L 10 R 1861/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 365/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1861/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26.03.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1963 geborene, aus der T. stammende Klägerin lebt seit dem Jahr 1979 in Deutschland. Sie hat zwischenzeitlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Ehegatte stammt ebenfalls aus der T ... Aus der Ehe gingen drei Söhne (geboren in den Jahren 1982, 1986 und 1990) hervor. Im Versicherungsverlauf der Klägerin (wegen dessen Inhalt wird auf Bl. 217 und 219 Verwaltungsakte Bezug genommen) sind bis zum Oktober 2001 nur wenige Monate mit beitragspflichtigen Beschäftigungen dokumentiert. Neben der Kindererziehung war die Klägerin mit der Betreuung älterer Menschen als geringfügig Verdienende beschäftigt. In den Jahren 1985 bis 1988 pflegte sie ihre Schwiegermutter. Ferner arbeitete die Klägerin als geringfügige beschäftigte Reinigungskraft. In den Jahren 1993 bis 1997 bezog sie Leistungen der Bundesagentur für Arbeit.

Im Oktober 2001 nahm die Klägerin eine Vollzeitbeschäftigung in einer Matratzen- und Polsterwarenfabrik auf. Dort kam es im Mai 2002 zu einem Arbeitsunfall, bei dem der gesamte Arm der Klägerin in einer Matratzenpresse samt Matratze eingeklemmt wurde. Die Klägerin machte nachfolgend Schmerzen und Taubheitsgefühle bzw. Paraesthesien im Bereich des rechten Armes, aber auch zum Teil an der rechten Gesichtshälfte, die gegen die Maschine gepresst worden war, geltend. Eine Wiedereingliederung der Klägerin in ihre Tätigkeit scheiterte trotz eines im Juli/August 2002 durchgeführten berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. Der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. ging davon aus, dass durch die Quetschung ein bereits bestehendes Carpaltunnelsyndrom (CTS) aktualisiert worden sei und im Übrigen eine somatoforme Störung vorliege (Arztbrief vom 17.07.2002, Blatt 135 Verwaltungsakte). Im Oktober 2002 erfolgte eine CTS-Operation rechtsseitig, im Januar 2003 linksseitig. Der behandelnde Orthopäde Dr. R. wies die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) auf eine Aggravation der Klägerin hin (Arztbrief vom 15.01.2003, REHA-Verwaltungsakte). Die BG ließ im Februar 2003 gutachtliche Untersuchungen der Klägerin durchführen. Dr. F. (Arzt für Neurologie und Psychiatrie) sah die von der Klägerin beklagten Missempfindungen im Bereich der Arme bestätigt, da das CTS nicht beseitigt worden sei. Für die geschilderte ganz erheblich erweiterte Symptomatik sah er jedoch kein Korrelat. Prof. Dr. B. (Chirurg an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. ) sah ebenfalls die Ursachen der mannigfachen Beschwerden der Klägerin nicht geklärt. Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) von einer Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ausging (Sozialmedizinisches Gutachten von Dr. B. ), stellte die Klägerin bei der Beklagten einen - später abgelehnten - Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M ... Dieser diagnostizierte auf Grund der Untersuchung der Klägerin im Dezember 2003 einen Zustand nach CTS-Operationen beidseits und eine dissoziative Sensibilitätsstörung. Die geschilderte Symptomatik sah er überwiegend im Rahmen eines Entschädigungsbegehrens der Klägerin, die er für vollschichtig leistungsfähig hielt. Bei einer Nachuntersuchung im Februar 2004 erhob der Neurochirurg Dr. A. hinsichtlich des CTS im Vergleich zu dem massiven präoperativen Befund normalisierte elektroneurographische Werte (Blatt 97 Verwaltungsakte).

Auf der Grundlage dieser und weiterer medizinischer Unterlagen lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin vom 26.07.2004 mit Bescheid vom 10.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2006 ab. Zwar liege bei der Klägerin ein Zustand nach CTS-Operationen beidseits und eine dissoziative Sensibilitätsstörung vor. Gleichwohl könne sie mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ohne weitere Funktionseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Deswegen hat die Klägerin, die in der Zeit von Juni 2005 bis September 2006 wieder eine Beschäftigung als Reinigungskraft mit einem Umfang von vier Stunden täglich ausgeübt hat, am 01.02.2006 beim SG Klage erhoben. Das SG hat zunächst Unterlagen aus dem parallel anhängigen Rechtsstreit S 3 U 2248/03 beigezogen. Im Auftrag des SG hat Dr. M. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) unter Einbeziehung eines muttersprachlichen Gesprächs mit der Diplom-Psychologin C. ein fachpsychiatrisches Gutachten erstellt. Er hat eine diskrete, funktionell nicht relevante Halbseitenhypästhesie und eine weitgehend abgeklungene dissoziative Störung diagnostiziert. Das beidseitige CTS sei erfolgreich operiert worden und könne als weitgehend ausgeheilt betrachtet werden. Die von der Klägerin geschilderten Beschwerden ließen sich mit den Restbeschwerden durch ein CTS nicht mehr ausreichend erklären. Die angegebenen Beschwerden hielten einer Konsistenzprüfung nicht stand und seien als Beschwerdeangaben im Rahmen des Rentenwunsches zu sehen. Die Klägerin könne mindestens sechs Stunden täglich Tätigkeiten mit Ausnahme monotoner Handtätigkeiten sowie Tätigkeiten mit häufigem Bücken und Knien verrichten.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG Dr. W. (Arzt für Neurologie und Psychiatrie) mit der Erstellung eines weiteren nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Dieser hat auf der Grundlage der Untersuchung der Klägerin am 27.02.2007 einen Zustand nach schwerer Quetschung des ganzen rechten Armes bis zur Schulter, eine ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung verbunden mit einer depressiven Verstimmung, eine leichte lumbale Wurzelreizung bei S1 rechts und ein noch fortbestehendes leichtes CTS diagnostiziert. Er könne mit größter Sicherheit sagen, dass die seelischen Störungen nicht vorgetäuscht oder aggraviert würden. Er hat die Klägerin nur noch in der Lage erachtet, leichte Tätigkeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen bis zu drei Stunden täglich auszuführen. Seit der Begutachtung durch Dr. M. sei es, wie die zwischenzeitliche Aufgabe der Putztätigkeit dokumentiere, zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen.

Mit Urteil vom 26.03.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich insbesondere auf das Gutachten von Dr. M. gestützt. Die von Dr. W. beschriebenen Befunde und gestellten Diagnosen könnten vielleicht einige weitere Einschränkungen hinsichtlich der Schwere der noch möglichen Arbeiten rechtfertigen. Seine Einschätzung eines generell auf unter drei Stunden täglich abgesunkenen Leistungsvermögens sei sozialmedizinisch jedoch nicht begründet.

Gegen das ihr am 15.04.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.04.2008 Berufung eingelegt. Sie hat eine Stellungnahme der sie seit März 2007 behandelnden Diplom-Psychologin P. vorgelegt, in der diese betont hat, die Klägerin sei nicht mehr in der Lage ihren Haushalt mehr als ein bis zwei Stunden täglich zu führen.

Der Senat hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. mit der Erstellung eines weiteren Gutachten beauftragt. Auf der Grundlage der Untersuchung am 15.10.2008 hat er bei der Klägerin eine anhaltende, mittelschwere somatoforme Schmerzstörung und einen Zustand nach Operation eines CTS diagnostiziert. Unter Annahme eines progredient verlaufenden Krankheitsbildes hat er die Klägerin seit Oktober 2007 für nicht mehr in der Lage erachtet, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit gleich welcher Arzt nachzugehen. Hinsichtlich der Schwere des von Dr. D. beschriebenen Krankheitsbildes hat die Ärztin für Psychiatrie Dr. H. für den sozialmedizinischen Dienst der Beklagten Einwände erhoben, die Dr. D. in einer ergänzenden Stellungnahme mit Hinweis auf die glaubwürdigen Angaben der Klägerin zurückgewiesen hat.

Im Juli und im Oktober 2009 haben stationäre Schmerzbehandlungen der Klägerin in der Abteilung für Interventionelle Schmerztherapie des Krankenhauses Schwetzingen stattgefunden. Der Facharzt für Anästhesie Ullrich hat jeweils von einer erzielten Schmerzreduktion berichtet.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte Dr. W. (identisch mit dem Gutachter im SG-Verfahren) und Dr. D. (Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. W. hat von einem seit Beginn seiner Behandlung im Februar 2007 gleichen Zustand berichtet; Dr. D. hat angegeben, im Zeitraum seiner Behandlungen von Juli 2002 bis März 2008 sei keine wesentliche Befundänderung eingetreten.

Nach einer Untersuchung der Klägerin im häuslichen Bereich am 15.12.2009 hat die Pflegefachkraft O. (MDK) einen Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege von 49 Minuten und damit die Voraussetzungen für die Pflegestufe I beschrieben. Als Pflegepersonen sind zwei Söhne der Klägerin benannt worden.

Der Senat hat Dr. M. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt. Dieser hat auf der Grundlage einer stationären Begutachtung der Klägerin vom 07. bis 10.06.2010 sowie unter Berücksichtigung des Zusatzgutachtens der türkischsprachigen Diplom-Psychologin K. bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, leichtgradige rezidivierende depressive Verstimmungszustände im Sinne einer Dysthymia, eine negative Antwortverzerrung im Sinne einer Aggravation und Beschwerdenausweitung im Rahmen eines Renten- und Versorgungsbegehrens, einen Zustand nach beidseitiger rechtsbetonter CTS-Operation sowie eine Meniskopathie beider Kniegelenke bei Übergewicht diagnostiziert. Nach notweniger Relativierung des präsentierten Beschwerdebildes sei von einer letztlich relativ geringgradigen somatoformen Schmerzstörung auszugehen. Die Klägerin sei unter Beachtung einiger qualitativer Einschränkungen in der Lage mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten zu verrichten. Hinsichtlich der Vorgutachten hat er insbesondere das Fehlen einer nach den gängigen Begutachtungsrichtlinien notwendigen Konsistenzprüfung bemängelt.

Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung vor, mit Ausnahme von Dr. M. bestätigten alle Gutachter und Therapeuten zumindest seit einem Jahr das Vorliegen einer rentenberechtigenden Leistungsminderung. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegestufe seien recht hoch. Sie würden von den Fachärzten des MDK sehr kritisch überprüft. Unzutreffend behaupte Dr. M. , von der Klägerin sei während ihres Klinikaufenthaltes kein Pflegepersonal angefordert worden. Tatsächlich habe sie die Krankenschwestern gebeten, ihr zu helfen, was ihr verweigert worden sei. Zum Teil hätten ihr eine Bettnachbarin oder sonstige Dritte geholfen. Die Weigerung des Pflegepersonals habe zur Folge gehabt, dass sie die Kleidung drei Tage lang überhaupt nicht habe wechseln können. Deswegen sei es zu dem von Diplom-Psychologin K. beschrieben unangenehmen Körpergeruch gekommen. Wegen der weiteren Einwendungen der Klägerin wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 16.09.2010 (Blatt 262/270 Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26.03.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2006 zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die hier maßgebliche Rechtsgrundlage (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI) dargestellt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin weder die Voraussetzungen einer Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung erfüllt, weil sie jedenfalls leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Zu ergänzen ist, dass der Senat auf der Grundlage des für ihn überzeugenden Gutachtens von Dr. M. im Vergleich zu der Situation, die vom SG beurteilt wurde, von einer teilweisen Änderung der diagnostischen Zuordnung des Beschwerdebildes der Klägerin ausgeht, die für die Leistungsbeurteilung jedoch im Ergebnis ohne Bedeutung ist. Dr. M. hat schlüssig dargelegt, dass in Abweichung von seinem ersten Gutachten zwischenzeitlich nicht mehr vom Vorliegen einer dissoziativen Störung, sondern von einer relativ geringgradigen somatoformen Schmerzstörung nebst leichtgradigen, rezidivierenden, depressiven Verstimmungszuständen im Sinne einer Dysthymia auszugehen ist. Diese Erkrankung und der ebenfalls von Dr. M. dargestellte Zustand nach beidseitiger rechtsbetonter CTS-Operation sowie einer Meniskopathie beider Kniegelenke bei Übergewicht schließen aber - wie Dr. M. überzeugend dargelegt hat - eine sechsstündige leichte Tätigkeit ohne ständiges Gehen und Stehen, häufige Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Überkopfarbeiten, häufiges Bücken und Knien sowie ohne monotone Handtätigkeiten nicht aus.

Hinsichtlich der Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung besteht Übereinstimmung zwischen den Gutachten von Dr. W. , Dr. D. und Dr. M ... Eine depressive Begleiterkrankung hat neben Dr. M. auch Dr. W. gesehen. Nachdem Dr. D. eine solche nicht einmal erwähnt hat, ist für den Senat überzeugend, dass es sich, so wie von Dr. M. dargestellt, allenfalls um leichtgradige Verstimmungszustände im Sinne einer Dysthymia handelt.

Streitentscheidend ist vorliegend die Beurteilung des Schweregrads der somatoformen Schmerzstörung. Insoweit hat Dr. M. nach einer stationären Untersuchung der Klägerin unter Einbeziehung einer zum Teil muttersprachlich durchgeführten psychologischen Zusatzbegutachtung überzeugend dargestellt, dass bei der Kläger eine negative Antwortverzerrung im Sinne einer Aggravation und Beschwerdenausweitung im Rahmen eines Renten- und Versorgungsbegehrens vorliegt, die eine Relativierung des präsentierten Beschwerde- und Leistungsverhaltens notwendig macht. Schlüssig geht Dr. M. daher nur von einer geringgradigen somotoformen Störung aus. Daraus ergeben sich zwangsläufig deutliche Unterschiede zwischen der Eigeneinschätzung der Klägerin und der krankheitsbedingt objektivierbaren Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit.

Nicht nur wegen einer bereits im Januar 2003 vom Orthopäden Dr. R. angesprochenen Aggravation der Klägerin geht Dr. M. völlig zu Recht der Notwendigkeit einer Konsistenzprüfung der Angaben der Klägerin aus. Denn übereinstimmend haben alle bisherigen Gutachter dargelegt, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden organpathologisch nicht begründet werden können. Entsprechend hat auch Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme betont, dass sich das vorliegende Krankheitsbild einer strengen Objektivierung von außen entzieht und in der Regel nur dadurch nachgewiesen werden kann, dass man aus dem Verhalten der Klägerin und ihren glaubhaften Schilderungen auf dessen Vorliegen rückschließt. Dazu muss aber - so Dr. M. zutreffend - geklärt werden, inwieweit die Angaben als zutreffend, widerspruchsfrei und zuverlässig bewertet werden können. Dies ist erforderlich, da unter sozialrechtlichen Begutachtungsbedingungen die Rate tendenziöser oder verfälschender Angaben häufig erhöht ist und erst die Kontrolle von Verfälschungstendenzen die Voraussetzung dafür schafft, krankheitswertige Störungen und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zutreffend bewerten zu können. Dazu hätte sich auch Dr. Dietrich, spätestens nachdem er selbst die von ihm zur Prüfung der Motorik erhobenen Befunde wegen wechselndem Nachgeben als nicht konstant verwertbar erachtet und ein inhaltlich stark auf die Beschwerden eingeengtes Denken beschrieben hat, veranlasst sehen müssen. Dies hat er indessen nicht getan.

Die von Dr. M. nach der "Leitlinie für die Begutachtung von Schmerzen 2007" durchgeführte Konsistenzprüfung hat für den Senat überzeugend ergeben, dass Hinweise auf bei der Klägerin nicht oder nicht in dem geklagten Umfang vorhandene Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen.

Dr. M. hat eine Diskrepanz zwischen der Beschwerdeschilderung einschließlich der Selbsteinschätzung im Fragebogen und den in der Untersuchungssituation objektivierbaren Beeinträchtigungen festgestellt. Die angeblich regelmäßig getragene Schulterbandage hat sich in einem neuwertigen, ungetragenen Zustand befunden. Gebrauchserscheinungen der Hände haben auf Aktivitäten im Haushalt hingewiesen. Hingegen hat keine Verschwielung der linken Hand, die bei einer regelmäßigen Gehstockbenutzung zu erwarten wäre, vorgelegen. Ebenso hat Dr. M. keine Muskelatrophien, insbesondere keine Abnahme an der angeblich hauptsächlich betroffenen rechten Extremität als Hinweis auf eine Inaktivitätsatrophie gefunden. Bei den demonstrierten Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter haben sich Diskrepanzen gezeigt. Die massiv demonstrierte Kraftminderung der Hand hat sich in der klinischen Beobachtung als nicht reproduzierbar erwiesen. Ebenfalls massiv demonstrierte Gedächtnisstörungen hat Dr. M. einem authentischen klinischen Bild nicht zuordnen können.

Bei der stationären Begutachtung hat sich zudem eine wechselhafte unpräzis-ausweitende Schilderung der Beschwerden und des Krankheitsverlaufs, insbesondere gegenüber Diplom-Psychologin K. gezeigt. Es sind Diskrepanzen zwischen den eigenen und den fremdanamnestischen Informationen aufgetreten. Insbesondere ergibt sich ein Widerspruch zwischen der von der Klägerin geschilderten deutlichen Beschwerdezunahme in den letzten Jahren und den sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. W. und Dr. Deist. So hat Dr. D. - Praxisnachfolger von Dr. J. - für die Jahre 2002 bis 2008 von keiner wesentlichen Befundänderung berichtet. Dies spricht auch klar gegen die gutachtliche Einschätzung von Dr. W. , der seine Abweichung vom ersten Gutachten von Dr. M. mit einer angeblichen Verschlechterung begründet hat. Seine Begründung - Aufgabe der Putztätigkeit durch die Klägerin im September 2006 - erscheint dem Senat ohnehin nicht tragfähig, weil er alleine aus der Tatsache der Tätigkeitsaufgabe auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes schließt.

Widersprüchlich sind auch die geschilderten Funktionsbeeinträchtigungen und die angegebenen Aktivitäten des täglichen Lebens. So hat die Klägerin angegeben, nicht mehr als 200 Meter und nur mit Stock oder mit Krücken gehen zu können. Im Rahmen der stationären Begutachtung hat sie sich jedoch in der Lage gezeigt, Strecken von über 250 Metern zügig zurückzulegen und Treppen über drei Wohnhausgeschosse zu bewältigen. Zudem hat sie bei der Darstellung ihres Tagesablaufs angegeben, durchaus in den nächstgelegenen Supermarkt, der nach den Ermittlungen des Sachverständigen in 450 Meter Entfernung liegt, zu gehen. Auch gegenüber Diplom-Psychologin K. hat die Klägerin zur Darstellung ihrer Vergesslichkeit angegeben, "irgendwohin", z.B. zum Einkaufen zu gehen. Ferner haben die von der Klägerin behaupteten Schlafstörungen, wie das von der Nachtschwester erstellte Schlafprotokoll ergibt, tatsächlich während der Begutachtung - selbst bei einem Unwetter - nicht vorgelegen; lediglich einmalig ist die Klägerin um 5.00 Uhr auf dem Flur umhergegangen.

Zudem hat sich bei der von Dr. M. durchgeführten Kontrolle des Serumspiegels ergeben, dass die Klägerin die Medikamente Ametriptylin und Gabapentin entgegen ihren Angaben über längere Zeit nicht eingenommen hat.

Zusätzlich zu der Konsistenzprüfung hat Dr. M. in Zusammenarbeit mit Diplom-Psychologin K. eine umfangreiche, wissenschaftlich fundierte Beschwerdenvalidierung durchgeführt, deren Ergebnisse objektiv und unempfindlich gegenüber subjektiven Einflüssen des Testleiters und des Beurteilers sind. Die Ergebnisse der Hirnleistungstestung haben im Prinzip Werten entsprochen, wie es bei klinisch mittelschwer Demenzerkrankten zu erwarten wäre. Bei der Klägerin haben sich dagegen bei den mehrzeitigen klinischen Kontakten im Rahmen der stationären Beobachtung, aber auch anhand der umfangreichen Aktenlage keinerlei Hinweise für ein hirnorganische Störung ergeben, so dass zwischen den Testergebnissen und dem klinischem Bild grobe Widersprüche bestehen. Die vier durchgeführten Beschwerdenvalidierungstests haben auf eine ausgeprägte negative Antwortverzerrung hingewiesen. Hieraus hat die Diplompsychologin K. überzeugend den Schluss gezogen, dass sich die Klägerin beeinträchtigter darstellt, als sie tatsächlich ist und dass ihre Angaben so nicht zutreffen.

Insgesamt sieht sich der Senat vor diesem Hintergrund nicht in der Lage, einen Schweregrad der Störungen der Klägerin anzunehmen, der über das von Dr. M. unter kritischer Würdigung der Angaben der Klägerin und nach Auswertung der Vorbefunde angenommene Ausmaß hinausgeht. Die insoweit abweichenden Auffassungen von Dr. W. und Dr. D. überzeugen nicht, da ihnen keine ausreichende Konsistenzprüfung der Angaben der Klägerin zu Grunde liegt.

Die Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten von Dr. M. geben keine Veranlassung an der Richtigkeit seines Gutachtens zu zweifeln.

Ob der Klägerin zu Recht Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe I bewilligt worden sind, ist hier nicht zu entscheiden. Das dieser Bewilligung zu Grunde liegende kurze Pflegegutachten der Pflegefachkraft O. stellt für den Senat jedenfalls keine ausreichende Grundlage dar, um das Begutachtungsergebnis von Dr. M. in Frage zu stellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin geht der Senat nicht davon aus, dass bei der Pflegeeinstufung eine "sehr kritische" Überprüfung durch Fachärzte des MDK stattgefunden hat. Wie sich aus dem Gutachten ergibt, ist hier kein Arzt, sondern eine Pflegefachkraft tätig geworden. Der Einsatz von Pflegefachkräften zu Durchführung von Begutachtungen in Pflegeversicherungsangelegenheiten ist in den überwiegenden Fällen sinnvoll, da regelmäßig nur die Ermittlung des konkreten Hilfebedarfs bei Vorliegen eines im Übrigen klaren Krankheitsbildes streitig ist. Medizinische Fragestellungen hinsichtlich der gegebenen Diagnosen spielen im Pflegeversicherungsrecht regelmäßig eine untergeordnete Bedeutung. Im vorliegenden Fall wären jedoch die Diagnosen, die von der Gutachterin O. anhand vorgelegter Atteste übernommen worden sind, kritisch zu hinterfragen gewesen. Dies ist ersichtlich nicht erfolgt, so dass diesem Gutachten auch hinsichtlich des dort dargestellten Hilfebedarfs keine Überzeugungskraft zukommt. Rückschlüsse auf die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin sind daher nicht möglich.

Die Behauptung der Klägerin, sie habe bei der stationären Begutachtung erfolglos Krankenschwestern gebeten, ihr bei der Körperpflege behilflich zu sein, beweist - selbst wenn sie zutreffen sollte - nicht, dass ein solcher Hilfebedarf auch tatsächlich besteht. Denn auch insoweit müsste angesichts von Dr. M. beschriebenen Aggravation und Beschwerdenausweitung von einem zielgerichteten Verhalten der Klägerin ausgegangen werden.

Auch der Einwand Dr. M. habe zwar geschildert, die Klägerin habe in einigen Situationen der körperlichen Untersuchung seine Hilfe angefordert, jedoch ohne nähere Begründung festgestellt, die Hilfe sei eigentlich nicht benötigt worden, trägt nicht. Für den Senat ist der von Dr. M. auf Seite 33 seines Gutachtens dargestellte Eindruck, dass die Klägerin unter etwas zusätzlicher Anstrengung selbstständiger agieren könne, nachvollziehbar aus seinen Schilderungen herzuleiten. Auf Seite 32 hat Dr. M. ausgeführt, dass sich die Klägerin an den Armen von der Untersuchungsliege hat hochziehen lassen, ohne dass eine eigene Mitbeteiligung/ Kraftanstrengung spürbar gewesen ist und auf Seite 33 hat er seinen Eindruck dargestellt, dass beim Überstreifen des T-Shirts und Einschlüpfen in das rechte Hosenbein entgegen der angeforderten Hilfe dies selbstständig möglich gewesen sei. Widersprüchlich ist auch, dass die Klägerin die rechte Gliedmaße in Schonhaltung genommen, sich dann aber unter uneingeschränkter Benutzung beider Arme und Hände ihr Halstuch selbst angezogen hat.

Die Behauptung der Klägerin, sie habe sich entgegen den Angaben von Dr. M. stets nur in Begleitung einer anderen Person in der Klinik fortbewegt, überzeugt ebenfalls nicht. Hierzu sei nur auf das erstellte Schlafprotokoll (Seite 44) hingewiesen. Darin ist dokumentiert, dass die Klägerin am 09.06.2010 um 5:00 Uhr auf dem Flur umherlief. Eine Begleitperson, deren Vorhandensein angesichts der Uhrzeit mit Sicherheit dokumentiert worden wäre, wird nicht genannt. Im Übrigen wurde bereits dargestellt, dass die Klägerin selbst angegeben hat, im alltäglichen Leben u.a. in einen Supermarkt zu gehen. Sie hat dabei gerade nicht erwähnt, dass eine Begleitperson anwesend ist.

Auch die Behauptung der Klägerin, sie habe keine Schmerzentlastungsbewegungen gezeigt, weil sie sich stets bemühe, möglichst ruhig in einer schmerzfreien Position zu verweilen, überzeugt nicht. Soweit die Klägerin hierzu vorträgt, alle anderen Gutachter hätten bestätigt, dass ihre Bewegungen Schmerzen verursachen würden, hat dies nichts mit Schmerzentlastungsbewegungen bei längeren einseitigen Körperpositionen wie z.B. beim Sitzen zu tun.

Unerheblich ist für den Senat, ob Bettnachbarn die Klägerin auf die pünktliche Einhaltung ihrer Termine bei der Begutachtung hingewiesen haben. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat Dr. M. auf Seite 37/38 seines Gutachtens keine exzellenten Gedächtnisleistungen der Klägerin beschrieben, vielmehr die Gedächtnisleistung insgesamt als auffällig inkonstant dargestellt. Im Übrigen ändert dies nichts an der Tatsache, dass sich die Klägerin nur die Uhrzeit nicht aber Datum, Ort und Zweck der Termine notiert hat; originäre Kenntnis von diesen Daten haben aber die Bettnachbarn nicht haben können.

Der Behauptung der Klägerin, sie sei den von Diplom-Psychologin K. vorgelegten Fragebögen geistig und wegen der genommenen Medikamente nicht gewachsen gewesen, ist entgegen zu halten, dass, wie sich aus dem von Dr. M. dargestellten Vergleich ergibt, die Fragebögen selbst bei dementen Personen eingesetzt werden. Im Übrigen kann der Senat vor dem Hintergrund, dass jedenfalls teilweise nachgewiesen wurde, dass die Klägerin die ihr verordneten Medikamente nicht einnimmt, von einem Nachweis maßgeblicher Nebenwirkungen nicht ausgehen.

Auch die Einwände der Klägerin gegen das von Diplom-Psychologin K. beschriebene Vorliegen eines externen Anreizes für eine Aggravation überzeugen nicht. Die Behauptung der Klägerin, sie würde lieber wieder arbeiten gehen anstatt die zu erwartende, geringe Rente in Anspruch zu nehmen, ist wenig überzeugend. Die Biographie der Klägerin ist davon geprägt, dass sie über keinen längeren Zeitraum hinweg einer vollschichtigen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen ist. Der Arbeitsunfall, auf den die Klägerin ihre Leistungsunfähigkeit zurückführt, ereignete sich wenige Monate nachdem sie erstmals seit vielen Jahren eine vollschichtige Tätigkeit aufgenommen hatte. Auch wenn es sich zweifellos um einen unverschuldeten Unfall gehandelt hat, kann der Senat vor diesem Hintergrund ein überragendes Verlangen der Klägerin, ihren Lebensunterhalt selbst durch eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu bestreiten, aus der vorherigen Biographie gerade nicht herleiten. Soweit die Klägerin zudem in ihrer Kritik an dem Gutachten von Dr. M. vortragen lässt, finanziell abgesichert zu sein und mithin die Rente nicht zu benötigen, steht dies in Widerspruch zu ihren Angaben gegenüber dem Sachverständigen. Ihm hat sie mitgeteilt, selbst keine Einnahmen zu haben, ihr Ehemann habe auch nicht viel und sie lebe von den Kindern, die Geld in ihr unbekannter Höhe aufgenommen hätten (Seite 26). Der Senat geht daher durchaus davon aus, dass die begehrte Rente eine maßgebliche finanzielle Entlastung für die Klägerin darstellen würde und mithin der von Diplom-Psychologin K. erwähnte externe Anreiz durchaus gegeben ist.

Zuletzt widerlegen die von Dr. M. dargelegten Argumente auch die Auffassung der DiplomPsychologin P ... Der Hinweis von Dr. M. , dass bei einer Therapeutin eine gutachtliche Distanz nicht erwartet werden kann, ist für den Senat unbedenklich. Dr. M. weist hier auf eine tatsächlich stets zu beachtende Problematik bzw. auf ein nicht zu übergehendes Spannungsverhältnis zwischen der Rolle des Gutachters und des Therapeuten, das gerade bei psychiatrischen Krankheitsbildern besteht, hin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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