezwungen war, seine letzte Tätigkeit in der Montageabteilung aufzugeben.

Das besondere versicherungsrechtliche Tatbestandsmerkmal des Unterlassungszwangs setzt einerseits voraus, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und andererseits, dass der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich objektiv aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (BSG, Urteil vom 22.08.2000, B 2 U 34/99 R in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2). Das Merkmal der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung hat den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten. Um diesem Präventionszweck zu genügen, muss nicht nur eine wahrscheinlich zu erwartende Schädigung, sondern jede mögliche Gefährdung vermieden werden. Die Notwendigkeit einer Tätigkeitsunterlassung entscheidet sich nicht nach Kausalitätskriterien, sondern auf der Grundlage der medizinischen Beurteilung der Belastbarkeit des betreffenden Organsystems (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Anm. 28.1 zu E § 9 SGB VII). Der objektive Zwang zur Unterlassung setzt voraus, dass eine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit wegen der schon eingetretenen Gesundheitsstörungen oder wegen der Gefahr der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens der Krankheit aus medizinischen Gründen nicht verantwortet werden kann. Ob der Zwang zum Unterlassen medizinisch geboten war, ist im Wege einer nachträglichen objektiven Betrachtungsweise festzustellen (BSG, Urteil vom 05.05.1998, B 2 U 9/97 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 11). Sofern objektiv ein Zwang zur Tätigkeitsaufgabe besteht, steht der Anerkennung des Versicherungsfalls nicht entgegen, wenn sich der Versicherte aus anderen persönlichen Gründen zur Tätigkeitsaufgabe entschließt oder andere äußere Bedingungen zur Tätigkeitsaufgabe zwingen.

Ausgehend von diesen Maßstäben war es dem Kläger bezogen auf die Hauterkrankung zuzumuten, seine Tätigkeit in der Montageabteilung fortzusetzen. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die Ausführungen von Dr. E. vom Februar 2003, der beim konsequenten Tragen von Schutzhandschuhen und einer Einschränkung der Waschgewohnheiten des Klägers davon ausging, dass trotz der Tätigkeit eine Abheilung hätte erreicht werden können. Auch Dr. K. äußerte bei regelmäßiger Anwendung von Hautschutz- und Pflegemaßnahmen eine günstige Prognose. Einen Unterlassungszwang hat auch Dr. H. überzeugend unter Hinweis darauf, dass der Kläger während der gesamten Zeit seiner Arbeitstätigkeit keinen einzigen Tag aufgrund der dermatologischen Erkrankungen arbeitsunfähig war, verneint. Zudem nimmt der Gutachter nachvollziehbar auf Grund spärlicher Angaben in einem Fragebogen vom August 2003 an, dass der Kläger die verordneten Empfehlungen nicht immer ausreichend befolgte und Arbeitshandschuhe nicht regelmäßig trug.

Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger zwischenzeitlich aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit aufgab und berentet wurde. Die Hauterkrankung war dafür jedoch zur Überzeugung des Senats nicht ausschlaggebend. Die wiederholten Arbeitsunfähigkeitszeiten, die letztendlich in die Rentengewährung führten, standen mit dieser Erkrankung nicht in Zusammenhang.

Soweit Dr. K. in dem vom Kläger erst im Dezember 2010 vorgelegten Attest eine "Mitverantwortung" der Hauterkrankung für die psychische Erkrankung des Klägers behauptet hat, fehlen jegliche nähere Erläuterungen. Der Zusammenhang ist überaus fraglich, da der Kläger über Jahre hinweg dahingehend nichts vorgetragen hat und auch die behandelnden Ärzte und Gutachter keinen solchen Zusammenhang gesehen haben. Der Senat kann sich daher von einem solchen Zusammenhang nicht überzeugen. Zudem wäre selbst bei Unterstellung eines solchen die allenfalls teilweise mittelbare Verursachung der Aufgabe der Tätigkeit nicht ausreichend, um hier eine BK aufgrund einer spezifischen Erkrankung mit einem eben solchen Aufgabenzwang festzustellen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung muss eine Hauterkrankung zur Unterlassung der Tätigkeit gezwungen haben. Unter Hauterkrankung i.S. der BK Nr. 5101 sind alle beruflich bedingten Erkrankungen im Bereich der Haut zu verstehen (BSG, Urteil vom 28.04.2004, B 2 U 21/03 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 5101 Nr. 2). Eine psychische Erkrankung ist, selbst wenn sie (teilweise) durch eine Hauterkrankung verursacht wurde, keine Hauterkrankung und wird deshalb von der streitigen BK nicht umfasst (Senatsurteil vom 22.02.2007, L 10 U 83/04, veröffentlicht in Juris). Ein durch eine psychische Erkrankung bedingter Unterlassungszwang ist daher im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der BK Nr. 5101, selbst wenn die psychische Erkrankung durch die Hauterkrankung (mit)verursacht wurde, unerheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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